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BERICHT
Darmkrebstherapie im Alter
Der schmale Grat zwischen Übertherapie und Unterversorgung
Die Menschen werden immer älter – auch in der Schweiz. Doch mit zunehmendem Alter steigt auch die Darmkrebs-Inzidenz, wie PD Dr. med. Dirk Kienle vom Stadtspital Triemli, Zürich, bei der interdisziplinären Fortbildungsplattform «onko.geriatrie» berichtete: Bei diesen Patienten ist ein vom individuellen Fitnessgrad abhängiges, individualisiertes Vorgehen gefragt – ärztliche Kunst also, die nur wenig Rückhalt in evidenzbasierten Studien findet.
Adela Žatecky
Nach epidemiologischen Daten aus der Schweiz sind 60 Prozent der Darmkrebspatienten über 70 Jahre und 43 Prozent sogar über 75 Jahre alt. Eine Besonderheit des Darmkrebses ist, dass sich das Risiko durch LifestyleÄnderungen gut beeinflussen lässt. Zu den wichtigsten Risikofaktoren zählt hier die Adipositas, und es konnte bereits gezeigt werden, dass durch Lifestyle-Änderungen auch eine Reduktion der Inzidenz zu erzielen ist. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor, dessen Möglichkeiten nach den Worten von Kienle bei Weitem nicht ausgeschöpft werden, ist die Darmkrebsvorsorge, die in der Schweiz zwischen 50 und 69 Jahren von den Krankenkassen bezahlt wird: «Ich denke, es ist sehr wichtig, die Bevölkerung zu sensibilisieren, gerade in diesem Alter das Angebot wahrzunehmen, weil wir damit die fortgeschrittenen Darmkarzinome einfach vermeiden.»
Herausforderungen
bei älteren Patienten
Die besonderen Herausforderungen bei älteren Patienten ergeben sich aus der zunehmenden Zahl an Komorbiditäten wie Demenz, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und COPD. Die Komorbiditäten führen dazu, dass die Lebenserwartung auch unabhängig von dem Krebsleiden reduziert ist und darüber hinaus
die Krebsbehandlungen auch schlechter toleriert werden als bei Patienten ohne organische Einschränkungen. Solche Einschränkungen finden sich bei älteren Patienten oft schon allein aufgrund des Alters, ohne dass eine organische Erkrankung vorliegen würde. Es bestehen häufig auch zahlreiche Komedikationen, die zu Interaktionen und eingeschränkter Steuerbarkeit der Chemotherapie führen. Häufig weisen die Patienten bereits vor der Chemotherapie einen schlechten Allgemeinzustand, Kachexie oder auch Pflegebedürftigkeit auf.
Schlechtere Versorgungssituation
älterer Krebspatienten
Zusätzlich erschwert wird die Situation für die behandelnden Ärzte durch die oft fehlenden Studiendaten in diesen fortgeschrittenen Altersgruppen. Denn Studien, in denen speziell ältere und komorbide Patienten untersucht wurden, sind die Ausnahme und liegen zum Teil auch schon länger zurück, bemängelte Kienle. Häufig wurden in den allgemeinen Studien ältere und komorbide Patienten sogar ausgeschlossen. «Das macht die Situation so schwierig und erfordert dann auch viele Individualentscheidungen», betonte Kienle. Dass ältere Patienten grundsätzlich nicht optimal versorgt werden, wurde in verschiedenen, medizinisch ansons-
PD Dr. med. Dirk Kienle, Stadtspital Triemli, Zürich
ten gut entwickelten Ländern wie auch der Schweiz festgestellt. Die Patienten werden seltener und auch erst später, in einem fortgeschrittenen Stadium, dem Fachspezialisten zugewiesen. Doch selbst wenn die älteren Patienten beim Spezialisten sind, findet bei ihnen seltener ein vollständiges Staging statt. Das führt dann auch dazu, dass ältere Patienten seltener elektive Tumoroperationen bekommen und meist erst in einer Notfallsituation, wie Ileus oder mit anderen Beschwerden, die einen Notfalleingriff erforderlich machen, in die chirurgische Versorgung kommen. Darüber hinaus weiss man, dass ältere Tumorpatienten auch seltener Radiound Chemotherapien erhalten als jüngere. Insgesamt führt diese schlechtere Versorgungssituation auch unabhängig von der schlechteren gesundheitlichen Ausgangssituation dazu, dass ältere Patienten mit vergleichbaren Krebserkrankungen immer noch eine schlechtere Prognose haben als jüngere Patienten.
Chirurgische Behandlung als wichtigstes Standbein
Die Chirurgie ist nach wie vor der Goldstandard und das wichtigste
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MERKSÄTZE
O Die schlechtere Versorgungssituation von älteren Patienten mit Darmkrebs führt auch unabhängig von der schlechteren gesundheitlichen Ausgangssituation dazu, dass ältere Patienten immer noch eine schlechtere Prognose haben als jüngere Patienten mit vergleichbaren Krebserkrankungen.
