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STUDIE REFERIERT
Blutdruck bei Typ-2-Diabetikern strenger kontrollieren?
Ergebnisse einer aktuellen Metaanalyse lassen Zweifel an aktuellen Leitlinienempfehlungen aufkommen
Liegt zusätzlich zum Diabetes eine Hypertonie vor, steigt das Risiko für mikro- und makrovaskuläre Diabeteskomplikationen sowie für frühzeitigen Tod deutlich an. Dennoch wurden beispielsweise in der JNC-8-Leitlinie die Blutdruckziele für Diabetiker erst kürzlich gelockert. Zu Recht?
JAMA
Typ-2-Diabetes geht mit einem deutlich erhöhten Risiko für makrovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall einher. Hinzu kommen mikrovaskuläre Störungen, die zu Schäden an Augen und Nieren führen. Die Blutdruckwerte sind bei Diabetespatienten im Durchschnitt höher als bei Nichtdiabetikern, und ein erhöhter Blutdruck ist bei Menschen mit Diabetes ein bekannter Risikofaktor. Die Blutdrucksenkung bei Diabetikern wird derzeit kontrovers diskutiert, wobei Uneinigkeit darüber besteht, welchen Patienten eine blutdrucksenkende Therapie angeboten werden sollte und welche Zielblutdruckwerte anzustreben sind. Verschiedene aktuelle Leitlinien konzentrieren sich auf Diabetiker, bei denen eine Hypertonie diagnostiziert wurde, und die neuen Zielwerte für die Blutdrucksenkung
MERKSÄTZE
O Die aktuelle JNC-8-Leitlinie empfiehlt, bei Diabetikern ab einem systolischen Blutdruckwert von 140 mmHg mit einer blutdrucksenkenden Therapie zu beginnen.
O Die vorliegende Metaanalyse ergab jedoch, dass auch Patienten mit einem systolischen Ausgangswert von unter 140 mmHg von einer Blutdrucksenkung profitieren können und dass eine Senkung unter 130 mmHg systolisch bei Diabetikern mit bestimmten Risikofaktoren sinnvoll sein kann.
sind in diesen Leitlinien weniger aggressiv als in älteren Guidelines. Es ist unklar, ob die neuen Leitlinien im Hinblick auf die Empfehlungen zur Blutdrucksenkung die gesamte Evidenzlage zu Patienten mit Typ-2-Diabetes berücksichtigt haben. Um dieser Frage nachzugehen, führte ein britisch-australisches Forscherteam eine umfangreiche Literaturrecherche und Metaanalyse durch. Sie suchten Publikationen zur blutdrucksenkenden Therapie bei Diabetespatienten (unabhängig davon, ob eine definierte Hypertonie vorlag oder nicht), die in der Zeit von Januar 1966 bis Oktober 2014 veröffentlicht worden waren (1). Ziel der Autoren war es herauszufinden, in welchem Umfang eine blutdrucksenkende Behandlung mit einem geringeren Risiko für makro- und mikrovaskuläre Outcomes assoziiert ist. Dabei galt das besondere Interesse der Kollegen den Parametern Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Ereignisse, koronare Herzkrankheit (KHK), Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Retinopathie, neu aufgetretene oder sich verschlechternde Albuminurie sowie Niereninsuffizienz (1).
Ergebnisse
Für die Metaanalyse wurden 40 randomisierte, kontrollierte Studien mit insgesamt 100 354 Teilnehmern berücksichtigt. Die Auswertung ergab, dass eine Senkung des systolischen Blutdrucks um 10 mmHg mit einer signifikanten Senkung der Mortalität um 13 Prozent assoziiert war. Kardiovaskuläre Ereignisse wurden um 11 Pro-
zent, koronare Ereignisse um 12 Prozent und Schlaganfälle um 27 Prozent signifikant reduziert. Die Reduktion der Parameter Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz erreichte dagegen keine statistische Signifikanz. Mikrovaskuläre Ereignisse konnten durch eine Senkung des systolischen Blutdrucks um 10 mmHg signifikant reduziert werden: Retinopathien traten um 13 Prozent, Albuminurien um 17 Prozent seltener auf (1). Zwar wurden alle Ergebnisse einschliesslich Mortalität reduziert, wenn der systolische Blutdruck von einem Wert von 140 mmHg oder höher in den Bereich von 130 bis 140 mmHg gesenkt wurde. Doch konnte im Hinblick auf die Parameter Schlaganfall und Albuminurie ein noch grösserer Nutzen erzielt werden, wenn der Blutdruck auf Werte unter 130 mmHg reduziert wurde oder wenn auch Ausgangswerte von unter 140 mmHg gesenkt wurden (1).
Sind die neuen Leitlinienempfeh-
lungen zu lasch?
