Transkript
STUDIE REFERIERT
Morbus Crohn und Colitis ulcerosa
TNF-alpha-Blocker in Mono- oder Kombinationstherapie verabreichen?
Die Einführung der TNF-alpha-Blocker in die Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen hat die Behandlungsmöglichkeiten erweitert. Doch bestehen nach wie vor Kontroversen, ob TNF-alpha-Blocker als Monotherapie oder zusammen mit einem Immunsuppressivum verabreicht werden sollten. Eine aktuelle Übersichtsarbeit nimmt sich dieser Frage an.
Gut
In den letzten 15 Jahren hat sich die Therapie von Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) erheblich weiterentwickelt. Lange Zeit waren Steroide und Immunsuppressiva wie Methotrexat (MTX), Azathioprin (AZA) oder 6-Mercaptopurin (6-MP) die Hauptpfeiler der Therapie. Seit Infliximab zur Therapie des Morbus Crohn zugelassen wurde, versucht man, die verfügbaren Behandlungsschemata möglichst zu optimieren. Anfangs setzte man Tumornekrosefaktor (TNF)-alpha-Inhibitoren erst ein, nachdem die Immunsuppression versagt hatte. Dann gab es Evidenz, dass die Kombination aus AZA plus Infliximab (IFX) beim Einsatz in frühen Krankheitsstadien effektiver war als die typische sequenzielle Behandlung. Im Hinblick auf die zusätzliche Gabe von neueren TNF-alpha-Blockern und
MERKSÄTZE
O Bei den meisten CED-Patienten dürfte der Nutzen einer Kombinationstherapie aus TNF-alpha-Blocker und Immunsuppressivum die Risiken überwiegen.
O Das ideale Immunsuppressivum für eine Kombinationstherapie scheint Azathioprin zu sein.
O Bei älteren Patienten kann eine AntiTNF-Monotherapie wegen des messbaren Infektionsrisikos gerechtfertigt sein.
die Entwicklung verschiedener Behandlungsschemata gibt es immer noch eine Reihe von Fragen bezüglich der wirksamsten Behandlungsstrategie. Die grösste Kontroverse besteht vermutlich in Bezug auf die Frage, ob TNF-alphaBlocker als Monotherapie oder in Kombination mit 6-MP, AZA oder MTX eingesetzt werden sollten. Die Anti-TNF-Therapie hat sich auch bei rheumatoider Arthritis als wirksam erwiesen. Bei dieser Indikation haben randomisierte kontrollierte Studien ganz klar gezeigt, dass eine Kombinationstherapie die klinischen Ergebnisse verbessert. Zwar erscheint es logisch, dass bei CED ein ähnlicher Nutzen zu erwarten ist, doch ist die Datenlage hier weniger robust, sodass bei Arzt und Patient Unsicherheiten im Hinblick auf die Nutzen-Risiko-Relation (Wirksamkeit vs. Toxizität) bestehen. Die Autoren einer akutellen systematischen Übersichtsarbeit untersuchten die Wirksamkeit (klinische Remission, Schleimhautheilung etc.) und die Risiken (insbesondere schwere Infektionen und Lymphome) einer Anti-TNF-Monotherapie im Vergleich zu einer Kombinationstherapie mit einem Immunsuppressivum bei CED-Patienten.
Klinische Wirksamkeit
In der SONIC-Studie konnte gezeigt werden, dass die Kombination aus IFX und AZA im Hinblick auf das klinische Ansprechen und die Mukosaheilung bei Crohn-Patienten wirksamer ist als eine IFX-Monotherapie. Allerdings war
die zusätzliche Gabe des Immunsuppressivums MTX in der COMMITStudie der IFX-Monotherapie nicht überlegen. Jedoch muss bei der Interpretation dieser unterschiedlichen Ergebnisse berücksichtigt werden, dass die Krankheitsaktivität der Patienten in der COMMIT-Studie anfangs geringer war als in der SONIC-Population und dass in der COMMIT-Studie in beiden Behandlungsarmen ein Induktionsschema mit einem hoch dosierten Kortikosteroid eingesetzt wurde, was zu der höchsten steroidfreien Remissionsrate führte, die für diese Population jemals berichtet wurde. Der klinische Nutzen der Kombinationstherapie mit MTX könnte deshalb aufgrund der hohen Kortikosteroidansprechrate bei diesen Patienten mit mildem bis moderatem M. Crohn verschleiert worden sein. Die Unterschiede, die mit AZA beziehungsweise MTX in diesen beiden Studien beobachtet wurden, sollten mit Vorsicht interpretiert werden, da die Studiendesigns in SONIC und COMMIT signifikante Unterschiede aufwiesen, was einen direkten Vergleich der Ergebnisse erschwert.