O Gerade bei älteren Krebspatienten ist ein gutes präoperatives Assessment mit einer genauen Abklärung der gesundheitlichen Ausgangssituation entscheidend.
O Nach heutigem Kenntnisstand zur adjuvanten Therapie wäre zumindest für den Durchschnittspatienten über 70 die einfache Therapie mit 5-FU oder Capecitabin wahrscheinlich eher der Standard als eine Kombinationstherapie, wobei es immer auch Individualentscheidungen geben muss.
O Eine palliative Chemotherapie kann bei älteren Patienten mit fortgeschrittenem Darmkrebs die tumorassoziierten Beschwerden reduzieren, die Lebensqualität verbessern oder zumindest erhalten und letztlich auch das Überleben verlängern.
O Wichtig ist, dass der Patient die Möglichkeit einer eigenen Entscheidung bekommt, indem man seine persönlichen Therapieziele – zum Beispiel Kuration oder Lebensqualität – erfragt und ihn qualifiziert über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Therapieoptionen aufklärt.
Standbein der Behandlung beim Darmkrebs. Wird er früh genug erkannt, erfolgt die Operation kurativ. In den letzten 10 bis 15 Jahren hat sich die Prognose beim Kolorektalkarzinom deutlich verbessert. Das liegt vor allem daran, dass sich die Mortalität im Rahmen der Operation deutlich reduziert hat, die Operation also deutlich sicherer geworden ist. «Das eröffnet das Feld natürlich auch für ältere Patienten», hob Kienle hervor. Zudem wurden zunehmend die Indikationen für die Operation erweitert; das heisst, dass heute auch umschriebene Metastasen der Leber oder Lunge zum Teil in kurativer Absicht chirurgisch entfernt werden können. Dies führt nicht immer
zu einer Heilung, aber insgesamt zu deutlich verlängerten Überlebensraten. Allerdings wurden diese Erfolge in erster Linie zugunsten jüngerer Patienten erzielt, denn die Prognose beim Kolorektalkarzinom hat sich bei den unter 65-Jährigen wesentlich verbessert, während sie bei den Älteren im Wesentlichen gleich geblieben ist. Entsprechende Untersuchungen haben gezeigt, dass Patienten mit Gebrechlichkeit («frailty») ein bis zu 8-fach erhöhtes Risiko für eine postoperative Frühmortalität aufweisen. Um diese Risiken zu identifizieren und gezielt anzugehen, ist ein gutes präoperatives Assessment entscheidend. Stellt man im Rahmen eines solchen Assessments beispielsweise eine Mangelernährung fest, ist es sinnvoll, eine elektive Operation aufzuschieben und den Patienten für 7 bis 10 Tage eine Nahrungsunterstützung, eventuell auch per Magensonde, zukommen zu lassen. Dadurch können die Sterblichkeit und die Komplikationen postoperativ deutlich gesenkt werden. «Das sind alles Faktoren, die beeinflussbar sind, und wir sollten in Zukunft mehr daran denken», betonte Kienle.
Adjuvante Therapie
Wenn die Operation gut verlaufen ist und der Patient sich nun zur weiteren Therapie vorstellt, geht es für die vielen Patienten, die ein lokal fortgeschrittenes Karzinom haben, um die Frage, ob eine adjuvante Behandlung durchgeführt werden soll. Lokal fortgeschrittenes Stadium bedeutet, dass der Tumor über den Darm hinaus bereits in die Lymphknoten abgesiedelt hat. Für diese Patienten im Stadium III ist gezeigt worden, dass man das Gesamtüberleben und die Rückfallrate bei den jüngeren mit einer adjuvanten Chemotherapie aus 5-Fluorouracil/Folinsäure oder auch Capecitabin deutlich verbessern kann. Eine zusätzliche Verbesserung konnte bei diesen Patienten durch die Addition von Oxaliplatin (FOLFOX, XELOX) erzielt werden. Doch wie oft wird eine solche adjuvante Therapie wirklich durchgeführt? Wie Kienle weiter berichtete, hängt dies wiederum vom Alter ab. Eine entsprechende Untersuchung hat gezeigt, dass 77 Prozent der unter 70-Jährigen, aber nur 32 Prozent der über 74-Jährigen eine solche adjuvante Therapie erhalten.
