Transkript
Rosenbergstrasse
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Die Welt braucht Träumer, und die Welt braucht Macher. Was die Welt aber am meisten braucht, sind Träumer, die etwas machen. (Sarah Ban Breathnach)
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Ein Satz ist in der eng(stirnig)en Schweiz immer häufiger zu hören: «I zeig Sie aa!» Egal, ob Kindergeschrei des nachts, ein Rasenmäher am Sonntag, ein frei laufender Hund im Wald, ein Velofahrer auf dem Trottoir. «Das dörfed Sie nöd, ich zeig Sie aa.» Die Schweiz, ein Volk von selbst ernannten Hilfssheriffs. Also denn: weiterhin frohes Zusammenleben!
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Bei emotional aufgeladenen und medial vermarkteten Problemen landet man regelmässig in jener Phase, in der differenzierte Meinungen keinen Platz mehr haben, in der jeder in die politische Schmuddelecke gestellt wird, der nicht der von den Meinungsmachern verbreiteten und verlangten Ansicht ist. In Sachen europäische Flüchtlingspolitik befinden wir uns im Moment in dieser Phase. Eigentlich empfähle sich Schweigen.
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Dabei ist die EU-Flüchtlingspolitik eine Katastrophe. Eine angekündigte. Fast alles wurde seit Monaten vorhergesagt. Vergeblich. Heute, angesichts dessen, was an verschiedenen Grenzen vor sich geht, sind rationale Fragen und Anmerkungen nicht mehr opportun. Gefragt und medial akzeptiert ist zunächst ausschliesslich Empörung. Empörung löst zwar keine Probleme, aber sie macht die Ausweglosigkeit erträglicher, wie der Aktionismus von wohlfeil Empörten wie Til Schweiger zeigt. Dilemmata (Zwickmühlen) sind nun mal schwer auszuhalten. Weil sie keine guten und richtigen, sondern nur schlechte Lösungen zulassen. Und welcher Politiker
traut sich schon, sich für die «am wenigsten schlechte» einzusetzen? Es ist viel einfacher, Empörung als Lösung zu verkaufen.
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Mal ehrlich: Ist das, was zurzeit in Deutschland von Politik und Medien zelebriert wird, wirklich mehr als «Refugee-Welcome»-Kitsch, der das Mitleid und die Naivität von vielen guten Menschen (nicht: «Gutmenschen»!) instrumentalisiert? Oder steckt etwa echt schlechtes Gewissen dahinter? An Letzterem darf mit Fug und Recht gezweifelt werden, denn der Unterschied zwischen denen, denen es gut geht, und jenen, denen es schlecht geht, war in keiner Epoche geringer. Gründe und Anlass für ein schlechtes Gewissen gab’s seit Jahrzehnten. Doch mit wenigen Ausnahmen haben sich die aktuell so empörten Politiker von links bis rechts nicht darum geschert. Sie (und wir mit ihnen) haben als Teil «des Westens» – als Waffenhändler, Öl-, Gas- und Rohstoffkonsumenten und Geostrategen – ständig munter mitgemischelt, haben korrupte und unrechte Regimes unterstützt, wenn’s nützlich schien, und geholfen, Kriege zu führen, ja sogar anzufangen, und sind damit zumindest mitschuldig am massenhaften Flüchten. Neu ist, dass uns die bedrohten und verarmten Leute von da «unten» geografisch immer näher auf die Pelle rücken. Was bei einigen von uns (vorübergehend – man mache sich da keine Illusionen!) Mitgefühl aufkeimen, bei andern Besitzstandsbedenken entstehen lässt.
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Ob die schönen Worte doch nur medialer Kitsch sind, wird sich zeigen, wenn aus den heute noch harmlosen Anfangsschwierigkeiten zahlenmässig und sozial dereinst richtige Probleme werden. Denn noch sind sie gar nicht da, die Massen. Sie sind erst im Anzug.
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Die Schweiz macht’s zurzeit übrigens ganz gut: Nicht alle retten wollen, aber jene, die wir retten, auf ordentlichen Wegen zu uns bringen. Ob wir’s durchhalten, ist eine andere Frage, weil diese einzig anständige Politik bedeutet, alle andern konsequent abzuweisen.
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Lassen wir zwischendurch mal wieder Sigmund Freud sprechen: «An der Frauenbrust treffen sich Liebe und Hunger.»
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Und gleich nochmals Freud: «Patienten – den Hals umdrehen könnte ich ihnen allen.»
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Und das meint Walti: Endlich eine praktische Idee für die angewandte Forschung: Stechmücken mit Glühwürmchen kreuzen, damit man in der Nacht sieht, wo man draufhauen muss.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 17 I 2015
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