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FORTBILDUNG
Typ-2-Diabetes: Management der Hyperglykämie 2015
Update des gemeinsamen Statements von ADA und EASD
2012 hatten sich die American Diabetes Association (ADA) und die European Association for the Study of Diabetes (EASD) zusammengetan und ein gemeinsames Positionspapier zur Glykämiekontrolle bei Diabetes Typ 2 verabschiedet (1). Angesichts der rasanten Entwicklungen auf diesem Gebiet ist nun ein Update erschienen (2).
Diabetes Care
Die wachsende Zahl von Antidiabetika hat zu einiger Unsicherheit bei der adäquaten Wahl der Therapie bei Typ-2-Diabetes geführt. Dem wollten die amerikanischen und europäischen Fachgesellschaften mit einem ausführlichen Positionspapier begegnen. Im Zentrum stand schon seinerzeit die Aufforderung zu einem patientenzentrierten Vorgehen mit gemeinsamer Entscheidungsfindung durch Ärzte und Patienten. Daran erinnert auch das Update. Inzwischen sind auch einige Studien mit Direktvergleichen zwischen verschiedenen Wirkstoffen erschienen, die geringfügige Unterschiede hinsichtlich der blutzuckersenkenden Effekte dokumentieren. Da diese Unterschiede aber oft klein seien, sei auf der Ebene des individuellen Patienten ein genau fassbarer Differenzeffekt unwahrscheinlich, schreiben die amerikanischen und europäischen Autoren der Arbeitsgruppe.
MERKSÄTZE
O Die Kontrolle der Hyperglykämie ist zwar Hauptziel des Managements bei Typ-2-Diabetes, sie sollte aber immer zusammen mit Massnahmen zur Reduktion der kardiovaskulären Risikofaktoren erfolgen.
O In Direktvergleichen mit den meisten oralen Standardantidiabetika waren die neuen SGLT-2-Hemmer hinsichtlich der initialen HbA1c-Senkung grob gesehen ähnlich wirksam.
O Metformin bleibt unter Aspekten der Sicherheit, der Gewichtsneutralität und der tiefen Kosten das optimale Medikament für die Monotherapie.
O Heute ist die Kombination eines GLP-1-Rezeptor-Agonisten mit einem Basalinsulin eine gleichwertige oder sogar überlegene Alternative.
Blutzuckerziele
Die Kontrolle der Hyperglykämie ist zwar Hauptziel des Managements bei Typ-2-Diabetes, sie sollte aber immer im Rahmen eines umfassenden Programms zur Reduktion der kardiovaskulären Risikofaktoren (Blutdruck, Lipide, Bewegungsmangel) erfolgen. Eine Reduktion der Hyperglykämie kann Beginn und Fortschreiten mikrovaskulärer Komplikationen verringern. Die Auswirkungen auf die kardiovaskulären Komplikationen sind hingegen weniger sicher, vermutlich von geringerem Ausmass und treten erst nach langen Jahren verbesserter Blutzuckerkontrolle in Erscheinung. Resultate grosser Studien deuten darauf hin, dass ein allzu aggressives Vorgehen bei der Glykämiekontrolle auch Nachteile bringen kann, weshalb individuelle Ziele zu setzen sind, die insbesondere die Risiken von Hypoglykämien berücksichtigen. Diese sowie andere Medikamentennebenwirkungen, Krankheitsdauer, Lebenserwartung, Begleiterkrankungen und bereits bestehende vaskuläre Komplikationen sind in der Regel nicht veränderbar. Potenziell beeinflussbar ist hingegen die Haltung des Patienten gegenüber seiner Krankheit und die Motivation zur Therapie. Das Positionspapier wiederholt auch den HbA1c-Zielwert von 7 Prozent (53 mmol/mol), an dem sich die Therapieintensität ausrichten kann.
