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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kardiologie
Schweizer Diabetologen empfehlen moderate Lipidsenkertherapie
Heftige Diskussionen lösten vor knapp zwei Jahren die beiden US-amerikanischen Kardiologiegesellschaften American College of Cardiology (ACC) und American Heart Association (AHA) mit neuen Empfehlungen zur Statintherapie aus. Die wesentliche Änderung war damals ein Wechsel weg von bestimmten Cholesterinzielwerten hin zu einer Orientierung am individuellen kardiovaskulären Risiko. Während die generelle Empfehlung einer Statintherapie für einige Risikogruppen auf wenig Widerspruch stiess, war die Indikation auf der Grundlage eines neuen Risikorechners für weitere Personen umstritten: Die Anzahl vermeintlich statinbedürftiger Patienten stieg damit nämlich steil an (1). In der Folge empfahl die Schweizer Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA), die US-amerikanischen Empfehlungen hierzulande nicht anzuwenden. Der Risikorechner der US-Kollegen würde das tatsächliche Risiko der Schweizer Bevölkerung generell über-
schätzen, wie dies sämtliche für die amerikanische Bevölkerung entwickelten Scores gezeigt hätten. Somit käme es nur zu einem vermehrten Einsatz hoch dosierter Statine und einer wesentlich grösseren Anzahl von Personen unter Statintherapie – ohne klar belegten Nutzen, aber mit erhöhtem Nebenwirkungsrisiko. Die AGLA sprach sich damals auch für die Beibehaltung von LDL-Zielwerten aus, weil ohne diese eine individuelle Dosierung der Statine eingeschränkt würde und sich die Compliance verschlechtern könnte (2). In einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme kommentieren die Schweizer Diabetologen (3) nun neue Leitlinien der American Diabetes Association (ADA) (4), die analog zu den Vorstellungen von AHA/ACC für alle Diabetespatienten ein Statin in mittlerer oder hoher Dosis fordern, mit Ausnahme der unter 40-jährigen Diabetiker ohne zusätzliche kardiovaskuläre Risikofaktoren und mit einem LDL Ͻ 2,6 mmol/l. Das geht den Schweizer Diabetologen
zu weit. Sie empfehlen, sich auch bei Dia-
betikern an die Empfehlungen der AGLA
zu halten. Demnach gelten weiterhin
die AGLA-Empfehlungen von 2012 (2):
O Bei Diabetes mit Organschäden oder
anderen Risikofaktoren beträgt der LDL-Zielwert Ͻ 1,8 mmol/l (oder eine Senkung um mindestens 50%),
O Bei unkompliziertem Diabetes beträgt der LDL-Zielwert Ͻ 2,5 mmol/l. RBOO
1. Grosser Medienwirbel um neue US-amerikanische LipidGuideline: Muss jetzt wirklich jeder ein Statin erhalten? Ars Medici 2013; 23: 1158.
2. Nanchen D et al. im Namen der Schweizer Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA): Cholesterinmanagement in der kardiovaskulären Risikoprävention: amerikanische Guidelines 2013. Schweiz Med Forum 2014; 14(19): 378–381.
3. Stellungnahme der SGED zu den neuen Empfehlungen der ADA für die Behandlung von Fettstoffwechselstörungen bei Diabetes-Patienten. www.sgedssed.ch, Stand: 25. Juni 2015.
4. American Diabetes Association: Cardiovascular Disease and Risk Management. Diabetes Care 2015; 38: S49–S57.
Medikamentensicherheit
Aktion gegen illegale Arzneimittelimporte
Während der diesjährigen internationalen Aktionswoche zur Bekämpfung des illegalen Internethandels mit Arzneimitteln haben die Mitarbeiter von Zoll, Swissmedic und Antidoping Schweiz vom 9. bis 16. Juni 2015 Amphetamine, Anabolika, Schlankheitsmittel und Erektionsförderer in allen Formen und Farben aus Postpaketen beschlagnahmt. Sie kontrollierten fast 600 Pakete mit Arzneimitteln. 56 Sendungen mit besonders gesundheitsgefährdenden Medikamenten und 10 Sendungen mit verbotenen Dopingmitteln wurden beschlagnahmt. Die Empfänger der anderen Sendungen erhielten ein Informationsschreiben mit dem Warnhinweis, dass Tabletten und Kapseln aus unbekannter Herkunft zu viel, zu wenig oder überhaupt keine Wirkstoffe enthalten können.
Generell verzeichneten die Behörden dieses Jahr weniger Importe illegaler Präparate in die Schweiz. Das wertet man als Erfolg der Sensibilisierungskampagnen. Aber auch die Verfahrenskosten von mindestens 300 Franken könnten eine abschreckende Wirkung auf Käuferinnen und Käufer haben. Auch gegen die Betreiber von Internetseiten mit dem Angebot illegaler Substanzen ginge man vor, und die Versandhändler im Ausland würden den dortigen Behörden gemeldet, so Swissmedic. Man habe beispielsweise erreicht, dass eine in der Schweiz ansässige Registrierungsfirma mehreren Hundert Webseiten den Domain-Namen entzog und sie so lahm legte. Die Anbieter tummeln sich jedoch auch in sozialen Netzwer-
ken. Swissmedic teilte mit, dass man im
Rahmen der diesjährigen Aktionswoche
erstmals die Schliessung eines Face-
book-Accounts erreichte, über den
illegale Schlankheitsmittel angeboten
wurden.
