Transkript
BERICHT
Diabetes macht Komplikationen handlung der kardiovaskulären Risikofaktoren, wie Brändle betonte.
von Kopf bis Fuss
Neue Studien zu diabetischer Neuro- und Nephropathie
Für die allermeisten Diabetikerinnen und Diabetiker entscheiden die Komplikationen über die Lebensqualität und die Lebensdauer. Neue Erkenntnisse zu den Diabetesfolgen wurden an einer Diabetesfortbildung in Bern präsentiert.
Halid Bas
Makro- und mikrovaskuläre Komplikationen lassen sich bei Typ-2-Diabetikern durch optimale Blutzuckereinstellung, konsequente Blutdruckkontrolle und Senkung der Lipidwerte gut verhüten. Diabetes wird auch als wichtiges Problem des Gesundheitswesens anerkannt, weshalb sich die medizinische Versorgung darauf eingestellt hat und auch den präventiven Aspekten zunehmende Bedeutung beimisst. Insgesamt hat sich die Diabetesbehandlung – auch dank besserer Selbstkontrolle durch die Betroffenen, Risikofaktorenkontrolle sowie neuen pharmakologischen Ansätzen – effektiver gestaltet. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Häufigkeit von Komplikationen hat eine Studie aus den USA für den
MERKSÄTZE
O Dank umfassendem, multidisziplinärem Management, multifaktorieller Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren und besserer Patientenschulung haben die Komplikationen der Zuckerkrankheit deutlich abgenommen.
O Die periphere diabetische Neuropathie ist auch von Veränderungen im Hirn begleitet (lokalisierte Abnahme des Volumens der grauen Masse).
O Die Selbsteinschätzung von diabetesbedingten Fussproblemen ist selbst bei gut betreuten Patienten sehr unzuverlässig.
O Eine Natriumeinschränkung auf 5 bis 6 Gramm pro Tag ist bei allen Typ-2-Diabetikern mit unter maximaler ACE-Hemmung persistierender Albuminurie zu befürworten.
Zeitraum 1990 bis 2010 untersucht, die Prof. Dr. med. Michael Brändle, Klinikleiter Endokrinologie, Diabetologie, Osteologie und Stoffwechsel, Kantonsspital St. Gallen, vorstellte (1).
Krankheitslast bleibt trotz Erfol-
gen bei den Komplikationen hoch
Die Zahlen zeigen, dass sich die Inzidenzen der fünf wichtigen Komplikationen – Amputationen der unteren Extremtitäten, terminale Niereninsuffizienz, Myokardinfarkt, Stroke und hyperglykämische Krisen – in den beiden Dekaden signifikant verringert haben. Am grössten waren die Abnahmen bei den Herzinfarkten (-67,8%; 95%-Konfidenzintervall [KI]: -76,2 bis -59,3) und bei Todesfällen infolge von Hyperglykämien (-64,4%; 95%-KI: -68,0 bis -60,9), danach folgen Stroke und Amputationen, deren Häufigkeit etwa halbiert wurde. Weniger gross war die Reduktion bei terminalen Niereninsuffizienzen (-28,3%; 95%-KI: -34,6 bis -21,6). Absolut gesehen war die Abnahme bei der Zahl der Myokardinfarkte am grössten (95,6 Fälle weniger pro 10 000 Personen). Die Auswirkungen der kombinierten medizinischen Anstrengungen auf die Diabeteskomplikationen während der beiden Jahrzehnte ergeben somit ein erfreuliches Bild. Da aber gleichzeitig die Prävalenz der Zuckerkrankheit in der Gesamtbevölkerung deutlich zugenommen hat, bleibt die Krankheitslast (burden of disease) weiterhin hoch und erfordert ein umfassendes, multidisziplinäres Management mit Patientenschulung und multifaktorieller Be-
Periphere Neuropathie
betrifft auch Hirnstrukturen
Die diabetische periphere Neuropathie (DPN) mit ihren verschiedenen klinischen Erscheinungsformen ist bisher überwiegend als eine Affektion des peripheren Nervensystems wahrgenommen worden. Dazu wirft jetzt eine Untersuchung der zentralnervösen Strukturen mittels Bildgebung des Hirns interessante Fragen auf, wie PD Dr. med. Christoph Henzen, Chefarzt Endokrinologie und Diabetologie, Kantonsspital Luzern, berichtete (2). Bei 36 Patienten mit Typ-1-Diabetes wurde mit einer neurophysiologischen Analyse eine Quantifizierung des DPNSchweregrads vorgenommen. Bei 18 Patienten lag keine DPN vor, je 9 hatten eine schmerzhafte respektive schmerzlose DPN. Diese Patienten ebenso wie 18 gesunde Freiwillige unterzogen sich einer volumetrischen Hirn-Magnetresonanzbildgebung mit 3 Tesla. Diese ergab, dass Patienten mit einer DPN im Vergleich zu solchen ohne DPN und zu gesunden Kontrollen eine signifikante Reduktion der peripheren grauen Hirnmasse aufwiesen. Dieser Verlust an Hirnvolumen betraf Regionen des primären sensomotorischen Kortex, des Gyrus supramarginalis und des Gyrus cinguli. Die Studie konnte somit erstmals zeigen, dass bei peripherer diabetischer Nervenschädigung auch eine Beeinträchtigung zentraler Anteile des Nervensystems vorliegt. «Dies entspricht einem Paradigmenwechsel», kommentierte Henzen. Über die Bedeutung für die Pathogenese und die Prognose, auch hinsichtlich einer Reversibilität, kann nur spekuliert werden. Auch der Pathomechanismus (zentrale «Atrophie» wegen fehlender Stimulation aus der Peripherie?) muss offenbleiben, so Henzen.