Gesichtspunkte bei der Medikamentenwahl
Als grösste Änderung seit 2012 ist die Einführung der neuen Klasse der SGLT-2-Hemmer zu betrachten. Die Inhibitoren des Natrium-Glukose-Kotransporters 2 reduzieren das HbA1c im Vergleich zu Plazebo um 0,5 bis 1,0 Prozent (5,5–11 mmol/mol). In Direktvergleichen mit den meisten oralen Standardantidiabetika (Kasten) waren sie hinsichtlich der initialen HbA1c-Senkung grob gesehen ähnlich wirksam. Da der Wirkmechanismus völlig insulinunabhängig ist, können SGLT-2-Hemmer in jedem Stadium des Typ-2-Diabetes eingesetzt werden, also auch nach deutlicher Abnahme der körpereigenen Insulinproduktion. Zu weiteren Vorteilen gehört eine leichte Gewichtsabnahme von ungefähr zwei Kilogramm, die sich über sechs bis zwölf Monate stabilisiert, und eine konsistente Blutdrucksenkung (2–4 mmHg systolisch und 1–2 mmHg diastolisch). Zusätzlich wurden auch Reduktionen bei Harnsäure und Albuminurie beobachtet, deren längerfristige klinische Auswirkungen unbekannt sind. Zu den Nebenwirkungen gehören eine Zunahme von vorwiegend mykotisch bedingten Genitalinfekten sowie Probleme wegen Volumenverarmung bei gesteigerter Diurese, was vor allem bei älteren Patienten zu beachten ist. Bei eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR < 45–60 ml/min/1,73 m2) sind
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FORTBILDUNG
Kasten:
Medikamente bei Typ-2-Diabetes (exkl. Insuline)
Wirkstoff
Handelsname
Biguanide: Metformin
Glycophage® oder Generika
Sulfonylharnstoffe (2. und 3. Generation)
Glibenclamid Glibornurid Gliclazid Glimepirid
Daonil® oder Generika Glutril® Diamicron® Amaryl®
Glinide: Repaglinid Nateglinid
NovoNorm® oder Generika Starlix®
SGLT-2-Hemmer:
Canagliflozin Dapagliflozin Empagliflozin
Invokana® Forxiga® Jardiance®
Thiazolidindione (Glitazone): Pioglitazon
Actos® oder Generika
Dipeptidylpeptidase-(DPP-)4-Hemmer (Gliptine):
Alogliptin Linagliptin Saxagliptin Sitagliptin Vildagliptin
Vipidia® Trajenta® Onglyza® Januvia®, Xelevia® Galvus®
Glucagon-like-Peptide-(GLP-)1-Rezeptor-Agonisten:
Albiglutid Dulaglutid Exenatide Liraglutid Lixisenatid
Eperzan® Trulicity® Byetta®, Bydureon® Victoza® Lyxumia®
SGLT-2-Hemmer weniger effektiv, spezifische Anwendungseinschränkungen geben die Fachinformationen der verschiedenen bisher zugelassenen Wirkstoffe. Eine grosse Studie mit dem Dipeptidylpeptidase-(DPP-)4Hemmer Saxagliptin fand im Vergleich mit Plazebo gesamthaft kein kardiovaskuläres Risko, aber auch keinen kardiovaskulären Nutzen, allerdings nach einer Beobachtungszeit von nur gut 2 Jahren. In der aktiven Behandlungsgruppe fielen vermehrte Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz auf. Auch mit Alogliptin trat während einer Bobachtungszeit von bloss 18 Monaten kein kardiovaskuläres Überschussrisiko auf. Zurzeit laufen weitere Studien. Bis Ergebnisse vorliegen, sollten DPP-4-Hemmer bei Patienten mit vorbestehender Herzinsuffizienz wenn überhaupt nur vorsichtig eingesetzt werden. Bei DPP-4-Hemmern wurden ebenso wie bei den ebenfalls inkretinbasierten Glucagon-like-Peptide-(GLP-)1-RezeptorAgonisten Fragen zur Häufigkeit von Pankreatitis und
Pankreasneoplasien aufgeworfen. Die inzwischen vorliegenden Daten aus Beobachtungsstudien und zwei grossen kardiovaskulären Studien mit DPP-4-Hemmern dokumentieren jedoch keine statistisch erhöhten Erkrankungsraten der Bauchspeicheldrüse. Das Positionspapier erinnert eindringlich daran, dass die Verwendung sämtlicher Antidiabetika bei Typ-2-Diabetikern Blutzuckersenkung, Nebenwirkungsprofil, erwarteten Behandlungsnutzen, Kosten sowie praktische Aspekte (Dosierungsschema, Blutzuckerkontrollen) berücksichtigen muss. Da die Patienten offensichtlich am direktesten von der Medikamentenwahl betroffen sind, müssen die Behandlungsentscheidungen ebenso wie die Intensität der Therapie gemeinsam besprochen werden.