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Pressemitteilung von Swissmedic, 18. Juni 2015. Abbildung: © Henryk Boeck – Fotolia.com
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ARS MEDICI 13 I 2015
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Orthopädie
Sehnenriss: Zu viel mit dem Smartphone gespielt
Rückspiegel
Der Siegeszug der Smartphones bringt ganz neue Gesundheitsgefahren mit sich. Ein 29Jähriger Kalifornier hat sich durch exzessives Spielen mit dem Smartphone nicht nur einen «Blackberry-Daumen» geholt – eine der vielen Bezeichnungen für moderne Ursachen einer Sehnenscheidenentzündung –, sondern gleich einen Sehnenriss provoziert. Der Rechtshänder spielte täglich, auch während anderer Tätigkeiten ständig mit der linken Hand ein Videospiel. Es handelte sich um ein Online-Spiel, bei dem mehrere Spieler gleichzeitig in Fantasiewelten mit- und gegeneinander spielen. Das Spiel faszinierte den Daumenpatienten dermassen, dass er während des Spielens keine Schmerzen verspürte. Erst als er den Daumen nicht mehr bewegen konnte, ging er zum Arzt. Dort diagnostizierte man einen Sehnenriss und schickte den Mann zum Handchirurgen. Neben einer Warnung, es mit dem DaumenDaddeln nicht zu übertreiben, sind für die
Autoren des Fallberichts zwei weitere Aspekte
interessant: erstens das Suchtpotenzial der-
artiger Spiele und zweitens die Möglichkeit,
Schmerzen durch intensives «Video-Gaming»
zumindest vorübergehend verschwinden zu
lassen.
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Gilman L et al.: Tendon rupture associated with excessive smartphone gaming. JAMA Intern Med 2015; 175(6): 1048–1049.
© oporkka - Fotolia.com
Diabetes
Ketoazidose als Nebenwirkung der SGLT2-Hemmer?
Die europäische Arzneimittelbehörde EMA untersucht das Ketoazidoserisikos als Nebenwirkung der neuen Antidiabetika Canagliflozin (Invokana™, Vokanamet®), Dapagliflozin (Forxiga®) und Empagliflozin (Jardiance®) (1). Die diabetische Ketoazidose ist eine gefährliche Komplikation bei Insulinmangel, die bis jetzt hauptsächlich bei Typ-1-Diabetikern bekannt war. Anlass für die Untersuchung der EMA sind weltweit 101 Fälle von Patienten mit diabetischer Ketoazidose unter SGLT2-Therapie, die dem EU-Arzneimittelsicherheitssystem EudraVigilance bis 19. Mai 2015 gemeldet wurden. Es handelte sich in allen Fällen um eine schwere Kompliaktion, und einige Patienten mussten deswegen ins Spital. Zu einer diabetische Ketoazidose kommt es, wenn der Organismus mangels Insulin die Blutglukose nicht nutzen kann und als alternative Energiequelle Fett abbaut, was zu einem Überschuss an Ketonmolekülen führt. Zu den Symptomen einer diabetischen Ketoazidose gehören Dyspnoe, Verwirrtheit, extremer Durst, Erbrechen, Abdominalschmerzen, Übelkeit, Appetitlosigkeit und unerklärliche
Müdigkeit – normalerweise bei gleichzeitig hoher Blutglukose. Bei einer Reihe der gemeldeten Fälle unter SGLT2-Hemmern fehlte jedoch der für die diabetische Ketoazidose charakteristische hohe Blutzucker. Das könnte Diagnose und Behandlung dieser schweren Komplikation verzögern, warnt die EMA. Bereits im Mai hatte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA vor der Komplikation einer Ketoazidose unter SGLT2-Hemmern gewarnt und dazu aufgerufen, dass Diabetiker mit SGLT2-Hemmern und ihre Ärzte besonders aufmerksam auf jegliche Anzeichen einer Ketoazidose achten sollten (2).
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1. Mitteilung der European Medicines Agency (EMA) vom 12. Juni 2015. 2. FDA warns that SGLT2 inhibitors for diabetes may result in a serious
condition of too much acid in the blood. Safety announcement. 5. Mai 2015.
Vor 10 Jahren
Stammzellenskandal
Der südkoreanische Stammzellenforscher Woo Suk Hwang verkündet aufsehenerregende Erfolge in der Zeitschrift «Science»: Es sei ihm und seinem Team gelungen, für elf Patienten aus deren Hautzellen mittels Zellkerntransfer in gespendete Eizellen körperidentische, massgeschneiderte Stammzelllinien zu etablieren, die somit als quasi nie versiegender Quell neuer Stammzellen für den jeweiligen Patienten dienen könnten. Später stellte sich jedoch heraus, dass Hwangs Publikation nur «Science-Fiction» war. Die Veröffentlichung wurde 2006 zurückgezogen, und Hwang verlor seinen Posten an der Universität von Seoul.
Vor 50 Jahren
Schnupfenimpfung
Mehrere Forscherteams versuchen, eine Impfung gegen den banalen Schnupfen zu entwickeln. Es gelingt zwar, mithilfe der einen oder anderen Vakzine messbare Antikörpertiter zu erzeugen, ein echter Durchbruch ist jedoch nicht zu vermelden, und dabei wird es künftig auch bleiben.
Vor 100 Jahren
Strychnin für Herzkranke?
Insbesondere in Frankreich und England
wird Strychnin als Medikament für Patien-
ten mit akuter Herzinsuffizienz verwendet,
aber nicht alle Ärzte sind davon überzeugt.
So berichtet man im «American Journal of
Medical Sciences» von acht Patienten, die
man zunächst mit Strychnin behandelte
und im Anschluss mit Digitalis als Ver-
gleichssubstanz mit erwiesener Wirkung.
Die Schlussfolgerung: «Es gibt keine
pharmakologische oder klinische Evidenz,
welche den Gebrauch von Strychnin für
die Behandlung akuter oder chronischer
Herzinsuffizienz rechtfertigt.»
RBO
ARS MEDICI 13 I 2015