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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kardiologie
Zu viele rein diagnostische Koronarangiografien in der Schweiz
Bleiglass, WikimediaCommons
In der Schweiz werden pro Jahr Tausende von Koronarangiografien zur Abklärung kardiovaskulärer Erkrankungen durchgeführt. In bis zu 3 Prozent der Fälle kann es dabei zu schwerwie-
genden Komplikationen kommen (z.B. allergische Reaktion auf Kontrastmittel, schwere Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkt, Tod). Zudem sei die Koronarangiografie eine sehr teure Untersu-
chung. Sie sollte darum nur bei Patienten mit begründetem Verdacht auf eine koronare Herzerkrankung erfolgen, heisst es in einer Pressemitteilung der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) anlässlich einer kürzlich publizierten Studie. Im Auftrag der SAMW untersuchten Prof. Thomas Rosemann, Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich, und Dr. Oliver Reich von der Abteilung Gesundheitswissenschaften der Krankenkasse Helsana, ob man sich in der Schweiz an die gängigen Leitlinien hält, wonach eine elektive, rein diagnostische Koronarangiografie erst dann indiziert ist, wenn andere, nicht invasive Untersuchungen zuvor einen auffälligen Befund ergeben haben. Offensichtlich hält man sich hierzulande recht oft nicht daran. In über einem Drittel der Fälle (37,5%) erfolgte
die Koronarangiografie, ohne dass in den
zwei Monaten zuvor ein Belastungs-
EKG, eine Echokardiografie, eine Szinti-
grafie, ein CT oder ein MRI durchgeführt
worden war. Selbst wenn man Hochrisi-
kopatienten ausnahm (therapeutische
kardiale Intervention in den 18 Monaten
zuvor) war die Rate der nicht leitlinien-
konformen Koronarangiografien mit
34,8 Prozent nicht wesentlich niedriger.
Bei älteren Patienten, bei Patienten
unter plättchenhemmender Medikation
sowie bei Patienten mit vielen Komorbi-
ditäten verzichtete man am häufigsten
auf vorgängige Abklärungen. Die Auto-
ren stützen sich auf Abrechnungsdaten
der Helsana aus den Jahren 2012 und
2013.
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Chmiel C et al.: Appropriateness of diagnostic coronary angiography as a measure of cardiac ischemia testing in nonemergency patients – a retrospective cross-sectional analysis. PLoS One 2015;10(2):e0117172, published online February 26, 2015.
Prävention
Finnische Sauna, Herzgesundheit und Mortalität
© Robert Kneschke – Fotolia.com
Der Saunabesuch ist in Finnland eine weit verbreitete Gewohnheit. Praktisch jeder ginge dort mindestens einmal pro
Woche in die Sauna, schreiben die Autoren einer kürzlich publizierten Studie zum langfristigen Nutzen häufiger Saunabesuche für die Herz-KreislaufGesundheit. Sie nahmen in den Achtzigerjahren 2315 finnische Männer in ihre
Studie auf. Die Männer waren damals 42 bis 60 Jahre alt. Sie wurden befragt, wie oft sie in die Sauna gehen, gängige Risikofaktoren wurden ebenfalls erfasst. Gut 20 Jahre später schaute man nach, wie viele von ihnen gestorben waren und ermittelte die kardiovaskuläre und die Gesamtmortalität in Relation zu den vor langer Zeit angegebenen Saunabesuchen. Die meisten gingen (vor 20 Jahren!) zwei- bis dreimal pro Woche zum Schwitzen (n = 1513), einige nur einmal pro Woche (n = 601) und die wenigstens vier- bis siebenmal (n = 201). Je häufiger der angegebene Saunabesuch, umso seltener waren kardiovaskuläre Todesfälle und umso geringer die Gesamtmortalität nach 20 Jahren. Im Vergleich mit nur einem Saunabesuch pro Woche sank das relative Mortalitätsrisiko um 31 bis 39 Prozent. Studien dieser Art sind natürlich mit Vorsicht zu interpretieren. Sie beweisen
keine Ursache-Wirkungsbeziehung und
sind mit einem hohen Bias-Risiko be-
haftet. Ein Beispiel: Wer sich sowieso
nicht gut fühlt und oft krank ist, wird
eher weniger in die Sauna gehen. Das
höhere Mortalitätsrisiko liegt dann
aber wohl kaum am selteneren Sauna-
besuch, der in diesem Fall ja Folge und
nicht Ursache einer Krankheit ist.
