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STUDIE REFERIERT
Intravitreale Injektionen bei diabetischem Makulaödem
Sind Bevacizumab, Ranibizumab und Aflibercept gleich wirksam?
Im direkten Vergleich erwiesen sich Bevacizumab, Ranibizumab und Aflibercept bei den meisten Patienten mit diabetischem Makulaödem als vergleichbar wirksam. Nur bei Patienten mit geringerem Sehvermögen zu Beginn der Therapie schnitt Aflibercept besser ab.
New England Journal of Medicine
Für die Behandlung bei diabetischem Makulaödem (DME; diabetic macular edema) sind in der Schweiz die Antikörper Ranibizumab (Lucentis®) und Aflibercept (Eylea®) zur intravitrealen Injektion zugelassen. Off label wird auch das wesentlich günstigere Bevacizumab (Avastin®) eingesetzt. Es ist für diese Indikation allerdings weder in der Schweiz noch in einem anderen Land zugelassen. Alle drei Antikörper binden an den endothelialen Wachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor) und hemmen dadurch die Angiogenese.
Um welche Patienten geht es? In die Studie (1) wurden 660 erwachsene Typ-1- und Typ-2-Diabetiker mit einem die zentrale Sehschärfe beeinträchtigenden DME aufgenommen. Im Mittel betrug das Alter der Probanden 61 ±10 Jahre. 90 Prozent der Studienteilnehmer hatten Typ-2-Diabetes seit 17 ±11 Jahren. Die Sehschärfe wurde mit dem ETDRS Visual Acuity Score gemessen, einer Tafel Buchstabenreihen in abnehmender Grösse. 85 korrekt abgelesene
MERKSÄTZE
O Bei Patienten mit diabetischem Makulaödem sind Bevacizumab, Ranibizumab und Aflibercept gleich gut wirksam, sofern der Visus noch recht gut ist.
O Bei Patienten mit einer Sehschärfe ≤ 69 gemäss EDTRS (≤ 20/50 gemäss Snellen-Skala) wirkt Aflibercept am besten.
Buchstaben entsprechen einem Visus von 100 Prozent beziehungsweise 20/20 gemäss Snellen-Skala. In die Studie wurden DME-Patienten aufgenommen, die auf mindestens einem Auge 78 bis 24 Buchstaben korrekt ablesen konnten; dies entspricht 20/32 bis 20/320 gemäss Snellen-Skala. Bei der Hälfte der Probanden waren es 78 bis 69 Buchstaben (20/32 bis 20/40), was als noch recht gute Sehschärfe klassifiziert wurde. Eine Sehschärfe von unter 69 Punkten (20/50 oder schlechter) galt als schlechter Visus. Die Probanden durften in den 12 Monaten vor Beginn der Studie nicht mit einer Anti-VEGF-Therapie behandelt worden sein. Die Probanden wurden in drei gleich grosse Gruppen randomisiert. Jeweils ein Auge wurde als «Studienauge» definiert, das heisst, nur die Resultate an diesem Auge wurden in der Studie berücksichtigt. Falls auch das zweite Auge behandelt werden musste, verwendete man den gleichen Antikörper wie im Studienauge.
Welche Therapien
wurden verglichen?
Die Probanden erhielten intravitreale Injektionen mit einem Volumen von jeweils 0,05 ml mit Bevacizumab (n = 218; 1,25 mg), Ranibizumab (n = 218; 0,3 mg; niedrigere Dosis als in der Schweiz zugelassen mit 0,5 mg in Lucentis®) oder Aflibercept (n = 224; 2,0 mg; entspricht Eylea®-Dosierung in der Schweiz). Die Injektionen erfolgten im Abstand von 4 Wochen, bis eines der folgenden Kriterien erreicht war:
O Sehschärfe von mindestens 20/20 bei Rückgang der Foveadicke unter den Grenzwert für den Einschluss in die Studie;
O keine Verbesserung des Visus nach den letzten beiden Injektionen (d.h. innerhalb von 8 Wochen);
O keine Verschlechterung des Visus nach den letzten beiden Injektionen.
