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FORTBILDUNG
Pneumonie: Neue Leitlinie des NICE
Diagnose und Management der ambulant oder spitalerworbenen Pneumonie bei Erwachsenen
Pneumonien sind mit einer hohen Mortalität assoziiert und stellen eine Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Gerade bei älteren Patienten kann die Infektion einen schweren Verlauf nehmen und tödlich enden. Das NICE (National Institute for Health and Care Excellence) hat kürzlich eine Leitlinie zu Diagnostik und Management der ambulant und spitalerworbenen Pneumonie bei Erwachsenen herausgegeben.
National Institute for Health and Care Excellence
Bei der Pneumonie liegt eine Infektion des Lungengewebes vor. Die Diagnose Pneumonie basiert auf den klinischen Zeichen und Symptomen einer akuten Infektion der unteren Atemwege. Sie kann durch eine Röntgenthoraxaufnahme bestätigt werden, wenn diese eine neu aufgetretene Verschattung zeigt, für die keine andere Ursache (wie z.B. ein Lungenödem) auszumachen ist. Die neue NICE-Guideline unterscheidet zwischen ambulant erworbener (communityacquired pneumonia, CAP) und spitalerworbener Pneumonie (hospital-acquired pneumonia, HAP), da beiden Formen unterschiedliche pathogene Erreger und Patientenfaktoren zugrunde liegen, die verschiedene Behandlungsstrategien erfordern. Im Folgenden wird insbesondere das Vorgehen bei CAP dargestellt.
In unklaren Fällen CRP bestimmen Wenn Patienten sich mit Symptomen einer Infektion der unteren Atemwege in der Hausarztpraxis vorstellen, aber aufgrund der klinischen Untersuchung eine Pneumonie weder sicher diagnostiziert noch ausgeschlossen werden kann, sollte das C-reaktive Protein (CRP) mithilfe eines «Point of care»Tests (POCT) untersucht werden. Dieser Test hilft bei der
MERKSÄTZE
Entscheidung, ob ein Antibiotikum verabreicht werden soll oder nicht: O CRP < 20 mg/l: Bei diesem Wert sollte nicht routinemässig
antibiotisch behandelt werden. O CRP zwischen 20 mg/l und 100 mg/l: Hier kann dem
Patienten ein Rezept für ein Antibiotikum ausgehändigt werden, das er später einlösen kann, falls die Symptomatik sich verschlimmert. O CRP > 100 mg/l: Es sollte eine antibiotische Therapie angeboten werden.
Schweregradeinschätzung in der Hausarztpraxis
Stellt der Hausarzt die klinische Diagnose einer CAP, sollte er mithilfe des CRB65-Scores abschätzen, ob bei dem Patienten ein niedriges, ein mittleres oder ein hohes Mortalitätsrisiko vorliegt (Kasten 1). Bei einem CRB65-Score von 0 kann eine ambulante Behandlung erwogen werden. Bei allen anderen Patienten sollte eine Vorstellung im Spital in Betracht gezogen werden – insbesondere bei einem CRB65-Score von 2 und höher.
Schweregradeinschätzung im Spital
Wenn sich Patienten mit CAP im Spital vorstellen, kann mithilfe des CURB65-Scores ermittelt werden, ob jeweils ein niedriges, ein mittleres oder ein hohes Mortalitätsrisiko besteht (Kasten 2). Anhand der klinischen Einschätzung und mithilfe des CURB65-Scores kann entschieden werden, in welchem Setting die weitere Therapie des CAP-Patienten erfolgen soll: O Bei Patienten mit einem CURB65-Score von 0 oder 1
kommt eine ambulante Behandlung in Betracht. O Eine Hospitalisierung sollte bei Patienten mit einem
CURB65-Score ≥ 2 erwogen werden. O Bei Patienten mit einem CURB65-Score von ≥ 3 sollte an
ein intensivmedizinisches Assessment gedacht werden. Der Schweregrad der Erkrankung korrespondiert bei CAPPatienten im Allgemeinen mit dem Mortalitätsrisiko.
