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BERICHT
Frühe Therapie bei Typ-2-Diabetes schützt die Gefässe
Die frühe Behandlung bei Typ-2-Diabetes verspricht den grösstmöglichen Nutzen für die Gefässe. An einem Symposium im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung «Diabetes mellitus im Alter – spezifische Herausforderungen» wurden die wichtigsten Punkte bezüglich Blutzuckerzielwerten und Medikamentenauswahl für die Therapie bei Typ-2-Diabetes erläutert.
Claudia Borchard-Tuch
«Eine schwere Hypoglykämie ist der stärkste Prädiktor für die kardiovaskuläre Mortalität», erklärte Prof. Monika Kellerer, Stuttgart. Schwere Hypoglykämien erhöhen das Risiko vierfach, während ein bereits vorangegangenes kardiovaskuläres Ereignis das Risiko 3,1-fach erhöht. Die Basistherapie beinhaltet die Teilnahme an einer strukturierten Schulung, Steigerung der körperlichen Aktivität und eine diabetesgerechte Ernährung. «Die Bereitschaft der Patienten ist zu fördern, Eigenverantwortung zu übernehmen und in Eigeninitiative aktiv an den Behandlungsprozessen mitzuwirken», sagte Dr. med. Stefan Pscherer, Traunstein.
Individueller HbA1c-Wert Gemäss aktueller Leitlinien soll sich der HbA1c-Wert nach individuellen Voraussetzungen des Patienten richten. Im Februar 2012 veröffentlichten die Amerikanische (ADA) und die Europäische Diabetesgesellschaft (EASD)
MERKSÄTZE
O Auch Typ-2-Diabetiker müssen früh und konsequent behandelt werden.
O Für jeden Patienten wird ein individueller Zielwert für HbA1c festgesetzt (Zielwert <7,0).
O Hat die Basistherapie mit Lebensund Ernährungsstiländerungen keinen Erfolg, wird zunächst mit einer Metformintherapie begonnen.
O Bei weiter ausbleibendem Therapieerfolg erfolgt eine Kombinationstherapie mit einem zweiten oralen Antidiabetikum.
ein Positionspapier zur Therapie des Typ-2-Diabetes, welches sich entscheidend von früheren Leitlinien unterschied (1): Innerhalb weit gefasster Grenzwerte wird für jeden Patienten ein individueller Zielwert für HbA1c festgesetzt, der den persönlichen Bedürfnissen angepasst ist (1). Berücksichtigt werden unter anderem die Dauer der Erkrankung, das Hypoglykämierisiko, bereits bestehende Komplikationen und das persönliche Umfeld des Patienten. Der Zielkorridor für den HbA1c-Wert liegt im Bereich von 5,5 bis 8,0 Prozent. Junge Patienten ohne Komplikationen werden im Allgemeinen streng eingestellt, wohingegen bei älteren, multimorbiden Patienten oder Patienten mit geringer Lebenserwartung ein HbA1cWert von 8 Prozent noch angemessen sein kann (2). Zielwert ist im Allgemeinen ein HbA1c unter 7 Prozent (1).
Metformin als erstes Medikament
Wird durch die Basistherapie innerhalb von drei bis sechs Monaten keine deutliche Verbesserung der diabetischen Stoffwechsellage erreicht, ist der Beginn einer Therapie mit oralen Antidiabetika indiziert. Klassischerweise wird mit einer Monotherapie begonnen. Mittel der ersten Wahl ist Metformin. Die Kontraindikationen, insbesondere die Niereninsuffizienz, müssen dabei beachtet werden. Die «UK Prospective Diabetes Study (UKPDS)» hatte gezeigt, dass Metformin im Gegensatz zu Glibenclamid (Sulfonylharnstoff) bei Typ-2-Diabetikern nicht nur die Häufigkeit makrovaskulärer Komplikationen (Apoplex, koronares Ereignis, diabetesbezogener Tod), sondern auch die Häufigkeit
mikrovaskulärer Komplikationen statistisch signifikant vermindert. Mikrovaskuläre Komplikationen zeigen sich am häufigsten in Form neurologischer Spätfolgen, gefolgt von Augenkomplikationen, Geschwüren an den Füssen und Amputationen sowie Nierenfunktionsstörungen. Die HbA1c-Senkung war jedoch unter Glibenclamid und Metformin vergleichbar. Daher konnte der günstige Metformineffekt auf die Entwicklung makrovaskulärer Komplikationen nicht allein auf der Blutglukosesenkung beruhen, sondern andere Metforminwirkungen müssen dafür mit verantwortlich sein. Als solche kommen in erster Linie die vorteilhafte Änderung der Blutlipide und der antithrombotische Effekt infrage.
Was kommt nach Metformin?