Als Verbesserung galt das Erkennen von mindestens 5 Buchstaben mehr (entspricht ca. 1 Snellen-Linie) oder ein Rückgang der Foveadicke um mindestens 10 Prozent. Als Verschlechterung war eine Abnahme des Visus um mindestens 5 Buchstaben beziehungsweise eine Verdickung der Fovea um mindestens 10 Prozent definiert. Unabhängig von Sehschärfe und Foveadicke wurden die Injektionen ab der 24. Studienwoche (nach max. 6 Injektionen) eingestellt, falls sich nach zwei aufeinander folgenden Injektionen weder eine Besserung noch eine Verschlechterung zeigte. Die Injektionen wurden jedoch wieder aufgenommen, falls eine Verschlechterung eintrat. Nach der 24. Studienwoche konnte zusätzlich eine Laserbehandlung – vor Einführung der VEGF-Hemmer die gängige Therapie – erfolgen. Die Wirksamkeit der Therapien wurde nach einem Jahr bewertet (nach max. 13 Injektionen). Die Resultate nach zwei Jahren sollen zu einem späteren Zeitpunkt publiziert werden.
Resultate
Bei einem Ausgangsvisus von 20/32 bis 20/40 erfolgten im Mittel 9 Injektionen in jeder der drei Studiengruppen (zusätzlich Laser: 36% Aflibercept, 43% Ranibizumab, 47% Bevacizumab). Bei einem Ausgangsvisus von 20/50 oder schlechter waren es 10 Injektionen mit Aflibercept oder Ranibizumab und 11 Injektionen mit Bevacizumab (zusätzlich Laser: 37% Aflibercept, 50% Ranibizumab, 65% Bevacizumab). Die Verbesserung der Sehschärfe im gesamten Studienkollektiv war in der Aflibercept-Gruppe am besten. Sie betrug im Mittel nach einem Jahr mit Aflibercept +13,3 Buchstaben gegenüber +11,2 mit Ranibizumab und +9,7 mit Bevacizumab. Diese Unterschiede seien zwar statistisch signifikant, führten klinisch betrachtet jedoch in die Irre, so die Studienautoren. Aflibercept
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STUDIE REFERIERT
NACHGEFRAGT
Dr. med. Frank Sachers, Augenzentrum Bahnhof Basel
«Mit der Schweizer Situation nicht vergleichbar»
ARS MEDICI: Herr Dr. Sachers, wie sind die Ergebnisse dieser Studie und die daraus abgeleiteten Forderungen der Autoren des begleitenden Editorials im Hinblick auf die Schweiz zu bewerten? Dr. med. Frank Sachers: Die hier vorgestellte Studie wurde von den amerikanischen Gesundheitsbehörden mit dem Anliegen finanziert, Kosten zu senken. Die daraus abgeleitete Forderung einer primären Behandlung mit off label einzusetzenden Medikamenten ist doch recht weit entfernt von der aktuellen Schweizer Situation. Der Anteil des off label eingesetzten Bevacizumabs ist in der Schweiz relativ gering und deutlich kleiner als in anderen Ländern, wie etwa Deutschland. Solange Medikamente mit entsprechender Indikation vorhanden sind und von den Krankenkassen vergütet werden, ist das Interesse sowohl der Augenärzte als auch der Patienten an nicht zugelassenen kostengünstigeren Alternativen gering.
ARS MEDICI: Was ist zu beachten, falls man doch das Off-label-Medikament verwenden möchte? Sachers: Für Augenärzte würde der Einsatz neben dem grundsätzlichen Haftungsproblem einen erheblichen Mehraufwand bedeuten. Zunächst einmal sind die logistischen Bedingungen schwierig. Der Verkauf ausgeeinzelter Dosen etwa von Bevacizumab ist speziell zertifizierten Apotheken vorbehalten; machen es andere oder macht man es selbst, so steht man immer mit einem Bein ausserhalb der Legalität. Aber auch die Verabreichung eines Off-label-Präparates ist aufwendig. Zum einen bedarf es einer zusätzlichen Absicherung in der Haftpflichtversiche-
rung, und es muss jedesmal begründet werden, warum die nicht zugelassene Alternative verwendet werden soll. Zum anderen müssen die Patienten explizit darüber aufgeklärt werden, dass man aus Kostengründen ein nicht für diese Indikation zugelassenes Produkt verabreichen möchte, obwohl es ein zugelassenes Produkt gibt, das von der Krankenkasse ebenfalls bezahlt wird. Dafür haben die Allerwenigsten Verständnis. Ich selbst habe nur wenige Patienten, die aus volkswirtschaftlichem Interesse auf der günstigeren Variante bestehen – und das auch in dieser Form schriftlich dokumentieren.
