Transkript
INTERVIEW
«Unser Behandlungsspektrum wird sich grundlegend erweitern»
Neue Therapeutika für Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
Das Jahrestreffen der europäischen Experten für chronisch entzündliche Darmerkrankungen (ECCO – European Crohn’s and Colitis Organisation) offenbarte eine erfreuliche Entwicklung: Neue Therapeutika werden zukünftige Behandlungsoptionen deutlich erweitern. Wir sprachen mit Prof. Gerhard Rogler, ECCO-Vorstandsmitglied und wissenschaftlicher Beirat von ARS MEDICI, über die Höhepunkte des diesjährigen Kongresses in Barcelona.
Zur Person
Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler hat in Ulm
Behandlungsspektrum grundlegend erweitern, aber auch komplexer machen.
Medizin und Philosophie studiert. Er ist Leitender
Arzt an der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie des Universitätsspitals Zürich. Prof. Rogler ist Studienleiter der Swiss IBD Cohort Study, Vorstandsmitglied der European Crohn’s and Coli-
ARS MEDICI: Zum Einsatz von TNF-Hemmern bei Erwachsenen gibt es mittlerweile viel Erfahrung. Wie sieht es bei den Kindern aus?
tis Organisation (ECCO) und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von ARS MEDICI.
Rogler: Für das, was sich bei den Erwachsenen bestätigt hat, gibt es nun auch den bei Kindern immer mehr Belege. Die
Studien zeigen, dass erstens auch bei Kindern der frühe Ein-
satz von TNF-alpha-Inhibitoren sicher ist und dass zweitens
eine frühe Behandlung Vorteile hinsichtlich des Krankheits-
verlaufs bringt. Man muss wissen, dass bei Kindern mit chro-
nisch entzündlichen Darmerkrankungen das Risiko für einen
schlechten Verlauf sehr hoch ist. Wenn also bei Kindern ein
ausgedehnter Befall vorliegt, ist eine solche Therapie inner-
halb des ersten Jahres durchaus sinnvoll. Für die Behandlung
Erwachsener wurde in einer Sitzung zudem deutlich, dass der
Einsatz von TNF-Hemmern kein erhöhtes Operationsrisiko
ARS MEDICI: Herr Prof. Rogler, welche Eindrücke nehmen Sie darstellt und dass vor einer Operation die Behandlung mit
vom Jahrestreffen der ECCO mit?
dem TNF-Hemmer nicht abgesetzt, sondern weitergeführt
Prof. Gerhard Rogler: Für mich war die Vorstellung der neuen werden sollte.
Therapiestudien ein echtes Highlight. Abgesehen von dem
einen oder anderen neuen TNF-Hemmer ist in den vergange- ARS MEDICI: Auch zu konventionellen Medikamenten wie
nen zehn Jahren ja eigentlich nur wenig wirklich Neues hin- Methotrexat wurden Untersuchungen vorgestellt ...
sichtlich der Therapie bei chronisch entzündlichen Darm- Rogler: In einer randomisierten, internationalen Studie
erkrankungen hinzugekommen. In Barcelona hat man jetzt (METEOR) wurde die Wirksamkeit von parenteralem
Methotrexat bei steroidabhängigen Colitis-
«Die Studien zeigen, dass erstens auch bei Kindern der
ulcerosa-Patienten untersucht. Dabei wurde der primäre Endpunkt zwar verfehlt – wobei
frühe Einsatz von TNF-alpha-Inhibitoren sicher ist und dass zweitens eine frühe Behandlung Vorteile hinsichtlich des
dieser Endpunkt, nämlich steroidfreie Remission und Mukosaheilung, sehr ambitioniert war –, aber die Daten waren trotz-
Krankheitsverlaufs bringt.»
dem aus meiner Sicht gut. Die wichtigen sekundären Endpunkte wurden ja erreicht. So
kamen erstaunlich viele Patienten in Remis-
zur Behandlung bei Colitis ulcerosa, aber auch bei Morbus sion und waren letztlich steroidfrei. Insgesamt wurde diese
Crohn eine ganze Reihe erfolgreicher Phase-II-Studien vorge- Studie positiv aufgenommen.
stellt, beispielsweise zur Hemmung von IL-23, IL-6 oder
JAK. Auch ein neuer, neben Vedolizumab ebenfalls erfolgrei- ARS MEDICI: Dagegen scheint sich ein gewisses Risiko für Aza-
cher Integrinhemmer gehört dazu. Die wichtigste Nachricht thioprin zu bestätigen?
vom ECCO-Kongress lautet daher: Es wird in den kommen- Rogler: Dass ein gewisses Lymphomrisiko besteht, war ja
den Jahren ganz neue Therapiewege geben. Sie werden unser schon länger klar. Neu sind Daten zum Urothelkarzinom. So
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FORTBILDUNG
INTERVIEW
kommen unter Azathioprintherapie Tumoren im Urintrakt etwas häufiger vor. Das bedeutet, dass die Patienten regelmässig urologisch untersucht werden sollten und insbesondere ein Urinstatus vorgenommen werden sollte. Nach der Auswertung unserer eigenen Daten können wir diese Risiken übrigens bestätigen. Zudem wurde in einem Poster vorgestellt, dass bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen allgemein neben den Lymphomen auch ein leicht erhöhtes Risiko für Leukämien und myelodysplastische Syndrome existiert. Allerdings sollte man sich vergegenwärtigen, dass das insgesamt seltene Erkrankungen sind. Trotzdem schadet es nichts, wenn man diese Risiken im Gedächtnis behält, insbesondere dann, wenn auffällige Blutbildveränderungen zu beobachten sind.
