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FORTBILDUNG
Herzinsuffizienz: Was bewirken Diabetesmedikamente?
Einige Antidiabetika scheinen das Herzinsuffizienzrisiko zu erhöhen, andere könnten eher protektiv wirken
Kürzlich war zu lesen, dass Diabetespatienten, die mit dem DPP-4-Inhibitor Saxagliptin behandelt wurden, häufiger wegen Herzinsuffizienz hospitalisiert werden mussten als diejenigen, die Plazebo erhalten hatten. Eine aktuelle Übersichtsarbeit beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen Antidiabetika und Herzinsuffizienzrisiko.
Lancet
Diabetespatienten haben ein erhöhtes Risiko, eine Herzinsuffizienz zu entwickeln, und häufig sterben diese Patienten an ihrer Herzmuskelschwäche. Da sich die Herzinsuffizienz aber nicht eindeutig den Kategorien «mikrovaskulär» oder «makrovaskulär» zuordnen lässt, wurde sie in der Hierarchie der Diabeteskomplikationen bisher eher vernachlässigt. Zum Glück wirken Herzinsuffizienzmedikamente wie ACEInhibitoren, Betablocker und Mineralokortikoidrezeptor(MR-)Antagonisten bei Diabetikern ähnlich gut wie bei Nichtdiabetikern. Wie sich eine intensive glykämische Kontrolle und die verschiedenen antihyperglykämischen Substanzklassen auf die Entwicklung und die Progression einer Herzinsuffizienz auswirken, ist längst nicht so gut erforscht. Eine Übersichtsarbeit nahm sich dieser Frage nun an.
Epidemiologie Diabetes geht bei Männern mit einem etwa 2-fach erhöhten Herzinsuffizienzrisiko einher, bei Frauen sogar mit einem 5-fach erhöhten Risiko, wie die Framingham-Studien bereits 1974 berichteten. Herzinsuffiziente Diabetiker haben eine
MERKSÄTZE
O Die Herzinsuffizienz als mögliche Diabeteskomplikation fand bisher zu wenig Beachtung.
O Einige Antidiabetika wirken sich im Hinblick auf eine Herzinsuffizienz möglicherweise eher ungünstig aus, während anderen ein potenzieller Schutzeffekt zugesprochen wird.
O Die Sicherheit und der potenzielle Nutzen von Antidiabetika im Hinblick auf die Entwicklung und Progression einer Herzinsuffizienz sollten in eigens dafür initiierten klinischen Studien untersucht werden.
schlechtere Prognose: Ihre Mortalitätsraten sind im Vergleich zu Nichtdiabetikern etwa doppelt so hoch. In vielen Lehrbüchern wird die Herzinsuffizienz nicht als Diabeteskomplikation genannt, und auch in vielen Studien, die sich auf kardiovaskuläre Endpunkte konzentrieren, fehlt die Herzinsuffizienz. Zur Pathogenese der Herzinsuffizienz bei Diabetes tragen nicht nur die koronare Herzkrankheit, sondern auch die Hypertonie und die diabetische Kardiomyopathie bei. Dadurch lässt sich die Herzinsuffizienz nicht eindeutig den mikrovaskulären oder makrovaskulären Diabeteskomplikationen zuordnen. Herzinsuffizienz wird auch als «häufige, vergessene und oft tödliche Diabeteskomplikation» bezeichnet.
Pathogenese
Die Pathogenese der Herzinsuffizienz bei Diabetes ist multifaktoriell, doch spielen insbesondere vier kardiotoxische Komponenten eine wichtige Rolle: O koronare Herzkrankheit O Hypertonie O diabetische Kardiomyopathie O Expansion des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens.
Glykämische Kontrolle
Beobachtungsstudien, welche die Auswirkungen der glykämischen Kontrolle untersuchten, sprechen für einen positiven Effekt auf die Primärprävention der Herzinsuffizienz. In der UK Prospective Diabetes Study (UKPDS), die Patienten mit neu diagnostiziertem Diabetes untersuchte, war die Reduktion des HbA1c um 1 Prozent jeweils mit einer Reduktion des Herzinsuffizienzrisikos um 16 Prozent assoziiert. Obwohl Beobachtungsstudien vermuten lassen, dass eine intensive glykämische Kontrolle die Inzidenz der Herzinsuffizienz bei gefährdeten Personen reduzieren könnte, scheint diese Annahme nicht zu stimmen. Randomisierte, kontrollierte Studien (ACCORD, ADVANCE und VADT), welche die Auswirkungen einer intensiven glykämischen Kontrolle auf kardiovaskuläre Endpunkte untersuchten, zeigen in Kombination mit der Primärpräventionsstudie UKPDS eine statistisch signifikante Reduktion von Herzinfarkten bei den Studienteilnehmern, die in den Studienarm mit der intensiven Therapie randomisiert worden waren. Überraschenderweise konnte die intensive glykämische Kontrolle das Risiko für Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz nicht reduzieren. Einige retrospektive Studien weisen auf eine schlechtere Prognose derjenigen herzinsuffizienten Diabetespatienten hin, deren HbA1c-Wert unter 7 Prozent lag.