Die Ergebnisse dieser Metaanalyse führen potenziell zu anderen Empfehlungen als verschiedene aktuelle Guidelines. Beispielsweise hob die neue JNC-8-Leitlinie (Eighth Joint National Committee) den Schwellenwert, ab dem bei Diabetikern eine blutdrucksenkende Therapie begonnen werden sollte, von 130 auf 140 mmHg an. Die Entscheidung der JNC-8-Autoren beruht unter anderem auf der ACCORDStudie, die einen Zielwert von unter 120 mmHg mit einem Zielwert von unter 140 mmHg verglich. In der ACCORD-Studie wurde keine signifikante Reduktion des kombinierten Endpunkts aus kardiovaskulärem Tod, nicht letalem Herzinfarkt und nicht letalem Schlaganfall beobachtet. Obwohl die Autoren der aktuellen Metaanalyse ebenfalls feststellten, dass eine Blutdrucksenkung ab einem systolischen Ausgangswert von unter 140 mmHg nicht mit einem geringeren Risiko für zerebrovaskuläre oder KHK-Ereignisse assoziiert war, beobachteten sie, dass das Risiko für Schlaganfall, Retinopathie und progrediente Albuminurie niedriger war. Deshalb sollte ihrer Ansicht nach – im Gegensatz zu den Empfehlungen der JNC-8-Guideline – bei Patienten mit entsprechenden Risiken wie etwa zerebrovaskulärer Erkrankung
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STUDIE REFERIERT
oder nicht proliferativer diabetischer Retinopathie die Einleitung einer antihypertensiven Therapie schon ab einem systolischen Ausgangswert unter 140 mmHg und auf einen Zielwert unter 130 mmHg erwogen werden (1).
Nebenwirkungen der Blutdruck-
senkung mitbedenken
Dabei müssen natürlich auch die potenziellen Nebenwirkungen der Blutdrucksenkung berücksichtigt werden. Dies erfordert eine individuelle Bewertung von möglichen Nutzen und Risiken sowie eine gemeinsame Entscheidung von Patient und Arzt. In der ACCORD-Studie traten ernste Nebenwirkungen, die auf die antihypertensive Therapie zurückgeführt wurden, in der intensiv behandelten Gruppe (die einen Blutdruck von 119 mmHg erreichte), 2,5-mal häufiger auf als in der Kontrollgruppe (die einen Blutdruck von 133 mmHg erzielte). Jedoch war die absolute Rate an ernsten Nebenwirkungen in der intensiv behandelten Gruppe gering und wesentlich niedriger als die Rate des primären Endpunkts (0,70% pro Jahr vs. 1,87% pro Jahr). Möglicherweise ist das Risiko für einige wichtige unerwünschte Wirkungen höher, wenn der Blutdruck stark gesenkt wird.
Die Autoren fordern eine Metaanalyse zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen, in der individuelle Patientendaten untersucht werden – stratifiziert nach Patientenmerkmalen, Ausgangsblutdruck und Antihypertensivaklassen, um belastbare Daten über Risiken und Nutzen zu gewinnen (1).
Den Kontext des Patienten
berücksichtigen
Die Ergebnisse der vorgestellten Metaanalyse weisen darauf hin, dass die Empfehlungen der aktuellen Leitlinien hinsichtlich des Blutdruckschwellenwerts, ab dem antihypertensiv behandelt werden sollte, und der Blutdruckzielwerte für einige Patienten zu konservativ sind, wie es in einem begleitenden Editorial (2) heisst. Leitlinien dürften nicht starr umgesetzt werden, sondern sollten immer im Kontext des einzelnen Patienten gesehen werden. Klinische Studien zur Behandlung der Hypertonie (auf denen Leitlinienempfehlungen basieren) würden oft mit älteren, multimorbiden Patienten und über eine relativ kurze Zeit durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Studien können aber nach Ansicht des Editorialisten nicht ohne Weiteres auf jüngere Patientengruppen übertragen werden, die noch gar keine Diabeteskomplika-
tionen entwickelt haben und diese auch
möglichst vermeiden möchten. Diese
jüngeren Patienten würden eine Blut-
drucksenkung in Richtung auf die
biologische Norm (d.h. < 130 mmHg) und wahrscheinlich sogar auf unter 120 mmHg besser tolerieren als der «typische» Patient in klinischen Stu- dien. Und diese jüngeren Patienten würden höchstwahrscheinlich auch von einer strengeren Blutdruckeinstel- lung profitieren. Daher erscheint es nach Ansicht des Autors vernünftig, bei jüngeren Diabetikern – und insbeson- dere bei denjenigen mit einer Albu- minurie oder mit anderen mikro- oder makrovaskulären Frühmanifestatio- nen – eine aggressivere Blutdrucksen- kung in Erwägung zu ziehen, als dies in den gültigen Leitlinien befürwortet wird (2). O Andrea Wülker Quellen: 1. Emdin CA et al.: Blood pressure lowering in type 2 dia- betes: a systematic research and meta-analysis. JAMA 2015; 313(6): 603–615. 2. Williams B: Treating hypertension in patients with diabetes: when to start and how low to go? JAMA 2015; 313(6): 573–574. Interessenlage: Die Autoren haben Stipendien und/oder Honorare von verschiedenen Institutionen und/oder Pharmaunternehmen erhalten. ARS MEDICI 9 I 2015 497