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STUDIE REFERIERT
Hypertoniker können Blutdruckmedikation selbst titrieren
Bessere Blutdruckwerte und geringeres Schlaganfallrisiko durch eigenverantwortliche Therapie
Die Blutdruckselbstmessung und das Anpassen der Blutdruckmedikamente durch den Patienten führen bei Hypertonikern zu einer besseren Blutdruckeinstellung. Aber kann man auch kardiovaskulären Hochrisikopatienten ein Blutdruckselbstmanagement anvertrauen? Dieser Frage ging die TASMINSR-Studie nach.
JAMA
Obwohl in den vergangenen zehn Jahren Fortschritte erzielt wurden, zeigen internationale Untersuchungen, dass die Blutdruckwerte bei vielen Hypertonikern nach wie vor nicht gut eingestellt sind. Das Selbstmonitoring der Blutdruckwerte und die Anpassung der antihypertensiven Medikation durch die Patienten sind eine Option, eine bessere Blutdruckeinstellung zu erreichen. Dies belegt die Studie TASMINH-2 (Telemonitoring and Self-Management in Hypertension 2), in der geschulte Hypertoniker ihren Bluthochdruck in Eigenregie behandelten und damit innerhalb eines Jahres ihre systolischen Werte effektiver senken konnten als Patienten, welche die übliche antihypertensive Therapie erhielten. Allerdings nahmen an der TASMINH-2-Studie nur wenige Hochrisikopatienten teil –
MERKSÄTZE
O Eine Blutdruckselbstmessung und eine Behandlung in Eigenregie führten bei Hypertonikern mit hohem kardiovaskulären Risiko im Vergleich zur üblichen Therapie nach zwölf Monaten zu niedrigeren systolischen Blutdruckwerten.
O Bei Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko, deren Blutdruck nicht optimal eingestellt ist, kann ein Blutdruckselbstmanagement erwogen werden.
also beispielsweise Patienten mit Diabetes, kardiovaskulären oder chronischen Nierenerkrankungen. Genau diesen Hochrisikopatienten widmete sich die Nachfolgestudie TASMINSR (Targets and Self-Management for the Control of Blood Pressure in Stroke and at Risk Groups). Es handelt sich um eine offene, randomisierte klinische Studie, an der 552 Patienten aus 59 Praxen der Primärversorgung im Vereinigten Königreich teilnahmen. Die Patienten waren 35 Jahre alt oder älter und hatten einen Schlaganfall oder eine transiente ischämische Attacke (TIA) hinter sich, oder sie litten an koronarer Herzkrankheit, Diabetes oder an einer chronischen Nierenerkrankung (mit einer geschätzten GFR von 30–59 ml/min/m2).
Behandlung in Eigenregie
versus hausärztliche Betreuung
Ein Teil der Patienten wurde randomisiert entweder der Interventionsgruppe zugeordnet, die nach einem anfänglichen Training ihre Blutdruckwerte selbst überwachte und bei Bedarf die Blutdruckmedikamente nach einem zuvor festgelegten Plan anpasste; die übrigen Patienten erhielten bei ihrem Hausarzt die übliche antihypertensive Therapie (Kontrollgruppe). Während der Studiendauer sollten die in der Praxis gemessenen Zielblutdruckwerte 130/80 mmHg betragen, die zu Hause gemessenen Werte sollten möglichst bei 120/75 mmHg liegen – ehrgeizige Zielwerte, die auf einem zum Zeitpunkt der Studienplanung aktuellen Konsen-
Antihypertensiva konsequent einsetzen, patientenzentrierte Behandlungsstrategien entwickeln
Die TASMIN-SR-Studie sei ein wichtiger Schritt in Richtung einer modernen, patientenzentrierten Hypertoniebehandlung, heisst es in einem begleitenden Editorial zur Studie. Allerdings weisen die Editorialisten darauf hin, dass einige Details noch besser untersucht werden müssten. Beispielsweise sollte festgelegt werden, welche Tageszeit sich für Blutdruckselbstmessungen am besten eignet. Die Patienten aus der TASMIN-SR-Interventionsgruppe führten ihre Blutdruckmessungen morgens durch, doch ist bekannt, dass einige Patienten gerade in den Morgenstunden höhere Blutdruckwerte aufweisen. Zudem gehen die Autoren der TASMIN-SR-Studie nicht weiter auf die Frage ein, welche Antihypertensiva sich für eine Selbsttitration durch den Patienten am besten eignen. Darüber hinaus fordern die Editorialisten weitere Studien, in denen untersucht werden sollte, wie sich das antihypertensive Selbstmanagement der Patienten auf kardiovaskuläre Ereignisse auswirkt. Insgesamt zeigt die TASMIN-SR-Studie aber, dass die Selbsttitration der Blutdruckmedikamente auch bei Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko zu einer sicheren, klinisch relevanten Blutdrucksenkung führt. In vielen Ländern stehen heute Antihypertensiva als kostengünstige Generika zur Verfügung. Diese preiswerten Medikamente sollten konsequent genutzt und Strategien für eine optimale individualisierte Patientenbetreuung entwickelt werden, betonen die Editorialisten.