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FORTBILDUNG
Noch komplizierter wird das Thema der glykämischen Kontrolle und Prognose der Herzinsuffizienz, wenn man die Rolle der antihyperglykämischen Therapie berücksichtigt. Die Auswertung der UK General Practice Research Database ergab, dass der Einsatz von Medikamenten (im Vergleich zu keiner Pharmakotherapie) mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Herzinsuffizienz assoziiert war – wenn auch nur kurzfristig. In dieser Analyse lag die Hazard Ratio (HR) für Herzinsuffizienz im ersten Jahr bei 4,75, im zweiten Jahr bei 1,21 und danach bei 0,89. Zwar ist es wahrscheinlich, dass eine Pharmakotherapie eher bei Patienten mit erhöhtem Herzinsuffizienzrisiko erfolgt, doch ist auch denkbar, dass eine Blutzuckersenkung per se bei Patienten mit dem höchsten Risiko eine Herzinsuffizienz auslöst. Vertritt man einen mechanistischen Standpunkt, erscheint es plausibel (ist aber keineswegs nachgewiesen), dass eine Senkung des Blutzuckers über einen nicht näher bekannten Mechanismus die Herzfunktion beeinträchtigt. Alternativ beziehungsweise zusätzlich könnten Hypoglykämien zu einer Sympathikusaktivierung führen und die Herzfrequenz beschleunigen. Falls dies häufig und über längere Zeit auftritt, könnte dies prothrombotisch und arrhythmogen wirken und bei vulnerablen Patienten den linksventrikulären Remodellingprozess beeinträchtigen.
Thiazolidindione (Glitazone)
Die beiden Thiazolidindione Rosiglitazon und Pioglitazon wurden 1999 von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) und 2000 von der European Medicines Agency (EMA) zugelassen. Bereits zu diesem Zeitpunkt war bekannt, dass Glitazone mit Flüssigkeitsretention und einem erhöhten Herzinsuffizienzrisiko assoziiert sind. Schon kurz nach dem Launch der Glitazone gab es Berichte über Hospitalisationen von Glitazonanwendern. Daraufhin veröffentlichten sowohl Behörden als auch Pharmaunternehmen Informationen über das erhöhte Herzinsuffizienzrisiko. Dennoch wurden Thiazolidindione weiterhin auch gefährdeten Patienten verordnet. Bis zum Jahr 2007 wurden Glitazone in Kanada und im Vereinigten Königreich sogar zunehmend häufig verschrieben, bis schliesslich eine Studie auf ein erhöhtes Herzinfarktrisiko unter Rosiglitazon hinwies.
DPP-4-Inhibitoren
Die Studie SAVOR-TIMI 53 verglich den Dipeptidylpeptidase-4-(DPP-4-)Inhibitor Saxagliptin mit Plazebo. An der Studie nahmen Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko oder mit einem kardiovaskulären Ereignis in der Vorgeschichte teil. Primärer Endpunkt war die Zeit bis zum Auftreten eines kardiovaskulären Ereignisses (kardiovaskulär bedingter Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall). Es konnte kein Gesamteffekt von Saxagliptin versus Plazebo auf den primären Endpunkt festgestellt werden, doch mussten Patienten aus der Saxagliptingruppe häufiger wegen Herzinsuffizienz hospitalisiert werden als Patienten aus der Plazebogruppe (3,5% vs. 2,8%, HR: 1,27; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,07–1,51; p = 0,007). Allerdings war das erhöhte Hospitalisationsrisiko wegen Herzinsuffizienz unter Saxagliptin zeitabhängig und ging zehn bis elf Monate nach der Randomisierung zurück.
