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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rheumatologie
Was bringt die Alternativmedizin bei rheumatoider Arthritis?
Gute Studien gibt dazu es kaum. Am häufigsten wende er derzeit die Fastentherapie bei rheumatoider Arthritis an, so Professor Dr. med. Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus in Berlin, in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) (1). Das Heilfasten unterstütze nachweislich die medikamentöse Therapie entzündlicher Prozesse, sofern es mindestens sieben bis zehn Tage durchgehalten wird. Ob auch kürzere Fastenzeiten oder Intervallfasten an ein oder zwei Tagen pro Woche ausreichend sein könnten, wird derzeit in Studien untersucht. Weniger gut sei die Evidenzlage für wie Ingwer, grünen Tee, Granatapfel, Walnüsse oder Leinsamen: «Grundlagenstudien zeigen zwar entzündungshemmende Effekte für diese Nahrungsmittel, aber bei rheumatoider Arthritis konnte die Wirksamkeit bisher nicht belegt werden», so Michalsen. Einen empirisch gut gestützten Stellenwert habe die Kneippsche Hydrotherapie; Wechselbäder, kalte und warme Güsse oder Wickel wirken schmerzlindernd. «Patienten können Quarkwickel und Essigumschläge
zur Kühlung anwenden, Bockshornklee oder Bienenwachs zur Wärmetherapie», sagte Michalsen. Auch mit der sogenannten «Mind-Body-Medizin» lassen sich Schmerzen reduzieren und die Lebensqualität verbessern. Im Mittelpunkt stehen dabei Stressreduktion, Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen wie Yoga oder Tai Chi: «Allein, dass Betroffene sich selbstwirksam mit ihrem Körper beschäftigen, führt oft zu einem gesünderen Lebensstil.» Es lägen jedoch bislang nur Daten aus ersten kleineren randomisierten Studien vor, so Michalsen. Der Rheumatologe Dr. Joachim Georgi hat sich eingehend mit dem Stellenwert der Phytotherapie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen befasst. Seine systematische Auswertung der vorhandenen Studiendaten liefert ein eher ernüchterndes Resultat bezüglich der tatsächlichen Wirksamkeit pflanzlicher Heilmittel bei rheumatoider Arthritis. Zudem liesse die Qualität der Studien häufig zu wünschen übrig, heisst es in der kürzlich publizierten Studie (2). Ungesättigte Fettsäuren wie die GammaLinolensäure könnten in sehr hohen Dosen möglicherweise schmerzlindernd bei rheu-
matischer Arthritis wirken. Diese sind bei-
spielsweise in Borretsch-Samen, Nacht-
kerzen oder Samen der Schwarzen Johan-
nisbeere enthalten. Bei Extrakten aus
Hagebutte, Weidenrinde und indischem
Weihrauch sei dies jedoch nicht der Fall.
Der chinesischen Kräuterextrakt TwHF
(Tripterygium wilfordii Hook F, Wilfords
Dreiflügelfrucht) soll eine dem Methotrexat
ähnliche Wirksamkeit haben, aber auch
entsprechende Nebenwirkungen. Die hohe
Nebenwirkungsrate und mangelhaftes Stu-
diendesign schränkten die Aussagekraft
der TwHF-Studien jedoch ein. Der breite
Einsatz von TwHF in China sei letztlich weni-
ger auf seine Wirkung als den niedrigen
Preis bedingt, glaubt Georgi. Sein Fazit:
«Von den untersuchten Phytotherapeutika
drängt sich keines als Ergänzung, ge-
schweige denn als Alternative zur konven-
tionellen Therapie bei entzündlich-rheuma-
tischen Erkrankungen auf.»
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1. Pressemitteilung der DGRh vom 4. August 2015 2. Georgi J: Phytotherapie bei entzündlich-rheumatischen Erkran-
kungen – ist für alles ein Kraut gewachsen? http://dx.doi. org/ 10.1055/s-0035-1548862; Online-Publikation; Akt Rheumatol 2015.
Zahnmedizin
Raucher verlieren ihre Zähne früher
Ein weiteres Argument, mit dem Rauchen aufzuhören liefern die Daten von rund 20 000 Teilnehmern der EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition): Raucher haben ein deutlich höheres Risiko als Nichtraucher, ihre Zähne bereits in jungen Jahren zu verlieren. Wer mit dem Rauchen aufhört, kann das Risiko aber rasch senken und letztlich auf das Niveau einer Person senken, die niemals geraucht hat. «Letzteres kann allerdings über 10 Jahre dauern», so Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Thomas Dietrich. In einer Studie wurde prospektiv der Zusammenhang zwischen Rauchen, Raucherentwöhnung und Zahnausfall in drei verschiedenen Altersgruppen untersucht: Personen unter 50, im Alter zwischen 50 und 59 und im Alter zwischen 60 und 70 Jahren.
