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Titel
Sommerferien
Untertitel
-
Lead
Sie sind vermutlich entscheidend für das Wohlbefinden meiner Patientinnen und Patienten. So angenehm auch Ferien im Winter sein mögen – egal, ob für Weihnachts- oder Wintersportfans –, so golden Herbstferien und so lieblich Frühjahrsferien sind: Nichts ist so schön wie Sommerferien. Dass müssen selbst Verlängerte-Wochenend-Städtetripper zugeben.
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ARSENICUM
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15939
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Arsenicum: Sommerferien

Sie sind vermutlich entscheidend für das Wohlbefinden meiner Patientinnen und Patienten. So angenehm auch Ferien im Winter sein mögen – egal, ob für Weihnachts- oder Wintersportfans –, so golden Herbstferien und so lieblich Frühjahrsferien sind: Nichts ist so schön wie Sommerferien. Dass müssen selbst Verlängerte-Wochenend-Städtetripper zugeben. Ein Grund ist, dass wir alle als Kinder die Sommerferien herbeisehnten. Wochenlang schulfrei – herrlich! Selbst begeisterte Schüler, die sich ab Ende Juli wieder auf ihre Schulfreunde und intellektuelle Herausforderungen freuten, rannten beim Bimmeln des Ferienglöckchens am Bündelitag freudekreischend aus dem Schulhaus. Eine Ewigkeit voller Sonnenschein, leichter Kleidung, Glace und Faulenzen lag vor uns. Die Eltern waren ab der zweiten Ferienwoche deutlich lockerer als sonst, auch mit dem Portemonnaie. Konnten sie sich keine Ferienreise und kein Ferienlager leisten und war Balkonia angesagt, zeigte sich der Heimatort meist von seiner besten Seite: Schwimmbad und Spielen in den städtischen Grünanlagen für die Kleinen, Shopping mit dem Ferienbatzen für die Teenager. An dieser Ferienfreude lassen die Ferienmacher auch ihren Hausarzt teilhaben. Unsere Praxispinnwand sieht aus wie das Schaufenster eines Reisebüros: Postkartengrüsse von der Antarktis bis zum Amazonas. Bunte Bilder von kroatischen Inseln mit Namen ohne Vokal, weiss-hellblaue griechische Dörfer, dramatische Wüstenlandschaften, Wolkenkratzer von New York bis Schanghai, Eiger, Mönch und Jungfrau, Trachtengruppen, Porträts von lokalen Originalen und lustige Sprüche – da packt einen das Fernweh.

Inzwischen sind die meisten meiner Patientinnen und Patienten aus den Ferien zurück. Egal, wo sie waren – die Sommerferien haben ihnen gutgetan. Die schüchternen Blassen sind braun gebrannt und geniessen die Erinnerung an Ferienflirts. Die extravertierten Fashionistas konnten ihre neu gekaufte Garderobe und ihr aktuellstes Make-up beim starken Geschlecht und bei missgünstigen Geschlechtsgenossinnen vorführen und Bewunderung und Neid einheimsen. Die Überaktiven, die ihren Bewegungsdrang im Büro, diesem Geldverdienkäfig, nicht ausleben können, kommen glücklich erschöpft von ihren Wander-, Kletteroder Polysportivferien zurück. Die Musikalischen haben Ohren und Seele so richtig mit Konzerten beglückt. Jede Menge Keramik, Skulpturen, Aquarelle, Webteppiche und so weiter und so fort wurden von den Kreativen und Bastlern geschaffen. Den Bildungshungrigen zeigten Museen, Ausstellungen, Führungen und Exkursionen den Reichtum, den uns Architektur, Geschichte, Geologie und Biologie bieten. Die Gourmets haben gut und zu viel gegessen, die Trinkfreudigen zu viel getrunken, die Faulenzer durften herrlich träge sein. Und die Shopper haben Schnäppchen gejagt, gefeilscht und sich dem Kaufrausch hingegeben. Migranten haben im Herkunftsland bei Familie und Freunden wieder Heimat erlebt. Doch viele trafen auf mieses Wetter, schlechte Hotels, unfreundlichen Service, überfüllte und unpünktliche Transportmittel. Schaudererregende Berichte über riesige Kakerlaken, schmutzige Strände, grässliches Essen und ständiges Diarrhösitzungen auf unsäglichen WC. Sie wurden bestohlen, betrogen, belästigt und bedroht. Vielleicht sind das die glücklichsten Rückkehrer?

Plötzlich sehen sie, wie privilegiert wir hier leben. Wie sicher die Schweiz ist, wie wohlhabend und geordnet. Sie haben einen Blick in Welten geworfen, in denen sauberes Wasser, saubere Luft und tägliches Essen keine Selbstverständlichkeit ist und wo die Menschenrechte missachtet werden. Sie haben Mitmenschen gesehen, deren Leben nicht leicht ist und die trotzdem das Beste daraus machen. «Die Ferien waren zu kurz!», seufzen die einen. Die im Herzen mitgebrachte Feriensonne wird sie über’s Jahr hinweg begleiten. «Gottseidank wieder zurück!», jubeln die anderen und geniessen es, aus dem Hahnen Wasser trinken zu können …

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ARS MEDICI 16 I 2015