ARS MEDICI: Welche Chancen sehen Sie, am Off-label-Status der günstigeren Variante etwas zu ändern? Sachers: Um dem rechtlichen Dilemma zu entkommen, hat die Schweizer Fachgesellschaft für Ophthalmologie versucht, beim BAG einen Antrag auf eine entsprechende Zulassung von Bevacizumab zu stellen, aber das kann lediglich der «Inverkehrsbringer», der daran allerdings nicht interessiert ist. Damit sich etwas ändert, müsste ein entsprechender gesellschaftlicher Druck allenfalls von den Krankenkassen oder dem Gesetzgeber ausgehen.
ARS MEDICI: Mittlerweile ist in der Schweiz auch Aflibercept zu völlig unterschiedlichen Preisen sowohl in ophthalmologischer als auch onkologischer Indikation zugelassen. In der Studie schnitt es bei bestimmten Patienten etwas besser ab als die beiden anderen Medikamente. Sollte man also, wenn schon, Aflibercept nehmen, und welches Medikament?
Sachers: Neben Ranibizumab als Lucentis® bietet Aflibercept als Eylea® eine weitere zugelassene Option zur Therapie der AMD und DME. Bei Aflibercept wird aus den gleichen Gründen wie bei Bevacizumab auf die Verwendung von Zaltrap®, dem onkologisch zugelassenen Aflibercept, verzichtet. Aflibercept scheint bei den schwereren Fällen einer DME möglicherweise etwas besser zu sein als Ranibizumab. Für eine endgültige Bewertung fehlen jedoch die längerfristigen Erfahrungen. Auch gibt es Umsteiger, die nach längerer Verwendung von Ranibizumab unter der neuen Substanz wieder etwas besser ansprechen. Aber wir wissen noch nicht, ob das am Wechsel oder an Aflibercept selbst liegt. Noch sind die Erfahrungen mit dem neuen Präparat begrenzt, es ist zum Beispiel zur Therapie der DME erst seit Beginn diesen Jahres in der Schweiz zugelassen. Einen ähnlichen Wechseleffekt konnte man zuvor auch unter Lucentis® und Avastin® beobachten.
ARS MEDICI: Welche Bedeutung hat heut-
zutage die Lasertherapie bei DME?
Sachers: Ob eine zusätzliche Laserthera-
pie angezeigt ist, hängt von der Form der
diabetischen Retinopathie ab. Bei einer
fokalen diabetischen Makulopathie bei-
spielsweise besteht nach wie vor eine La-
serindikation, gegebenenfalls zusammen
mit der Injektion von Aflibercept oder Ra-
nibizumab. Wie es weitergeht, wird sich
noch weisen: In aktuellen Studien schnitt
die Lasertherapie allein im Vergleich zur
medikamentösen Therapie schlechter ab,
und eine Kombination aus Laser und Afli-
bercept genauso gut wie Letzteres allein.
Allerdings hofft man, dass dadurch mög-
licherweise etwas weniger Injektionen
erforderlich sein werden. Als Nebenwir-
kung beim Lasereinsatz kommt es zu
kleinen Gesichtsfeldausfällen. Für die
Lasertherapie spricht die Hoffnung, dass
man eventuell Gefässe so abdichten
könne, dass langfristig deutlich weniger
gespritzt werden muss.
O
Das Interview führte Christine Mücke.
schnitt nämlich nur bei den Patienten mit einem schlechten Ausgangsvisus von ≤ 69 Buchstaben (20/50) am besten ab (Aflibercept +18,9; Ranibizumab +14,2; Bevacizumab +11,8). Bei einem noch gutem Visus von 78 bis 69 Buchstaben (20/32 bis 20/40) war hingegen kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den drei Substanzen
feststellbar (Aflibercept +8,0; Ranibizumab +8,3; Bevacizumab +7,5). Auch bei der Entwicklung der Foveadicke zeigten sich deutlichere Unterschiede zwischen Aflibercept/Ranibizumab und Bevacizumab nur bei den Patienten mit dem schlechteren Visus bei Behandlungsbeginn.
