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Reingefallen
Untertitel
-
Lead
Der 1. April ist so vorbeigegangen wie er es sollte: Wir alle (und besonders der Schreibende!) wurden mal wieder zum Narren gehalten. Diese altehrwürdige Tradition des Scherzes gibt es seit Anfang des 17. Jahrhunderts: Alle Schadenfreudigen nutzen die Narrenfreiheit des Tages, um Gutgläubigen und Vertrauensseligen mal wieder vor Augen zu führen, dass es in dieser bösen Welt schlauer wäre, misstrauisch zu sein.
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Rubrik
ARSENICUM
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10306
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Arsenicum: Reingefallen

Der 1. April ist so vorbeigegangen wie er es sollte: Wir alle (und besonders der Schreibende!) wurden mal wieder zum Narren gehalten. Diese altehrwürdige Tradition des Scherzes gibt es seit Anfang des 17. Jahrhunderts: Alle Schadenfreudigen nutzen die Narrenfreiheit des Tages, um Gutgläubigen und Vertrauensseligen mal wieder vor Augen zu führen, dass es in dieser bösen Welt schlauer wäre, misstrauisch zu sein.
Der 1. April ist also eigentlich etwas ganz Infames, denn die fiesen, verlogenen Typen vergnügen sich ohne Not auf Kosten harmloser Menschen, die noch an die Redlichkeit ihrer Mitmenschen glauben. Warum haben Leute wohl das Bedürfnis, andere als dumm darzustellen? Damit sie sich überlegen fühlen? Vermutlich. Dabei gäbe es doch bessere und nachhaltigere Wege, um sein Selbstwertgefühl zu verbessern. Nun sind Lügen zwar nicht à priori etwas Böses, wie sogar der gute alte Moses und unser Rechtssystem erkannt haben. Gelogen werden darf, aber «falsch Zeugnis wider deinen Nächsten» ist verboten. Beim legitimen Lügen kommt niemand zu Schaden, sondern ganz im Gegenteil – es will Schaden abwenden. Man lügt aus Taktgefühl, aus Höflichkeit und um andere zu schützen. Vermutlich lügt man aber noch häufiger aus weniger hehren Motiven. Zum Selbstschutz, aus Angst oder Unsicherheit. Und dann gibt es die dissozialen Lügner. Sie nehmen billigend in Kauf, dass ihre Mitmenschen erhebliche Nachteile haben oder streben dies sogar aktiv an. Davor möchte man sich

selbst und die, die einem nahe stehen, gerne bewahren. Aber wie? Indem man die Lügner und ihre Lügen entlarvt? Das bedeutet ständiges Misstrauen oder totale Offenheit, was keine angenehme Perspektive ist. Vielleicht wurde der 1. April ja von wohlmeinenden Pädagogen als Trainingstag eingeführt, um eine gesunde Skepsis einzuüben? Und sich dem unangenehmen Gefühl zu exponieren, welches man spürt, wenn man erkennt, dass man getäuscht wurde. Je mehr man exponiert wird, umso weniger tut’s weh. Oder träumte ein idealistischer Gutmensch, ein Weltverbesserer etwa davon, diesen einen Tag für üble Scherze, Täuschung und Verhöhnen zu reservieren – aber nur diesen – damit die restlichen 364 bis 365 Tage frei davon sein sollten? Das wäre doch grossartig: 24 Stunden Lügen einmal pro Jahr könnte man gut verkraften, wenn man an allen anderen Tagen nur Ehrenmänner um sich hätte. Als alter Hausarzt habe ich mich entschlossen, spontan und je nach Tagesform zu glauben oder zu misstrauen. Warum soll ich mich wie ein Detektiv aufführen und meine Patienten belauern, weil sie mir etwas verschweigen könnten? Ich weiss ja, dass es viele tun. Vermutlich haben sie auch gute Gründe dafür – Angst, Scham, Unsicherheit. Auch der gute Diagnostiker muss nicht alles rausfinden. Diagnosen, die keine therapeutische Konsequenz haben, sind sowieso nur art pour l’art. Und was Wirtschaft und Politik betrifft, wissen wir ja, dass wir ständig angelogen werden. Wenn mir danach ist, ärgere ich mich lustvoll ein bisschen darüber. Wettere über die Lugihünd so

lange im Kaffeeraum, bis die MPA das Thema wechselt. Wenn ich keine Lust habe, mich zu ärgern, dann lasse ich es bleiben und lächle weise-resigniert. Mit zunehmender Demenz kommt vielleicht sogar wieder die kindliche Freude zurück, die ich als Fünfjähriger genoss, wenn ich erwachsene Respektspersonen erfolgreich in den April geschickt hatte.
Jetzt bin ich noch nicht soweit und doofe Scherze machen mich hässig. Wer mich in den April schicken will, soll ein bisschen originell sein. Nicht so wie meine MPA, die nach 12 Jahren zum ersten Mal auf die Idee kam, einen Aprilscherz zu machen und ins Sprechzimmer rief: «Chef, die Kaffeemaschine brennt! Kommen Sie sie löschen!» Ich zwang mich zu einem «Hahaha» und schlenderte in den Pausenraum, in Erwartung eines liebevoll gedeckten Znünitischs. Der Duft von Toast lag in der Luft. Bis ich die Türe öffnete und realisierte, dass es nicht Röstbrot, sondern die verkohlte Kaffeemaschine war. Doch drei Dinge trösteten mich: Erstens ist meine MPA eine grundehrliche Frau, die keine üblen Scherze mit ihrem Chef treibt. Zweitens kann ich nun endlich statt des Plastik-Filter-Aufgussmonsters eine Kapselmaschine kaufen. Und drittens hatten wir noch ein Glas mit Nescafé und eine Packung Kägifret …

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ARS MEDICI 7 I 2015