Transkript
STUDIE REFERIERT
Diabetes und Komorbidität
Prävalenz und Behandlungskosten in der Schweiz
In einer Auswertung von Schweizer Krankenkassendaten ging man der Frage nach, welche weiteren Erkrankungen typischerweise mit Diabetes assoziiert sind und welchen Einfluss dies auf die Behandlungskosten hat.
häufigsten, nur ihre Rangfolge ist bei Diabetikern und Nichtdiabetikern unterschiedlich: Hyperlipidämie (Diabetiker: 53,4%; Nichtdiabetiker: 25,7%), Schmerzen (49,8 vs. 39%), psychische Erkrankungen wie Schlafstörungen oder Depression (41 vs. 35,4%) und durch Hyperazidität assoziierte Erkrankungen (39,4 vs. 30,8%). Generell ist festzustellen, dass sämtliche genannten chronischen Erkrankungen bei Diabetikern häufiger vorkommen als bei Nichtdiabetikern.
Diabetes, Metabolic Syndrome and Obesity
Grundlage der Studie (1) sind Abrechnungsdaten der Krankenkasse Helsana aus dem Jahr 2011. Da die ärztliche Diagnose in diesen Daten nicht zur Verfügung steht, schloss man anhand der verordneten Medikamente und Massnahmen, woran die Patienten erkrankt waren. Das schränkt die Aussagekraft der Resultate ein. Beispielsweise konnten häufige Komplikationen des Diabetes, wie chronische Nierenerkrankungen, damit nicht erfasst werden. Trotzdem ist diese Studie von Interesse für die Praxis, denn sie ist, nach Aussage der Studienautoren, die erste umfassende Untersuchung in der Schweiz zur Prävalenz bestimmter Erkrankungen bei Diabetikern und Nichtdiabetikern. Ausgewertet wurden die Daten von 932 612 Versicherten aus dem Jahr 2011. 50 751 von ihnen galten gemäss verordnetem Medikamentenspektrum als Diabetiker (Verordnung von mindestens einem oralen blutzuckersenkenden Medikament, Insulin oder einem anderen Diabetesmedikament). Die Diabetesprävalenz in dieser Stichprobe betrug demnach 5,4 Prozent. Das liegt in der Grössenordnung, die vor einigen Jahren von einem Team der Universität Zürich für die Schweiz aufgrund verschiedener Quellen errechnet
MERKSATZ
O Viele chronische Krankheiten kommen bei Diabetikern häufiger vor als bei Nichtdiabetikern.
wurde (2). Exakte Daten, wie viele Diabetiker in der Schweiz leben, gibt es nicht.
Welche (Ko-)Morbidität
ist bei Älteren am häufigsten?
Die Prävalenzen wurden für zwei Altersgruppen errechnet (18 bis 64 Jahre bzw. über 64 Jahre). Erwartungsgemäss zeigte sich, dass bei den Älteren der Anteil der Diabetiker mit 12,8 Prozent wesentlich höher war als bei den 18- bis 64-Jährigen mit 2,8 Prozent. Ähnlich verhielt es sich auch bei der Anzahl der Komorbiditäten: Jüngere Diabetiker hatten meist nur Diabetes (75%), während die meisten Diabetiker über 64 Jahre mehr als zwei zusätzliche Erkrankungen aufwiesen (67,5%). Bei den Patienten, die wegen etwas anderem als Diabetes behandelt worden waren, fand sich bei mehr als der Hälfte (60%) mindestens eine chronische Erkrankung. Wie nicht anders zu erwarten war, hatten auch bei den Nichtdiabetikern die jüngeren Patienten tendenziell weniger chronische Komorbiditäten als die älteren. Die beiden häufigsten chronischen Erkrankungen sind bei Diabetikern wie Nichtdiabetikern über 64 Jahre die gleichen: Kardiovaskuläre Erkrankungen inklusive Hypertonie stehen bei beiden Gruppen auf Platz eins, sie betreffen 91 Prozent der Diabetiker und 62,8 Prozent der nicht diabetischen Patienten. Auf Platz zwei folgen die rheumatologischen Erkrankungen; unter ihnen leiden 55 Prozent der Diabetiker und 47,1 Prozent der Nichtdiabetiker. Die nachfolgenden vier Erkrankungen gehören bei beiden Gruppen zu den
Kostenanalyse nach Komorbidität
Dass die Behandlung eines Patienten
teurer wird, je mehr Erkrankungen er
hat, ist eine Binsenweisheit. Um welche
Grössenordnungen es hierbei geht, ist
weniger klar. Einige konkrete Zahlen
liefert die vorliegende Studie. Demnach
lagen 2011 in der Schweiz die durch-
schnittlichen Behandlungskosten eines
Diabetikers mit einer Komorbidität um
996 Franken pro Jahr höher als bei
einem Diabetiker ohne Komorbidität,
bei zwei Komorbiditäten waren es
2187 Franken mehr, ab drei und mehr
Komorbiditäten 10 584 Franken mehr
pro Jahr (alle Altersgruppen zusammen).
Zu den drei teuersten Komorbiditäten
bei Diabetikern zählten 2011 Erkran-
kungen, die nicht zwingend mit Dia-
betes zu tun haben: durch Hyperazidi-
tät bedingte Erkrankungen (+7957 Fr.
pro Jahr), Schmerz (+7567 Fr. pro Jahr)
und psychische Störungen (+7070 Fr.
pro Jahr). Typischerweise mit Diabe-
tes assoziierte Erkrankungen schlagen
weniger stark zu Buche, so die Behand-
lung von Diabetikern mit kardiovas-
kulärer Komorbidität (+4352 Fr. pro
Jahr) oder Hyperlipidämie (+1966 Fr.
pro Jahr).
O
Renate Bonifer
1. Huber CA et al.: Estimating the prevalence of comorbid conditions and their effect on health care costs in patients with diabetes mellitus in Switzerland. Diabetes, Metabolic Syndrome and Obesity: Targets and Therapy 2014; 7: 455–465.
2. Bopp M et al.: Routine data sources challenge international diabetes Federation extrapolations of national diabetes prevalence in Switzerland. Diabetes Care 2011; 34(11): 2387–2389.
Interessenlage: Die Erstautorin der aktuellen Studie (1) ist Mitarbeiterin der Helsana. Die Studie wurde von MSD Schweiz finanziell unterstützt.
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ARS MEDICI 6 I 2015