Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
An einem kam man vergangene Woche ganz bestimmt nicht vorbei. An Joseph (Sepp) Blatter. Der Walliser ist phänomenal. Um ihn herum werden die Leute zuhauf verhaftet, mitten im schönen, sonst so sicheren Zürich, direkt aus dem besten Hotel am Platz heraus, nur der Präsident der FIFA lächelt und wird anderntags grossartig wiedergewählt. Korruption? Aber bitte! Korrupt ist, wer für eine Gefälligkeit Geld erhält. Blatter aber erhält nie Geld. Ganz im Gegenteil. Blatter verteilt Geld – das Geld der Fifa. An arme Afrikaner und Südamerikaner und Asiaten. Kann er etwas dafür, wenn nicht alles Geld im hintersten afrikanischen Krachen ankommt? Sicher nicht! Das war noch nie und nirgends der typische Weg des Geldes. Sammelgelder für Flutopfer? Ja, wo landen die denn? Staatliche Nothilfen für Erdbebenopfer in Italien oder Nicaragua? Ja, wo fliessen die denn hin? Nein, Blatter nahm nie etwas, er gibt nur, und alles andere ist sozusagen der natürliche Lauf der (Geld-)Dinge.
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Noch bigotter als der etwas bucklige Mann aus Visp sind eigentlich nur die sich in keifender Empörung überschlagenden Journalisten – und in Deutschland auch noch einige Politiker(innen), wie etwa die berufsempörte Claudia Roth. Einige waren nahe dran, mit Selbstverbrennung zu drohen, wenn «der Blatter» noch einmal … – aber es nützte nichts. Der Sepp lächelt und freut sich, umarmt und wird umarmt, herzlichst und warm und dankbar und – fast echt. Nur die Journalistenschar versteht’s nicht. Findet keine Worte. Prophezeit seit Jahren das üble Ende für den korrupten Fifa-Chef und wird Jahr für Jahr enttäuscht und an der Nase herumgeführt. Man würde sich nicht wundern, wenn im Mai 2035 der Blatter Sepp mit 99 Jahren noch einmal, das letzte Mal (vielleicht), zum Fifa-Präsidenten gewählt würde. Einige Journalisten werden’s nicht überleben, der Fussball längstens. Und wissen Sie was? Es gibt Schlimmeres.
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Mal schauen, wie es weiter geht mit der Lobbyisten-Diskussion in Bundesbern. Bei allen Statements über die definitiv naive Rolle, die eine definitiv nicht für naiv gehaltene junge Politikern gespielt hat, wäre schon wieder der Begriff «bigott» angesagt. Aber lassen wir’s, das Wort nutzt sich langsam ab. Schliesslich gilt: Jeder ist ein Lobbyist. Der Gärtner im Parlament setzt sich ein für üppigere Grünanlagen. Solarpanelfabrikant und -installateur finden Subventionen für Sonnenenergieanlagen toll. Juristen kämpfen für mehr Regulierungen, denn Regulierungen verheissen Arbeit. VPOD-Mitglieder und Lehrer sind vehement für höhere Löhne beim Staatspersonal. So ist Politik. Und sie funktioniert gut, solange jedermann weiss, wer wessen Interessen vertritt, und sofern alle Teile der Gesellschaft – nicht nur Juristen, Lehrer und Leute mit Geld – in den Parlamenten vertreten sind. Dann darf, na ja, sogar eine kasachische Partei im Nationalrat für ihr Anliegen werben. (Auch wenn die Anliegen der Ärzte eigentlich mehr Beachtung verdienten bei den Herren und Damen National- und Ständeräten.)
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Vielleicht, wer weiss, sind die Räte und Blatters Fifa gar nicht so verschieden: Es geht an beiden Orten nicht darum, Geld zu nehmen für Leistungen, sondern Geld oder Geldwertes zu verteilen – im einen Fall direkt, im andern in Form von genehmen Rahmenbedingungen und Gesetzen.
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In Deutschlands Talkshows hausiert Julia Friedrichs mit ihrem Buch über Erben (Untertitel: «Was Geld mit Menschen macht»). Man könnte Mitleid kriegen mit den bedauernswerten Söhnen und Töchtern reicher Vorfahren. Erst müssen sie mit ihren Brüdern und Schwestern streiten, benötigen nicht selten juristische Unterstützung, da-
nach haben sie zwar Geld, fühlen sich dabei aber unfrei, und die meisten klagen auch noch über ein schlechtes Gewissen. Schrecklich, schrecklich. Es geht den Ärmsten so schlecht, dass sie finden, Erbschaften sollten stärker besteuert werden, um andern ihr Schicksal zu ersparen. Merkwürdig ist eigentlich nur, dass trotz all des Leidens kaum einer oder eine von ihnen auf die Idee kommt, aufs Erbe zu verzichten. Dabei fänden die Erbqualen damit subito ein Ende. Und so dämmert langsam die Vermutung, dass die akademisch gebildeten Erben (und um solche handelt es sich mehrheitlich) in erster Linie schlau genug sind, um zu wissen, wie man sich politisch korrekt verhalten muss, um den Neid der Besitz- und Erblosen zu besänftigen. Klar ist: Sich frivol über ein Geschenk der (verstorbenen) Eltern zu freuen, geht gar nicht. Da ist es viel anständiger, am gewonnenen Reichtum zu leiden. Als Nicht-Erb-Betroffener hätte man eine salomonische Lösung: Den leidenden Erben ihr Erbe wegnehmen und es jemandem geben, der sich darüber ehrlich freut. So hätten alles etwas davon.
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Ein beliebtes Argument für eine Erbschaftssteuer – es fällt bei jeder Diskussion: Das Erbe ist unverdient, denn es fällt den Erben ohne eigene Leistung zu. Na so was! Abgesehen davon, dass jeder Lottogewinn und eigentlich auch die garnierten Millionen von Fussballern, Tennisspielern und mancher CEO unverdient sind – mit welchen positiven Leistungen hat denn «der Staat» seinen Erbteil verdient? Ausgerechnet er, der das Vermögen vorher schon zigmal besteuert und sich davon bedient hat? Nein, Erbschaften sollten den Staat nichts angehen. Gar nichts. (Sagt einer, der mit Sicherheit nie etwas erben wird.)
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Und das meint der arachnoidophobe Walti: «Beim Aufsaugen einer kleinen Spinne ist es wichtig, den Staubsauger danach weit weg von zu Hause zu verbrennen.»
Richard Altorfer
ARS MEDICI 11 I 2015
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