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FORTBILDUNG
Akute Exazerbationen verhindern
Aktuelle COPD-Leitlinie der nordamerikanischen Fachgesellschaften
Die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) zählt zu den häufigsten chronischen Erkrankungen. In der Schweiz sind rund 400 000 Menschen betroffen. Eine akute Exazerbation ist ein bedrohliches, mitunter sogar lebensbedrohliches Ereignis. Die pneumologischen Fachgesellschaften der USA (CHEST) und Kanadas (CTS) haben erstmals eine Leitlinie zur Prävention von Exazerbationen bei COPD veröffentlicht.
Chest
Jede akute Exazerbation (AE) einer COPD ist gefährlich. Bei einer akuten Exazerbation verstärken sich innerhalb eines kurzen Zeitraums die Symptome einer COPD. Die Atemnot erhöht sich, und der Patient verspürt ein Gefühl der Enge im Brustraum. Die Schleimbildung in den Atemwegen verstärkt sich, und der Patient hustet öfter als sonst. Der Auswurf kann gelb oder grün verfärbt sein. Gelegentlich kommt es zu Fieber. Die Exazerbation kann die Lungenfunktion dauerhaft verschlechtern und die Lebensqualität beeinträchtigen. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen und die Kosten für Notfallversorgung und Pflege erhöhen sich. Von hoher Bedeutung ist
MERKSÄTZE
O Alle COPD-Patienten sollten eine Pneumokokkenimpfung erhalten und jährlich gegen Influenza geimpft werden.
O Sowohl lang wirksame Beta-2-Mimetika (LABA) als auch lang wirksame Anticholinergika (LAMA) können Exazerbationen verhindern; der Vorzug wird LAMA gegeben.
O Für Patienten mit stabiler COPD werden als Erhaltungstherapie eine LABA/LAMA- oder eine ICS/LABA-Kombination oder eine LAMA-Monotherapie empfohlen.
O Reicht die inhalative Therapie zur Kontrolle von Exazerbationen nicht aus, wird ein langfristiger Einsatz von Makroliden empfohlen.
O Für COPD-Patienten mit chronischer Bronchitis und Exazerbationen wird der Phosphodiesterase-4-Hemmer Roflumilast empfohlen.
daher die Prävention akuter Exazerbationen. In den letzten zehn Jahren wurden zahlreiche Publikationen zu diesem Thema veröffentlicht. Das American College of Chest Physicians (CHEST) und die Canadian Thoracic Society (CTS) entwickelten gemeinsam eine evidenzbasierte Leitlinie (AECOPD Guideline) zur Vorbeugung gegen akute Exazerbationen. Klinische Experten führten eine systematische Auswertung der wissenschaftlichen Literatur durch. Für die Präzisierung der Fragestellungen nutzten sie das PICO-(Population, Intervention, Comparator oder Control, Outcome-)Schema. Es ergaben sich drei Themenschwerpunkte: nichtpharmakologische Therapieverfahren, Inhalationstherapie und orale Therapie. Anerkannte Bewertungsverfahren wurden genutzt, um geeignete Studien auszuwählen, die wichtigsten Daten herauszusuchen und den Evidenzgrad jeder Empfehlung zu belegen.
Nicht pharmakologische Therapieverfahren
Alle COPD-Patienten sollten eine Pneumokokkenimpfung erhalten (Evidenzgrad 2C zur Vorbeugung gegen Exazerbationen) und jährlich gegen Influenza geimpft werden (1B). Empfohlen wird der 23-valente Pneumokokkenimpfstoff. Raucherentwöhnungsprogramme sollten angeboten werden (2C). Bei Patienten mit mittlerer bis schwerer COPD, die eine Exazerbation hatten, sollte eine pulmonale Rehabilitation innerhalb von vier Wochen erfolgen (1C). Schulung mit schriftlichem Aktionsplan und Case Management sollten immer gemeinsam durchgeführt werden (2B). Case Management oder Fallmanagement in der gesundheitlichen Versorgung hat das Ziel, die Versorgung eines Patienten in einer akuten Krankheitsepisode so zu steuern, dass in einem abgestimmten Prozess die individuell notwendigen Gesundheitsleistungen zeitnah zur Verfügung gestellt werden. Patienten mit einer zurückliegenden Exazerbation sollten mindestens einmal im Monat einen Facharzt aufsuchen. Auf diese Weise können schwere akute Exazerbationen verhütet werden, wie es durch eine Abnahme von Notaufnahmen im Krankenhaus oder von Krankenhausaufenthalten über einen Zeitraum von 12 Monaten nachgewiesen wurde (1C). Im Vergleich zur üblichen medizinischen Versorgung bietet das Telemonitoring keine Vorteile (2C). Unter Telemonitoring versteht man die Fernuntersuchung, -diagnose und -überwachung des Patienten durch den behandelnden Arzt. Der Patient erhält Geräte zur Messung von Vitaldaten (z.B. Blutdruck, Herzfrequenz), welche direkt zu einem medizinischen Betreuer übertragen werden. Das kann der Hausarzt sein, ein Facharzt oder auch ein telemedizinisches Zentrum.
