Transkript
STUDIE REFERIERT
Antipsychotika in der Schwangerschaft
Welche Risiken bestehen für die werdende Mutter und ihr Kind?
Eine grosse Matched-Kohortenstudie kommt zu dem Ergebnis, dass die Einnahme von Antipsychotika während der Schwangerschaft das Risiko für Gestationsdiabetes, schwangerschaftsspezifische Hochdruckerkrankungen und eine venöse Thromboembolie nicht erhöht. Etwa 90 Prozent der Patientinnen waren mit einem atypischen Neuroleptikum behandelt worden. Da sich ungünstige Effekte nicht sicher ausschliessen lassen, muss eine sorgfältige Überwachung während der Schwangerschaft erfolgen.
British Medical Journal
Die Einnahme antipsychotisch wirksamer Neuroleptika während der Schwangerschaft ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Ein Grund könnte sein, dass Frauen mit psychotischen Störungen öfter schwanger werden. Zum anderen werden atypische Neuroleptika insbesondere zur Therapie bipolarer Störungen und einer Major Depression häufiger bei Schwangeren eingesetzt. Die Entscheidung über den Einsatz von Neuroleptika während einer Schwangerschaft ist nicht einfach. Die Unterbrechung der Medikation
kann die psychische Erkrankung verschlechtern. Die meisten zur Verfügung stehenden Studien haben die klassischen Neuroleptika untersucht, wohingegen die Informationen über den Einsatz atypischer Neuroleptika gering sind. Ziel einer Studie war, zu untersuchen, welche Veränderungen Neuroleptika im mütterlichen Organismus hervorrufen und in welcher Weise sie die perinatale Phase beeinflussen. In dieser Studie wurden etwa 90 Prozent der Patintinnen mit einem atypischen Neuroleptikum behandelt.
MERKSÄTZE
O Die Einnahme antipsychotisch wirksamer Neuroleptika während der Schwangerschaft ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen.
O Eine grosse bevölkerungsbezogene Matched-Kohortenstudie untersuchte den Einfluss von Antipsychotika auf Mutter und Kind. Über 90 Prozent der Patientinnen waren mit einem atypischen Neuroleptikum behandelt worden.
O Die Studie ergab, dass die Einnahme von Antipsychotika während der Schwangerschaft nicht mit einem erhöhten Risiko für einen Gestationsdiabetes, für schwangerschaftsspezifische Hochdruckerkrankungen oder für eine venöse Thromboembolie einhergeht.
O Die neonatale Mortalität war doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. Auch das Risiko für eine medikamentöse Geburtseinleitung und eine operativvaginale Entbindung war in der Antipsychotikagruppe höher als in der Kontrollgruppe und in der Allgemeinbevölkerung.
O Es wird empfohlen, die Einnahme von Antipsychotika während einer Schwangerschaft sorgfältig zu überwachen.
Studiendesign und -ziel
Die bevölkerungsbezogene MatchedKohortenstudie wurde von fünf kanadischen Wissenschaftlern durchgeführt. Matching ist ein Verfahren, das sicherstellt, dass Fälle und Kontrollen hinsichtlich der wichtigsten Faktoren vergleichbar sind: Beim Matching wird für jeden untersuchten Fall eine Kontrolle ausgewählt, die hinsichtlich definierter, als relevant betrachteter Eigenschaften vergleichbar ist. In dieser Studie wurden unter anderem Alter und bereits bestehende Erkrankungen wie Alkoholabhängigkeit berücksichtigt. Analysiert wurden Daten von mehreren Datenbanken des öffentlichen Gesundheitswesens in Ontario, Kanada. Die Daten stammten von Frauen, welche sich von April 2003 bis Dezember 2012 in einem Krankenhaus in Ontario befunden hatten und dort von einem lebendoder totgeborenen Kind entbunden worden waren. Ausgewählt wurden Frauen, welche mindestens zwei aufeinanderfolgende ärztliche Verordnungen eines Antipsychotikums zwischen dem Zeitpunkt der Empfängnis und dem Entbindungstermin erhalten hatten, wobei wenigstens eine Verschreibung im ersten oder zweiten Trimester erfolgt war. 1021 Patientinnen, welche eine antipsychotische Medikation erhalten hatten, wurden 1021 Patientinnen, die kein Antipsychotikum bekommen hatten, mit Hilfe des HDPS (High Dimensional Propensity Score) zugeordnet, sodass Verzerrungen von Studienergebnissen vermindert wurden. Primäre Endpunkte, welche sich auf Veränderungen des mütterlichen Organismus bezogen, waren Gestationsdiabetes, schwangerschaftsspezifische Hochdruckerkrankungen wie Präeklampsie/Eklampsie und venöse Thromboembolie. Primäre Endpunkte, die sich auf die Perinatalperiode bezogen, waren eine verkürzte Schwangerschaftsdauer (< 37 Wochen) und ein stark erniedrigtes oder erhöhtes Geburtsgewicht (< 3. oder > 97. Perzentile). Sekundäre Endpunkte waren unter anderem Inanspruchnahme der Versorgungsleistungen und die Mortalitäten von Mutter und Kind.