Im Vergleich zu Studienteilnehmern, die nie geraucht haben, hatten weibliche ein bis zu 2,5-fach und männliche Raucher ein bis 3,6-fach erhöhtes Risiko, ihre Zähne vorzeitig zu verlieren und dies unabhängig von anderen Risikofaktoren wie zum Beispiel Diabetes. Der Zusammenhang war bei jüngeren Personen stärker ausgeprägt als bei älteren. Zudem beobachteten die Wissenschaftler, dass die ermittelten Risikobeziehungen dosisabhängig waren. Starke Raucher, die mehr als 15 Zigaretten pro Tag konsumierten, hatten ein höheres Risiko, als diejenigen, die weniger rauchten. Die Forscher erklären sich den schädlichen Effekt mit dem erhöhten Auftreten der Parodontitis bei Rauchern. Zahnfleischentzündungen seien das erste Warnsignal. «Unglücklicherweise maskiert Rauchen Zahnfleischbluten – eines der wenigen
Symptome einer Parodontitis. Hierdurch
kann das Zahnfleisch bei Rauchern gesün-
der erscheinen, als es tatsächlich ist. Dies
sollten Raucher aber auch Zahnärzte be-
rücksichtigen», so Dietrich. Ob das Rau-
chen auch mit einem höheren Kariesrisiko
verbunden ist, sei noch nicht klar.
EPIC ist eine prospektive Kohortenstudie
mit gut einer halben Million Teilnehmern in
zehn europäischen Ländern. Die Teilneh-
mer wurden von 1992 bis 1999 aufgenom-
men und dabei detaillierte Informationen
zur Ernährung, Lebensstil, organischen
Parametern und der medizinischen Vor-
geschichte erfasst. Von knapp 400 000 Per-
sonen wurden zusätzlich Blutproben ge-
nommen und in Aliquots eingefroren, so
dass noch heute jederzeit für Untersuchun-
gen im Rahmen neuer Fragestellungen zur
Verfügung stehen.
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Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfeD) am 14. September 2015.
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ARS MEDICI 19 I 2015
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Infektiologie
Kein europäisches Chikungunyavirus
Rückspiegel
Anfang August ging die Meldung durch die Presse, wonach das Chikungunyavirus in Europa endgültig angekommen sei (wir berichteten in ARS MEDICI 16/2015, Seite 758). Bei einem spanischen Patienten, der kein Reiserückkehrer war, wurde Chikungunyafieber diagnostiziert. Das Europaen Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) teilte nun mit, dass die Diagnose falsch war und auf einem falsch-positiven Labortest beruhte. Vielmehr beruhten sämtliche bisher in Spanien aufgetretenen Chikungunya-Fälle auf
einer Ansteckung in Endemiegebieten aus-
serhalb Europas. Trotzdem müsse man
wachsam bleiben, da der Überträger, die
asiatische Tigermücke, in vielen Teilen
Europas bereits heimisch geworden ist. Wie
2007 in Italien wäre es jederzeit möglich, dass
ein infizierter Reiserückkehrer gestochen
wird, das Virus auf die Mücke übertragen und
von dieser weiter verbreitet wird.
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Pressemitteilung des ECDC vom 16. September 2015
Ernährung
Fördern grosse Portionen übermässiges Essen?
Wohl jeder wird diese Frage intuitiv und aus Erfahrung mit Ja beantworten – nun wurde diese Alltagsweisheit auch in einer CochraneStudie verifiziert. Das britische Autorenteam wertete hierfür 61 Studien mit insgesamt 6711 Probanden aus. Sie kommen zu dem Schluss, dass bei grossen Verpackungseinheiten und Portionen tendenziell mehr verzehrt wird; auch Form und Grösse von Geschirr und Gläsern beeinflusst die konsumierten Mengen. Insgesamt wird der Einfluss der Packungs- und Portionsgrössen auf die Kalorienbilanz als klein bis mittelgross bewertet. Würden alle Packungs- und Portions-
grössen jedoch konsequent eher klein gehal-
ten, könnte dies die Kalorienaufnahme um
12 bis 16 Prozent in Grossbritannien und
22 bis 29 Prozent in den USA verringern,
behaupten die Studienautoren. Ob das tat-
sächlich so ist und ob dies möglicherweise
nur für sehr grosse Packungseinheiten zu-
trifft, müsse allerdings erst in Studien nach-
gewiesen werden.