Patienten nehmen Fussprobleme
gar nicht wahr
In einer Kohorte von 358 konsekutiven ambulanten Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes wurde die subjektive Einschätzung, ob ihre Füsse normal seien oder nicht, erfragt (3). Die Untersuchung ist Teil einer Langzeitbeobachtungsstudie mit regelmässigen klinischen und biochemischen Kon-
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BERICHT
Nephroprotektion durch SGLT-2-Hemmer?
Bei 60 Prozent der Typ-1-Diabetiker liegt eine Hyperfiltration der Nieren vor, sie zeigen eine supranormale glomeruläre Filtrationsrate. Diese Hyperfiltration steigert das Risiko für eine diabetische Nephropathie. Als Wirkmechanismus wird eine Zunahme der proximalen Glukosewiederaufnahme über ein tubuloglomeruläres Feedback (TGF) postuliert. Die neue Antidiabetikaklasse der SGLT-2-Hemmer führt neben der Senkung von Blutzucker, Blutdruck und einem durch die Glukosurie bewirkten Kalorienverlust mit Abnahme des Körpergewichts auch zu einer Reduktion der proximalen Glukosereabsorption um 30 bis 50 Prozent. Eine Studie bei 40 Typ-1-Diabetikern konnte zeigen, dass eine achtwöchige Behandlung mit 25 mg/Tag Empagliflozin (Jardiance®) das gestörte tubuloglomeruläre Feedback wiederherzustellen und die Hyperfiltration zu korrigieren vermag. Die SGLT-2-Hemmung bewirkte zudem eine bescheidene, aber signifikante Senkung des systolischen Blutdrucks sowie eine Zunahme der zirkulierenden Mediatoren des ReninAngiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) bei Typ-1-Diabetikern mit renaler Hyperfiltration. «SGLT-2-Hemmer dämpfen die renale Hyperfiltration durch eine afferente und RAAS-Blocker durch eine efferente Vasokonstriktion. Angesichts dieser unterschiedlichen Wirkmechanismen könnte eine Kombination von SGLT-2- und RAAS-Hemmung ein vielversprechendes renoprotektives Potenzial aufweisen», kommentierte PD Dr. med. Christoph Henzen, Chefarzt Endokrinologie und Diabetologie, Kantonsspital Luzern.
Cherney DZ et al.: Renal hemodynamic effect of sodium-glucose cotransporter 2 inhibition in patients with type 1 diabetes mellitus. Circulation 2014; 129(5): 587–597.