Vorgehen bei der Umsetzung
der Behandlungsstrategie
Metformin bleibt unter Aspekten der Sicherheit, der Gewichtsneutralität und der tiefen Kosten das optimale Medikament für die Monotherapie. Heute mehren sich die Stimmen, die einen Einsatz von Metformin auch bei mittelschwerer, aber stabiler Niereninsuffizienz unter Dosisanpassung befürworten. Klar ist, dass unter Metformin regelmässige Kontrollen der Nierenfunktion erfolgen müssen. Ist Metformin kontraindiziert oder wird es nicht vertragen, kommen Zweitlinienmedikamente zum Einsatz. Die Auswahl wird jedoch geringer, wenn eine Niereninsuffizienz Grund für den Verzicht auf Metformin war. In dieser Situation sind Sulfonylharnstoffe (v.a. Glibenclamid) wegen des Hypoglykämierisikos nicht sinnvoll und DPP-4-Hemmer eine vorzuziehende Alternative. Ausser bei Linagliptid sind jedoch Dosisanpassungen notwendig. In vielen Situationen ist eine Kombinationstherapie mit zwei oder drei Wirkstoffen sinnvoll. SGLT-2-Hemmer sind zwar zur Monotherapie zugelassen, werden jedoch meistens in Kombination mit Metformin und/oder anderen Wirkstoffen eingesetzt. Auf Basis der bisherigen Erfahrung und der nachgewiesenen Wirksamkeit sind sie vernünftige Optionen in der Zweit- und Drittlinientherapie. Bei der Kombination mit DPP-4-Hemmern kann die Wirksamkeit geringer ausfallen als die Addition der Einzelwirkungen. Für die Kombination von SGLT-2-Hemmern mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten ist zurzeit eine evidenzbasierte Empfehlung nicht möglich. Liegen die HbA1c-Werte zu Beginn sehr deutlich über dem Zielwert (z.B. ≥ 9% [≥ 75 mmol/mol]), ist eine Verbesserung mit einer sofortigen Kombinationstherapie gegenüber dem schrittweisen Vorgehen schneller zu erreichen. Allerdings ist nicht bewiesen, dass ein rascheres Erreichen des Glykämieziels einen sicheren Vorteil bringt. Bei guter Patientenüberwachung ist also eine sequenzielle Behandlung mit prompter Intensivierung auch bei Patienten mit initial hohen HbA1cWerten durchaus zu vertreten. Bei gewissen Patienten bleibt die Glykämiekontrolle selbst unter einer Tripeltherapie mit Antidiabetika unbefriedigend. Dann ist der Einsatz eines Basalinsulins (zusammen mit Metformin und manchmal mit einem zusätzlichen Wirkstoff) in Betracht zu ziehen. Das Positionspapier 2012 befürwortete auch die Kombination eines Basalinsulins mit zusätzlichen Injektionen eines rasch wirkenden Insulins oder allenfalls von fixen Mischungen
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von Insulinen mit unterschiedlichem Wirkungsprofil. Nach
neueren Daten ist heute aber auch die Kombination eines
GLP-1-Rezeptor-Agonisten oder eines prandialen Insulins
mit einem Basalinsulin eine gleichwertige oder sogar über-
legene Alternative. Zumindest hinsichtlich kurzfristiger
Behandlungserfolge sei ein GLP-1-Rezeptor-Agonist wahr-
scheinlich sicherer, schreiben die Autoren, und bei überge-
wichtigen Patienten zudem vorteilhafter. Kommt mit der
Kombination Basalinsulin plus GLP-1-Rezeptor-Agonist
keine adäquate Glykämiekontrolle zustande, muss mit Insu-
linjektionen zu den Mahlzeiten eine ausgebaute Basis-Bolus-
Strategie erfolgen. Für einzelne Patienten kommt in diesem
Stadium der Stoffwechselkrankheit auch ein zusätzlicher
SGLT-2-Hemmer infrage, der den Insulinbedarf senken und
den Therapieerfolg verbessern kann. Das gilt besonders bei
fettleibigen, hochgradig insulinresistenten Patienten. Die
ältere Option der Therapieintensivierung mit Zugabe von
Pioglitazon hat zwar auch einen insulinsparenden Effekt und
senkt das HbA1c, allerdings um den Preis von Gewichts-
zunahme, Flüssigkeitsretention und eines höheren Herz-
insuffizienzrisikos.
Zunehmend komplexere Therapien mit Vielfachkombinatio-
nen sind für alle Beteiligten oft belastend. In solchen Fällen
muss das Glykämieziel kritisch überprüft oder bei sehr adi-
pösen Patienten die Möglichkeit eines bariatrischen Eingriffs
diskutiert werden.
O
Halid Bas
1. Inzucchi SE et al.: Management of hyperglycemia in type 2 diabetes: a patient-centered approach. Position statement of the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetes Care 2012; 35: 1364–1379.
2. Inzucchi SE et al.: Management of hyperglycemia in type 2 diabetes: a patient-centered approach. Update to a position statement of the American Diabetes Association and the European Association for the Study of Diabetes. Diabetes Care 2015; 38: 140–149.
Interessenkonflikte: Die Autoren deklarieren viele finanzielle Beziehungen zu zahlreichen Pharmafirmen mit Produkten auf dem Gebiet der Diabetologie.
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