Transkript
Hepatitis C: Eine riesige Entwicklung, aber es bleibt noch etwas zu tun …
INTERVIEW
Trotz der Möglichkeit, mit den neuen Medikamenten die
Hepatitis C zu eliminieren, ist ein solches Szenario noch
weit entfernt. Was noch erforderlich ist, um die Ver-
sorgungssituation wirklich zu verbessern, schildert
Dr. med. Philip Bruggmann im Interview.
ARS MEDICI: Woran mangelt es im Umgang mit der Hepatitis C? Dr. med. Philip Bruggmann: Das beginnt bereits bei der Awareness. Nicht nur die Allgemeinbevölkerung, selbst die im Gesundheitswesen Tätigen wissen immer noch viel zu wenig über die Hepatitis C. Die WHO nennt es im doppelten Sinne «die stille Epidemie»; zum einen, weil nicht darüber geredet wird, und zum anderen, weil die Hepatitis lange keine Symptome zeigt. Da sich die Erkrankung schleichend entwickelt, ist sie jahrelang auf allen Ebenen vernachlässigt worden. Es war zu wenig bekannt, dass die Folgen gravierend sind und der Public Health Impact mindestens mit demjenigen einer HIV-Infektion vergleichbar ist.
ARS MEDICI: Wie lässt sich die Situation ändern? Bruggmann: Die aktuellen Entwicklungen bei den Medikamenten und die begleitende mediale Aufmerksamkeit werden sicherlich etwas bewirken, aber darüber hinaus ist eine koordinierte Kampagne erforderlich. Diese muss gezielt bei den Ärzten ansetzen, mit Informationen und Anleitungen zum Beispiel zur Abklärung, muss aber auch die Allgemeinbevölkerung über Hepatitis C aufklären. Im Rahmen einer solchen Kampagne müssen Fachleute verschiedener Disziplinen eine gemeinsame Strategie erarbeiten und weiterführende Fragen klären. Dazu zählt die Kostenfrage und inwieweit zum Beispiel auch das BAG bereit ist, sich zu beteiligen. Wir brauchen auch noch mehr Daten; die epidemiologische Forschung ist lange vernachlässigt worden. Wir haben eine grosse Dunkelziffer, Schätzungen zufolge weiss etwa die Hälfte der Betroffenen nicht von ihrer Erkrankung.
ARS MEDICI: Wäre ein allgemeines Screening eine Option? Bruggmann: Wenn man die aktuell ungenügende Testsituation ansieht, bräuchte man eigentlich eine Screeningkampagne. Solange
man aber nicht allen positiv Getes-
teten auch eine Behandlung anbie-
ten kann, ist das schwer zu vermit-
teln. Und derzeit gibt es für die
modernen Medikamente aufgrund
ihrer Kosten eine Limitatio des
BAG, das heisst, der Einsatz ist
Patienten mit schwerer Leberfibro-
sierung vorbehalten. Das ist ethisch
wie medizinisch schwierig. Zum
einen ist die Hepatitis C mehr als
eine Lebererkrankung. Sie ist wie
die HIV-Infektion eine systemische
Infektionskrankheit und macht Symptome ausserhalb der Leber. Müdigkeit und Konzentrations-
Zur Person
Dr. med. Philip Bruggmann ist Chefarzt Innere Medizin der Arud-Zentren für
mangel können die Folge sein – Suchtmedizin und wissenschaftlicher Symptome, die man wissenschaft- Beirat von ARS MEDICI.
lich nicht exakt erfassen kann und
die stiefmütterlich behandelt werden, obgleich sie einen grossen
Einfluss auf die Lebensqualität haben. Das bleibt unberücksichtigt.
Zum anderen haben wir Patienten, die seit Langem auf die neuen
interferonfreien Therapien warten, denen wir aber leider jetzt
sagen müssen, dass ihre Leber noch zu wenig geschädigt ist. Auch
für eine junge Frau mit Hepatitis und Kinderwunsch und für
Patienten nach Lebertransplantation gibt es derzeit keine
Therapieindikation.
ARS MEDICI: Was steckt hinter der Limitatio des BAG? Bruggmann: Eine Behandlung von 12 Wochen kostet mit den derzeit verfügbaren modernen Medikamenten* um die 62 000 Franken. Diese neuen Medikamente sind sicherlich kosteneffizient, wenn man die Gesamtkosten betrachtet und die Einsparungen in den verschiedensten Bereichen auf lange Sicht berücksichtigt, sei es was Nebenwirkungen, Hospitalisierungen, Folgeerkrankungen und Arbeitsfähigkeit angeht. Dennoch sind Kosten dieser Grössenordnung bei schätzungsweise 60 000 bis 80 000 Hepatitis-C-Infizierten auf kurze Sicht für das Gesundheitssystem nicht zu verkraften; hier müssen gemeinsam praktikable Lösungen gesucht werden.
Hepatitis C: Umfassende Strategie erforderlich
Im Mai 2014 hat sich die Schweiz in einer WHO-Deklaration verpflichtet, eine umfassende Strategie zur nationalen Koordination der Bekämpfung der Virushepatitis und ihrer Folgen zu erarbeiten. Eine breit abgestützte Gruppe von Fachleuten hat sich dies zur Aufgabe gemacht. Die individuellen, medizinischen und sozioökonomischen Folgen der Hepatitisepidemie gilt es mit patientengerechten, kosteneffizienten und umsetzbaren Massnahmen einzuschränken, heisst es im Pressetext. Die aktuell viel diskutierten Preise der Hepatitis-C-Medikamente und deren sinnvoller Einsatz sollen genauso Themen sein wie Massnahmen zur Verbesserung der Nachweisraten oder die Aufklärung aller Beteiligten.
ARS MEDICI: Solche Kosten kennt man aus der Onkologie …
Bruggmann: Wir sind damit bei den Preisen in der Grössenordnung
der Onkologie angelangt, nur gibt es dort viel weniger Betroffene –
bei den ganz teuren Präparaten geht es in der Schweiz um ein paar
Tausend onkologische Patienten. Ein grosser Unterschied zur On-
kologie ist allerdings, dass wir nicht über eine Lebensverlängerung
von ein paar Wochen oder Monaten, sondern über die Heilung
einer chronischen Erkrankung sprechen.
O
*Das BAG hat per 1. Februar Harvoni ®, Viekirax® und Exviera® zur Therapie der chronischen Hepatitis C auf die Spezialitätenliste aufgenommen.
Das Interview führte Christine Mücke.
ARS MEDICI 4 I 2015
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