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Titel
Gelbe Pferde
Untertitel
-
Lead
Professor J.* meinte: «Schreib doch mal was über Männer, die wie Sokrates leben wollen!» Da er stets Hintergedanken hat, vermutete ich, dass ich weder über Mäeutik noch über Philosophie schreiben sollte. «Thema ‹grossartige Lehrer›?», fragte ich. «Nein!», protestierte Vreni*, meine MPA. «Keine Glosse über Lehrer! Das sind die schlimmsten Patienten! Rechthaberische querulatorische Besserwisser!» «Freiwilliges Trinken von Schierlingsbechern?», rätselte ich weiter. Professor J. schmunzelte: «Beinahe richtig.
Datum
Autoren
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Rubrik
ARSENICUM
Schlagworte
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16818
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Arsenicum: Gelbe Pferde

Professor J.* meinte: «Schreib doch mal was über Männer, die wie Sokrates leben wollen!» Da er stets Hintergedanken hat, vermutete ich, dass ich weder über Mäeutik noch über Philosophie schreiben sollte. «Thema ‹grossartige Lehrer›?», fragte ich. «Nein!», protestierte Vreni*, meine MPA. «Keine Glosse über Lehrer! Das sind die schlimmsten Patienten! Rechthaberische querulatorische Besserwisser!» «Freiwilliges Trinken von Schierlingsbechern?», rätselte ich weiter. Professor J. schmunzelte: «Beinahe richtig. Männer, die mit einer Xanthippe verheiratet sind!» «O nein!», stöhnte Vreni. «Aemmiiii!» Auch ich seufzte, denn Emmi*, die Ehefrau eines echt genialen Patienten von uns, ist eine kaum zu ertragende Praxisplage. 73 Jahre alt, Past-Primarlehrerin, unfreiwillig im Goth-Look, da zu hell gepudert und mit brombeerfarbigem Lippenstift auf den schmalen Lippen. Ihr schrilles Keifen hört man schon, wenn sie aus dem Auto aussteigt, welches sie trotz Makuladegeneration noch fährt. Wie eine Geisel schleppt sie ihren Mann herein, für den sie stets die Termine abmacht, und stampft mit ihm direkt ins Sprechzimmer, an drei wartenden Patienten vorbei. Da sie sich allen haushoch überlegen fühlt, muss Ihre EmmiNenz zuerst bedient werden. Um sie möglichst schnell wieder aus der Praxis zu haben, tun wir das. Uns teilt sie mit 80 Dezibel mit, an was der Gatte leidet und was wir GopferdEmmi zu tun haben. Tun wir’s nicht, gibt’s (R)EmmiDemmi. Wobei es das in jedem Falle gibt. Denn sie hat das Sagen, fühlt sich als Königin des EmmiTals. Widerspruch ist zwecklos. Er sitzt schlaff

dabei und muckt nicht auf, macht allenfalls eine kryptische, bittere Bemerkung mit fiesem Doppelsinn. Werden die von mir verordneten Medikamente von Emmi genehmigt, was aber selten der Fall ist, dann würde sie ihn zwangsmedizieren, falls er wagen würde, sie nicht schlucken zu wollen. Doch er schluckt alle bitteren Pillen. Ein Fall von Compliance: Der Patient wird zurechtgebogen … Erst aber schreitet Emmi zur hochnotpeinlichen Inquisition betreffend Medikation und Diagnostik. Ihr Wissen hat sie sich dank der Lektüre von «GALA» und Apothekenzeitung erworben und durch Befragen ihres orakelnden, leicht dementen Lieblingsgriechen bei einem Glas Kitron. Entsprechend ist das Niveau ihrer Fragen. Ich bin im DilEmmi: Generell mag ich kritische Patienten sehr gern, welche Rückfragen stellen und denen das Wohl ihrer Liebsten am Herzen liegt. Aber was soll ich einer DEmmi-Mondaine erklären, die selbst dann nichts verstünde, wenn sie zuhören würde, was sie aber nicht will, weil sie selbst nonstop redet. Ausserdem weiss sie ja schon alles. Wenn ihr Mann mal ganz verwegen ist, stellt er eine Frage. Stets klug und zur Sache. Worauf sie ihm ohne HEmmige übers Maul fährt. «Warum tun sich diese Sokrates-Männer das an?», frage ich den Professor. «Warum lieben sie diese Furien, Megären, Alectos, welche die Freunde vertreiben und das ganze Umfeld vergrätzen? Warum finden sie Entschuldigungen für deren Benehmen, anstatt mal die Grenzen aufzuzeigen?» Der Professor murmelte: «Nun, laut Xenophon soll Sokrates gesagt haben, dass er sich bewusst dieses Joch auferlegte, um

sich selbst darin zu schulen, mit jedermann auszukommen.» «Selbstquälerisch, so ein Leben. Mit einer Gifthexe. Nur um zu zeigen, dass er jede Art menschlichen Benehmens erträgt», meinte ich. «Genau wie sein Sterben. Sokrates bewies im Prozess, dass die Anklagen gegen ihn falsch und nichtig sind und die Ankläger dumm und/oder böse, aber er akzeptierte das Fehlurteil der Todesstrafe, da er den Respekt vor dem Richterspruch, der Institution Gericht als wichtiger wertete als sein eigenes Leben.» Der Professor nickte und lächelte: «Zumindest hat Xanthippe Antisthenes, Aelian, Diogenes Laërtius, Shakespeare, Trollope und E. A. Poe inspiriert.» «Gift-Muse!», knurrte Vreni.
*Namen von der Redaktion geändert

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ARS MEDICI 20 I 2015