Die EXAMINE-Studie untersuchte den DPP-4-Inhibitor Alogliptin bei Patienten, die kurz zuvor ein akutes Koronarsyndrom erlitten hatten. Auch in dieser Studie wurde kein signifikanter Effekt des DPP-4-Inhibitors auf den primären Endpunkt (kardiovaskulär bedingter Tod, nicht letaler Myokardinfarkt oder nicht letaler Schlaganfall) gefunden. Der primäre Endpunkt trat bei 11,3 Prozent der Patienten aus der Alogliptingruppe und bei 11,8 Prozent der Patienten aus der Plazebogruppe auf; 3,9 Prozent der Patienten aus der Alogliptingruppe und 3,3 Prozent der Patienten aus der Plazebogruppe mussten wegen Herzinsuffizienz hospitalisiert werden (HR: 1,19, 95%-KI: 0,89–1,58, p = 0,220). In der EXAMINE-Studie hatten 28 Prozent der Patienten eine vorbekannte Herzinsuffizienz. Diese Subgruppe wurde im Hinblick auf den primären Endpunkt gesondert analysiert. Es zeigte sich, dass der primäre Endpunkt in den beiden Behandlungsarmen ähnlich häufig erreicht wurde, nämlich von 771 Patienten aus der Alogliptingruppe und von 762 Patienten aus der Plazebogruppe (HR: 0,94, p = 0,62). Die VIVIDD-Studie, die den DPP-4-Inhibitor Vildagliptin testete, wurde an einem Kongress präsentiert, aber noch nicht publiziert. VIVIDD ist eine wichtige Studie, da alle teilnehmenden Patienten eine symptomatische systolische Herzinsuffizienz aufwiesen mit einer Ejektionsfraktion von weniger als 35 Prozent. Zudem benötigten alle Patienten eine antihyperglykämische Therapie. Ein Endpunkt der VIVIDDStudie war eine Verschlechterung der Herzinsuffizienz, doch es wurde kein Unterschied der Ereignisraten zwischen der Vildagliptingruppe (128 Patienten) und der Plazebogruppe (125 Patienten) beobachtet: Bei 18,0 Prozent der Vildagliptinpatienten und bei 17,6 Prozent der Plazebopatienten kam es zu entsprechenden Ereignissen. Auch in Bezug auf den primären Endpunkt der VIVIDD-Studie, die Veränderung der linksventrikulären Ejektionsfraktion von Baseline bis Woche 52, gab es keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Während der Studiendauer sank der BNP-(brain natriuretic peptide-)Wert im Plasma in beiden Gruppen ab, doch wurde in der Vildagliptingruppe eine deutlichere Reduktion beobachtet als in der Plazebogruppe. Eine Metaanalyse, die Daten aus den Studien SAVORTIMI 53, EXAMINE und VIVIDD sowie aus weiteren, kleineren Studien mit DPP-4-Hemmern berücksichtigte, verglich die Anzahl von Herzinsuffizienzereignissen unter DPP-4Hemmern und unter anderen relevanten Vergleichssubstanzen. Das relative Risiko von DPP-4-Hemmern gegenüber allen Vergleichssubstanzen betrug 1,16, gegenüber Plazebo 1,17 und gegenüber aktiven Komparatorsubstanzen 0,80.
Klinische Studien mit GLP-1 bei Herzinsuffizienz
Es gibt bis anhin nur einige kleine Studien, in denen kardiale Effekte von GLP-(glucagon-like peptid-)1 bei Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie oder Herzinsuffizienz untersucht wurden. In einer Studie mit 21 nicht randomisierten Patienten mit niedriger Ejektionsfraktion und Symptomen der NYHA-Klasse 3 oder 4 fanden die Autoren eine Verbesserung der linksventrikulären Ejektionsfraktion, der zurückgelegten Distanz im 6-Minuten-Gehtest, des VO2-Maximalwerts und im Score des MLHFQ (Minnesota Living with Heart Failure Questionnaire) – unabhängig vom Diabetesstatus. Zudem gingen die BNP-Werte im Plasma zurück.
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Insulin
Unter einer Insulintherapie kann es in seltenen Fällen zu ausgeprägten Ödemen kommen. Ödeme in leichterer Ausprägung scheinen häufiger vorzukommen, und zwar insbesondere bei Patienten mit neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes, bei Patienten mit schlecht eingestelltem Typ-2-Diabetes und bei Unterernährten. Oft bilden sich diese Ödeme unter einer supportiven Therapie zurück, doch bei manchen Diabetespatienten bleiben sie monate- bis jahrelang bestehen. Antinatriuretische Effekte von Insulin wurden bereits 1975 beschrieben. Klinische Studien weisen darauf hin, dass Insulin hauptsächlich im distalen Tubulus zu einer Natriumretention führt, weil Insulin dort den amiloridsensitiven Natriumkanal (ENaC) stimuliert. Da auch Glitazone den ENaC stimulieren, überrascht es nicht, dass ein erhöhtes Ödemrisiko besteht, wenn die beiden Substanzklassen – Insulin plus Glitazone – in Kombination verabreicht werden. Einige Beobachtungsstudien haben dokumentiert, dass Diabetespatienten nicht nur ein erhöhtes Herzinsuffizienzrisiko haben, sondern dass ihre Prognose auch schlechter ist, wenn sie mit Insulin behandelt werden. Das könnte jedoch daran liegen, dass die Notwendigkeit einer Insulintherapie diejenigen Patienten identifiziert, die ein erhöhtes Risiko für eine (letal verlaufende) Herzinsuffizienz haben.