Die nach Metformin einsetzbaren weiteren Medikamentenklassen Sulfonylharnstoffe, Glinide, Thiazolidindione (Glitazone), alpha-Glucosidase-Hemmer, Glukagon-like-peptide-l-RezeptorAgonisten (GLP-1-Analoga), Dipeptidyl-Peptidase(DPP)-4-Inhibitoren und Natrium-Glukose-Kotransporter-2Inhibitoren (SGLT-2-Hemmer) weisen jeweils sehr unterschiedliche Wirkmechanismen und eine abgestufte klinische Effektivität auf, so Prof. Martin Pfohl, Duisburg. Bei den DPP-4-Inhibitoren und Inkretinmimetika als neuere Substanzen sind insbesondere die günstigen Effekte auf das Gewicht (GLP-1-Analoga) und die niedrige Hypoglykämierate (DPP-4-Inhibitoren und GLP-1-Analoga) hervorzuheben. Die Auswahl des zweiten und gegebenenfalls dritten Antidiabetikums richtet sich daran aus, ob mit der gewählten Medikation das individuelle Therapieziel aller Voraussicht nach erreichbar ist, ob Kontraindikationen oder Verordnungseinschränkungen bestehen und ob die eingesetzte Substanz ein gutes Nutzen-Risiko-Profil für den Patienten bietet: «Da die Diabetestherapie grundsätzlich langfristig ausgelegt ist, spielen hier Sicherheitsaspekte eine vordringliche Rolle», erklärte Pfohl. Auch pathophysiologische Überlegungen und nicht zuletzt der Patientenwunsch sowie die zu erwartende Therapieadhärenz sind bei der Medikamentenwahl wichtig. Die UKPDS hat den Verdacht nicht bestätigt, dass Sulfonylharnstoffe das
ARS MEDICI 13 I 2015
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BERICHT
NACHGEFRAGT
Prof. Martin Halle, Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Sportmedizin, Technische Universität München
«Sport ist so wichtig wie Medikamente»
ARS MEDICI: Welchen Stellenwert nimmt der Sport in der Therapie bei Typ-2-Diabetes ein? Professor Martin Halle: Mit Sport steht ein Instrument zur Verfügung, das von ähnlich hoher Bedeutung wie die medikamentöse Behandlung ist. Diabetes mellitus geht mit beschleunigt ablaufenden arteriosklerotischen Gefässveränderungen einher. Dies erhöht das Risiko für Hypertonie, koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz und zerebrale Insulte. Schwere kardiale Schäden können schliesslich zu Vorhofflimmern führen. Sport verbessert die diabetische Stoffwechsellage und die Funktionsstörung des Herzens und kann verhindern, dass sich schwere Herzschäden mit Vorhofflimmern entwickeln. Wichtig ist, in den Frühphasen des Diabetes mellitus mit dem Sport zu beginnen.
AM: Welche Sportarten sind besonders zu empfehlen? Halle: Ausdauertraining wie Walking, Radfahren oder Schwimmen hilft nicht nur, das Gewicht zu reduzieren, sondern auch dauerhaft mehr Kalorien zu verbrauchen. Je grösser die Muskelmasse ist, desto mehr Kalorien werden verbrannt. Darüber hinaus verbessert Ausdauertraining unabhängig von einer Gewichtsabnahme die Insulinempfindlichkeit. Weil Ausdauertraining in die Stoffwechselsituation eingreift, kann es helfen, dem Körper das vorhandene Insulin zugänglich zu machen und somit den Diabetes ursächlich zu bekämpfen. Weil Ausdauertraining auch den Blutdruck senkt, können Diabetiker durch regelmässige Bewegung zugleich das Risiko für gefässbedingte Erkrankungen verringern.
AM: Wie viel Training würden Sie empfehlen? Halle: Die initiale Belastungsintensität sollte niedrig gehalten werden. Eine anfängliche Belastungsdauer von zehn
Minuten sollte nicht überschritten und kann dann über Wochen langsam gesteigert werden. Der Diabetiker darf sich nicht überanstrengen. Zu intensives Training kann Blutzuckerturbulenzen auslösen. Eine Adrenalinausschüttung führt zu einem Anstieg des Glukosespiegels, der rasch wieder abfallen kann. Entscheidend für den therapeutischen Erfolg ist die Regelmässigkeit. Der Erkrankte sollte jeden Tag zu einem bestimmten Zeitpunkt sein körperliches Training absolvieren. Bereits zehn Minuten strammes Gehen pro Tag senkt das kardiovaskuläre Risiko beim Diabetiker um die Hälfte.