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FORTBILDUNG
Inhalationstherapie
Beta-2-Mimetika wirken bronchienerweiternd, verbessern die Lungenfunktion, reduzieren die Dyspnoe, steigern die Lebensqualität und reduzieren Exazerbationen. Neben kurz wirksamen Beta-2-Mimetika (short-acting  agonists, SABA) sind lang wirksame Beta-2-Mimetika (long-acting  agonists, LABA) verfügbar. Für die Therapie der COPD sind Formoterol, Salmeterol und Indacaterol zugelassen. Formoterol und Salmeterol werden je zweimal täglich, Indacaterol nur einmal täglich inhaliert. Anticholinergika wie Tiotropium oder Glycopyrronium bewirken ebenfalls eine signifikante Verbesserung von Lungenfunktion, Symptomen und Lebensqualität sowie eine Reduktion der Exazerbationsfrequenz. In der Leitlinie wird festgestellt, dass sowohl lang wirksame Beta-2-Mimetika als auch lang wirksame Anticholinergika (LAMA) Exazerbationen verhindern; der Vorzug wird LAMA gegeben (1C). Lang wirksame Substanzen sollten gegenüber kurz wirksamen bevorzugt werden (1A-2C). Die Kombination kurz wirksames Anticholinergikum (SAMA) plus LABA ist als Exazerbationsprophylaxe wirksamer als eine LABA-Monotherapie (2C). Für Patienten mit stabiler mittlerer bis sehr schwerer COPD ist zur Erhaltungstherapie die Kombination mit inhalativen Kortikosteroiden (ICS) und LABA überlegen, und zwar sowohl im Vergleich zu einer ICS-Monotherapie (1B) als auch im Vergleich zu einer LABA-Monotherapie (1C)). ICS, die aktuell zur Therapie der COPD zugelassen und verfügbar sind, sind Beclometason, Budesonid und Fluticason. Für Patienten mit stabiler COPD können als Erhaltungstherapie eine LABA/LAMA- oder eine ICS/LABAKombination oder eine LAMA-Monotherapie eingesetzt werden (1C).
Orale Therapie
Reicht die inhalative Therapie zur Kontrolle von Exazerba-
tionen nicht aus, wird ein langfristiger Einsatz von Makroli-
den empfohlen (2A). Nach einer akuten Exazerbation sollten
den Patienten über 30 Tage systemische Kortikosteroide ge-
geben werden (2B). Für COPD-Patienten mit chronischer
Bronchitis und Exazerbationen wird der Phosphodiesterase-
4-Hemmer Roflumilast empfohlen (2A). Die Phosphodieste-
rase Typ 4 wird als Schlüsselenzym von Entzündungsvorgän-
gen in verschiedenen Zellarten angesehen, die bei der COPD
eine Rolle spielen.
Weitere Alternativen bei stabilen Patienten sind retardiertes
Theophyllin und bei häufigen Exazerbationen das Expekto-
rans Acetylcystein (je 2B). Treten trotz maximaler Therapie
weiterhin Exazerbationen auf, kann orales Carbocystein als
Sekretolytikum versucht werden (2B).
O
Claudia Borchard-Tuch
Criner GJ et al.: Prevention of acute exacerbations of COPD: American College of Chest Physicians and Canadian Thoracic Society Guideline. Chest 2015; 147(4):894–942.
Interessenlage: Der Grossteil der Autoren der Guideline hat sowohl öffentliche Forschungsgelder als auch finanzielle Unterstützung von diversen Pharmaunternehmen erhalten. Einige der Autoren erhielten ausserdem Berater- oder Vortragshonorare von verschiedenen Pharmafirmen oder standen mit diesen anderweitig in Beziehung.
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