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FORTBILDUNG
Kompression bei Ulcus cruris, Varizen und Thrombosen
Indikationen und Kontraindikationen der Behandlung mit Strümpfen und Verbänden
Foto: Kiderlen
Die Kompression mit Kompressionsverbänden und medizinischen Kompressionsstrümpfen (MKS) wird bei venös und lymphatisch bedingten Beschwerden und Krankheitsbildern zur Therapie und Prophylaxe eingesetzt. Für eine effektive und sichere Kompressionsbehandlung sind die Indikation, die Anlagetechnik von Verbänden beziehungsweise ein gut sitzender Kompressionsstrumpf sowie Kontraindikationen wie zum Beispiel die dekompensierte Herzinsuffizienz und schwere pAVK zu beachten.
Martin Jobst Kiderlen
Ziele der Kompression sind ein beschleunigter venöser und lymphatischer Rückstrom durch Reduzierung des Gefässquerschnitts und eine Verbesserung der Venenklappenfunktion bei Varikose. Durch die Kompression wird der Gewebedruck erhöht, die kapilläre Filtration wird eingeschränkt und die Reabsorption gesteigert (1, 2). Die Kompressionstherapie ist damit die Basisbehandlung aller phlebologischen und lymphologischen Krankheitsbilder (vgl. Tabelle 1). Absolute Kontraindikationen für eine Kompression sind eine dekompensierte Herzinsuffizienz, eine schwere periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) und eine septische Phlebitis (vgl. Tabelle 2) (2, 13). Durch fehlerhaft angelegte Kompressionsverbände oder schlecht sitzende Kompressionsstrümpfe kann es zu Schmerzen, Einschnürungen und Druckschäden an Haut und Nerven kommen.
Durchführung der Kompressionsbehandlung Die Kompression wird durch Kompressionsverbände oder medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) erreicht. Bei akuten Krankheitsbildern sowie bei ausgeprägter Schwellung
MERKSÄTZE
O Kompressionsverbände erreichen eine Entödemisierung, medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) erhalten das Ergebnis.
O Medizinische Kompressionsstrümpfe werden gewöhnlich aus Langzugmaterialien und rundgestrickt gefertigt.
empfiehlt es sich, die Kompression initial mit Verbänden durchzuführen. Bei der chronisch venösen Insuffizienz wird der Kompressionsverband vorwiegend am Unterschenkel angelegt, da hier die Auswirkung der Insuffizienz am grössten ist (11). Zudem sind die Mobilisation und die Compliance des Patienten bei Unterschenkelverbänden besser als bei Oberschenkelverbänden. Bei der oberflächlichen und tiefen Venenthrombose richtet sich die Höhe des Verbands nach der Ausdehnung der Schwellung und den Beschwerden. Ist die Schwellung abgeklungen, kann ein MKS angepasst werden. Nach proximaler tiefer Beinvenenthrombose tritt bei 20 bis 50 Prozent der Patienten ein postthrombotisches Syndrom (PTS) auf (5). Durch eine langfristige Kompressionstherapie mit einem Anlagedruck von 30 bis 40 mmHg wird die Inzidenz des PTS um etwa die Hälfte reduziert (3, 10). In den ACCP-Leitlinien 2012 wird daher zur Prophylaxe eines PTS eine Kompressionstherapie für zwei Jahre oder länger empfohlen (4). In einer randomisierten, plazebokontrollierten Studie konnten Kahn et al. 2013 jedoch keine Reduktion der Häufigkeit und des Schweregrads eines PTS nach erster durchgemachter tiefer Beinvenenthrombose (TVT) durch Tragen eines MKS mit 30 bis 40 mmHg über einen Zeitraum von zwei Jahren feststellen (14). Kompressionsverbände erreichen eine Entödemisierung, medizinische Kompressionsstrümpfe erhalten das Ergebnis (3, 7, 9).