Es gab keine statistisch signifikanten Unterschiede bei den Nebenwirkungen der drei Substanzen, mit Ausnahme einer höheren Rate kardiovaskulärer Ereignisse unter Ranibizumab (17% mit Ranibizumab vs. 9% mit Aflibercept oder Bevacizumab). Vergleichbares ist aus anderen Studien zur DME bis jetzt nicht bekannt. Darum gehen die Stu-
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STUDIE REFERIERT
Kostendiskussion um VEGF-Hemmer in der Ophthalmologie
Die Kostenunterschiede der VEGF-Hemmer mit ophthalmologischer oder onkologischer Zulassung sind beträchtlich. In der Schweiz kostet eine Dosis Ranibizumab (Lucentis®) oder Aflibercept zur intravitrealen Anwendung (Eylea®) 1067 Fr. Eine Dosis Aflibercept mit onkologischer Indikation (Zaltrap®), die theoretisch für 50 Injektionen am Auge reichen würde, kostet hingegen nur 532 Fr. In einer ähnlichen Grössenordnung liegt der Preis für das ebenfalls nur für onkologische Indikationen zugelassene Bevacizumab (Avastin®). Im Ausland wird darum häufig Bevacizumab off label in der Ophthalmologie eingesetzt. Weil der Hersteller keine passenden Dosierungen verkauft, muss das Medikament unter sterilen Bedingungen aus den Fläschchen für die Onkologie entnommen und neu portioniert werden. Die Injektion mit Bevacizumab schlägt nur mit etwa 30 Fr. zu Buche, über 30-mal weniger als Injektionen mit den offiziell in der Ophthalmologie zugelassenen VEGF-Hemmern. Aus Sicht des Schweizer Bundesrates* könne man hierzulande nichts an der Situation ändern, dass der günstigere VEGF-Hemmer Bevacizumab in der Ophthalmologie nicht zugelassen ist, weil es keine rechtliche Grundlage gebe, den Hersteller dazu zu zwingen.
RBOO
*Antwort des Bundesrates vom 12.9.2014 auf die Interpellation «Avastin/Lucentis. Was kann der Bundesrat unternehmen?» von Isabelle Moret am 20.6.2014 (14.3649 n Ip.).
sei aber auch bei diesen Patienten eine
Alternative, zumal es wesentlich billi-
ger ist.
Die für ophthalmologische Indikatio-
nen zugelassenen VEGF-Hemmer sind
um ein Vielfaches teurer als der gleiche
(Aflibercept) oder vergleichbare (Beva-
cizumab) VEGF-Hemmer in der Onko-
logie (s. Kasten). Da nicht nur bei DME,
sondern auch bei anderen ophthalmo-
logischen Patienten (z.B. altersbedingte
feuchte Makuladegeneration) Studien
die Äquivalenz der Wirksamkeit von
Ranibizumab und Bevacizumab bele-
gen, fordern die Autoren des Editorials,
die Hindernisse für den Gebrauch
des um ein Vielfaches günstigeren Be-
vacizumab in der Ophthalmologie zu
beseitigen.
O
Renate Bonifer
dienautoren davon aus, dass es sich um einen Zufall handeln könnte, mahnen jedoch zu erhöhter Aufmerksamkeit bezüglich kardiovaskulärer Nebenwirkungen in künftigen Studien.
Was bedeutet das für die Praxis? Die Autoren eines begleitenden Editorials (2) weisen darauf hin, dass 75 Prozent der DME-Patienten bei Diagnosestellung noch eine Sehschärfe von
20/40 oder besser aufweisen. Da sich in der Studie zwischen den drei Substanzen bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit keine Unterschiede in diesem Patientenkollektiv zeigten, sei für DMEPatienten mit einem Visus von mindestens 20/40 das wesentlich günstigere Bevacizumab die erste Wahl. Für Patienten mit einem Visus von 20/50 oder schlechter sollte hingegen Aflibercept die erste Wahl sein. Bevacizumab
1. The Diabetic Retinopathy Clinical Research Network: Aflibercept, Bevacizumab, or Ranibizumab for diabetic macular edema. N Engl J Med 2015; published online Feb 18, 2015.
2. Martin DF, Maguire MG: Treatment choice for diabetic macular edema. N Engl J Med 2015; published online Feb 18, 2015.
Interessenlage: Die Studie wurde von der amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH finanziert. Von den zahlreichen Autoren (members of the writing committee) der Studienpublikation (1) geben einige an, Honorare oder Forschungsmittel von verschiedenen Herstellern erhalten zu haben. Eine Autorin des Kommentars (2) deklariert Honorare von Genentech, dem Hersteller von Bevacizumab.
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