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FORTBILDUNG
COPD: Risikofaktoren und Ursachen
Die COPD steht meist im Zusammenhang mit Rauchen. Aus Studien geht jedoch hervor, dass auch genetische Dispositionen, vorgeburtliche Einflüsse und Risikofaktoren in der frühen Kindheit für die Entwicklung der Lunge und das COPD-Risiko im Erwachsenenalter von Bedeutung sind.
Lancet
Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (chronic obstructive pulmonary disease, COPD) steht vor allem mit dem Rauchen in Zusammenhang. Sie manifestiert sich meist in einem Alter zwischen 40 und 50 Jahren. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Ursachen der COPD oft bereits in der frühen Kindheit liegen und dass auch andere Faktoren das Risiko für die Entwicklung einer COPD und den Verlauf der Erkrankung im späteren Leben beeinflussen. In den Richtlinien der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) wird die COPD als unvollständig reversible Obstruktion der Atemwege mit einem Quotienten der Einsekundenkapazität (FEV1) und der forcierten Vitalkapazität (FVC) von weniger als 70 Prozent definiert. Diese Definition ist nach Ansicht der Autoren unzureichend, da diese Messgrössen nur zur Beurteilung der Lungenfunktion dienen. Zudem wird ein verminderter FEV1/FVC-Quotient auch bei Asthma beobachtet. Bei der COPD handelt es sich um eine heterogene Erkrankung im Hinblick auf die klinische Präsentation, die Progression und das Behandlungsansprechen. Als Haupterschei-
MERKSÄTZE
O Rauchen gilt als Hauptrisikofaktor für die Entwicklung einer COPD.
O Genetische Dispositionen, vorgeburtliche Einflüsse und Risikofaktoren in der frühen Kindheit sind für das COPDRisiko ebenfalls von Bedeutung.
O Die Lungenfunktion in der Kindheit beeinflusst die maximale Lungenleistung im Erwachsenenalter.
O Ab einem Alter von 4 bis 6 Jahren ist eine unzureichende Lungenfunktion meist nicht mehr auszugleichen.
nungsformen unterscheidet man eine Atemwegsobstruktion, ein Emphysem oder eine chronische Bronchitis. FEV1, FVC und der Quotient weisen vor allem auf eine Obstruktion der grossen Atemwege hin. Die Schwere der Atemwegsobstruktion wird jedoch vorwiegend durch Veränderungen in den kleinen Atemwegen und im Lungenparenchym bestimmt. Ein Emphysem trägt erst bei stärkerer Ausprägung zur Atemwegsobstruktion bei. Ein schweres Lungenemphysem gilt als unabhängiger Prädiktor für einen schlechteren Gesundheitszustand, einen höheren BODE-Index (Body-Mass-Index, Airflow Obstruction, Dyspnea and Exercise Capacity Index), eine höhere Anzahl an Exazerbationen und eine beschleunigte Progression. Bei Patienten mit zentrilobulärem Emphysem liegt ein höherer Entzündungsgrad in den kleinen Atemwegen vor als bei dem selteneren planlobulären Emphysem. Bei Rauchern und Patienten mit schwerer Atemwegsobstruktion steht symptomatisch häufig eine chronische Bronchitis im Vordergrund, die als Husten mit Schleimproduktion an den meisten Tagen über mehr als drei Monate in zwei aufeinanderfolgenden Jahren definiert wird.
Epidemiologie der Risikofaktoren
Als Hauptrisikofaktor für die COPD gilt zwar das Rauchen, die Erkrankung entwickelt sich jedoch auch bei vielen Personen, die niemals in ihrem Leben geraucht haben. Aus einer Studie geht hervor, dass ungünstige Einflüsse in der frühen Kindheit wie Rauchen der Mutter, Asthma eines Elternteils sowie Asthma und Atemwegsinfektionen in der Kindheit ebenso viel zum COPD-Risiko beitragen wie das Rauchen im Erwachsenenalter. Sogar vorgeburtliche Einflüsse können das COPD-Risiko erhöhen. So weisen Kinder mit geringem Geburtsgewicht und Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft geraucht haben, bereits als Neugeborene eine verminderte Lungenfunktion auf. Diese herabgesetzte Leistungsfähigkeit der Lunge bleibt in gewissem Umfang bestehen und resultiert in einem geringeren Maximalwert der individuellen Lungenfunktion im Alter von 20 bis 25 Jahren (siehe Abbildung). Der niedrige Maximalwert ist wiederum mit einer erhöhten Anfälligkeit für Atemwegssymptome verbunden. In einer Kohortenstudie mit gesunden Personen beeinflusste das Niveau der Lungenfunktion kurz nach der Geburt die Lungenleistung in der dritten Dekade des Lebens. Aus weiteren Kohortenstudien geht hervor, dass die spirometrische Lungenfunktion im Alter von 4 bis 6 Jahren den erreichbaren Maximalwert und somit auch den spirometrischen
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Lungenfunktion (FEV1)
Ausgangswert der altersbedingten Abnahme der Lungenfunktion beeinflusst. Ab einem Alter von 4 bis 6 Jahren ist eine unzureichende Atemwegsfunktion meist nicht mehr aufzuholen. Neben der Lungenentwicklung spielt auch die Reaktivität der Bronchien im Hinblick auf die COPD eine Rolle. Eine bronchiale Hyperreaktivität gilt als Hauptmerkmal von Asthma, zeigt sich aber auch bei COPD. In der Allgemeinbevölkerung geht die Hyperreaktivität der Bronchien der Entwicklung von COPD-ähnlichen Symptomen voran und ist zudem mit einem beschleunigten Verlust der Lungenfunktion verbunden. Die Schwere der Hyperreaktivität hat sich als unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer COPD erwiesen.
