Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Neurologie
Schlaganfall: Thrombektomie bringt doch mehr als Lyse allein
Angesichts des Siegeszugs der Stents in der Kardiologie begannen Neurologen vor einigen Jahren intraarterielle Thromben bei einem akuten ischämischen Schlaganfall nicht nur mittels rtPA-Lyse aufzulösen, sondern auch intraarteriell mechanisch zu entfernen. Man berichtete begeistert von erfolgreichen klinischen Erfahrungen. Nach den ersten randomisierten Studien sah es 2013 jedoch danach aus, als sei die Thrombektomie bei Schlaganfall «tot».
A: Die Angiografie zeigt die vom Hirnschlag betroffenen Blutgefässe.
B: Nach Entfernung des Blutgerinnsels werden die betroffenen Hirnareale schnell wieder durchblutet (Abbildungen Inselspital)
In den Studien IMS-3, MR RESCUE und SYNTHESIS hatte sich kein Vorteil einer Thrombektomie zusätzlich zur üblichen rtPA-Lyse gezeigt und IMS-3 wurde sogar vorzeitig abgebrochen, weil ein Erfolg der Intervention allzu unwahrscheinlich erschien. Schlaganfallexperten wie Prof. Hans-Christoph Diener vom Universitätsklinikum Essen kritisierten damals unter anderem, dass in diesen Studien technisch überholte Stentsysteme verwendet wurden. In einem Videostatement (1) forderte Diener 2013: «Es wäre an der Zeit, jetzt nochmals randomisierte Studien durchzuführen, bei denen die systemische Gabe von rTPA mit modernen Stent-Retrievern verglichen wird. Hoffentlich wissen wir dann in zwei Jahren, ob es eine Zukunft der Thrombektomie gibt.» Studien mit neuen Stent-Retrievern wurden mittlerweile durchgeführt, und die Antwort lautet Ja: Die Resultate der kürzlich präsentierten Studien MR CLEAN, ESCAPE, EXTEND-IA und SWIFT-PRIME (2-5) sprechen für einen klaren Vorteil der Thrombektomie bei akutem ischämischem Schlaganfall zusätzlich zur rtPA-Lyse. Auch dieses Mal wurden Studien vorzeitig beendet, aber nicht wegen Erfolglosigkeit. Im Gegenteil: In den Studien ESCAPE, EXTEND-IA und SWIFT-PRIME erwies sich bereits vor dem geplanten Ende der Vorteil der Thrombektomie (5). So zeigte sich beispielsweise in der Studie SWIFT-PRIME, dass 60,2 Prozent der mit einem modernen Stent-RetrieverSystem behandelten Patienten nach 90 Tagen keine alltagsrelevanten Behinderungen mehr hatten, während es bei der rein intravenösen Lyse nur 35,5 Prozent waren (6). Als Konsequenz der neuen Erkenntnisse haben die Fachgesellschaften European Stroke Organisation (ESO), der European Society of Minimally Invasive Neurological Therapy (ESMINT) und der European Society of Neuroradiology (ESNR) ihr Konsensus-Statement «Empfehlungen zur Indikation und Durchführung der intraarteriellen Thrombektomie bei akutem ischämi-
schen Schlaganfall» aktualisiert (7). Darin heisst es jetzt unter anderem, dass die mechanische Thrombektomie zusätzlich zur intravenösen Lyse bei akutem Schlaganfall mit Verschluss grosser Arterien möglichst rasch erfolgen soll, das heisst innert sechs Stunden nach Beginn der Symptome. Lyse und Thrombektomie seien dabei gleich wichtig: Das Einleiten der Lyse dürfe die Thrombektomie nicht verzögern und umgekehrt. Das Stellen der Indikation und die Durchführung der Thrombektomie sollten durch ein multidisziplinäres Team in spezialisierten «Stroke Units» erfolgen. An der SWIFT-PRIME-Studie waren auch Teams am CHUV, HUG und Kantonsspital Aarau beteiligt sowie das Stroke Center des Inselspitals Bern, das zu den Zentren mit der grössten Erfahrung bezüglich der Thrombektomie bei Schlaganfallpatienten gehört. In Bern wurden zwischen 2010 und 2014 bereits mehr als 700 Personen mit der intraarteriellen Therapie behandelt (6).