Wie ist die Datenlage
bei Colitis ulcerosa?
Die einzige randomisierte kontrollierte Studie, in der man eine Anti-TNF-Monotherapie mit einer Kombinationstherapie bei Colitis-ulcerosa-Patienten verglich (UC-SUCCESS), ergab, dass die Kombination aus IFX und AZA im Hinblick auf das klinische Ansprechen wirksamer ist als die IFX-Monotherapie. Obwohl die Mukosaheilungsrate insgesamt in beiden Gruppen ähnlich war, wurde in der Gruppe mit der Kombinationstherapie eine signifikant höhere komplette Schleimhautheilungsrate beobachtet. Derzeit gibt es keine Studien, in denen die Monotherapie mit den TNF-alphaBlockern Adalimumab, Certolizumab und Golimumab direkt mit einer Kombinationstherapie verglichen wurde.
Bildung von Antikörpern bremsen
Ein Grund, warum man bei einer AntiTNF-Therapie die gleichzeitige Gabe eines Immunsuppressivums in Betracht ziehen sollte, ist die Wirkung, die Immunsuppressiva auf die Bildung von Antikörpern gegen TNF-alpha-Blocker ausüben. Sowohl die AZA- (in der
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SONIC-Studie) als auch die MTXKombinationstherapie (in der COMMITStudie) führten zu höheren IFX-Talspiegeln und reduzierten die Antikörperbildung. Eine verminderte Bildung von Antikörpern gegen TNF-alphaBlocker dürfte sich positiv auf die klinischen Ergebnisse auswirken.
Nebenwirkungen
In der Diskussion zu Monotherapie versus Kombinationstherapie werden immer wieder potenzielle Nebenwirkungen wie lebensbedrohliche Infektionen und Lymphomentwicklung angeführt. Verschiedene Studien belegen, dass die Kombinationstherapie aus einem TNF-alpha-Blocker und einem Immunsuppressivum im Vergleich zu einer Anti-TNF-Monotherapie keine grosse Wirkung auf die Rate an schweren Infektionen hat. Daten aus Beobachtungsstudien lassen vermuten, dass beim Einsatz der Kombinationstherapie das Risiko für schwere und opportunistische Infektionen höher ist als unter einer AntiTNF-Monotherapie. Doch waren die beobachteten Raten mit denjenigen vergleichbar, die unter einer immunsuppressiven Monotherapie beobachtet werden (oder sogar niedriger). Darüber hinaus geht der Einsatz von Steroiden mit einem signifikanten Infektionsrisiko einher, insbesondere, wenn Steroide in Kombination mit einem der erwähnten Medikamente verwendet werden. Infektiöse Komplikationen können lebensbedrohlich sein und werden wesentlich häufiger beobachtet als Neoplasien. Dennoch stellt die Angst vor Lymphomen eine wichtige Barriere sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten dar, wenn eine Kombinationstherapie in Betracht gezogen wird. Gepoolte Daten aus randomisierten kontrollierten Studien (RCT) zeigen, dass eine Kombinationstherapie aus einem TNFalpha-Blocker und einem Immunsuppressivum das Lymphomrisiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhen kann, doch ist dieses Risiko mit demjenigen vergleichbar, das unter einer immunsuppressiven Monotherapie beobachtet wird. In diesen RCT wurden bisher keine Lymphome unter einer Anti-TNF-Therapie beobachtet. Die Ergebnisse von Beobachtungsstudien sind widersprüchlich. Einige die-
ser Studien deuten darauf hin, dass die Kombinationstherapie mit einem höheren Lymphomrisiko einhergeht als die immunsuppressive Monotherapie, während andere keinen wesentlichen Unterschied feststellen konnten. Über alle Studien hinweg ist jedoch das Lymphomrisiko unter einer Anti-TNFMonotherapie am niedrigsten, und die Autoren gehen davon aus, dass das Lymphomrisiko auf die immunsuppressive Behandlung zurückzuführen ist. Was die Entwicklung eines HSTCL (hepatosplenic T cell lymphoma) anbelangt, scheint diese von der Dauer der Behandlung sowie von Alter und Geschlecht des Patienten abzuhängen: Das höchste Risiko wiesen Männer unter 35 Jahren auf, die sich einer langfristigen Thiopurintherapie (2 Jahre oder länger) unterzogen hatten.
