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BERICHT
Interventionelle Rückenschmerztherapie
Stellenwert von Chirurgie und periduralen Injektionen
Bei lumboradikulären Schmerzsyndromen stellt sich die Frage nach dem Stellenwert periduraler Injektionen beziehungsweise eines chirurgischen Eingriffs. An einer Fortbildungsveranstaltung der Zürcher Internisten wurden die verschiedenen Optionen und ihre Erfolgsaussichten im Hinblick auf einen Bandscheibenvorfall diskutiert.
nahe» Injektionen helfen, um Bewegung und Physiotherapie überhaupt erst zu ermöglichen. Die Physiotherapie sollte auf jeden Fall immer das Ziel eigener Bewegungsaktivität haben. Von rein passiven Massnahmen halte sie eher wenig, sagte die Referentin.
Renate Bonifer
Welche Behandlung für welchen Rückenschmerzpatienten am besten geeignet ist, lässt sich pauschal nicht beantworten: «Das kommt auf die Schmerzursache an sowie auf die Natur der Schmerzen. Sind sie nozizeptiv oder neuropathisch oder – wie so oft – beides?», sagte Dr. med. Monika Jaquenod-Linder, Wirbelsäulen-und-SchmerzClinic Zürich, Klinik Hirslanden. Die Schmerzspezialistin war von den Zürcher Internisten eingeladen worden, um im Nachgang des diesjährigen Annual Congress of the American College of Physicians (ACP) Fragen zur Schmerztherapie zu beantworten. Für die Praxis am relevantesten war die Frage nach interventionellen Optionen
MERKSÄTZE
O Das Wichtigste ist, die Dekonditionierung des Patienten zu vermeiden.
O Die konservative Therapie hat bei lumboradikulären Reizsyndromen langfristig den gleichen Erfolg wie eine Operation.
O Peridurale Injektionen können den Schmerz lindern, ob die Gabe von Steroiden dabei wirklich entscheidend ist, wird diskutiert.
O Opioide sind eine Option, die jedoch nicht zu schnell in Betracht gezogen werden sollte.
für Rückenschmerzpatienten, die am ACP in Boston diskutiert worden waren: Bandscheibendekompression, peridurale Steroidinjektion oder Rückenmarkstimulation? Der letzte Punkt war rasch beantwortet: Die Implantation eines Rückenmarkstimulators sei bei Rückenschmerz – wenn überhaupt – nur bei guter Indikation mit vorangehender sorgfältiger Austestung gegeben. Während er früher nur bei neuropathischen Schmerzen in den Beinen indiziert war, seien neuere Stimulatoren in seltenen Fällen auch bei lumbalen Rückenschmerzen einsetzbar, so Jaquenod-Linder.
Bewegung ist wichtig
Verschiedene Risikofaktoren können Bandscheibenvorfälle begünstigen, auch zu wenig Bewegung und mangelnde muskuläre Rumpfstabilität kann ein Faktor sein (s. Kasten). Während man in den USA noch heute zunächst weniger Bewegung empfiehlt («a short rest»), riet die Referentin, den Patienten bei fehlenden neurologischen Symptomen so rasch wie möglich in leichte Bewegung zu bringen. Liegen Anzeichen für eine Nervenkompression wie Taubheit und Lähmungserscheinungen vor, müsse hingegen die Operationsindikation rasch geprüft werden. Für alle anderen Patienten aber gelte: «Zu lange Inaktivität kann zu fataler Dekonditionierung führen», so Jaquenod-Linder. Falls orale Analgetika nicht ausreichen, können lokale oder «rückenmarks-
Was bringt die OP wirklich?
