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STUDIE REFERIERT
Polyzystische Nierenerkrankung
Monotherapie mit ACE-Hemmer genügt
Patienten mit autosomal polyzystischer Nierenerkrankung leiden oft schon früh an Bluthochdruck. Dieser ist mit einer Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), einer Zunahme des Nierenvolumens und einer Progression der Erkrankung verbunden. In zwei grossen Studien zeigte sich nun, dass eine duale Blockade des RAAS die Zunahme des Nierenvolumens nicht besser verlangsamen kann als eine Monotherapie mit ACE-Hemmern.
New England Journal of Medicine
Bei der autosomal dominanten polyzystischen Nierenerkrankung (ADPKD) kommt es meist – auch bei optimaler Behandlung – zu einer Progression bis zum Endstadium (1). Vor dem Verlust der Nierenfunktion ist die ADPKD über Jahrzehnte durch eine graduelle Zystenvergrösserung charakterisiert (2). Bei der Pathogenese des Bluthochdrucks von Patienten mit ADPKD spielt das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) eine zentrale Rolle. Die Aktivierung des RAAS fördert vermutlich über mitogene Effekte das Wachstum der Nierenzysten (2). ACE-Hemmer (angiotensin-converting enzyme) verzögern bei nicht diabetisch bedingten Nierenerkrankungen den Verlust der Nierenfunktion und sind deshalb die Medikamente der ersten Wahl zur Behandlung des Bluthoch-
MERKSÄTZE
O Eine duale Blockade des RAAS ist bei ADPKD nicht mit einer geringeren Zunahme des Nierenvolumens verbunden als die Monotherapie mit ACE-Hemmern.
O Mit einer intensiven Blutdruckkontrolle wird im Vergleich zu den Standardzielwerten im Frühstadium der ADPKD eine langsamere Zunahme des Nierenvolumens erreicht, die GFR verändert sich jedoch nicht.
drucks bei Patienten mit ADPKD. Der nephroprotektive Effekt der ACEHemmer wird jedoch möglicherweise durch eine kompensatorisch verstärkte Reninfreisetzung und eine vermehrte Bildung von Angiotensin limitiert (3). Daher stellt sich die Frage, ob mit zwei Medikamenten, die das RAAS auf unterschiedliche Weise blockieren, eine bessere Blutdruckkontrolle und eine ausgeprägtere Verlangsamung des Zystenwachstums erzielt werden kann als mit ACE-Hemmern allein (2, 3). In den beiden randomisierten, doppelblinden Studien HALT-PKD (Halt Progression of Polycystic Kidney Disease) wurde die Wirksamkeit einer dualen RAAS-Blockade und einer (intensiven) Blutdrucksenkung bei Patienten im Frühstadium und im Stadium 3 der ADPKD über einen Zeitraum von 5 bis 8 Jahren untersucht.
Duale RAAS-Blockade
im Frühstadium der ADPKD
In der Studie von Robert Schrier von der University of Colorado in Denver, USA, und seiner Arbeitsgruppe erhielten 558 Patienten in einem Alter von 15 bis 49 Jahren mit einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von mehr als 60 ml/min/1,73 m² den ACE-Hemmer Lisinopril (Zestril® und Generika) in Kombination mit dem Angiotensinrezeptorblocker (ARB) Telmisartan (z.B. Kinzal®, Micardis®, Generika) oder Lisinopril plus Plazebo (2).
Im Rahmen einer zweiten Randomisierung wurden die Teilnehmer einem Standardblutdruckziel von 120/70 bis 130/80 mmHg oder einem niedrigeren Zielwert von 95/60 bis 110/75 mmHg zugeordnet. Als primären Endpunkt definierten die Wissenschaftler die jährliche prozentuale Veränderung des Nierenvolumens (2). Zwischen der Lisinopril/TelmisartanGruppe und der Lisinopril/PlazeboGruppe stellten die Forscher keinen signifikanten Unterschied bezüglich der Zunahme des Nierenvolumens fest. Auch die Abnahme der GFR war in beiden Medikationsgruppen vergleichbar (-3,00 vs. -2,86 ml/min/1,73 m²/Jahr). In der Gruppe mit dem niedrigeren Blutdruckzielwert beobachteten die Wissenschaftler dagegen eine signifikant geringere jährliche Zunahme des Nierenvolumens als in der Gruppe mit dem Standardzielwert (5,6 vs. 6,6%). Zudem nahm der linksventrikuläre Massenindex bei niedrigem Blutdruckzielwert stärker ab als beim Standardzielwert (-1,17 vs. -0,57/m²/Jahr). Die Albuminausscheidung im Urin verminderte sich bei dem niedrigen Blutdruckziel um 3,77 Prozent und stieg beim Standardziel um 2,43 Prozent an. Die Abnahme der GFR war bei der intensiven und der Standardblutdruckkontrolle dagegen vergleichbar (-2,9 vs. -3,0 ml/min/1,73 m²/Jahr). Schwindel und Benommenheit kamen bei niedrigem Blutdruck häufiger vor als beim Standardwert (80,7 vs. 69,4%). Insgesamt kommen Schrier und seine Kollegen zu dem Schluss, dass die Kombination Lisinopril/Telmisartan in frühem Stadium der ADPKD die Zunahme des Nierenvolumens nicht signifikant besser aufhalten kann als eine Monotherapie mit ACE-Hemmern. Die intensive Blutdruckkontrolle war zwar mit einer langsameren Zunahme des Nierenvolumens verbunden und wirkte sich auch günstig auf die linksventrikuläre Masse und die Albuminurie aus. Die GFR konnte durch die niedrige Blutdruckeinstellung jedoch nicht positiv beeinflusst werden (2).