ARS MEDICI: Auch IBD-Schwestern scheinen bei solchen Therapien eine immer wichtigere Rolle zu spielen … Rogler: Die Funktion der IBD-Schwestern wurde am Kongress von den englischen Kollegen als sehr wichtig herausgestellt. So ist die Hemmschwelle der Patienten ziemlich hoch, sich bei Dingen, die über das rein Medizinische hinausgehen, dem Arzt zu öffnen. Nur die IBD-Schwester hat die Möglichkeit, das ganze Spektrum der notwendigen Fragen zu stellen. Sie soll als Bindeglied zwischen den Spezialisten dafür sorgen, dass eine integrierte Versorgung stattfindet und dass die verschiedenen Fachärzte, also neben Rheumatologen auch Schmerztherapeuten oder Psychosomatikspezialisten, mit einbezogen werden. Ausserdem ist die IBD-Schwester eine Art «Patientenanwältin». Man darf nicht vergessen, dass
ARS MEDICI: Die Versuche, über fäkale Mikrobiotatransplanta-
tionen bei Colitis ulcerosa ein «gesünderes» Mikrobiom zu «Die Basistherapie, die Remissions-
erreichen, haben die Erwartungen bis anhin nicht erfüllt ... Rogler: Ja, die Studie aus Amsterdam ist für IBD-Patienten negativ. Allerdings gibt es dabei Aspekte, bei denen man sich
erhaltung, die notwendigen Kontrollen und die Koordination mit den Spezialisten
schon fragen muss, ob das Studiendesign wirklich optimal sind die Aufgaben des Hausarztes.»
war. So war die Stuhlspendergruppe sehr heterogen. Bei man-
chen Patienten waren die Spender Verwandte ersten Grades,
bei anderen wurde ein gesunder «Superspender» herangezo- immer wieder sehr einfache Dinge schiefgehen. So werden
gen und wieder bei anderen schlicht ein Labormitarbeiter. immer wieder Impfungen vergessen oder die regelmässigen
Schon diese sehr unterschiedlichen Spendergruppen machen Kontrolluntersuchungen versäumt. Insbesondere in der an-
die Untersuchung ziemlich heterogen. Ausserdem muss man schliessenden Diskussion forderten die Patientenvertreter
sich fragen, ob die Impfung von oben über eine nasoduode- sehr deutlich, dass es dieses Bindeglied auch in anderen Län-
nale Sonde wirklich optimal ist oder ob es nicht sinnvoller dern geben sollte.
wäre, per Einlauf oder Koloskopie vorzugehen. Ich würde
sagen, die Studie war zwar negativ, aber das Thema ist noch ARS MEDICI: Was kann der Hausarzt für seine Patienten mit
nicht vom Tisch.
chronisch entzündlichen Darmerkrankungen mit nach
Hause nehmen?
ARS MEDICI: Was gibt es Neues zur Schmerztherapie bei chro- Rogler: Er sollte sich besonders um die Patienten in Remission
nischen IBD?
gut kümmern, damit bei ihnen beispielsweise kein Eisen- und
Rogler: Da gibt es völlig unterschiedliche Sichtweisen. Wäh- Vitaminmangel auftritt. Er sollte schauen, dass die Patienten
rend in Europa die Schmerztherapie eher ein Stiefkind ist und ihre Kontrolltermine einhalten, dass der Urinstatus stimmt
und kein Urothelkarzinom und keine inter-
«TNF-Hemmer stellen kein erhöhtes Operationsrisiko dar
stitielle Nephritis übersehen werden. Die Basistherapie, die Remissionserhaltung, die
und sollten vor einer OP nicht abgesetzt werden.»
notwendigen Kontrollen, die Koordination mit den Spezialisten, das sind die Aufgaben
des Hausarztes. Wenn es aber um schwere
die IBD-Betroffenen unter sehr vielen unnötigen Schmerzen Schübe geht oder um Patienten mit chronisch aktiver Darm-
leiden, haben in den USA oder Australien 10 bis 20 Prozent erkrankung, sollten die Hausärzte zunehmend die Gastro-
der IBD-Patienten ein «narcotic bowel syndrome». Das enterologen mit einbeziehen. Bei eher komplizierten Fällen
heisst, die Patienten bekommen permanent zu viel Opiate in sollte man sich die Versorgung teilen: Die Therapieeinstel-
ihrer Schmerztherapie. Die dortigen Experten sind daher sen- lung und -optimierung durch den Spezialisten und die Basis-
sibilisiert und weisen immer auf ihr Opiatproblem und die versorgung, die ja eine sehr wichtige Rolle spielt, durch den
Gefahren hin. Wir haben aber in Europa eine völlig andere Hausarzt.
O
Situation, nämlich eher eine Unterversorgung mit Schmerz-
mitteln. Deshalb werden wir mit den Ländern aus Übersee Das Gespräch führte Klaus Duffner.
auch keinen Konsens finden. Die ECCO sollte ihre eigenen,
unabhängigen Leitlinien zur Schmerztherapie herausgeben.
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