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Hollands GJ et al.: Portion, package or tableware size for changing selection and consumption of food, alcohol and tobacco. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 9. Art. No. CD011045. DOI:10.1002/14651858.CD011045.pub2
Neurologie
Mutter mit MS: Stillen mindert Schubrisiko
Bei Müttern mit MS steigt nach der Entbindung das Risiko eines MS-Schubs, sodass sich die Frage stellt, ob sie nicht lieber auf das Stillen verzichten und so früh wie möglich wieder mit der MS-Behandlung beginnen sollten. Die Antwort laute nein, so die Autoren einer kürzlich publizierte Studie. Vielmehr sei das ausschliessliche (!) Stillen sozusagen eine – wenn auch nur mässig wirksame – befristete Therapie gegen MS mit «natürlichem Enddatum». Auf jeden Fall würde das MS-Schubrisiko durch das Stillen und die dadurch erzwungene Medikamentenpause nicht erhöht, sodass jede MS-Patientin selbst entscheiden soll, ob sie stillen möchte oder nicht.
Die Studie umfasst 201 Mütter, von denen
etwa die Hälfte (n = 120; 59,7%) für mindes-
tens zwei Monate ausschliesslich und knapp
jede fünfte (n = 39; 19,4%) gar nicht stillen
wollten. Die restlichen Frauen stillten und füt-
terten zu. Sechs Monate postpartum hatten
31 der 81 Frauen (38,3%), die nicht oder nicht
exklusiv stillten, einen MS-Schub gegenüber
29 der 120 Frauen (24,2%), die mindestens
zwei Monate lang nur stillten. Bezüglich der
Schübe gab es in keinen Unterschied zwi-
schen denjenigen, die teilweise oder gar nicht
gestillt hatten.
RBOO
Hellwig K et al.: Exclusive breastfeeding and the effect on postpartum multiple sclerosis relapses. JAMA Neurol 2015; published online August 31, 2015
Vor 10 Jahren
Drei leibliche Eltern
In Grossbritannien wird dem Forscherteam von Mary Herbert und Doug Turnbull an der Universität Newcastle erlaubt, menschliche Embryonen mit drei Elternteilen zu erzeugen: Der Kern einer befruchteten Eizelle wird in die entkernte Eizelle einer gesunden Spenderin eingefügt. Würde sich daraus ein Kind entwickeln, hätte es einen Vater und zwei genetische Mütter. Man will damit die Vererbung von Krankheiten stoppen, die mit der mitochondrialen DNA von der Mutter weitergegeben werden, denn die mitochondriale DNA stammt immer nur von der Mutter. In der Tat gelingt es, derartige Embryonen im Labor zu erzeugen, die jedoch in einem frühen Zellstadium getötet werden. In den USA hatte ein anderes Team bereits zuvor Affenembryonen mit einer ähnlichen Methode erzeugt, die dann tatsächlich ausgetragen wurden und sich normal entwickelten; das Verfahren war in den USA eine zeitlang beim Menschen erlaubt, wurde dann aber verboten. In Grossbritannien ist die Anwendung am Menschen bis heute nicht erlaubt, für Oktober 2015 wird eine neue Regelung erwartet.
Vor 50 Jahren
Gebärposition
Die Steinschnittlage gilt als optimale Gebärposition, obgleich sie weniger für die Gebärende als vielmehr für Arzt und Hebamme bei der Geburtshilfe komfortabel ist. Im British Medical Journal kritisiert der Arzt W.N. Leak das Festhalten an dem Dogma der Steinschnittlage für Gebärende im Spital. Seine eigene, jahrzehntelangen Erfahrung habe ihn gelehrt, das die Natur im Gegensatz zu vielen Gepflogenheiten der Geburtshilfe immer Recht habe. Er fordert, es jeder Gebärenden selbst zu überlassen, in welcher Position sie ihr Kind zur Welt bringen möchte.
Vor 100 Jahren
Knochentransplantate
Der US-amerikanische Chirurg Fred H. Albee (1876-1945) gilt als Pionier der orthopädischen Chirurgie mithilfe von Knochentransplantaten. 1915, neun Jahre nach seiner ersten erfolgreich durchgeführten Operation, publiziert er ein umfassendes Lehrbuch mit 322 Abbildungen auf knapp 400 Seiten.
RBO
ARS MEDICI 19 I 2015