Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
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Und einmal mehr Sigmund Freud: «Die individuelle Freiheit ist kein Kulturgut. Sie war am grössten vor jeder Kultur.»
Das also (merken Sie es sich gut!) sind die Themen, die uns als Mediziner (auch noch) beschäftigen sollten – jedenfalls wenn es nach den Vorstellungen der daran Interessierten geht: die Evolution des Gesundheitswesens (wow!). Business Intelligence in der heterogenen Systemlandschaft Spital (hmmm?). Big Data im Gesundheitswesen (na also, die aktuellen Schlagworte kommen). Und weiter, ohne dumme Kommentare: Analyse der Patientenströme. Fraud Detection. Medical Decision Support Systeme im klinischen Alltag. Internet of Everything und Cloud Computing im Gesundheitswesen. Krankenversicherung 3.0. Chronic Care und Digitalisierung in der ambulanten Versorgung. Collaboration and Mobility. Telemedizin. Smart Phone als Kommunikationskanal. Klar ist: Die, die das lehren und davon viel verstehen, wollen alle leben von dem, was die Ärzte an Wertschöpfung generieren. Kein Wunder, gibt’s keine Lohnerhöhung für Praktiker.
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Haben Sie schon einmal etwas gehört von «Panoramafreiheit»? Nicht? Oder doch, haben aber nicht ganz begriffen, worum’s geht? Darum geht’s: Erstes Foto: ein Selfie von Ihnen vor dem Eiffelturm, gepostet auf Facebook – noch(!) kein Problem. Zweites Foto: der in gelbes Licht getauchte Eiffelturm, gepostet auf Facebook oder auf Ihrer privaten Homepage – dafür müssen sie vorher den Urheber der Lichtinstallation anfragen und eine Entschädigung zahlen, ansonsten Sie das Recht des Künstlers an seinem Kunstwerk verletzen. Drittes Foto: das KKL in Luzern, gepostet auf Facebook. Noch problemlos, aber vielleicht demnächst – sofern die europäische Gesetzgebung der Copyright-Lobby folgt und die Schweiz wie üblich europäischen Gesetzesstumpfsinn kopiert – ein Verstoss gegen das Urheberrechtsgesetz: strafbar beziehungsweise kostenpflichtig. Mit 1500 Franken müssen
Sie schon rechnen. Zugunsten des KKLArchitekten Jean Nouvel, dessen Werk sie nicht ungefragt knipsen und veröffentlichen dürfen. Weil der heuer 70 wird und eben noch nicht 70 Jahre tot ist. Unglaublich, oder?
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Dabei gilt in Frankreich, Italien und Griechenland diese Regelung schon heute. Den «Grand Arche» in Paris zum Beispiel dürfen sie nicht posten und auch sonst kein jüngeres «Werk», das sich als Kunst ausgibt. Tja, und was ist schon keine Kunst, wenn’s Geld abwirft? Wie gesagt: Noch ist es nicht europaweit so, aber das europäische Parlament bemüht sich sehr, seinem Ruf treu zu bleiben und die Dichte an idiotischen Regelungen zu erhöhen. Vorderhand gilt in den meisten Ländern der EU noch die «Panoramafreiheit»: Das ist das Recht, eigene Fotos (und Videos) «von Werken, die dauerhaft an öffentlichen Orten platziert sind» – im Wesentlichen also Architektur und fix installierte «Kunst» – gewerblich und privat frei zu nutzen. Aber vielleicht nicht mehr lange. Und kaum jemand ahnt, was uns da droht.
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Was – nur so als Gedankenexperiment, das bestimmt bald in einigen Finanzdepartementen durchgespielt wird – was also, wenn man die «Panoramafreiheit» dereinst auch für Naturdenkmäler ausser Kraft setzt? Dann könnte das Wallis das Fotografieren und Posten des Matterhorns für kostenpflichtig erklären, mit geeigneter Software weltweit alle öffentlich zugänglichen Abbildungen des Zermatter Hausbergs aufspüren und die Leute abmahnen. Mit 1000 Franken ©-Gebühr pro Foto bei sagen wir jährlich 10 000 weltweit auf Facebook geposteten Matterhornfotos kämen 10 Millionen Franken zusammen. Und da der Staat Geld braucht …
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Die Homo-Ehe wird zur Selbstverständlichkeit, kürzlich im stockkatholischen Irland und neuerdings sogar in den prüden USA. Dabei lautet die Forderung längst: «Ehe für alle!». Womit sich die wirklich spannende Frage auftut: Wenn es die Ehe für Schwule und Lesben gibt, warum nicht auch für andere Menschen, die sich innig verbunden fühlen? Egal, ob sie Sex haben und Kinder, oder eben nicht? Die «Ehe für alle» ist eigentlich nur die konsequente Fortsetzung der Ehe für andere als «klassische» Paare (zur Erinnerung: Mann und Frau). Warum sollen zum Beispiel Geschwister – Bruder und Schwester oder zwei Schwestern – nicht dürfen, was Schwule und Lesben (bald fast überall) dürfen: Heiraten und Kinder kriegen beziehungsweise adoptieren? Und warum eigentlich soll die Ehe auf Paare beschränkt bleiben? Warum sollen nicht drei oder vier Menschen heiraten können? Staatlich, nicht kirchlich natürlich. Gibt’s wirklich plausible Argumente dagegen? Gibt es nicht!
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Homo-Ehe, Verwandten-Ehe, MehrfachEhe. Es ist eine Frage nach den Grenzen. Thomas Kapiaelski lotete die Grenze des Zumutbaren oder wenn man will des guten Geschmacks oder vielleicht auch nur der Dekadenz bereits 2009 aus mit der Frage: «Kommt als Nächstes die Ehe zwischen Mann und Auto?» Warum nicht, wenn’s doch niemandem schadet und den Mann glücklich macht …
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Und das meint Walti: Der beste Beweis dafür, dass es im Universum noch intelligente Wesen gibt, ist doch, dass sie noch keinen Kontakt mit uns aufgenommen haben.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 13 I 2015
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