Transkript
STUDIE REFERIERT
Mesalazin bei Reizdarmsyndrom nur bedingt wirksam
Signifikante Symptomlinderung nur bei strikterer Auslegung des Therapieansprechens
In einer Phase-III-Studie war Mesalazin bei Reizdarmpatienten im Hinblick auf eine zufriedenstellende Linderung der abdominellen Schmerzen oder der Missempfindungen über die Hälfte der Behandlungswochen nicht wirksamer als Plazebo. Aus ergänzenden explorativen Analysen geht jedoch hervor, dass eine Untergruppe der Teilnehmer von Mesalazin profitierte.
Gut
Etwa 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung leiden unter einem Reizdarmsyndrom. Dabei handelt es sich um eine funktionelle gastrointestinale Störung mit abdominellen Schmerzen oder Missempfindungen in Verbindung mit Veränderungen des Stuhlgangs und Störungen der Defäkation. In die Pathogenese sind Kombinationen aus – vor allem in der frühen Kindheit – negativen und traumatischen Lebenserfahrungen, genetischen Prädispositionen sowie Umweltfaktoren involviert. Viele Reizdarmpatienten weisen Dysfunktionen der Darm-Gehirn-Achse auf. Dazu gehören Ängste, Depressio-
MERKSÄTZE
O Unter Mesalazin war der Anteil der Reizdarmpatienten, bei denen über die Hälfte der Behandlungswochen eine zufriedenstellende Linderung abdomineller Schmerzen oder Missempfindungen erzielt wurde, nicht höher als unter Plazebo.
O Nur bei einem «Cut-off»-Wert von > 75 Prozent zur Definition von Respondern wurde im Hinblick auf die Verbesserung der gesamten Reizdarmsymptomatik ein signifikanter Unterschied zwischen Mesalazin und Plazebo beobachtet.
O Eine Untergruppe der Studienteilnehmer profitierte von der Behandlung mit Mesalazin.
nen, Störungen der Darmmotilität und eine viszerale Hypersensitivität. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen ist zudem eine «Low-grade»-Entzündung der intestinalen Mukosa vorhanden. Zu den multifaktoriellen Ursachen dieses Entzündungsgeschehens gehören genetische Prädispositionen, Stress, Atopie, eine vorherige infektiöse Gastroenteritis, Veränderungen der Darmflora und Defekte der epithelialen Barriere. In einer «Proof-of-Concept»-Studie reduzierte Mesalazin (Asacol®, Asazine®, Pentasa®, Salofalk®) die Gesamtanzahl der Immunzellen sowie die Anzahl der T-Zellen und der Mastzellen in der Darmschleimhaut von Reizdarmpatienten. Barbara Giovanni vom St. Orsola-Malphigi-Hospital in Bologna (Italien) und ihre Arbeitsgruppe untersuchten jetzt die Wirksamkeit und Sicherheit von Mesalazin bei Reizdarmpatienten in einer randomisierten, doppelblinden, multizentrischen, plazebokontrollierten Phase-III-Studie.
Methode
Im Rahmen der Studie erhielten die Teilnehmer randomisiert dreimal täglich Mesalazin (800 mg) oder Plazebo über einen Zeitraum von zwölf Wochen. Anschliessend wurden die Patienten über weitere zwölf Wochen beobachtet. Während des Behandlungszeitraums wurde der Behandlungserfolg alle zwei Wochen, im Nachbeobachtungszeitraum einmal im Monat überprüft. Als primären Endpunkt definierten die Wissenschaftler eine zufriedenstellende
Linderung der abdominellen Schmerzen oder Missempfindungen in mindestens sechs der zwölf Behandlungswochen. Wichtigster sekundärer Endpunkt war eine zufriedenstellende Linderung der gesamten Reizdarmsymptomatik in mindestens sechs der zwölf Behandlungswochen. Der primäre Endpunkt wurde anhand einer binären Skala mit Hilfe der folgenden Frage überprüft: «Wurden Ihre abdominellen Schmerzen oder Missempfindungen in der letzten Woche zufriedenstellend gelindert?» Bei einer positiven Antwort in mindestens 50 Prozent der Behandlungswochen wurden die Patienten als Responder eingestuft (50%-Regel). In einer ergänzenden explorativen Analyse wurden die Teilnehmer als Responder klassifiziert, wenn sie über mindestens 75 Prozent (75%Regel) oder über mehr als 75 Prozent (> 75%-Regel) des Behandlungszeitraums eine zufriedenstellende Linderung der abdominellen Schmerzen oder Missempfindungen bestätigten.
