Transkript
INTERVIEW
«Die Sarkoidose ist ein Chamäleon»
Interview mit Prof. Martin Brutsche, Kantonsspital St. Gallen
Aufgrund ihrer vielgestaltigen Manifestationen gilt die
Sarkoidose als symptomatologisches «Chamäleon». Meist
ist die Lunge betroffen, aber auch Sehstörungen, Gelenk-
schmerzen, Müdigkeit und Schwitzen können Anzeichen
einer Sarkoidose sein. In der Praxis ist die korrekte und vor
allem frühzeitige Diagnose eine Herausforderung. Wir
sprachen mit Prof. Martin Brutsche über die wichtigen As-
pekte dieser seltenen Krankheit.
ARS MEDICI: Herr Professor Brutsche, die Sarkoidose ist selten und manifestiert sich vielfältig. Bei welchem Patienten könnte ein Hausarzt an Sarkoidose denken? Prof. Dr. Martin Brutsche: Zum einen ist es eine Erkrankung mit systemischer Wirkung – Müdigkeit, Schwitzen und auch Gewichtsverlust. Hier könnte ein Hausarzt neben der Kontrolle von Eisen, Schilddrüsenwerten und so weiter auch daran denken, dass es eine entzündliche Krankheit wie die Sarkoidose sein könnte. Zum anderen gibt es gewisse Lokalbefunde. Die Sarkoidose ist in etwa 90 Prozent der Fälle eine Erkrankung, die sich im Thoraxraum mit Symptomen wie Husten oder Kurzatmigkeit bei Anstrengung manifestiert. Darüber hinaus gibt es aber auch Fälle, bei denen eine Hautveränderung zum Sarkoidoseverdacht führt.
ARS MEDICI: Ist die Sarkoidose nicht häufig auch ein Zufallsbefund? Brutsche: Das stimmt, ich sehe häufig Patienten, bei denen aus irgendeinem Grund ein Thoraxröntgenbild oder eine Computertomografie erfolgte und Lymphknotenschwellungen zu sehen sind. Das ist ein Alarmsignal, denn dahinter kann ein Lymphom stecken. Solche Patienten sind zunächst einmal froh, wenn es «nur» eine Sarkoidose ist. Es gibt Patienten, die zum Zeitpunkt des Zufallsbefunds völlig symptomlos sind, aber oft ist es auch so, dass diese Patienten bereits die eingangs genannten Symptome wie Müdigkeit, Gewichtsverlust oder eine leichte Temperaturerhöhung aufweisen – es war aber noch niemand auf den Gedanken gekommen, das könnte eine Sarkoidose sein.
ARS MEDICI: Gibt es einen Labortest, der bei diesen unspezifischen Symptomen den Verdacht auf Sarkoidose bestätigen oder widerlegen könnte? Brutsche: Nein, den gibt es leider nicht. Häufig sind wir auf ein Mosaik von Resultaten angewiesen, zu denen auch Laborparameter gehören. Die Sarkoidose ist ein Chamäleon. Sie kann
sich ganz unterschiedlich äussern. Es gibt Patienten mit Sehschwierigkeiten, andere haben Probleme mit den Nieren, die meisten haben etwas am Thorax, aber das Bild ist sehr, sehr unterschiedlich. Um die Diagnose einer Sarkoidose aber definitiv zu stellen, braucht es in der Regel eine Gewebeprobe – da meist der Thorax betroffen ist, häufig eine Lungenspiegelung. Es gibt nur wenige Patienten, bei denen keine Verifikation mittels Gewebeprobe nötig ist. Das sind Patienten mit einem typischen Löfgren-Syndrom, wobei es sich um klare, akute Sarkoidose mit typischem klinischem Bild handelt. Auf eine Gewebeprobe kann man auch bei völlig asymptomatischen Patienten verzichten, bei denen höchstens ein Stadium I der Sarkoidose vermutet wird. Wenn jedoch ein aktiver Krankheitsprozess besteht, braucht es eine Gewebeprobe. Somit ist der Hausarzt darauf angewiesen, mit einem Spezialisten zusammenzuarbeiten.
ARS MEDICI: An welchen Spezialisten sollte sich der Hausarzt primär wenden, wenn Verdacht auf Sarkoidose besteht? Brutsche: Sind primär die Gelenke betroffen, so ist das der Rheumatologe. Falls im weitesten Sinne im Thorax etwas nicht stimmt, ist es der Pneumologe, und falls primär ein Hautproblem besteht, der Dermatologe. Welchen Spezialisten man zuerst hinzuzieht, hängt sicher von der primären Ausprägung der Erkrankung ab. Die Frage ist aber, was man bei einem komplexeren Verlauf tun soll, wenn mehrere Organe betroffen sind. In so einem Fall ist es empfehlenswert, die Patienten an ein Zentrum zu schicken, an dem die verschiedenen Fachrichtungen unter einem Dach vereint sind und an dem man sich auch für seltene Krankheiten wie die Sarkoidose interessiert.