Abbildung: Einfluss des Rauchens auf die Lungenfunktion im Verlauf des Lebens (nach Postma 2015)
Kasten:
Risikofaktoren für die COPD im Verlauf des Lebens (nach Postma, 2015)
Familiäre/endogene Faktoren O familiäre COPD O Asthma oder Atopie in der Familie O genetische Prädisposition O bronchiale Hyperreaktivität O Atopie O schwache Lungenfunktion
Perinatale Faktoren O Rauchen der Mutter O Schadstoffexposition der Mutter O Anwendung von Antibiotika O Art der Entbindung O vorzeitige Geburt
Belastungen in der Kindheit O Atemwegsinfektionen O Rauchen der Mutter O Luftverschmutzung in Innenräumen und der Aussenumgebung O starkes Übergewicht O Lungenentwicklungsstörungen
Belastungen im Erwachsenenleben O berufsbedingte Exposition O Biomassenexposition in Innenräumen O Zigarettenrauchen O Verschmutzung der Aussenluft O Luftverschmutzung in Innenräumen
Vorgeburtliche und perinatale Einflüsse
Der wichtigste und am besten untersuchte vorgeburtliche Risikofaktor für die Entwicklung der COPD ist das Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft. Aber auch Atopie oder Bluthochdruck der Mutter führen zu einer beeinträchtigten Lungenfunktion beim Neugeborenen. Perinatale Umstände wie der Zeitpunkt und die Art der Geburt beeinflussen das COPD-Risiko ebenfalls. Eine frühzeitige Geburt ist mit Defiziten der Lungenfunktion verbunden – auch wenn keine Atemunterstützung erforderlich ist. Das gilt sogar für späte Frühgeburten kurz vor dem errechneten Entbindungstermin. Die Entwicklung der Lungenfunktion nach einer vorzeitigen Geburt wird kontrovers diskutiert. Aus manchen Studien geht hervor, dass die Neugeborenen das Defizit in den ersten Lebensjahren aufholen, in anderen Untersuchungen verschlechterte sich die Lungenfunktion im Säuglings- und Kleinkindalter noch weiter. Auch der Geburtsweg steht möglicherweise mit dem COPDRisiko in Zusammenhang, denn er beeinflusst die Art der bakteriellen Kolonisation des Neugeborenen. Eine vaginale Geburt führt vorwiegend zu einer Flora der mütterlichen Vagina und des Darms, während der Kaiserschnitt eine Besiedlung mit Bakterien aus der Umgebung begünstigt. Die Bedeutung des neonatalen Mikrobioms wird kontrovers diskutiert. Es ist jedoch bekannt, dass ein Kaiserschnitt mit einem erhöhten Risiko für Atopie und Nahrungsmittelallergien verbunden ist.
Einflüsse in der frühen Kindheit
Die negativen Einflüsse des Rauchens der Eltern auf die Lungenfunktion ihrer Kleinkinder sind gut dokumentiert. Passives Rauchen induziert Entzündungsvorgänge und oxidativen Stress in der Lunge. Tabakrauch in der Umgebungsluft ist in der Kindheit und im Erwachsenenleben mit einer beeinträchtigten Lungenfunktion und damit auch mit einem erhöhten COPD-Risiko verbunden. Eine Exposition gegenüber anderen Luftschadstoffen ist ebenfalls eine wichtige Ursache für eine unzureichende Entwicklung der Lunge in der Kindheit. Auch die bakterielle Kolonisation der unteren Atemwege beeinflusst die Lungengesundheit. Eine normale immunologische Entwicklung und die Reaktion auf Allergene stehen in engem Zusammenhang mit einer gesunden Atemwegsflora. Alle Einflüsse, die mit Veränderungen dieser bakteriellen Besiedlung verbunden sind – wie eine Antibiotikabehandlung –, könnten daher bedeutende Auswirkungen haben. Die
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Rolle der Atemwegsflora für die Entwicklung der COPD muss noch geklärt werden. Es ist jedoch bekannt, dass Atemwegsinfektionen in der Kindheit das spätere COPD-Risiko beeinflussen. Die Ernährung in der Kindheit spielt für das COPD-Risiko ebenfalls eine Rolle. Eine exzessive Gewichtszunahme im ersten Lebensjahr ist mit einer beeinträchtigten Lungenentwicklung und somit auch mit einem erhöhten COPD-Risiko verbunden.
Genetische Einflüsse
Bei der COPD handelt es sich um eine multifaktorielle Erkrankung, deren Verlauf durch Wechselwirkungen zwischen genetischen Dispositionen und Umwelteinflüssen bestimmt wird. Aus Studien geht hervor, dass bestimmte Gene mit der Schwere der Atemwegsobstruktion und andere mit einer beeinträchtigten Lungenfunktion assoziiert sind. Eine Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelt zeigt sich in der Beobachtung, dass Kinder von Müttern mit einem Nullpolymorphismus des GST-(Glutathion-S-Transferase-)kodierenden Gens besonders empfindlich gegenüber den negativen Auswirkungen des Rauchens sind.
Fazit
Insgesamt kommen die Autoren zu dem Schluss, dass
neben dem Rauchen auch genetische Dispositionen sowie
Einflüsse im Uterus und während der Kindheit für die Ent-
wicklung der Lunge und das COPD-Risiko im Erwachsenen-
alter von Bedeutung sind. Präventionsmassnahmen sollten
daher nicht nur auf eine Beendigung des Rauchens seitens des
COPD-Patienten, sondern auch auf eine Optimierung der
Lungengesundheit vor der Geburt und in der frühen Kindheit
abzielen.
O
Petra Stölting
Postma DS et al.: Risk factors and early origins of chronic obstructive pulmonary disease. Lancet 2015; 385: 899–909.
Interessenkonflikte: 2 der 3 Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.