Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Sie: «Du musst auch mal Gefühle zulassen!» – Er: «Sind zu!»
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Über eine Tragödie wie den Absturz des Germanwings-Airbus macht man keine Witze. Denken Sie. Das Internet denkt anders. Immerhin trifft’s manchmal die Richtigen. Beispiel: Katastrophenjournalist in Haltern (der Ort, an dem die 16 verunfallten Schüler wohnten): «Entschuldigen Sie, kannten Sie irgendwen von den Toten? Nein? Auch nicht für 75 Euro? Ach, Sie sind auch Journalist? Schade, dann eben nicht.»
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Zecken («Holzböcke») sind so ziemlich das überflüssigste Produkt der Evolution. Dem werden alle zustimmen, die je an FSME oder Borreliose erkrankt sind, Hunde haben oder sich aus anderen Gründen im Wald herumtreiben und schon mal gestochen wurden. Etwa 900 Arten gibt’s und alle sind sie eine Schande für die Schöpfung. Zu absolut nichts nütze. Und jetzt das: Im Speichel der Viecher soll ein Wirkstoff gegen Krebs entdeckt worden sein. Ein übler Gag einer verzweifelt erfolglosen Forschergruppe oder einer Zeitung mit News-Mangel? Gut möglich. Ohnehin ist das vermutlich das viertausendachthundertsiebzigste Wundermittel, von dem man nie mehr etwas hört. Deshalb, es bleibt dabei: Zecken werden nie etwas Positives sein oder hervorbringen.
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Paul ist der Bruder eines Kollegen, irgendwie in der Landwirtschaft tätig (also möglicherweise ein gewöhnlicher Bauer). Man steht in lockerer Verbindung, denn Paul hat’s irgendwann in «die Staaten» gezogen. Anfang Jahr hat Paul geSMS, er freue sich über das deutsche Unwort des Jahres 2014: «Dichtestress». (Eigentlich heisst das Unwort 2014 ja «Lügenpresse»; Paul hat sich da wohl vertan. Aber egal.)
Genau deswegen sei er nämlich weggezogen. Der Kollege erzählt, die Familie habe sehr gelacht über Pauls SMS. Als ob Stehen im Zug von Zürich nach Bern ein echtes Problem wäre – in Indien hängen die Menschen schliesslich aussen an den Waggons. Und was sind schon zwei Stunden Stau vor dem Gubrist angesichts des Elends in der Dritten Welt? Auch dass das Quartier, in dem sie aufgewachsen seien, jetzt mit siebenstöckigen Mietshäusern bis zum Horizont überbaut ist, hallo, was will man denn – Wachstum und Wohlstand oder Stillstand und mehr Platz? Eben. Alles nicht der Rede wert. Ach ja, Paul habe dann noch geschrieben: «Mit herzlichen Grüssen aus Wyoming. P.S: Wir sind heute bei unserm Nachbarn eingeladen und haben noch eineinhalb Stunden Fahrt vor uns.»
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Man sagt, es gebe keine dummen Fragen. Kann schon sein. Vielleicht hat Frau B. ihren Dermatologen ja nicht als Patientin, sondern als Germanistin gefragt: «Ist eine Gesichtscreme, die 20 Jahre jünger macht, eigentlich lebensgefährlich für Menschen, die erst 19 Jahre alt sind?»
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Noch ist die Energiewende nicht ausgestanden. Solange das Volk dem bundesrätlichen Nach-Fukushima-Aktionismus nicht per Abstimmung Einhalt gebieten kann, werden sachkundefremde Politiker weiter mit Subventionen regieren und wirtschaftlich Interessierte weiterhin Gründe für Einstieg, Umstieg oder Ausstieg finden und an den Haaren herbeiziehen. Ein populäres Argument für die Energiewende: All unser gutes Geld fliesst auf die Konten von Arabern und Russen, die uns sündhaft teures Öl und Gas verkaufen. Zugegeben, arabische Scheichs, die ohne je zu arbeiten Milliarden scheffeln, nur weil sie auf riesigen Mengen Erdöl sitzen, sind wenig sympathisch. Aber sind stinkreiche Rus-
sen, Amerikaner, Chinesen, Deutsche oder Nigerianer sympathischer? Eben. Sympathie ist kein Kriterium. Und Geld auszugeben für Öl und Gas schadet keineswegs unserer Wirtschaft. Wer soll denn unsere Uhren, unsere Maschinen und unsere Pharmazeutika kaufen? Die verarmten Griechen werden es sicher nicht. Genau, es sind genau jene, die uns vorher ihr Öl und Gas verkauft haben. So läuft die Wirtschaft. Nicht sympathisch, aber geschmiert. Ressentiments gegen Scheichs – verständlich, aber kein Argument für die Energiewende.
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Ferien in Namibia bedeutet, sich wieder mal die wenig bekannte Geschichte des südlichen Afrikas zu Gemüte zu führen. Eine bittere Erkenntnis: WIR – Europäer, Amerikaner – haben auf diesem Kontinent wie auch auf manch anderen Kontinenten keine rühmliche Rolle gespielt. Zuerst als Kolonisatoren die Einheimischen umgebracht oder zur Arbeit gezwungen, die Apartheid eingeführt, Rohstoffe ausgebeutet. Jene, die den Afrikanern halfen, sich gegen Unterdrückung durch «unsere» Kolonisatoren zu wehren, waren in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts Russen, Chinesen, Kubaner. «Die Bösen» also. Aber eben, spät erkannt und peinlich berührt: Auch wenn weder Kuba noch die Sowjetunion noch China uneigennützig halfen – «die Bösen» waren nicht sie, sondern WIR. Es waren Briten, Buren, Deutsche, Belgier (im Kongo), Portugiesen (in Moçambique), die mordeten, vergewaltigten, verstümmelten und stahlen. Eine leise Besorgnis keimt auf: Was, wenn es heute schon wieder so wäre, dass nicht WIR «die Guten» sind?
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Und das meint Walti: Egal, wie’s kommt – Scheisse ist auch Dünger.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 7 I 2015
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