ARS MEDICI: Welche Zentren wären das in der Schweiz? Brutsche: Während es in Deutschland Sarkoidosezentren gibt, hat man dieses Konzept in der Schweiz bisher nicht weiterverfolgt. Man sollte sich also zunächst an die Pneumologieabteilungen der Universitätskliniken und grösseren Kantonsspitäler wenden.
ARS MEDICI: Wie lange dauert es nach Ihrer Erfahrung, bis ein Sarkoidosepatient in der Schweiz seine korrekte Diagnose bekommt? Brutsche: Das kann Monate dauern. Natürlich gibt es Einzelfälle, bei denen es viel kürzer oder viel länger sein kann. Es sind aber sicher Monate, in der sich die Patienten in einer schwierigen Phase befinden, weil sie krank sind, der Arzt
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INTERVIEW
Zur Person
Prof. Martin Brutsche ist Chefarzt Pneumologie und Schlafmedizin am Kantonsspital St. Gallen.
keine Entzündungsaktivität vorliegen kann – da kann man mit noch so viel Kortison überhaupt nichts erreichen, die Patienten haben aber garantiert Nebenwirkungen. Ein weiterer Punkt ist die Müdigkeit. Hier werde ich häufig um eine Zweitmeinung bei Sarkoidosepatienten gefragt. Es gibt viele Gründe für Müdigkeit. Nicht selten findet sich ein Schlafapnoesyndrom oder ein Eisen- oder Vitaminmangel anderer Genese oder auch ein «chronic fatigue syndrome», welches sich aufgrund der Verunsicherung im Zusammenhang mit der Diagnosestellung oder mit der Krankheit selbst einstellt. Man kann aber nicht alles, was im Leben passiert, auf die Sarkoidose zurückführen.
aber nichts finden kann. Bis die Diagnose steht, kann das für den Patienten sehr belastend sein.
ARS MEDICI: Die Prognose ist eigentlich recht gut, und bei vielen Patienten scheint die Sarkoidose von selbst wieder zu verschwinden. Welcher Patient braucht wirklich eine Therapie? Brutsche: Das ist auch für einen Sarkoidosespezialisten nicht immer einfach zu beantworten. Es ist wichtig, den Aktivitätsgrad einer Erkrankung zu bestimmen. Man muss die Organfunktion untersuchen, denn das zeigt an, wie stark die Beeinträchtigung durch die Sarkoidose ist, zum Beispiel auf die Lunge, das Herz oder ein anderes Organ. Auch das ZNS kann betroffen sein. Am Beispiel der Lunge wird aber auch deutlich, dass die Organfunktion nicht immer zuverlässig Auskunft über die Krankheitsaktivität gibt. Nehmen wir einmal an, die Lungenfunktion ist eingeschränkt. Das heisst aber noch nicht, dass die Sarkoidose jetzt dort aktiv wäre, sondern es könnte theoretisch auch ein nicht mehr entzündlicher Vernarbungszustand sein. Deshalb ist neben der Beurteilung der funktionellen Einschränkung die Messung der Entzündungsaktivitäten wichtig. Das erfolgt heutzutage häufig über den löslichen Interleukin-2-Rezeptor, das ACE und auch das Neopterin sowie die 24-Stunden-Urinmessung; Kalzium im Urin und Serum ist ebenfalls ein wichtiger Parameter. Erst wenn man die funktionelle Einschränkung und die Entzündungsparameter zusammen betrachtet, kann man die Notwendigkeit einer Therapie beurteilen. Wie bei der Diagnose ist es also auch hier ein Mosaik verschiedener Aspekte, die man als Gesamtbild betrachten muss, um zur richtigen Entscheidung zu kommen.
