Transkript
FORTBILDUNG
Asthma und COPD
Inhalieren will gelernt sein
Wir wissen, dass 40 bis 80 Prozent aller Patienten bei der Inhalation entscheidende Fehler machen und damit eine ausreichende Deposition der Pharmaka in den Atemwegen verhindern. Auswege aus dieser Misere bieten die kluge Auswahl des Inhaliergerätes, gute Schulungen und regelmässige Kontrollen der Inhaliertechnik.
Thomas Hausen
Wo nichts ankommt, kann auch nichts wirken. Was hilft es, wenn der Patient eine Erfolg versprechende und teure Therapie verordnet bekommt, er aber mit dem Inhaliergerät nicht zurechtkommt oder Fehler bei der Inhalation begeht? Die Therapie wird ineffektiv und ruft nach einer Eskalation, die wiederum nur die Kosten unnötig in die Höhe treibt und die Adhärenz durch mehr Anwendungen pro Tag infrage stellt. Die Devise für eine erfolgreiche Inhalationstherapie muss demnach lauten: Das richtige Inhaliergerät, eine gute Einweisung in die Inhalationstechnik und regelmässige Überprüfungen machen die Inhalationstherapie erfolgreich und preiswert.
Je einfacher, desto erfolgreicher Die Auswahl des geeigneten Inhaliergerätes und die Einfachheit der Therapie entscheiden mehr über den Erfolg als die Substanz.
Wie es nicht sein sollte: Frau S., 84 Jahre alt, Bewohnerin eines Altenheims, leidet unter einer COPD ohne Exazerbationen. Die Therapie: Symbicort® Turbohaler® 2 × 1, Spiriva® HandiHaler 1 × 1, Berodual®-Lösung über Vernebler PariBoy 3 × 1, Salbutamol Dosieraerosol (DA) bei Bedarf. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Patientin mit den vier verschiedenen Systemen mit drei unterschiedlichen Inhalationstechniken nicht zurechtkommt. Auch das Pflegepersonal ist damit überfordert, hier Hilfe zu leisten. Eine bessere Alternative wäre zum Beispiel die regelmässige Inhalation von Spiriva® und bei Bedarf Berodual®, beide über Respimat® (in der Schweiz nicht auf dem Markt), gleichbedeutend eine einzige Technik für zwei Anwendungen, das heisst für Dauer- und Bedarfstherapie. Begründung: Der Respimat® erlaubt eine langsamere Inhalation, die leicht von einer Hilfsperson ausgelöst und sogar im Liegen erfolgen könnte. Zusätzlich müsste nur eine Technik beachtet werden. Wegen fehlender Exazerbationen besteht keine Indikation für eine Inhalation von Kortison. In diesem Fall droht nur eine erhöhte Gefahr für Pneumonien.
Der Weg zur korrekten Verordnung
Zwei Fragen leiten zur korrekten Verordnung: 1. In welchem Inhaliergerät wird die zu verordnende Sub-
stanz angeboten? 2. Mit welchem der Geräte wird der Patient bereit und fähig
sein zu inhalieren?
MERKSÄTZE
O Die Wahl des richtigen Inhaliergeräts entscheidet über Erfolg und Misserfolg der Therapie.
O Wenn zwei oder mehr Substanzen inhaliert werden müssen, sollte möglichst nur ein Typ von Inhalierer verordnet werden.
O Bereits 3 Tage nach der Einweisung in die korrekte Inhalationstechnik begehen 30 Prozent der Patienten gravierende Fehler bei der Inhalation.
O Die Inhalationstechnik ist regelmässig zu kontrollieren, um Fehler zu korrigieren.
O Bei der Kontrolle explizit nach Beschwerden fragen, da viele Patienten dazu neigen, Beschwerden als selbstverständlich hinzunehmen.
Körperliche oder mentale Einschränkungen müssen bei der Auswahl berücksichtigt werden (Abbildung). Sollte der Patient mehr als eine Substanz inhalieren müssen, sollten wir immer daran denken, dass die Wahrscheinlichkeit einer fehlerhaften Inhalation zunimmt, wenn mehr als ein Typ von Inhalierer zum Einsatz kommt. Bevorzugt werden sollten Fixkombinationen oder Präparate, die die Substanzen in nur einem Typ von Inhalierer enthalten. Die angebotenen fixen Kombinationen von zwei unterschiedlichen Substanzen in einem Inhalierer bieten einige entscheidende Vorteile: 1. Nur ein Typ von Inhalierer macht eine fehlerfreie Inhala-
tion wahrscheinlicher. 2. Eine geringere Zahl von Anwendungen pro Tag steigert die
Adhärenz. 3. Wird ein inhalierbares Kortison (ICS) mit einem lang
wirkenden Betaagonisten inhaliert, steigert die spürbare Wirkung des langwirksamen Betaagonisten (LABA) die Adhärenz, und das Kortison mit fehlender Sofortwirkung
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Abbildung 1: Algorithmus zur Auswahl eines passenden Inhaliersystems; DA: Dosieraerosol; DPI: Trockenpulverinhalator; der Respimat® ist in der Schweiz nicht auf dem Markt.
wird gleichzeitig mit inhaliert, dem Patienten sozusagen untergeschoben. 4. Bei Verordnung von ICS plus Formoterol als LABA kann die zusätzliche Verordnung eines Bedarfsmedikamentes unterbleiben, weil Formoterol auch für den Bedarf zugelassen ist.