Ergebnisse
An der Studie nahmen 185 Reizdarmpatienten aus 21 italienischen Zentren teil. Im Hinblick auf den primären Endpunkt waren die Ansprechraten mit 68,6 Prozent unter Mesalazin und 67,4 Prozent unter Plazebo (p = 0,870; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 12,8– 15,1) vergleichbar. In der explorativen Analyse war der Anteil der Responder in der Mesalazingruppe höher als in der Plazebogruppe. Bei Anwendung der 75-Prozent-Regel betrugen die Ansprechraten 43 Prozent unter Mesalazin und 31,4 Prozent unter Plazebo. Somit ergab sich eine Differenz von 11,6 Prozent (p = 0,115; -2,7–26%). Bei Anwendung der > 75Prozent-Regel lagen die Ansprechraten bei 32,6 Prozent in der Mesalazingruppe und bei 26,7 Prozent in der Plazebogruppe. Hier betrug der Unterschied demnach 5,9 Prozent (p = 0,404; -7,8–19,4%). Beide Unterschiede erreichten keine statistische Signifikanz. Im Hinblick auf die Verbesserung der gesamten Reizdarmsymptomatik (sekundärer Endpunkt) betrug der Anteil der Responder beim «Cut-off»-Wert von 50 Prozent unter Mesalazin 66,3 Prozent und unter Plazebo 61,6 Prozent. In der explorativen Analyse wurde bei Anwendung der 75-Prozent-Regel
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STUDIE REFERIERT
eine Differenz der Responderraten von 11,6 Prozent (46,5% vs. 34,9%; p = 0,121; -3,0–26,2%) und bei Anwendung der > 75-Prozent-Regel ein signifikanter Unterschied von 15,1 Prozent im Vergleich zu Plazebo (38,4% vs. 23,3%) beobachtet (p = 0,032; 1,5–28,7%). Das Nebenwirkungsprofil beider Gruppen war vergleichbar. Unter Mesalazin kam es bei vier Patienten zu schweren unerwünschten Wirkungen. Dabei handelte es sich um zwei Fälle von Gastroenteritis, eine ischämische Kolitis und ein Brustkrebsrezidiv. Unter Plazebo wurden keine schweren unerwünschten Wirkungen beobachtet.
Diskussion
Als potenzielle Erklärung für die unzureichende Effektivität von Mesalazin bezüglich des primären Endpunkts beim «Cut-off»-Wert von 50 Prozent erachten die Autoren die hohen Ansprechraten auf Plazebo. Dadurch wurde die tatsächliche Wirksamkeit des Medikaments möglicherweise verschleiert. Für das ausgeprägte Ansprechen auf Plazebo könnten die hohe Anzahl der Kontrollbefragungen, die
Patientenrekrutierung aus tertiären Zentren und die Definition des primären Endpunkts eine Rolle gespielt haben. Der Einschluss von Patienten mit wenig ausgeprägter Symptomatik (aufgrund fehlender Minimalkriterien für abdominelle Schmerzen oder Missempfindungen) hat möglicherweise ebenfalls zu einem Plazeboeffekt beigetragen. Bei einer Erhöhung des Anteils zustimmender Antworten auf mehr als 75 Prozent des Behandlungszeitraums zur Definition von Respondern beobachteten die Wissenschaftler deutlich höhere Ansprechraten in der Mesalazingruppe im Vergleich zu Plazebo. Dieser Effekt zeigte sich sowohl bezüglich des primären als auch des sekundären Endpunkts. Der «Cut-off»-Wert von > 75 Prozent stellt einen restriktiveren Endpunkt dar, mit dem eine kleinere Gruppe von Patienten mit ausgeprägterem Ansprechen erfasst wird. Diese striktere Definition des therapeutischen Erfolgs wurde bereits in Studien zu Tegaserod (Zelmac®, Zelnorm®) und Linaclotid (Constella®) angewendet, um ein anhaltendes Ansprechen auf das jeweilige
Medikament vom Plazeboeffekt abzu-
grenzen.
Aus den Ansprechraten beim «Cut-
off»-Wert von >75 Prozent geht hervor,
dass eine Untergruppe von Patienten
von Mesalazin profitiert. Eine Identifi-
zierung dieser Personen war jedoch an-
hand der Studiendaten nicht möglich.
Allgemein sind Patienten mit einer
«Low-grade»-Entzündung der Mukosa
potenzielle Kandidaten für ein gutes
Ansprechen auf Mesalazin. Im Rah-
men der vorliegenden Studie wurden
diese Patienten jedoch nicht präselek-
tiert, da die hierfür erforderlichen inva-
siven Massnahmen die Teilnehmerzahl
beträchtlich reduziert hätten.
O
Petra Stölting
Barbara G et al.: Randomised controlled trial of mesalazin in IBS. Gut 2014, published online Dec 22.
Interessenkonflikte: 4 der 22 Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
BEKANNTMACHUNG
Tingatinga: «Paradiesvögel» nach Bern gezogen
Seit Anfang dieses Jahres stellen wir Ihnen auf der Titelseite jeder Ausgabe von «Ars Medici» ein Bild der Tingatinga-Künstlerkooperative aus Tansania vor – und freuen uns mit dem Künstler, wenn dieses nicht nur gefällt, sondern auch einen Käufer findet. Wie zum Beispiel die «Paradiesvögel», die ihren Liebhaber in Dr. Arnold Durrer aus Bern gefunden haben.
Das Bild und die dahinter stehende Geschichte haben ihn
so beeindruckt, dass er sich unmittelbar gemeldet und
gemäss dem Motto «first come, first serve» den Zuschlag
erhalten hat. Und die «Paradiesvögel» haben seine
Erwartungen nicht enttäuscht, so Durrer erfreut bei
der Übergabe – ein guter Platz in der Praxis Schifflaube
ist ihnen gewisss.
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