O Ein CRP-Schnelltest kann bei der Entscheidung helfen, ob ein Patient mit Symptomen einer Infektion der unteren Atemwege antibiotisch behandelt werden sollte.
O Bei Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie und mittlerem bis hohem Schweregrad sollten Blut- und Sputumkulturen abgenommen und ein Urintest auf Pneumokokken- und Legionellenantigen erwogen werden.
O Die Art und Dauer der Antibiose hängt unter anderem von der Pneumonieform (ambulant oder spitalerworben) sowie von Schweregrad und klinischen Begleitumständen ab.
Mikrobiologische Untersuchungen Bei CAP-Patienten mit niedrigem Schweregrad ist keine routinemässige Durchführung von mikrobiologischen Tests erforderlich. Dagegen sollten bei CAP-Patienten mit mittlerem und hohem Schweregrad Blut- und Sputumkulturen abgenommen und ein Urintest auf Pneumokokken- und Legionellenantigen erwogen werden.
Zügige Diagnostik und Therapie Die Prozesse im Spital sollten so organisiert sein, dass die Diagnostik (inkl. Röntgen) bei allen Patienten innerhalb von vier Stunden nach Vorstellung in der Klinik durchgeführt werden kann. Nach der Diagnosestellung sollte bei allen Patienten, die
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FORTBILDUNG
Kasten 1:
CRB65-Score zur Einschätzung des Mortalitätsrisikos in der Hausarztpraxis
Der CRB65-Score wird errechnet, indem jedes der folgenden prognostischen Kriterien mit einem Punkt bewertet wird: O Verwirrung (z.B. neu aufgetretene Desorientierung hinsichtlich
Person, Zeit oder Ort) O erhöhte Atemfrequenz (≥ 30 Atemzüge/min) O niedriger Blutdruck (diastolischer Druck ≤ 60 mmHg oder
systolischer Druck < 90 mmHg) O Alter: ≥ 65 Jahre
Das Mortalitätsrisiko des Patienten wird folgendermassen stratifiziert: O 0 Punkte: niedriges Risiko (Mortalitätsrisiko < 1%) O 1–2 Punkte: mittleres Risiko (Mortalitätsrisiko 1–10%) O 3–4 Punkte: hohes Risiko (Mortalitätsrisiko > 10%).
Kasten 2:
CURB65-Score zur Einschätzung des Mortalitätsrisikos im Spital
Der CURB65-Score wird errechnet, indem jedes der folgenden prognostischen Kriterien mit einem Punkt bewertet wird: O Verwirrung (z.B. neu aufgetretene Desorientierung hinsichtlich
Person, Zeit oder Ort) O erhöhte Harnstoffkonzentration im Blut (> 7 mmol/l) O erhöhte Atemfrequenz (≥ 30 Atemzüge/min) O niedriger Blutdruck (diastolischer Druck ≤ 60 mmHg oder
systolischer Druck < 90 mmHg) O Alter: ≥ 65 Jahre
Das Mortalitätsrisiko des Patienten wird folgendermassen stratifiziert: O 0 oder 1 Punkt: niedriges Risiko (Mortalitätsrisiko < 3%) O 2 Punkte: mittleres Risiko (Mortalitätsrisiko 3–15%) O 3–5 Punkte: hohes Risiko (Mortalitätsrisiko > 15%).
mit ambulant erworbener Pneumonie ins Spital aufgenommen werden, umgehend – auf jeden Fall innerhalb von vier Stunden – mit der antibiotischen Therapie begonnen werden.