Welche Schlüsse lassen sich
aus diesen Daten ziehen?
Diese Daten zeigen, dass die Gabe eines Immunsuppressivums zusätzlich zu einer Anti-TNF-Therapie mit Infliximab die Wirksamkeit der Therapie bei Patienten mit Colitis ulcerosa oder M. Crohn verbessert. Wahrscheinlich verbessert auch eine Kombinationstherapie mit anderen Anti-TNF-Substanzen die Wirksamkeit, doch fehlen definitive Daten, und es sind vergleichende Wirksamkeitsstudien erforderlich. Was die Behandlungsrisiken anbelangt, scheint der Einsatz einer Kombinationstherapie kein signifikantes zusätzliches Risiko schwerer Infektionen im Vergleich zu einer Monotherapie mit Anti-TNF oder Immunsuppressiva mit sich zu bringen. Daher scheint eine Kombinationstherapie aus Anti-TNF plus Immunsuppressivum bei CED-Patienten die überlegene Behandlungsstrategie zu sein, mit Ausnahme folgender Patientengruppen: O ältere Patienten – hier kann eine
Anti-TNF-Monotherapie wegen des messbaren Infektionsrisikos gerechtfertigt sein; O junge Männer mit limitierter Krankheitsausdehnung, da bei diesen Patienten ein erhöhtes HSTCL-(hepatosplenic T cell lymphoma-)Risiko beobachtet wurde.
Dennoch besteht wegen des messbaren Lymphomrisikos bei zusätzlicher Gabe
eines Immunsuppressivums sowohl bei Ärzten als auch bei Patienten eine gewisse emotionale Barriere. Obwohl Immunsuppressiva wahrscheinlich für das erhöhte Lymphomrisiko verantwortlich sind, spricht die Evidenz doch überwiegend für die Kombinationstherapie. Denn die Kombinationstherapie bietet die Vorteile einer verminderten Immunogenität sowie einer verbesserten und länger anhaltenden Wirksamkeit ohne ein erhöhtes Infektionsrisiko. Möglicherweise lassen sich eine verminderte Immunogenität und ein längeres Ansprechen auf die Anti-TNFTherapie auch mit anderen Mitteln erreichen (etwa mit einer Optimierung der Arzneimittelkonzentration). Dennoch ist derzeit die zusätzliche Gabe eines Immunsuppressivums als zweite Substanz nach Ansicht der Autoren die beste Strategie, um den Behandlungseffekt zu verbessern und vor einem Wirksamkeitsverlust zu schützen. Das ideale Immunsuppressivum für eine Kombinationstherapie scheint AZA zu sein. Bei jungen Männern kann möglicherweise MTX bevorzugt werden, weil bei dieser Patientengruppe das HSTCL-Risiko unter AZA höher zu sein scheint. Insgesamt stehen noch nicht für alle Patientengruppen und Medikamente definitive Daten zur Verfügung, und die Therapieentscheidung muss für jeden Patienten individuell erfolgen. Doch bei den meisten Patienten dürfte der Nutzen der Kombinationstherapie die Risiken überwiegen. O
Andrea Wülker
Dulai PS et al.: Systematic review: monotherapy with antitumour necrosis factor α agents versus combination therapy with an immunosuppressive for IBD. Gut 2014; 63(12): 1843–1853.
Interessenkonflikte: Die Autoren geben zahlreiche Verbindungen zu verschiedenen Pharmaunternehmen an und haben u.a. Referenten- und Beraterhonorare sowie Forschungsstipendien von diesen erhalten.
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