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1. Videostatement von Hans-Christoph Diener vom 18. Februar 2013, www.medscape.de.
2. Berkhemer OA et al.: A randomized trial of intraarterial treatment for acute ischemic stroke. N Engl J Med 2015; 372: 11–20.
3. Goyal M et al.: Randomized Assessment of Rapid Endovascular Treatment of Ischemic Stroke. N Engl J Med 2015, online 11 Feb 2015.
4. Campbell BCV et al.: Endovascular Therapy for Ischemic Stroke with Perfusion-Imaging Selection. N Engl J Med 2015, online 11 Feb 2015.
5. Pierto L: Three positive thrombectomy trials presented at International Stroke Conference 2015 (Nashville, TN). European Society of Minimally Invasive Neurological Therapy: www.esmint.eu, online 12 Feb 2015.
6. Pressemitteilung Inselspital Bern vom 20. Februar 2015. 7. www.esmint.eu/sites/default/files/uploads/user/1/
consensus-thrombectomy-ESO-Karolinska-ESMINTESNR.pdf, Stand: 20. Februar 2015.
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ARS MEDICI 4 I 2015
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Gynäkologie
Wie lange treten perimenopausale Hitzewallungen auf?
Etwa vier von fünf Frauen haben während der Wechseljahre vasomotorische Symptome wie Hitzewallungen oder nächtliches Schwitzen, aber wie lange diese Symptome im Durchschnitt tatsächlich anhalten, wurde bisher kaum untersucht (1). Die weit verbreitete Ansicht, dass es sich im Allgemeinen um weniger als zwei Jahre handeln dürfte, während der die Frauen von diesen Symptomen geplagt würden, scheint eher nicht zuzutreffen. Dies ergab die Auswertung von Daten der US-amerikanischen «Study of Women’s Health Across the Nation (SWAN)» (2). In dieser Kohorte wurde der Verlauf der Wechseljahre bei 3302 Frauen von Februar 1996 bis April 2013 verfolgt. In die Studie gingen die Daten von 1449 Frauen ein, die über häufige vasomotorische Symptome (VMS) klagten, das heisst, an mindestens sechs Tagen in den letzten beiden Wochen. Die Beschwerden dauerten im Mittel 7,4 Jahre. Nach der Menopause hielten die Beschwerden im Mittel noch 4,5 Jahre an. Bei Frauen, die schon weit vor der Menopause oder in einem frühen perimenopausalen
Stadium über VMS klagten, dauerte die VMSPhase am längsten, nämlich gut 12 Jahre. Traten die VMS jedoch erst nach der Menopause auf, waren sie im Mittel nach 3,4 Jahren vorüber. Es zeigten sich deutliche ethnische Unterschiede bei der Dauer der Beschwerden: Am längsten dauerten sie bei Afroamerikanerinnen (10,1 Jahre), gefolgt von hispanischen (8,9 Jahre) und weissen nicht-hispanischen Amerikanerinnen (6,5 Jahre), während die Zeitspanne bei Japanerinnen (4,5 Jahre) und Chinesinnen (5,8 Jahre) deutlich kürzer war. Die Autorinnen der Studie weisen darauf hin, dass auch eine Reihe anderer Faktoren für eine längere Dauer der VMS spreche, zum Beispiel ein höher empfundener Stress, Depression, Angst und ein niedriger Bildungsgrad.