trollen sowie Fragebogenerhebungen. Rund 60 Prozent der langjährigen Typ2-Diabetiker betrachteten ihre Füsse als normal. Die 40 Prozent mit als subjektiv abnormal eingeschätzten Füssen waren signifikant älter, hatten eine längere Diabetesdauer und häufiger sensorische neuropathische oder vaskuläre Symptome (p < 0,001). Dies mag nicht überraschen, bemerkenswert war hingegen, dass von denjenigen Patienten, die ihre Füsse als normal empfanden, 67,9 Prozent eine periphere sensorische Neuropathie aufwiesen, 9,9 Prozent einen Ankle-Brachial-Index (ABI) < 0,9 sowie 6,1 Prozent eine Neuropathie plus einen ABI < 0,9 zeigten, und dass 86,9 Prozent einen oder mehrere Inspektionsbefund(e) wie Deformitäten, trockene Haut, Schwielen und Fissuren boten. Klinisch relevante Fussprobleme waren also sehr häufig. «Obwohl alle im vorangegangenen Jahr mindestens eine Fussuntersuchung durch eine Fachperson erfahren hatten», wie Henzen betonte. Patienten nehmen ihre Füsse nur als abnormal wahr, wenn störende Symptome wie Taubheit, Kribbeln oder vorangegangene Ulzera vorliegen. «Immerhin 25 Prozent betrachteten ihre Füsse aber auch bei symptomatischer peripher arterieller Erkrankung oder Neuropathie noch als normal. Dies bedeutet, dass die Selbsteinschätzung von diabetesbedingten Fussproblemen durch die Patienten sehr unzuverlässig ist und Patientenschulung und Monitoring unverändert hohe Priorität haben.» ACE-Hemmung bei Albuminurie mit Salzrestriktion ergänzen Die Kombination von Diabetes und Nephropathie geht mit einer hohen Morbidität und Mortalität einher. Bekannt ist auch, dass bei Vorliegen einer Albuminurie mit Hypertonie Nierenund Herz-Kreislauf-Schäden rascher zunehmen. Eine Blockade des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) kann diese Risiken reduzieren. Bisher war nicht untersucht, ob eine Salzrestriktion oder Diuretikaverabreichung die Wirksamkeit der medikamentösen RAAS-Blockade bei diabetischer Nephropathie verbessern kann. Eine doppelblinde, randomisierte Cross-overStudie, die Dr. med. Bernhard Hess, Facharzt fur̈ Innere Medizin/Nephrologie, Klinik im Park, Zürich, vorstellte, hat dies nun erforscht (4). Einschlusskriterien waren Mikro- oder Makroalbuminurie bei einer Kreatininclearance > 30 ml/min und weniger als 6 ml/min Abnahme im vorangegangenen Jahr. Alle Patienten erhielten eine standardisierte maximale RAAS-Blockade mit einem ACE-Hemmer (Lisinopril 40 mg/ Tag), überwiegend in Kombination mit weiteren Antihypertensiva. Während
jeweils sechswöchigen Studienphasen wurde der zusätzliche Effekt einer mässigen Salzrestriktion (Ziel: 50 mmol Natrium pro Tag, entsprechend 3 g NaCl/Tag) oder von 50 mg Hydrochlorothiazid (HCTZ) pro Tag oder der Kombination von Salzrestriktion plus HCTZ auf die Albuminurie gemessen. Die Ergebnisse stützen sich auf die Daten von 45 von 89 geeigneten Patienten. Die maximale ACE-Hemmung mit mässiger Salzrestriktion senkte im Vergleich zur Normalernährung die Albuminurie um 42 Prozent sowie den systolischen Blutdruck (BD) um 5,3 mmHg und den diastolischen BD um 3,4 mmHg. Die maximale ACEHemmung plus HCTZ führte zur gleichen Albuminurieabnahme und zu einer Reduktion des systolischen BD um 12,0 mmHg und des diastolischen BD um 6,3 mmHg. Die Kombination von maximaler ACE-Hemmung, mässiger Salzrestriktion sowie HCTZ bewirkte eine Albuminurieverminderung um 61 Prozent und eine Abnahme des systolischen BD um 17,0 mmHg und des diastolischen BD um 9,5 mmHg. Als Konsequenz für die Praxis sagte Hess: «Eine Natriumeinschränkung auf 5 bis 6 Gramm pro Tag sollte bei allen Typ-2-Diabetikern mit unter maximaler ACE-Hemmung persistierender Albuminurie befürwortet werden. Die Verabreichung von HCTZ ist eine ergänzende Behandlung, wenn die Natriumeinschränkung versagt, oder ein Add-on bei persistierender Albuminurie trotz optimaler Natriumrestriktion.» O
Halid Bas
«The year in Diabetes 2014», Zentrum Paul Klee, Bern, 11.12.2014
Referenzen: 1. Gregg EW et al.: Changes in diabetes-related compli-
cations in the United States, 1990–2010. N Engl J Med 2014; 370(16): 1514–1523. 2. Selvarajah D et al.: Magnetic resonance neuroimaging study of brain structural differences in diabetic peripheral neuropathy. Diabetes Care 2014; 37(6): 1681–1688. 3. Baba M et al.: Self-awareness of foot health status in patients with Type 2 diabetes: the Fremantle Diabetes Study Phase II. Diabet Med 2014; 31(11): 1439–1445. 4. Kwakernaak AJ et al.: Effects of sodium restriction and hydrochlorothiazide on RAAS blockade efficacy in diabetic nephropathy: a randomised clinical trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2014; 2(5): 385–395.
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