Kompressionsverbände
Für einen Kompressionsverband eignen sich besonders Kurzzugbinden mit einer Dehnbarkeit von < 100 Prozent. Kurzzugbinden zeichnen sich durch einen hohen Arbeitsdruck und damit durch eine gute Effektivität sowie durch einen niedrigen Ruhedruck mit daher gutem Tragekomfort aus. Der Arbeitsdruck wird durch das Anpressen der Muskulatur beim Gehen gegen den Verband erzeugt, steigert die venöse Pumpleistung und führt zu einer Reduzierung des Ödems. Der Ruhedruck ist der Anpressdruck am ruhenden Bein. Zu hoher Ruhedruck unter Kompressionsmitteln wird vom
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Tabelle 1:
Indikationen für eine Kompression
Varikose
O primäre und sekundäre Varikose O Schwangerschaft O nach Venenoperation oder Sklerosierung O chronisch venöse Insuffizienz O Ulcus cruris (Prävention und Therapie)
Thromboembolie
O tiefe Beinvenenthrombose O Thrombovarikophlebitis O postthrombotisches Syndrom O Thromboseprophylaxe bei RisikoO situationen, z.B. reduzierter Mobilisation
Ödem
O Lymhödem O Lipödem O Schwangerschaft O postoperativ O Immobilität O idiopathisch O Angiodysplasie
sonstige
O Narbenkeloidbehandlung O funktionelle Beschwerden an den Beinen O Schwangerschaft O Reisen
Tabelle 2:
Kontraindikationen für eine Kompression
Absolute Kontraindikationen
O dekompensierte Herzinsuffizienz O schwere pAVK O Phlegmasia coerulea dolens O septische Phlebitis
Relative Kontraindikation
O kompensierte pAVK O schwere Sensibilitätsstörung der Extremität O fortgeschrittene Neuropathie (z.B. Diabetes mellitus) O primär chronische Polyarthritis O Unverträglichkeit gegenüber den verwendeten Materialien O ausgeprägte nässende Dermatosen
Patienten schlecht vertragen und kann zu Hautläsionen führen, besonders bei begleitender pAVK (8, 9). Mit einer Polsterung kann eine möglichst zylindrische Beinform erreicht werden, sodass die Kompression gleichmässig verteilt wird und effektiv wirkt. Zudem werden durch die Polsterung Druckschäden von Haut und Nerven vermieden. Eine gleichmässige Druckverteilung wird erreicht durch Aufpolstern der Einziehungen, zum Beispiel im Knöchelbereich, oder Abpolstern von Knochenvorsprüngen (z.B. Knöchel/Tibiakante/Fibulaköpfchen). Als Polstermaterial werden unter anderem Schaumstoffbinden oder Polsterwatte verwendet, zudem gibt es vorgefertigte Pelotten für die Knöchelregion.
Der Anpressdruck eines Kompressionsverbands muss von distal nach proximal abnehmen. Durch den zunehmenden Beinumfang nach proximal kommt es bei gleichbleibendem Anlagedruck zur gewünschten Druckabnahme. Bei den Kompressionsverbänden werden Wechselverbände und Dauerverbände unterschieden. Der Wechselverband wird über Nacht entfernt und morgens wieder neu angelegt. Dauerverbände verbleiben mehrere Tage bis zu einer Woche. Es können adhäsive beziehungsweise kohäsive Binden verwendet werden, die ein Verrutschen des Verbands effektiv verhindern. Eine adäquate Polsterung von Knochenvorsprüngen und Schienbeinkante sowie die korrekte Anlagetechnik sind besonders wichtig, um Druckschäden zu vermeiden. Von der Industrie werden Dauermehrlagenverbände angeboten, die zum Teil für den Einmalgebrauch gedacht (z.B. Profore® Smith&Nephew) oder waschbar und damit wiederverwendbar sind (z.B. Comprilan®plus BSN, Rosidal sys® Lohmann&Rauscher). Durch die Verwendung mehrerer Lagen, bestehend aus Polsterung, Kompressionsbinden und Fixierbinden, kann ein hoher Tragekomfort bei hohem Kompressionsdruck erreicht werden. Die Grundregeln und Empfehlungen der Anlagetechnik eines Kompressionsverbands werden in Tabelle 3 dargestellt. Das Bandagieren selbst muss praktisch geübt werden. Material, Bindenbreite und Polsterung sowie die Anlagetechnik müssen auf den Patienten abgestimmt sein. Im Video (http:// allgemeinarzt-online.de/a/1619743) wird die Wickeltechnik, modifiziert nach Sigg, bei Anlage eines Mehrlagenverbands gezeigt.
Medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS)
Der MKS wird gewöhnlich aus Langzugmaterialien gefertigt, da er sonst nicht genügend dehnbar wäre und nicht angezogen werden könnte (11). Es werden rundgestrickte und flachgestrickte MKS unterschieden. Der handelsübliche rundgestrickte MKS wird nahtlos von einer Maschine gefertigt und ist in unterschiedlichen Längen erhältlich (Tabelle 4) (13). Die Masse des Beins werden an definierten Punkten genommen. Stimmen sie mit den vorhandenen Konfektionsgrössen überein, kann ein Serienkompressionsstrumpf verordnet werden, andernfalls ist eine Massanfertigung erforderlich (13). Haben die Beine eine unterschiedliche Form, müssen beide Beine einzeln vermessen werden. Kompressionsstrümpfe sollten am entstauten Bein abgemessen werden, daher empfiehlt es sich, die Masse der Beine morgens beziehungsweise nach Behandlung mit einem Kompressionsverband zu nehmen. Die Zehenpartie kann offen oder geschlossen sein, es stehen unterschiedliche Strumpfmaterialien und Haftbänder zur Verfügung, sodass auch bei selten auftretenden Unverträglichkeiten Alternativen angeboten werden können. Flachgestrickte MKS haben eine Naht und sind hauptsächlich zur Behandlung lymphatischer Krankheitsbilder indiziert. Sie können sehr passgenau für jeden Körperteil hergestellt werden und haben durch das etwas dickere und steifere Material eine sehr effektive Kompressionswirkung. Entscheidend für die Wirksamkeit der Kompressionsstrümpfe sind neben dem Anpressdruck auch das verwendete Material und die Elastizität. Es werden die Kompressionsklassen I bis IV unterschieden, der angegebene Druck bezieht sich auf den Druck an der Fessel (B-Mass) (Tabelle 5).
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Tabelle 3:
Anlagetechnik für einen Kompressionsverband
O Fuss 90˚ flektieren. O Ausreichende Polsterung. O Unterschenkelverband von den Zehengrundgliedern bis zum
proximalen Oberschenkel unter Einschluss der Ferne des Knies. O Oberschenkelverband von den Zehengrundgliedern bis zum
Fibulaköpfchen unter Einschluss der Ferse. O Der Bindenkopf sollte nach aussen gerichtet sein. O 8 cm Binde für Fuss und OSG,10 cm Binde für den Unterschen-
kel, 12 cm Binde für den Oberschenkel. O Die Binde wird vorgespannt und mit gewünschtem Druck ange-
legt. O Binde eng und faltenfrei am Bein führen und der Form des Bei-
nes folgen. O Die Binde sollte sich hälftig überlappen. O Beim Oberschenkelverband empfehlen sich eine 8er-Tour im
Kniebereich für eine bessere Beweglichkeit und eine Schaumstoffbinde am Oberschenkel unter die Kurzzugbinde, um ein Verrutschen zu vermeiden. O Der Patient muss nach Anlage des Verbandes gehen und darf keine Schmerzen empfinden. O Beim modifizierten Verband nach Sigg wird die Binde am Unterschenkel wechselnd nach einer halben Tour nach proximal bzw. nach distal geführt. Hierdurch entsteht das typische «Kornährenmuster» des Verbandes, und die Binde wird mit gleichmässigem Druck auf der ganzen Bindenbreite angelegt.
Tabelle 4:
Unterschiedliche Längen von Kompressionsstrümpfen*
A–D Unterschenkelstrumpf A–F Halbschenkelstrumpf (Mitte Oberschenkel) A–G Schenkelstrumpf (prox. Oberschenkel) A–T Strumpfhose
* Nach den Leitlinien Medizinischer Kompressionsstrumpf 2006 der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie.
Tabelle 5:
Kompressionsklassen in mmHg
I 18–21 leicht II 23–32 mittel III 34–46 stark IV > 49 sehr stark
Nach den Leitlinien Medizinischer Kompressionsstrumpf 2006 der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie
Tabelle 6:
Tipps und Tricks für MKS
O Gummihandschuhe zum Anziehen verwenden. O Nicht mit den Fingernägeln am Strumpf ziehen. O Nur bei trockener Haut den MKS anziehen. O Beinteil raffen und mit dem Fuss ganz rein, O bis die Ferse gut sitzt. O Hochstreifen bzw. «Massieren» des Strumpfes. O Der Strumpf soll entspannt auf der Haut liegen O und nicht maximal längsgedehnt sein.
Für die Kompressionsstrumpfversorgung beim Ulcus cruris
stehen von verschiedenen Firmen Kompressionsstrumpfsys-
teme zur Verfügung (z.B. Ulcer X® Sigvaris, Ulcertec® Bauer-
feind). Diese bestehen aus zwei Strümpfen, der erste hat einen
geringeren Kompressionsdruck, kann dadurch trotz des
Ulkusverbands relativ leicht angezogen werden und fixiert
den Ulkusverband. Der zweite Strumpf rutscht dann leichter
über den ersten Strumpf. Die Kompressionsdrücke der bei-
den Strümpfe addieren sich. Speziell für die Behandlung von
Ulzera gefertigte Kompressionsstrümpfe können gleich-
wertige Ergebnisse bei der Heilung der Ulzera erzielen wie
Kompressionsverbände (6, 12).
