Transkript
EDITORIAL
Goodwill?
Es gab eine Zeit, da konnten unsere Kollegen ihre gut gehenden Praxen für Hunderttausende Franken einem Nachfolger verkaufen. Und das Arzthaus gleich mit dazu, wenn der es wollte. Später dann versuchte die FMH, jungen Praktikern den Einstieg in die Praxis zu erleichtern und drängte darauf, bei Praxisübergaben keinen «Goodwill» mehr zu zahlen. Dieser plötzliche Aberwillen gegen «Goodwill» hatte viel mit dem Begriff selbst zu tun. Er wurde interpretiert als «Verkaufen der Krankenakten» beziehungsweise schlimmer noch «der Patienten». Ein moralisch höchst fragwürdiger Vorgang, so meinte man. Gelackmeiert war jene Zwischengeneration von praktizierenden Kollegen, die sich darauf verlassen hatten, dass ihr Alterskapital in der Praxis steckte, und die nun ohne ausreichende Pensionskasse und ohne Goodwill zwar nicht gerade ins Armenhaus, aber manchmal arg in die Bredouille gerieten. Dabei: Ist eine Arztpraxis etwas anderes als ein kleines Unternehmen, ein KMU eben? Ein Betrieb, dessen Wert sich einfach berechnen lässt? Ist es nicht, das stimmt schon. Der Wert ist abhängig von zahlreichen weichen und vielfältig interpretierbaren Parametern, vor allem von der Persönlichkeit und dem Engagement des bisherigen Praxisinhabers. Trotzdem, es ist ein Unternehmen, das
einen Wert hat, der sich zumindest ungefähr beziffern lässt. Schliesslich kann der Käufer vom ersten Tag an damit Geld verdienen, auch wenn er (oder sie) von anderem Temperament und nicht mehr bereit ist, sechs Tage und 80 Stunden pro Woche zu arbeiten. Die Preise für Arztpraxen liegen heute oftmals gleich bei null. Schuld daran ist natürlich nicht nur der Bann des Goodwills, sondern vielmehr noch der Markt: Wo keine Käufer, da kein Wert. Das heisst aber auch: Es liegt nicht wirklich am Geld, dass die Hausärzte keine Nachfolger finden. Zwar wurden Banken bei Praxisfinanzierungen zurückhaltender, aber Praxisübernahmen zu reellen Preisen, daran sollte es eigentlich nicht scheitern. Es würde demnach nichts dagegen sprechen, auch seitens FMH wieder verstärkt darauf zu pochen, dass nicht einseitig die Käuferseite, sondern auch die Interessen der Verkäufer angemessen berücksichtigt werden. Warum sollte ein Hausarzt im Pensionsalter sein Kleinunternehmen, das er aufgebaut, jahrzehntelang betrieben, in Schuss gehalten und in der Bevölkerung verankert hat und das einen überprüfbaren Wert besitzt, verschenken? Warum soll sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin nichts oder kaum etwas bezahlen für die Übernahme eines gut gehenden, von Anfang an einen angemessenen Ertrag abwerfenden Betriebs? Eine Hausarztpraxis ist kein Nonvaleur. Nein, das Problem ist nicht der Goodwill beziehungsweise der Preis der Praxis – sondern die Attraktivität des Hausarztberufs. Und die steigt nicht mit der Aussicht, seine Praxis dereinst fast verschenken zu müssen. Es wäre schön, die FMH würde sich eher wieder auf die Seite der verdienten «alten» Hausärzte stellen. Dabei darf sie den Begriff Goodwill ruhig ad acta legen. Es geht nicht um «Goodwill» im alten Sinn, sondern um eine faire Entschädigung. Es bleibt dann immer noch, den Markt, der von Fairness nicht viel hält und den Preis eh nach seinen Regeln korrigiert, nolens volens zu akzeptieren.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 16 I 2015
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