Das ideale Inhaliergerät Das einzig richtige Inhaliergerät gibt es nicht. Legt man Kollegen mehrere Geräte zur Auswahl vor, bestimmen eher Vorlieben des Arztes als Eigenschaften des Gerätes die Auswahl. Ebenso verhält es sich, wenn man die Auswahl dem Patienten überlässt. Jedes der angebotenen Geräte besitzt spezielle Eigenschaften, die für eine erfolgreiche Therapie beachtet werden sollten: O leichte Handhabung O Anfälligkeit für Luftfeuchtigkeit O wenige Schritte für die Vorbereitung O insgesamt wenige Schritte für den Inhalationsvorgang O Medikamentenfreisetzung in Abhängigkeit vom inspirato-
rischen Fluss (Sog) O unterschiedliche Widerstände in den verschiedenen Geräten O Dosiszählwerk
Aus der Praxis für die Praxis Zur Erleichterung der täglichen Arbeit in der Praxis kann folgendes Prozedere empfohlen werden: O Beschränken Sie sich bei der Verordnung zu Beginn auf ei-
nige wenige Inhaliergeräte, deren Vor- und Nachteile Sie gut kennen. Die breite Auswahl von identischen Substanzen in verschiedenen Inhaliergeräten erlaubt diese Vorgehensweise. O Jedes Inhaliergerät besitzt typische Eigenschaften. Wer die typischen Hinweise für eine korrekte Inhalation und die potenziellen Fehlermöglichkeiten kennt, weiss besser, worauf er achten muss. Unter www.admit-inhalers.org finden Sie eine Zusammenstellung der wichtigsten Hinweise für eine korrekte Inhalation und die typischen Fehlermöglich-
keiten für die wichtigsten angebotenen Inhaliersysteme (zurzeit nur in Englisch). O Stellen Sie sich an jeden Arbeitsplatz eine Box mit allen Inhaliergeräten, die Sie in der Praxis verwenden. So können Sie schnell eine Auswahl und Schulung der Inhalationstechnik vornehmen. Bei mehreren möglichen Inhaliergeräten lassen Sie den Patienten das Gerät auswählen. Geben Sie dem Patienten nach erfolgter Einweisung je nach Verfügbarkeit einen Flyer mit, auf dem die Inhalation mit dem verordneten Gerät erklärt wird (für viele Inhaliergeräte vom Hersteller erhältlich). Weisen Sie den Patienten auf Filme hin, die die Inhalation für sein Gerät noch einmal demonstrieren (www.atemwegsliga.de). O Bitten Sie Ihren Patienten, «sein» Inhaliergerät bei jeder Vorstellung mitzubringen. O Kontrollieren Sie die Inhalationstechnik regelmässig und korrigieren Sie mögliche Fehler. O Wechseln Sie das Inhaliersystem bei Problemen mit der Handhabung. O Schulen Sie Ihr Personal und delegieren Sie eventuell die Einweisung und Kontrolle. Die abschliessende Überprüfung bleibt Chefsache. O Nutzen Sie den Bronchospasmolysetest für eine Überprüfung der Inhalationstechnik.
Gute Einweisung führt zum Erfolg
Wer die Inhalationstechnik überprüft, wird Fehler entdecken, die er sich überhaupt nicht hat vorstellen können: O Frau S. vergass vor dem Inhalieren mit einem Dosieraero-
sol die Kappe abzunehmen. O Herr F. löste einen Hub des Dosieraerosols aus, hielt den
Atem einen Moment an und versuchte dann, den Mundinhalt hinunterzuschlucken.
Seit Jahrzehnten sind immer wieder neue Geräte entwickelt worden. Und immer wieder waren wir der Überzeugung, dass das neue Gerät «narrensicher» sei. Erst die Patienten konnten unseren Irrtum durch Demonstration der Fehler beim Inhalieren aufklären. Die zwei Hauptgruppen von Inhaliergeräten, die Dosieraerosole (DA) und Trockenpulverinhalierer (DPI), unterscheiden sich generell in ihrer Handhabung (Tabelle 1), wobei zwei Unterschiede eine besondere Bedeutung für eine erfolgreiche Inhalation und damit eine gute bronchiale Deposition haben: O Bei den Dosieraerosolen sollte die Inhalation langsam über
rund 3 Sekunden erfolgen. O Bei den Trockenpulverinhalierern sollte die Inhalation so
schnell, kräftig und tief erfolgen wie nur eben möglich, denn der ausgestossene Pulverklumpen muss durch den kräftigen Sog auseinandergerissen (desagglomeriert) werden. Ausserdem gilt: Ausatmen weg vom Gerät. Denn Ausatmen ins Gerät schafft lokale Feuchtigkeit. Der «Klumpen» kann nicht mehr auseinandergerissen werden und die Substanz kann tiefere Abschnitte der Bronchien nicht mehr erreichen.