ARS MEDICI: Gibt es typische Fehler, die bei der Therapie gemacht werden? Brutsche: Man kann bei der Sarkoidose auch zu viel behandeln. Ich sehe immer wieder, dass Patienten zu lange mit zu viel Kortison behandelt werden. Eine akute Sarkoidose sollte man möglichst nicht mit Steroiden behandeln. Es gibt nämlich Hinweise darauf, dass die Langzeitprognose besser ist, wenn sich die Krankheit sozusagen selbst limitieren kann. Wenn man zum Beispiel beim Löfgren-Syndrom nur nichtsteroidale Antirheumatika einsetzt und eben keine Steroide, kann das langfristig betrachtet besser sein. Man muss auch bedenken, dass zwar eine Funktionseinschränkung, aber
ARS MEDICI: Was sind die wichtigsten Medikamente bei Sarkoidose? Brutsche: Falls es keinen zwingenden Grund für Kortisonpräparate gibt, kann man in einer akuten Phase ein nicht steroidales Antirheumatikum geben. Bei Haut- und Gelenkschwierigkeiten haben Plaquenil® (Chloroquin) und Arava® (Leflunomid) einen gewissen Stellenwert.
Steckbrief Sarkoidose
Name: Sarkoidose, engl. sarcoidosis syn: Morbus Boeck, Morbus Schaumann-Besnier Sonderformen: Löfgren-Syndrom, Heerfordt-Syndrom
Ursache: unklar, autoimmune Prozesse werden vermutet genetische Prädisposition und inhalatives Agens als Auslöser bekannt
Prävalenz: weltweit 1 bis 40/100 000 mit regionalen und ethnischen Unterschieden Schweiz: 121/100 000 (während gesamter Lebenszeit); 44/100 000 (aktive Sarkoidose, davon 16/100 000 hospitalisationsbedürftig); neue Fälle pro Jahr (Inzidenz): 7/100 000
Leitsymptome: 30 bis 60 Prozent der Patienten ohne Symptome (Zufallsbefund) unproduktiver Husten, Dyspnoe, thorakale Schmerzen (bei 90% der Patienten ist die Lunge betroffen) typische Hautveränderungen (25% der Patienten) weitere Symptome je nach Organmanifestation (z.B. Augen 25%, ZNS 5%, Herz 5–10%)
Diagnose: Thorax-Röntgen, HRCT (high resolution computer tomography) PET-CT bei vermuteter extrapulmonaler Manifestation Nachweis nicht nekrotisierender Granulome in Biopsien Verhältnis CD4/CD8-Lymphozyten in Bronchiallavage weitere Untersuchungen je nach Organmanifestation
Therapie: Immunsuppression durch Kortikosteroide Methotrexat, Azathioprin, Hydroxychloroquin als steroidsparende Substanzen Thalidomid gegen Hautmanifestationen Infliximab (off label)
Sonstiges: Prognose nicht vorhersehbar meist Remission innert 10 Jahren (2/3 der Patienten) Mortalität unter 5 Prozent
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Kontaktadressen
Patientenvereinigung Schweizerische Sarkoidose-Vereinigung SSARV-AScS www.sarkoidose.ch
Im Folgenden werden als Ansprechpartner an Schweizer Spitälern in erster Linie Mitglieder der Arbeitsgruppe «Interstitielle und Seltene Lungenkrankheiten» der Schweizer Gesellschaft für Pneumologie genannt. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; als Ansprechpartner für die Hausärzte kommen prinzipiell die pneumologischen Abteilungen aller Universitätsspitäler und der grösseren Kantonsspitäler infrage:
Basel Universitätsspital Basel, Klinik für Pneumologie Dr. med. Peter Grendelmeier: pgrendelmeier@uhbs.ch Interdisziplinäre Fallkonferenz interstitielle Pneumopathie und Sarkoidose PD Dr. med. Dr. phil. Katrin Hostettler Haack: katrin.hostettler@usb.ch
Bern Universitätsspital Inselspital Bern Sarkoidose-Sprechstunde Prof. Dr. med. Thomas Geiser: thomas.geiser@insel.ch
Genf Hôpital cantonal universitaire, Division de Pneumologie Prof. Dr. med. Thierry Rochat: thierry.rochat@hcuge.ch Dr. med. Pierre-Olivier Bridevaux: pierre-olivier.bridevaux@hcuge.ch
Lausanne CHUV, Service de Pneumologie Dr. med. Romain Lazor: romain.lazor@chuv.ch
Lugano Ospedale Civico Dr. med. Andrea Azzola: andrea.azzola@eoc.ch
St. Gallen Kantonsspital St. Gallen Klinik für Pneumologie und Schlafmedizin Prof. Dr. med. Martin Brutsche: martin.brutsche@kssg.ch
Zürich Universitätsspital Zürich Klinik für Pneumologie: pneumologie@usz.ch
ARS MEDICI: Diese therapeutischen Ansätze hören sich alle nach einer Autoimmunerkrankung an, gilt die Sarkoidose mittlerweile als solche? Brutsche: Man kennt die Ursache der Sarkoidose immer noch nicht. Das ist ein grosses Problem. Der Verdacht, es könnte eine Autoimmunerkrankung sein, scheint recht plausibel. Man sieht in der Immunantwort eine Aktivierung des Teils des Immunsystems, welches mit exogenen Antigenen interagiert. Das heisst, irgendein Stoff könnte auf den Körper wirken und eine Überreaktion verursachen. Man weiss, dass es genetische Veranlagungen für derartige Überreaktionen gibt. Aber bezüglich der Sarkoidose sind das alles nur Hypothesen.