AM: Wo kann der Patient Unterstützung finden? Halle: Am besten lässt sich körperliche Bewegung in einer Diabetessportgruppe unter sachkundiger Betreuung erlernen. In Deutschland ist das DiSko-Projekt ein neues Schulungsmodul zum Thema Bewegung, das in alle vorhandenen Schulungsprogramme integriert werden kann. Kernstück ist ein geführter halbstündiger Spaziergang, der in bestehende Schulungsangebote eingebaut wird. Grundsätzlich können alle Schulungsteilnehmer mitmachen, da ein ganz individuelles Tempo eingehalten wird. Vor und nach dem Spaziergang werden Blutzucker und Puls gemessen. Die meist eindrucksvolle Blutzuckersenkung und Pulssteigerung werden visualisiert und diskutiert. Auch dem Arzt muss die Bedeutung des Sportes bewusst werden. Zusammen mit der Pharmakotherapie trägt Sport dazu bei, den Diabetes mellitus in den Griff zu bekommen.
Das Interview führte Claudia Borchard-Tuch.
Risiko für kardiovaskuläre Zwischenfälle erhöhen. Andererseits konnten neuere klinische Untersuchungen diesen Verdacht auch nicht ausräumen. Viele retrospektive Analysen zu Sulfonylharnstoffen mit und ohne Metformin zeigen im Gegenteil signifikante Steigerungen kardiovaskulärer Komplikationen und der Mortalität: «Ob Nateglinid und Repaglinid das Risiko für kardiovaskuläre Zwischenfälle erhöhen, muss in zukünftigen Langzeitstudien geprüft werden», sagte Kellerer.
Wo gross sind die positiven Effekte?
Die positiven Effekte einer guten Blutzuckereinstellung lassen sich schon relativ früh bei den mikrovaskulären und
deutlich später auch bei den makrovaskulären Folgeerkrankungen erkennen. Auf die Notwendigkeit einer insgesamt sehr langen Beobachtungs- und Behandlungsdauer zum Nachweis signifikanter Effekte auf makrovaskuläre Endpunkte deuten die Ergebnisse aus der UKPDS-Folgestudie hin. Hier konnte erst in der zehnjährigen Nachbeobachtungszeit nach Abschluss der Intervention eine signifikante Reduktion makrovaskulärer Ereignisse durch eine gute Blutzuckereinstellung im Vergleich zu einer Standardtherapie gezeigt werden (3). Ähnlich wie beim Typ-1-Diabetes konnte auch beim Typ-2-Diabetes ein «LegacyEffekt» gezeigt werden: Bei initial unzureichender Einstellung bleibt das
Risiko für Folgeerkrankungen immer
höher als in einer bereits in der An-
fangsphase gut eingestellten Gruppe.
Eine möglichst frühzeitige therapeuti-
sche Intervention unter Berücksichti-
gung aller Risikofaktoren ist notwen-
dig, um Diabetesfolgeerkrankungen zu
verhindern.
So zeigte sich in der UKPDS-Folgestu-
die, dass es innerhalb des ersten Jahres
nach Beendigung der Intervention zu
einer Angleichung des HbA1c-Wertes
kam; der Unterschied war in der Folge
zwischen den Gruppen nicht mehr sig-
nifikant. Trotz dieser Angleichung der
Blutzuckerwerte schnitt die ursprüng-
lich intensiviert behandelte Gruppe auch
noch zehn Jahre später deutlich günsti-
ger als die Standardtherapiegruppe ab.
So war in der ursprünglich intensiviert
behandelten Gruppe jeglicher diabetes-
bedingter Endpunkt um 9 Prozent, die
mikrovaskulären Endpunkte um 24 Pro-
zent, die Herzinfarktrate um 15 Prozent
und die Gesamtmortalität um 13 Pro-
zent niedriger als in der Kontrollgruppe;
alle Unterschiede waren statistisch signi-
fikant (4).
Die Daten sprechen insgesamt dafür,
dass man den Diabetes mellitus konse-
quent und früh therapeutisch angehen
muss. Wartet man erst Jahre, bis bereits
erhebliche Folgeerkrankungen vorlie-
gen, scheine eine Umkehr nicht mehr
möglich, so Kellerer.
O
Claudia Borchard-Tuch
Symposium «Moderne Therapie bei Typ 2 Diabetes mellitus: Sicherheit für Herz und Niere!» im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung «Diabetes mellitus im Alter – spezifische Herausforderungen» und Pressekonferenz «Sport als Allheilmittel» anlässlich der Fortbildungsveranstaltung «Innere Medizin fachübergreifend – Diabetes grenzenlos», München, 27. Februar 2015.
Literatur: 1. Inzucchi SE et al.: Management of hyperglycemia in type 2
diabetes: a patientcentered approach. Update to a position statement of the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetologia 2015; 38: 140–149. 2. Thalmann S et al.: Guideline Diabetes mellitus. mediX schweiz; zuletzt revidiert 08/2013. www.medix.ch/files/ diabetes_mellitus.pdf 3. Holman RR et al.: 10-year follow-up of intensive glucose control in type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 359(15): 1577–1589. 4. Kellerer M: Update Typ-2-Diabetes anhand ausgewählter aktueller Publikationen. Diabetologe 2009; 5: 177–189.
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