Häufigkeit von Diabetes, Hoch-
druck oder Thrombembolien unter
Antipsychotika nicht erhöht, ...
923 Patientinnen waren mit einem aty-
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pischen Antipsychotikum behandelt worden, wobei 556 Patientinnen alleinig Quetiapin (z.B. Sequase®), 166 Olanzapin (z.B. Olanpax®) und 112 Risperidon (z.B. Risperdal®) erhalten hatten. Die Einnahme der Antipsychotika während der Schwangerschaft ging nicht mit einem erhöhten Risiko für einen Gestationsdiabetes (Rate Ratio [RR]: 1,1, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,77–1,57), für schwangerschaftsspezifische Hochdruckerkrankungen (RR: 1,12, 95%-KI: 0,7–1,78) oder eine venöse Thromboembolie (RR: 0,95, 95%-KI: 0,4–2,27) einher. Das Risiko einer verkürzten Schwangerschaftsdauer war zwar in der Antipsychotikagruppe (14,5%) geringfügig höher als in der anderen Gruppe (14,3%), der Unterschied war jedoch statistisch nicht signifikant. Auch zwischen einem niedrigen oder hohen Geburtsgewicht und der Einnahme von Antipsychotika konnte kein Zusammenhang gefunden werden. Von Bedeutung ist jedoch, dass die Raten einiger negativer Ergebnisse wie medikamentöse Geburtseinleitung oder vaginal-operative Entbindung in der
Antipsychotikagruppe höher waren als in der anderen Gruppe und in der Allgemeinbevölkerung. Die neonatale Mortalität lag in der Antipsychotikagruppe bei 1 Prozent und war damit doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung.
... aber dennoch bestehen erheb-
liche Risiken
Es lässt sich nicht ausschliessen, dass eine antipsychotische Therapie in der Schwangerschaft das Risiko für einen negativen Verlauf erhöht. Erst nach dem Matching zeigte sich, dass eine Antipsychotikaeinnahme das Risiko für einen Gestationsdiabetes oder für schwangerschaftsspezifische Hochdruckerkrankungen nicht erhöht. Auch die Ergebnisse zum neonatalen Anpassungssyndrom, einem der sekundären Ereignisse, sind in dieser Hinsicht von Bedeutung. So war das Risiko vor dem Matching in der Antipsychotikagruppe siebenmal höher, wohingegen es nach dem Matching nur geringfügig erhöht war. Dies deutet darauf hin, dass beim Ausbruch dieser Erkrankungen andere Faktoren als eine Antipsychotikaeinnahme eine Rolle spielen.
Die Studie wirft zudem die Frage auf, ob nicht bereits vor einer Schwangerschaft eingenommene Antipsychotika sich ungünstig auf Mutter und Kind auswirken. 88 Prozent der Patientinnen der Antipsychotikagruppe und 27 Prozent der anderen Gruppe war ein Antipsychotikum innerhalb des Jahres vor der Konzeption verschrieben worden. Ein Antipsychotikum könnte bestimmte (z.B. metabolische) Funktionen bereits vor der Schwangerschaft verschlechtern.
Fazit
Die Einnahme von Antipsychotika
während der Schwangerschaft kann
das Risiko für ein negatives Ereignis er-
höhen. Es wird empfohlen, den Einsatz
von Antipsychotika sorgfältig zu über-
prüfen.
O
Claudia Borchard-Tuch
Vigod SN et al.: Antipsychotic drug use in pregnancy: high dimensional, propensity matched, population based cohort study. BMJ 2015; 13; 350: h2298.
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