Die Frage nach dem Nutzen einer Operation bei lumboradikulären Reizsyndromen wurde bereits vor einiger Zeit in einer holländischen Studie beantwortet (1). Patienten, die seit sechs bis zwölf Wochen unter Lumboischialgie litten, wurden in die Studie aufgenommen und in zwei Gruppen randomisiert: Operation oder konservative Behandlung. Der Follow-up-Zeitraum betrug zwei Jahre. Operiert wurden 141 Patienten, von den 125 Patienten in der Gruppe mit konservativer Behandlung wurden 7 im Lauf der zwei Follow-up-Jahre doch noch operiert. Am Ende der Studie zeigte sich, dass die operierten Patienten kurzfristig schneller wieder mobil waren und weniger Schmerzen hatten. Bereits nach dem ersten Jahr war jedoch kein Unterschied mehr zwischen beiden Gruppen statistisch nachweisbar. Rund 20 Prozent aller Patienten waren nach zwei Jahren mit dem Behandlungserfolg nicht zufrieden, unabhängig davon, ob sie operiert oder konservativ behandelt worden waren. Für die langfristige Prognose spielt es demnach keine Rolle, ob operiert wird oder nicht.
Unklarer Nutzen
von Kortisoninjektionen
Nicht selten werden peridurale Kortisoninjektionen bei Rückenschmerzen durchgeführt, die Evidenzlage ist allerdings nicht überwältigend. Eine 2007 publizierte Metaanalyse (2) ergab eine gute Evidenz für die kurzfristige Wirksamkeit (< 6 Wochen) lumbaler Injektionen, die Evidenz für deren langfris-
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Kasten:
Risikofaktoren für einen Bandscheibenvorfall
O mittleres Alter
O genetische Prädisposition für beschleunigte Degeneration der Bandscheiben
O verminderte Durchblutung des umliegenden Gewebes durch Rauchen
O Übergewicht
O mangelnde Bewegung
O mangelnde Muskulatur zur Stabilisierung der Wirbelsäule
O Arbeitsplatzfaktoren wie langes Sitzen, Heben oder Ziehen von schweren Gegenständen, häufiges Bücken oder Drehen, ständige einseitige Köperbewegungen, Arbeiten an einer Maschine mit ständiger Vibration
O frühere Wirbelsäulenverletzung, Bandscheibenvorfall oder Wirbelsäulenchirurgie in der Vorgeschichte
tige Wirkung war je nach Injektionstechnik unterschiedlich (eher gering für interlaminäre, besser für transforaminale Injektionen). Bei den zervikalen Injektionen spricht eine mittlere Evidenz für eine kurz- und längerfristige Wirkung beider Injektionstechniken. Man müsse jedoch auch über die potenziell fatalen Komplikationen wie Blutung mit Nervenschädigung und Infektion aufklären, sagte JaquenodLinder. Daneben können Komplikationen wie vermehrte Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit, Blutzuckeranstieg oder Duraperforation auftreten (2). Sie selbst würde als Patientin eine foraminale zervikale Injektion nur bei grossem Leidensdruck machen lassen; in dieser Region werden die Spinalnerven von «Endarterien» begleitet, und es besteht ein höheres Risiko für eine Rückenmarksischämie mit fatalen Folgen. Grundlage für die Annahme, dass Kortisoninjektionen bei Bandscheibenvorfall nützlich sind, ist die Hypothese, dass eine geschädigte Bandscheibe per se eine lokale Entzündungsreaktion verursacht, die zu Schmerz und Immobilität führt. Die Steroide sollen diese Entzündung hemmen und somit die Beschwerden beseitigen.
Eine dieses Jahr publizierte Studie aus Deutschland bringt diese Theorie jedoch ins Wanken (3). Man hatte den Patienten peridurale Injektionen mit dem Schmerzmittel Bupivacain oder einem Steroid verabreicht. Die Steroide brachten keinen klinisch relevanten Vorteil. «Beide Patientengruppen mit einem chronischen lumbalen Pseudoradikulärsyndrom profitieren in dieser Studie prompt von der periduralen Injektion. Der Mechanismus der Wirkung (z.B. Plazebowirkungen) ist unklar und sollte weiter untersucht werden. Die Zugabe von Steroiden führt in der vorliegenden Behandlungspopulation nicht zu einem klinisch relevanten Vorteil», so lautet das Résumé der Studienautoren, auch wenn eine kleine Gruppe von Patienten möglicherweise doch von der Steroidinjektion profitiert haben könnte (3).
Und die Opioide?