Duale RAAS-Blockade
im Stadium 3 der ADPKD
Vicente Torres von der Mayo Clinic in Rochester, USA, und sein Team verglichen die Wirksamkeit der Monotherapie und der dualen RAAS-Blockade bei
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STUDIE REFERIERT
älteren Patienten mit einer ADPKD im Stadium 3. Im Rahmen dieser Untersuchung erhielten 486 Patienten im Alter von 18 bis 64 Jahren mit einer GFR von 25 bis 60 ml/min/1,73 m² entweder Lisinopril/Plazebo oder Lisinopril/Telmisartan. Der Blutdruckzielwert betrug in dieser Studie für alle Patienten 110/70 bis 130/80 mmHg (3). Als kombinierten primären Endpunkt definierten die Forscher die Zeit bis zum Tod, eine Nierenerkrankung im Endstadium oder eine Reduzierung der GFR um 50 Prozent. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Aldosteron- und Albuminkonzentrationen im Urin sowie unerwünschte Wirkungen der Studienmedikation. Im Hinblick auf den primären kombinierten Endpunkt beobachteten die Forscher keine signifikanten Unterschiede zwischen Lisinopril/Plazebo und Lisinopril/Telmisartan. Mit beiden Medikationen wurde eine vergleichbare Kontrolle des Blutdrucks erzielt. Die Aldosteronausscheidung im Urin war ebenfalls vergleichbar. Auch die Abnahme der GFR (-3,91 vs. -3,87 ml/ min/1,73 m²/Jahr) und die Albuminausscheidung im Urin waren in beiden Gruppen ähnlich. Unerwünschte Wirkungen kamen in beiden Gruppen etwa gleich häufig vor. In dieser Studie resümierten die Wissenschaftler, dass die Monotherapie mit einem ACE-Hemmer zur Blutdruckkontrolle bei Patienten mit einer ADPKD im Stadium 3 ausreichte und die zusätzliche Applikation eines ARB die Abnahme der GFR nicht verlangsamte (3).
Kommentar im Editorial
David Ellison von der Oregon Health and Science University in Portland, USA, und Julie Ingelfinger von der Harvard Medical School in Boston, USA, kommentieren die Ergebnisse im Editorial derselben Ausgabe des «NEJM». Die Experten weisen darauf hin, dass beide Studien zu den grössten randomisierten Untersuchungen an Patienten mit ADPKD gehören und wichtige Informationen zu ihrer Versorgung beisteuern (1). Zum einen bestätigten die Studien die älteren Ergebnisse, dass eine duale RAAS-Blockade bei Nierenpatienten nicht wirksamer ist als eine Monotherapie. Beide Untersuchungen zeigen zudem, dass der Blutdruck bei den meisten Patienten mit ACE-Hemmern allein kontrolliert werden kann. Aufgrund ihres akzeptablen Verträglichkeitsprofils werden diese Substanzen daher voraussichtlich die erste Wahl zur Behandlung der Hypertonie bei ADPKD-Patienten bleiben. Als bemerkenswertes Ergebnis erachten die Autoren, dass eine intensive Blutdrucksenkung in frühen ADPKDStadien die Abnahme der GFR – und somit den Verlust der Nierenfunktion – nicht aufhalten konnte, obwohl die Zunahme des Nierenvolumens deutlich verlangsamt wurde. Diese Beobachtung weist ihrer Ansicht nach darauf hin, dass das Nierenzystenwachstum und der Verlust der Nierenfunktion möglicherweise nicht vollständig korrelieren. Diese Zusammenhänge sollten deshalb in randomisierten Studien mit
geeigneten Endpunkten genauer unter-
sucht werden (1).
O
Petra Stölting
Quellen: 1. Ellison DH, Ingelfinger J: A quest – halting the pro-
gression of autosomal dominant polycystic kidney disease. New Engl J Med 2014; 371(24): 2329–2331. 2. Schrier RW et al.: Blood pressure in early autosomal dominant polycystic kidney disease. New Engl J Med 2014; 371(24): 2255–2266. 3. Torres VE et al.: Angiotensin blockade in late autosomal dominant polycystic kidney disease. New Engl J Med 2014; 371(24): 2267–2276.
Interessenkonflikte: Zu 1.: Keine Angaben dazu vorhanden. Zu 2.: 10 der 18 Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten. Zu 3.: Die Studie wurde vom National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases, von der PKD-Foundation und weiteren wissenschaftlichen Institutionen/Organisationen in den USA finanziert.
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