Sulfonylharnstoffe
Obwohl Sulfonylharnstoffe die Konzentration an zirkulierendem Insulin erhöhen, gehen sie weder mit Natriumretention noch mit Ödembildung einher. Dennoch gibt es Hinweise aus retrospektiven Studien, dass die Substanzklasse der Sulfonylharnstoffe mit einem erhöhten Herzinsuffizienzrisiko assoziiert sein könnte. Beispielsweise untersuchte eine Studie das Herzinsuffizienzrisiko von über 20 500 Typ-2Diabetikern, die von 1998 bis 2006 in der Cleveland Clinic mit Metformin, Glitazonen oder Sulfonylharnstoff behandelt wurden. Patienten, die Metformin erhielten, hatten ein geringeres Herzinsuffizienzrisiko als diejenigen, die mit einem Sulfonylharnstoff behandelt wurden (HR: 0,76, 95%-KI: 0,64–0,91, p = 0,003), während das Herzinsuffizienzrisiko bei den Patienten aus der Sulfonylharnstoffgruppe und aus der Glitazongruppe ähnlich hoch war.
Alphaglukosidaseinhibitoren
In Europa und Nordamerika werden Alphaglukosidase½inhibitoren selten eingesetzt, in China und Japan, wo die Ernährung (Reis) sehr kohlenhydratreich ist, dagegen häufig. In einer Metaanalyse, die sieben plazebokontrollierte Doppelblindstudien mit Typ-2-Diabetikern berücksichtigte, war die Acarbosetherapie mit einer HR von 0,36 (95%-KI: 0,16–0,80, p = 0,01) für Myokardinfarkt und von 0,55 (95%-KI: 0,21–1,45, p = 0,23) für Herzinsuffizienz assoziiert. Langzeitdaten zu den kardiovaskulären Effekten von Acarbose stehen jedoch erst zur Verfügung, wenn die Ergebnisse des Acarbose Cardiovascular Evaluation Trial veröffentlicht werden. Diese Studie enthält als einen vordefinierten sekundären Endpunkt auch den Parameter «Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz».
SGLT2-Inhibitoren
Im Gegensatz zu den Glitazonen, die zu einer Senkung des
Hämatokritwerts von etwa 3 Prozent führen, bewirken Inhi-
bitoren von SGLT2 (sodium-glucose linked cotransporter-2)
eine Zunahme des Hämatokritwerts um rund 3 Prozent,
was auf eine Volumenminderung hinweist. Da eine Flüssig-
keitsüberlastung ein entscheidender Auslöser für eine Ver-
schlechterung der Herzinsuffizienz ist und Diuretika zur
Standardmedikation bei Herzinsuffizienz gehören, könnten
Medikamente wie die SGLT2-Inhibitoren, die eine Volumen-
reduktion bewirken, vorteilhaft sein. Die gepoolten Phase-
2/3-Daten für Dapagliflozin stützen diese Vorstellung, denn
die Wahrscheinlichkeit einer Hospitalisierung wegen Herz-
insuffizienz war bei Patienten, die auf Dapagliflozin rando-
misiert worden waren, vermindert (HR: 0,36, 95%-KI:
0,16–0,84). Es sollten klinische Studien durchgeführt wer-
den, in denen die Effekte von SGLT2-Inhibitoren auf die
Herzinsuffizienz untersucht werden.
O
Andrea Wülker
Gilbert RE et al.: Heart failure in diabetes: effects of anti-hyperglycaemic drug therapy. Lancet 2015; 385: 2107–2117.
Interessenlage: Die beiden Autoren haben Berater- und Referentenhonorare von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
Metformin
Einige Beobachtungsstudien wiesen auf eine möglicherweise reduzierte Mortalität von herzinsuffizienten Patienten hin, die mit Metformin behandelt wurden. Eine systematische Übersichtsarbeit, bei der Beobachtungsstudien mit 34 000 Patienten berücksichtigt wurden, kam zu dem Schluss, dass Metformin bei Diabetikern mit Herzinsuffizienz als Mittel der Wahl betrachtet werden sollte.
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