Der Gebrauch von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Referentin sprach sich für eine restriktivere Verschreibung von Opioiden in dieser Indikation aus und empfahl hierfür eine Opioiddosisgrenze von zirka 100 bis 200 mg Morphinäquivalent pro Tag. Falls die Wirkung nicht ausreicht, sollte man die Opioide bei Rückenschmerzpatienten nicht höher dosieren, sondern eine Opioidrotation und/oder die zusätzliche Gabe von Antidepressiva oder Antiepileptika/ Trizyklika erwägen. Falls man einem Rückenschmerzpatienten Opioide verordnet, sollten diese eine lang wirksame, retardierte Galenik haben. Eine Indikation für rasch und kurz wirksame Opioide, wie zum Beispiel Opioidtropfen, sei bei Rückenschmerzpatienten nur sehr selten gegeben, so Jaquenod-Linder. Patienten unter Opioidtherapie müssen über potenzielle Nebenwirkungen (Autofahren, Abhängigkeitspotenzial) sorgfältig aufgeklärt werden. Genauso wichtig sei es, dass sich die Patienten bewegen und realistische Erwartungen zum Erfolg der Schmerztherapie entwickeln: «Eine gute Patientenführung ist wirklich sehr wichtig», betonte die Referentin. Die beliebten Opioidpflaster verwendet die Schmerztherapeutin bei Nichttumorpatienten weniger, weil Pflaster
keine Variabilität bei der Dosierung zulassen (z.B. angepasste Opioiddosis am Tag und in der Nacht). Es gibt aber eine Ausnahme: Gerade für ältere Patienten seien die Pflaster gut geeignet, so Jaquenod-Linder, weil es dann keine Probleme mit dem Vergessen beziehungsweise einer versehentlichen Mehrfacheinnahme der Opioide gebe.
Botulinumtoxin
gegen Rückenschmerz?
Botulinumtoxin wird gegen Migräne
eingesetzt, manche Schmerztherapeu-
ten in den USA versuchen es damit auch
bei Rückenschmerzpatienten. Gute
Studien gibt es hierzu jedoch kaum.
Jaquenod-Linder erläuterte beispiel-
haft eine 2007 publizierte Studie (4), in
der Patienten mit chronischen Rücken-
schmerzen sehr viel Botulinumtoxin in
die gesamte paraspinale, lumbale Mus-
kulatur injiziert worden war (je 50 Ein-
heiten, insgesamt bis zu 500 Einheiten
Botulinumtoxin pro Behandlung). Der
Erfolg soll gut gewesen sein, doch
die Referentin bezweifelte, ob diese
Behandlung wirklich eine gute Idee ist.
Eine Metaanalyse aus dem letzten Jahr
gibt ihr Recht: Es fand sich kein Beweis
dafür, dass die Injektion von Botu-
linumtoxin in myofasziale Trigger-
punkte wirklich wirksam gegen die
Schmerzen war (5).
O
Renate Bonifer
Quellen: Vortrag von Dr. med. Monika Jaquenod-Linder an der Fortbildungsveranstaltung der Vereinigung Zürcher Internisten: «VZI Hightlights from Boston 2015. Best of ACP (Annual Congress of the American College of Physicians)». Lake Side Hotel, Zürich, 2. Juli 2015 sowie die folgenden Referenzen.
Literatur: 1. Peul WC et al.: Prolonged conservative care versus
early surgery in patients with sciatica caused by lumbar disc herniation: two year results of a randomised controlled trial. BMJ 2008; 336: 1355–1358. 2. Abdhi S et al.: Epidural steroids in the management of chronic spinal pain: a systematic review. Pain Physician 2007; 10:185-212. 3. Nimier K et al.: Wirksamkeit periduraler Steroidinjektionen in der Therapie von nichtradikulären chronischen Rückenschmerzen. Der Schmerz 2015; 29(3): 300–307. 4. Jabbari B: Treatment of chronic low back pain with botulinum neurotoxins. Curr Pain Headache Rep 2007; 11(5): 352-358. 5. Botulinum toxin A for myofascial pain syndrome: a review of the clinical effectiveness. Canadian Agency for Drugs and Technologies in Health 2014; www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmedhealth/PMH0069817.
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