ARS MEDICI: Wird man als Sarkoidosepatient wieder völlig gesund, oder bleibt man ein chronisch Kranker? Brutsche: Die Antwort lautet Ja und Nein. Patienten im akuten Stadium I haben eine Chance von 80 Prozent und mehr, dass sie nur einen Schub haben und dann nie mehr. Die Frage ist jetzt: Ist das eine Heilung? Obwohl doch ein Risiko von 10 Prozent besteht, dass es irgendwann im Leben wieder einmal einen Schub geben kann. Es verhält sich so ähnlich wie bei der Frage: Ist das Glas halb voll oder halb leer? Ich denke schon, dass man gewisse Patienten wieder als gesund bezeichnen kann. Ich sage den Patienten aber: «Sie haben ein Immunsystem, welches manchmal überreagiert, und wenn das wieder kommt, melden Sie sich frühzeitig.» Damit können viele Patienten sehr gut leben. Zum Glück hat die Sarkoidose eine gute Prognose. Nur in seltenen Fällen, speziell bei Herzbefall oder bei schwerem Hirnbefall, kann die Krankheit auch lebensbedrohlich werden. Meistens ist es aber eine eher harmlose Erkrankung. Wichtig ist das Vertrauen zwischen Patient und Arzt und auch zwischen Hausarzt und Zentrum, damit er seinen Patienten schickt, sobald er den Eindruck hat, das etwas nicht stimmt. Die Patienten können über Jahre hinweg gut funktionieren, aber es braucht doch Kontrollen. Zur Katastrophe kann es nach meiner Erfahrung kommen, wenn Patienten ihre Erkrankung völlig negieren, so in dem Stil: «Nein, ich will nichts mehr hören von dieser Sarkoidose, ich bin jetzt geheilt.»
Die wichtigste medikamentöse Strategie ist aber schon die Immunsuppression. So ist das Prednison ein sehr wichtiger Baustein in der Therapie ist. Wenn eine längerfristige Therapie nötig ist und man die Dosis nicht vermindern kann, empfiehlt es sich, das Kortison mit weiteren Medikamenten zu ergänzen, zum Beispiel mit Azathioprin, um weniger Kortison zu brauchen. International gesehen hat auch Methotrexat einen Stellenwert; in der Schweiz aber eher weniger, weil Methotrexat auch lungentoxisch sein kann. Schliesslich kommen auch TNF-alpha-Blocker infrage, typischerweise das Infliximab, mit erfahrungsgemäss relativ gutem Erfolg.
ARS MEDICI: Obwohl Sarkoidose als Nebenwirkung von Infliximab bekannt ist? Brutsche: Ja, das ist in der Tat paradox. Es gibt seltene Fälle, in denen unter einem TNF-alpha-Blocker auch eine Granulomatose entstand. Ich habe so etwas bei einem Sarkoidosepatienten allerdings noch nie gesehen. Aber das ist natürlich wie bei jedem Konzept: Man entscheidet sich für eine Therapie und muss diese iterativ hinterfragen.
ARS MEDICI: Was wäre bezüglich der Sarkoidose Ihre wichtigste
Botschaft an die Hausärzte?
Brutsche: Daran denken!
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Das Interview führte Renate Bonifer.
Seltene Krankheit? – Häufiges Problem!
Sind weniger als 1 von 2000 Personen betroffen, spricht man von einer seltenen Krankheit. Zirka 5 bis 6 Prozent der Bevölkerung sind von einer der rund 7000 bekannten seltenen Krankheiten betroffen – was den Begriff «selten» relativiert und uns veranlasst hat, auch über seltene Krankheiten in ARS MEDICI zu berichten. Sie finden alle bisher publizierten Artikel unter: www.arsmedici.ch
Wir danken Frau Dr. Saskia Karg, wissenschaftliche Koordination radiz, Universitäts-Kinderspital Zürich, für ihre Unterstützung. «radiz» steht für «Rare Disease Initiative Zürich», klinischer Forschungsschwerpunkt für seltene Krankheiten Universität Zürich.
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