Die Kompressionsklasse richtet sich nach der Indikation und
muss auf den Patienten abgestimmt sein. Für die meisten
phlebologischen Krankheitsbilder ist die Kompressions-
klasse II ausreichend. Bei zum Beispiel akuten TVT, schwerer
chronisch venöser Insuffizienz, schwerem postthromboti-
schem Syndrom oder Lymphödem ist die Kompressions-
klasse III beziehungsweise IV indiziert. Bestehen Schwierig-
keiten beim Anziehen eines Strumpfs der Kompressions-
klasse III beziehungsweise IV, können auch zwei Strümpfe
der Kompressionsklasse II übereinander angezogen werden.
Bei leichter Ödemneigung und zur Prophylaxe in der
Schwangerschaft ist Kompressionsklasse I beziehungsweise II
ausreichend.
Das Anziehen der Kompressionsstrümpfe ist für ältere und
multimorbide Patienten häufig ein Problem. Eine gute Schulung
durch das Sanitätshaus ist erforderlich (vgl. auch Tabelle 6).
An technischen Hilfsmitteln zum Anziehen der MKS stehen
Gleithilfen (z.B. Easy Slide®) sowie Anziehhilfen mit Arm-
verlängerung (z.B. medi Butler®) zur Verfügung. Letztere ist
bei Patienten mit Rückenbeschwerden oder ausgeprägter
Adipositas, die nicht gut an die Füsse kommen, indiziert. Ten-
denziell sind etwas dickere und robustere Strümpfe leichter
anzuziehen als sehr dünne Strümpfe. Für eine gute Patienten-
compliance sind die Aufklärung über den Nutzen der Kom-
pressionstherapie und die richtige Kompressionsstrumpfver-
sorgung durch den Arzt wichtig.
O
Dr. med. Martin Jobst Kiderlen Venenzentrum Freiburg, D-79108 Freiburg
Interessenkonflikte: keine deklariert
Literatur unter www.arsmedici.ch
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 4/2014. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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Literatur: 1. AWMF-Leitlinie: Diagnostik und Therapie des Ulcus cruris. Registrierungsnummer:
037-009. 2. AWMF-Leitlinie: Phlebologischer Kompressionsverband. Registrierungsnummer:
037-005. 3. Brandjes DP et al.: Randomised trial of effect of compression stockings in patients
with symptomatic proximal-vein thrombosis. Lancet 1997; 349: 759–762. 4. Guyatt GH et al.: Executive Summary: Antithrombotic Therapy and Prevention of
Thrombosis, 9th ed: American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines. Chest 2012; 141(2 Suppl): 7S–47S. 5. Hirsch J (2008) Guidlines for Antithrombotic Therapy, 8th ed. BC Decker, Hamilton. 6. Jünger M et al.: Efficacy and tolerability of an ulcer compression stocking for therapy of chronic venous ulcer compared with a below-knee compression bandage: results from a prospective, randomized, multicentre trial. Curr Med Res Opin 2004; 20: 1613–1623. 7. Mayberry JC, Moneta G, Taylor L, Port J: Fifteen-year results of ambulatory compression therapy for chronic venous ulcers. Surgery 1991; 109: 575–581. 8. Mosti G, Partsch H: Is low compression pressure able to improve venous pumping function in patients with venous insufficiency? Phlebology 2010; 25: 145–150. 9. Partsch H, Horovka M: Kompressionsbestrumpfung zur Behandlung venöser Unterschenkelgeschwüre. WMW 1994; 144: 242–249. 10. Prandoni P et al.: Below-knee elastic compression stockings to prevent the postthrombotic syndrome: a randomized, controlled trial. Ann Intern Med 2004; 141: 249–256. 11. Rabe E, Pannier F: Grundlagen der Phlebologie, 3. Aufl. Viavital, Köln. 12. Vanscheidt W et al.: Tubulcus®-Kompressionstherapie des venösen Ulcus cruris. Phlebologie 2004; 33: 12–16. 13. Wienert V et al: Leitlinie Medizinischer Kompressionsstrumpf. Phlebologie 2006; 35: 315–320. 14. Kahn SR et al.: Compression stockings to prevent post-thrombotic syndrome: a randomised placebo-controlled trial. Lancet 2014; 383: 880–888.
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