Nilsson PM et al.: Self-titration of antihypertensive therapy in high-risk patients: bringing it home. JAMA 2014; 312(8): 795–796.
sus basierten. Primärer Endpunkt der TASMIN-SR-Studie war die Differenz des systolischen Blutdrucks zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe nach einem Jahr.
Systolischer Blutdruck in der Interventionsgruppe um 9,2 mmHg niedriger Zu Beginn der Studie lagen die durchschnittlichen Blutdruckwerte in der Interventionsgruppe bei 143,1/80,5 mmHg und in der Kontrollgruppe bei 143,6/ 79,5 mmHg. Nach einem Jahr waren die durchschnittlichen Blutdruckwerte in der Interventionsgruppe auf 128,2/ 73,8 mmHg und in der Kontrollgruppe
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auf 137,8/76,3 mmHg gesunken. Nach einer bereinigten Analyse entspricht dies einer Differenz von 9,2 mmHg des systolischen beziehungsweise von 3,4 mmHg des diastolischen Blutdrucks. Diese Ergebnisse waren in allen Patientensubgruppen vergleichbar.
Trotz höheren Konsums an Antihypertensiva kein signifikanter Anstieg von unerwünschten Wirkungen
In beiden Gruppen nahm die Einnahme blutdrucksenkender Medikamente zu, doch stieg der Verbrauch an Antihypertensiva in der Interventionsgruppe signifikant stärker an als in der Kontrollgruppe. Insbesondere wurden in der Interventionsgruppe signifikant mehr Kalziumkanalblocker und Thiazide verschrieben. In beiden Gruppen wurde
häufig über Nebenwirkungen berichtet, doch beobachteten die Untersucher bezüglich unerwünschter Wirkungen keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Auch im Hinblick auf die Lebensqualität gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe.
Senkung des Schlaganfallrisikos
um rund 30 Prozent
Die TASMIN-SR konnte als erste Studie nachweisen, dass Hochrisikopatienten mit Hypertonie und signifikanter kardiovaskulärer Komorbidität imstande sind, ihr Blutdruckmanagement nach einem zuvor mit dem Hausarzt ausgearbeiteten Plan eigenständig durchzuführen, und dass es ihnen gelang, ihre systolischen und diastolischen
Blutdruckwerte in klinisch relevantem Umfang zu senken, ohne dass es vermehrt zu Nebenwirkungen kam, wie die Autoren zusammenfassen. Legt man die Ergebnisse klinischer Endpunktstudien zugrunde, darf man davon ausgehen, dass die Blutdrucksenkung, die in der Interventionsgruppe erzielt wurde, mit einer Reduktion des Schlaganfallrisikos um etwa 30 Prozent assoziiert ist. O
Andrea Wülker
McManus RJ et al.: Effect of self-monitoring and medication self-titration on systolic blood pressure in hypertensive patients at high risk of cardiovascular disease: the TASMIN-SR randomized clinical trial. JAMA 2014; 312(8): 799–808.
Interessenlage: Die Autoren geben an, dass ihre Forschungsaktivitäten von verschiedenen Firmen und Institutionen unterstützt werden.
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