Es gibt auch Studien, in denen sich
Saunabesuche als Gesundheitsrisiko
für kardiovaskuläre Patienten erwiesen.
Die Autoren der Studie erwähnen die-
sen Punkt ausdrücklich und weisen
darauf hin, dass trockene Saunawärme
wie in der typischen finnischen Sauna
selbst für kardiovaskuläre Patienten
sicher sei. Nur für Patienten mit ortho-
statischer Hypotonie sei die Sauna eher
nicht zu empfehlen.
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Laukkannen T et al.: Association between sauna bathing and fatal cardiovascular and all-cause mortality events. JAMA Intern Med 2015; published online February 23, 2015.
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ARS MEDICI 5 I 2015
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Urologie
Kritik an Penis-Studie
Um ein für alle Mal die Frage nach einer normalen Penisgrösse zu beantworten, wertete ein britisches Team systematisch Studien aus, in denen Penislänge und -durchmesser aus welchen Gründen auch immer gemessen worden waren (1). Ausgeschlossen waren die Daten aus Studien zur erektilen Dysfunktion, zu Penismissbildungen oder falls es darin um Männer ging, die ihren Penis für zu klein hielten. Aus den vorhandenen Daten erstellte man ein Nomogramm und publizierte Durchschnittswerte für den Penis im schlaffen (Länge: hängend 9,1 ±1,6 cm, gestreckt 13,2 ± 1,9 cm; Durchmesser: 9,3 cm ± 0,9 cm) und im erigierten Zustand (Länge: 13,1 ± 0,9 cm; Durchmesser: 11,7 ± 1,1 cm). Diese Durchschnittswerte gelten für kaukasische Männer, da andere Bevölkerungsgruppen in den berücksichtigten 17 Studien kaum vertreten waren. Ein Manko der Studie ist die
Tatsache, dass bei den im Titel der Publikation
stolz genannten «bis zu 15 521 Männern» nur
ein sehr kleiner Teil der Messungen, nämlich
692 für die Länge und 381 für den Durchmes-
ser, im erigierten Zustand erfolgten.
Zurückhaltend beurteilt Prof. Dr. Harmut
Porst, Urologe aus Hamburg, die vorliegende
Studie (2). Man wisse längst, wie lang ein nor-
maler Penis sei. Im mitteleuropäischen Raum
schwanke die Länge im erigierten Zustand
zwischen 12 und 17 cm, meist seien es 14 bis
16 cm. Porst bezweifelt überdies, dass die
Messungen in den Studien wirklich immer
nach allen Regeln der Kunst verlaufen seien –
was bei einer Literaturarbeit wie der vorlie-
genden von David Veale und seinen Co-Auto-
ren im Nachhinein freilich weder bewiesen
noch widerlegt werden kann.
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1. Veale D et al.: Am I normal? A systematic review and construction of nomograms for flaccid and erect penis length and circumference in up to 15521 men. BJU International 2015; published online March 3, 2015.
2. Des Mannes bestes Stück systematisch vermessen – die Krux mit der Norm. Medscape, 4. März 2015.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Gendermedizin
Während man seit Langem wusste, dass die präventive Gabe einer niedrigen Dosis Azetylsalizylsäure (ASS) bei gesunden Männern über 50 das Herzinfarktrisiko deutlich mindert ohne das Hirnschlagrisiko zu beeinflussen, zeigt sich nun ein etwas anderes Bild bei den Frauen. In der Women’s Health Study hatten Frauen ab 45 jeden zweiten Tag 100 mg ASS oder Plazebo eingenommen. Nach 10 Jahren zeigte sich bei ihnen nur eine geringe Minderung des Herzinfarktrisikos, während das Hirnschlagrisiko um 17 Prozent sank. Betrachtete man hingegen nur die Frauen über 65, war der ASS-Effekt ähnlich wie bei den Männern, was die Bedeutung des hormonellen Status für das kardiovaskuläre Risiko bei Frauen unterstreicht.