Kontrolle muss sein
Eine ausführliche Einführung in die korrekte Inhalationstechnik durch Demonstration mit einem Plazebogerät, selbst mit Nachmachen durch den Patienten bei Vorhandensein von
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Tabelle 1:
Unterschiede bei der Handhabung von Dosieraerosolen und Trockenpulverinhalatoren
Gerät öffnen/Abnehmen der Kappe Gerät schütteln langsam und voll ausatmen Mundstück mit den Lippen umschliessen langsam tief einatmen, nach Beginn des Einatmens auslösen einatmen nach dem Auslösen einatmen kräftig, schnell und möglichst tief Atem möglichst lang anhalten Schliessen des Gerätes, Kappe aufsetzen Medikamentenvorrat beachten
Dosieraerosol ohne Spacer mit Spacer
Ja Ja Ja Ja Ja Nein Nein Ja Ja Ja
Ja Ja Ja Ja Nein Ja Nein Ja Ja Ja
Trockenpulverinhalator
Ja Nein Ja, weg vom Gerät
Ja Nein Nein
Ja Ja Ja Ja
Tabelle 2:
Checkliste für die Kontrolle der Inhalationstechnik
Dosieraerosol
Trockenpulverinhalator
Ist das Gerät für eine Inhalation korrekt vorbereitet worden?
Hat der Patient das Gerät geschüttelt?
—
Hat der Patient vor der Inhalation tief ausgeatmet?
—
— Hat der Patient weg vom Gerät ausgeatmet?
Hat der Patient das Mundstück eng mit den Lippen umschlossen?
Erfolgt das Auslösen mit Beginn der Einatmung?
—
Hat der Patient langsam tief eingeatmet?
Hat der Patient schnell, kräftig und tief eingeatmet?
Hat der Patient den Atem länger (ca. 3 Sekunden) angehalten, bevor er wieder ausgeatmet hat?
Hat der Patient das Gerät wieder korrekt verschlossen/die Kappe wieder aufgesetzt?
Einmalmundstücken, garantiert keine fehlerlose Inhalation. Bereits drei Tage nach einer ausführlich erfolgten Einweisung in die korrekte Inhalationstechnik begehen 30 Prozent der Patienten gravierende Fehler bei der Inhalation. Kontrolle ist daher unbedingt erforderlich. Ein Kontrolltermin wegen einer chronischen Atemwegserkrankung beinhaltet folgende Fragen: O Ist das Krankheitsbild stabil? O Kann der Patient Beschwerden angeben oder nicht? Hier
ist immer die Frage nach nächtlichen Beschwerden explizit zu stellen! Viele Patienten neigen dazu, Beschwerden als selbstverständlich hinzunehmen. O Bedarfsmedikation? Wird bei Stabilität nicht/so gut wie nicht benötigt. O Bestehen Auffälligkeiten bei der klinischen Untersuchung? O Bestätigen Lungenfunktion, Peak-Flow-Messung und FeNo-Messung die Stabilität? O Bei einem anhaltend stabilen Krankheitsbild kann und sollte immer eine vorsichtige Dosisreduktion erwogen werden. O Bei Beschwerden sollte vor einer Eskalation der Therapie immer eine Kontrolle der Inhalationstechnik erfolgen.
Sollte sich bei einer der Kontrollen herausstellen, dass der Patient wider Erwarten und trotz guter Einführung mit der Handhabung des Inhaliergerätes nicht zurechtkommt, sollte ein Gerätewechsel erwogen werden. Eine Checkliste zur Kontrolle der Inhalationstechnik ist in Tabelle 2 dargestellt. Sollte der Patient für die Inhalation mit einem DA mit einem Spacer ausgerüstet sein, muss immer überprüft werden, ob er das unhandliche Gerät auch benutzt oder ob es unbenutzt und originalverpackt im Schrank liegt.
O Dr. med. Thomas Hausen Facharzt für Allgemeinmedizin Grafenstrasse 52 D-45239 Essen E-Mail: th.hausen@t-online.de
Interessenkonflikte: Der Autor deklariert Beratungstätigkeit für BayerVital und Novartis sowie Autorenhonorare von Aerocrine und Mundipharma.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 2/2015. Die bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. Die Anpassungen an die Verhältnisse in der Schweiz erfolgte durch die Redaktion von ARS MEDICI.
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