Antibiotische Therapie Liegt eine CAP mit niedrigem Schweregrad vor, sollte dem Patienten eine antibiotische Monotherapie über fünf Tage angeboten werden. Amoxicillin sollte in dieser Patientengruppe gegenüber einem Makrolid oder einem Tetrazyklin bevorzugt eingesetzt werden. Bei Patienten mit Penicillinallergie kommt dagegen ein Makrolid oder ein Tetrazyklin in Betracht. Wenn sich die Symptome nach einer dreitägigen antibiotischen Behandlung bei Patienten mit CAP und niedrigem Schweregrad nicht wie erwartet bessern, kann eine Verlängerung der Antibiose über fünf Tage hinaus erwogen werden. Der Patient soll dazu aufgefordert werden, sich erneut vorzustellen, wenn sich seine Symptomatik drei Tage nach Beginn der antibiotischen Therapie noch nicht bessert. Patienten mit einer CAP (niedriger Schweregrad) sollte nicht routinemässig ein Fluorchinolon oder eine duale Antibiose angeboten werden.
Anders ist das Vorgehen bei CAP mit mittlerem und hohem Schweregrad. Diese Patienten sollten über sieben bis zehn Tage antibiotisch behandelt werden. Bei mittlerem Schweregrad empfiehlt sich eine duale Antibiose mit Amoxicillin und einem Makrolid. Patienten mit hohem Schweregrad sollten eine Therapie mit einem betalaktamasestabilen Betalaktam und einem Makrolid erhalten. Patienten mit CAP sollte man nicht routinemässig ein Glukokortikosteroid geben. Nur wenn zusätzlich weitere Erkrankungen vorliegen, bei denen Glukokortikosteroide indiziert sind, sollte entsprechend behandelt werden.
Stationär behandelte Patienten
Wenn CAP-Patienten stationär behandelt werden müssen, sollte bei der Spitalaufnahme das CRP als Ausgangswert ermittelt werden. Bessert sich die klinische Symptomatik des Patienten nach 48 bis 72 Stunden nicht merklich, sollte der CRP-Test wiederholt werden. Die Patienten sollten erst aus der stationären Behandlung entlassen werden, wenn sich das klinische Bild entsprechend gebessert hat. CAP-Patienten mit einer Körpertemperatur über 37,5 °C sollten eher noch nicht aus dem Spital entlassen werden.
Patienten über den voraussichtlichen
Krankheitsverlauf informieren
Patienten mit CAP sollten darüber aufgeklärt werden, dass sich die Symptomatik nach Beginn der Behandlung kontinuierlich bessern sollte. Wie rasch sich das Beschwerdebild bessert, hängt natürlich vom Schweregrad der Pneumonie ab. Die meisten Patienten können jedoch mit Folgendem rechnen: O Nach 1 Woche: Das Fieber ist verschwunden. O Nach 4 Wochen: Thoraxschmerzen und Sputumproduk-
tion sollten wesentlich zurückgegangen sein. O Nach 6 Wochen: Husten und Kurzatmigkeit dürften sich
erheblich gebessert haben. O Nach 3 Monaten: Die meisten Symptome sollten ver-
schwunden sein, eine Fatigue kann jedoch noch bestehen. O Nach 6 Monaten haben die meisten Patienten den Aus-
gangsstatus, den sie vor der Pneumonie hatten, wieder erreicht. CAP-Patienten sollte geraten werden, erneut ihren Arzt zu konsultieren, falls sich ihr Zustand verschlechtert oder nicht wie erwartet bessert.
Spitalerworbene Pneumonie
Bei Patienten mit HAP sollte die antibiotische Therapie so-
fort nach Diagnosestellung, auf jeden Fall aber innerhalb von
vier Stunden begonnen werden. Die geeignete Antibiose
sollte entsprechend den Gepflogenheiten des Spitals (unter
Berücksichtigung der lokalen Erreger) und entsprechend den
klinischen Begleitumständen gewählt werden. Bei Patienten
mit HAP sollte sich die antibiotische Therapie über fünf bis
zehn Tage erstrecken.
O
Andrea Wülker
Woodhead M et al.: Pneumonia: Diagnosis and management of community- and hospitalacquired pneumonia in adults. NICE clinical guideline 191 (2014). Online verfügbar unter: guidance.nice.org.uk/cg191.
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