Diagnostik
Neuer Name für chronisches Fatigue-Syndrom
Für das chronische Fatigue-Syndrom (CFS), das auch unter dem Namen myalgische Enzephalopathie (ME) bekannt ist und in der Literatur oft als ME/CFS auftaucht, wird in den USA eine neue Bezeichnung vorgeschlagen. Mit dem Begriff «systemic exertion intolerance disease», was man als «systemische Belastungsintoleranz» übersetzen könnte, werde klarer, dass es sich tatsächlich um eine Krankheit handele. Gleichzeitig werden Krite-
rien definiert, die für die Diagnose «syste-
mische Belastungsintoleranz» erfüllt sein
müssen.
Kritiker des Krankheitskonzepts ME/CFS
dürften jedoch auch künftig anzweifeln, ob es
sich um mehr handelt als eine Verlegenheits-
diagnose.
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Clayton EW: Beyond myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome. An IOM report on redefining an illness. JAMA 2015; published online February 10, 2015.
Immunologie
Salz in der Haut
Eine bislang unbekannte Rolle des Salzes für den Organismus entdeckten Forscher aus Regensburg: In Hautinfektionen fand sich bei Mäusen vermehrt Salz im Gewebe. Dies führte lokal zu einer Steigerung der Aktivität von Abwehrzellen. Gab man Antibiotika, ging die Salzanreicherung zurück. Medikamente können also den immunologischen Bedarf der Salzeinlagerung mindern. Es ist bekannt, dass die Salzeinlagerung im Gewebe im Alter zunimmt und mit Hypertonie und kardiovaskulären Erkrankungen verbunden ist. Mögli-
cherweise fördern chronische Entzündungen die Hypertonie über den Weg der Salzanreicherung im Gewebe, heisst es in einer Pressemitteilung der Universität Regensburg. Die therapeutischen Perspektiven der neuen Entdeckung sind vielfältig: «Denkbar wäre beispielsweise die gezielte Förderung der Salzanreicherung bei Infektionen. Des Weiteren ist das Wissen um Vorgang und Zweck der Salzspeicherung eine therapeutische Chance bei Autoimmunerkrankungen oder bei kardiovaskulären Krankheiten», so Prof. Jonathan Jantsch, Erstautor der aktuellen Studie. RBOO
Jantsch et al.: Cutaneous Na+ storage strengthens the antimicrobial barrier function of the skin and boosts macrophage-driven host defense. Cell Metabolism 2015; 21(3): 493–501.
Vor 50 Jahren
Intelligenzhormon
Der Biochemiker Stephen Zamenhof beobachtet in Tierversuchen, dass das Wachstumshormon HGH (human growth hormone) nicht nur das Körperwachstum allgemein, sondern auch die Anzahl an Gehirnzellen steigert. Er injizierte schwangeren Ratten HGH und stellte fest, dass deren Nachkommen mehr Gehirnvolumen aufwiesen als normalerweise zu erwarten war. Die HGHgedopten Tiere seien auch schlauer, berichtet das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel». So hätten sie sich im Labyrinthtest wesentlich schneller zurechtgefunden als normale Ratten.
Vor 100 Jahren
Do-it-yourself-Vakzine
In der JAMA-Ausgabe vom 13. März 1915 er-
scheint eine Anleitung zur Standardisierung
von Impfstoff mit abgetöteten Bakterien, dem
sogenannten Bakterin. Die Ärzte stellen die
Vakzine selbst her. Eindringlich warnt der
Autor der Anleitung vor einem allzu lässigen
Umgang mit den Bakterien. Es sei in grosser
Irrtum, zu glauben, dass es auf ein paar Mil-
lionen mehr oder weniger pro Injektion nicht
ankomme, denn schwerwiegende Nebenwir-
kungen seien nicht selten die Folge einer
Überdosierung.
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