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1. Richard-Davis R, Manson JE: Vasomotor Symptom Duration in Midlife Women—Research Overturns Dogma. JAMA Intern Med 2015; online February 16, 2015
2. Avis NE et al.: Duration of menopausal vasomotor symptoms over the menopause transition. JAMA Intern Med 2015; online February 16, 2015
Onkologie
Hormontherapie steigert Ovarialkarzinomrisiko
Frauen mit eine postmenopausalen Hormontherapie (HRT) tragen ein höheres Risiko für Ovarialkarzinome. Dies ergab eine grosse Metaanalyse der individuellen Daten von Ovarialkarzinompatientinnen aus 52 epidemiologischen Studien (1). Je kürzer die HRT zurücklag, umso höher war das relative Risiko für ein Ovarialkarzinom. Am höchsten war es während der HRT (RR: 1,43; 95%-Konfidenzintervall: 1,31–1,56; p Ͻ 0,0001). Auch wenn das Ende der HRT weniger als fünf Jahre zurücklag, war das relative Risiko noch um 23 Prozent erhöht (RR: 1,23; 95%-Konfidenzintervall: 1,09–1,37; p Ͻ 0,0006) und nach zehn Jahren um 10 Prozent (RR: 1,10; 95%-Konfidenzintervall: 1,01–1,20; p Ͻ 0,02). Andere Faktoren wie Alkohol, Rauchen, Alter bei Beginn der HRT oder orale Kontrazeptiva beeinflussten die genannten relativen Risiken nicht. Die Autoren der Studie fanden bezüglich des Ovarialkarzinomrisikos auch keinen Unterschied zwischen Östrogen-Monopräpa-
raten und Östrogen-Gestagen-Kombinationen. Allerdings wurde in der Metaanalyse die Dosis der HRT nicht berücksichtigt. Dies sei eine bedeutende Einschränkung, heisst es in einem begleitenden Kommentar (2), da im Allgemeinen die niedrigst mögliche Dosierung empfohlen wird. Für die Einschätzung der Relevanz dieses Risikos in der Praxis am wichtigsten ist jedoch die Grössenordnung in absoluten Zahlen (1): Wenn 1000 Frauen im Alter um 50 Jahre für fünf Jahre eine HRT durchführen, führt dies statistisch zu 1 zusätzlichen Fall von Ovarialkarzinom. Bei typischer Prognose bedeutet dies 1 Todesfall mehr pro 1700 Frauen.
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1. Collaborative Group on Epidemiological Studies of Ovarian Cancer: Menopausal hormone use and ovarian cancer risk: individual participant meta-analysis of 52 epidemiological studies. The Lancet 2015; online February 13, 2015.
2. Wentzensen N, Trabert B: Hormone therapy: short-term relief, longterm consequences. The Lancet 2015; online February 13, 2015.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Klimawandel
Mithilfe eines Tausende privater Computer umfassenden Netzwerks führen Wissenschaftler in Oxford die bisher umfassendste Simulation verschiedener Klimamodelle durch. Demnach würde eine Verdoppelung des Kohlendioxidgehaltes der Atmosphäre zu einer Aufheizung von um die 3,4 Grad führen. Allerdings reicht die Spanne der errechneten Werte von unter 2 bis 11 Grad. Heute, zehn Jahre später, warnt der Weltklimarat vor einer Erwärmung um 4 Grad, falls der Anstieg von Treibhausgasen nicht gestoppt werde.
Vor 50 Jahren
Krebsforschung
Die Krebsforschung gehört zu den am stärksten geförderten Fachgebieten. Mit allen Mitteln wolle man diese «letzte Seuche» der Menschheit besiegen, schreibt das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» im Februar 1965. Insbesondere in den USA spielt Geld scheinbar keine Rolle. Krebs und Herzkrankheiten gelten sozusagen als Staatsfeind Nr. 1, und schon in den nächsten Jahrzehnten werde man diese Krankheiten besiegen, verspricht Präsident Johnson.
Vor 100 Jahren
Antibakterielle Salizylsäure
Der Londoner Arzt Albert Wilson berichtet im British Medical Journal über die antibakterielle Wirksamkeit von Salizylsäure. Er hatte die Substanz in verschiedenen Konzentrationen in Bakterienkulturen getestet und antibakterielle Wirkungen je nach Bakterium und Salizylsäurekonzentration festgestellt. Auf die Idee hatte ihn seine Erfahrung mit verletzten Soldaten gebracht: Man hatte ihnen Salizylsäurepulver in die offene Wunde gestreut, wodurch sich der Zustand der Wunde offenbar verbesserte.
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ARS MEDICI 4 I 2015