Dass diese Zurückhaltung bei den Älteren unbegründet ist, macht eine Metaanalyse deutlich: Demnach wird beispielsweise durch die Gabe einer einzigen Substanz, des 5-Fluorouracils (5-FU), das Sterberisiko bei den Älteren über 70 Jahre ebenso deutlich reduziert wie bei den Jüngeren, nämlich um zirka 30 Prozent (1). Weiterhin hat man gesehen, dass die Toxizitäten im Rahmen dieser Studie bei den alten Patienten nach den Worten von Kienle «nicht wirklich erhöht waren» und Nebenwirkungen wie Nausea, Diarrhö, Stomatitis selten blieben. Die einzigen Nebenwirkungen, die bei älteren Patienten deutlich häufiger auftraten, waren Leukopenien (8 vs. 4%). «Man kann sagen: Diese einfache adjuvante Chemotherapie mit 5-FU alleine wird auch von Patienten über 70 Jahre gut vertragen und führt zu einem deutlichen Gewinn», betonte Kienle. Einschränkend fügte er allerdings hinzu, dass es sich in dieser Untersuchung eben doch um vorselektierte, überdurchschnittlich gesunde Studienpatienten handelte und nur 23 dieser Patienten über 80 Jahre alt waren. Daher müsse man sich fairerweise eingestehen, dass für Patienten über 80 Jahre kaum Daten zur adjuvanten Therapie vorliegen. Anstatt die Patienten intravenös mit 5-FU zu behandeln, gibt es auch die Möglichkeit der oralen Therapie mit dem oralen 5-FU-Prodrug Capecitabin, das in der Leber wie auch im Tumor selbst zur wirksamen Substanz metabolisiert wird. Es hat sich bei über 70-Jährigen als mindestens ebenso wirksam wie ein Bolus aus 5-Fluorouracil/Leukovorin (5-FU/LV) erwiesen, aber als weniger toxisch. Eine offene Frage ist, ob ältere Patienten von einer Kombinationstherapie profitieren – die würde dann tatsächlich mehr Nebenwirkungen mit sich bringen. Hinzu kommt das Medikament Oxaliplatin, das sehr häufig periphere Neuropathien verursacht. Deshalb stellt sich hier vermehrt die Frage, inwieweit Oxaliplatin noch zu einer Prognoseverbesserung beitragen kann. Auch hierzu gibt es Metaanalysen, die allerdings eher darauf hindeuten, dass der Zugewinn durch Oxaliplatin nicht mehr gross ist. Nach jetzigem Kenntnisstand sieht es so aus, als wäre zumindest für den Durchschnittspatienten über 70 die einfache Therapie mit 5-FU
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oder Capecitabin wahrscheinlich eher der Standard als eine Kombinationstherapie aus zwei Substanzen, wobei es natürlich auch immer Individualentscheidungen geben muss. So gibt es sicherlich den fitten und sportiven Patienten mit 75 Jahren, dem man eine Kombinationstherapie anbieten sollte.
C. ascendens 5%
C. transversum 4%
C. descendens 2%
Spezialfall Rektumkarzinom Immerhin fast ein Drittel (29%) der Darmkarzinome betrifft das Rektum (Abbildung 1). Diese Lokalisation macht eine spezielle Behandlung erforderlich. Hier ist ein gutes Staging des Tumors wichtig; hierzu sind eine Kernspintomografie und unter Umständen auch eine Endosonografie sinnvoll. Die Erfahrung zeigt, dass man selten Frühstadien, sondern meistens lokal fortgeschrittene Stadien vorfindet. Der Tumor ist also meist schon über die Darmwand hinausgewachsen und in die Lymphknoten vorgedrungen. Für solche fortgeschrittenen Rektalkarzinome (Stadium II/III) hat sich ein bestimmtes Muster an Behandlungen durchgesetzt: Zuerst kommt die Chirurgie zum Einsatz, die optimalerweise als totale mesorektale Exzision (TME) erfolgt. Neben dem Tumor selbst werden hierbei die umliegenden Fett- und Bindegewebsstrukturen (Mesorektum), die erfahrungsgemäss häufig bereits vom Tumor mitbefallen sind, ebenfalls entfernt. Durch diesen Eingriff konnten die Überlebenszeiten deutlich verbessert werden. Dazu hat sich eine Radiotherapie etabliert, von der man mittlerweile weiss,
Herausforderungen bei älteren Patienten mit Kolorektalkarzinom
O häufige Unterbehandlung
O vermehrte Rate an Notfalloperationen mit einer Risikoerhöhung um das 2- bis 3-Fache
O mangelhaftes präoperatives Staging
O weniger kurative Resektionen
O höhere postoperative Mortalität im Alter ab etwa 80 Jahren, unabhängig von Komorbiditäten und Notfalloperationen
O vermehrte Risikofaktoren wie Gebrechlichkeit, Mangelernährung, eingeschränkte Organfunktion und Komorbiditäten
Zökum 13%
Appendix 1%
Rektum 29%
Abbildung 1: Lokalisation von Kolonkarzinomen
C. sigmoideum 18%
dass sie deutlich besser vertragen wird und auch wirksamer ist, wenn sie bereits vor der Operation erfolgt. Eine interdisziplinäre Besprechung ist hier bereits bei der Diagnosestellung sinnvoll. Wenn man darüber hinaus zur Radiotherapie noch eine Chemotherapie hinzufügt – zum Beispiel mit 5-FU – kann man die Rate an Lokalrezidiven gegenüber der alleinigen Radiotherapie reduzieren. Es handelt sich um eine komplizierte und intensive Therapie, welche aber die mit Abstand besten Erfolgsraten im Hinblick auf die Heilung bringt. Allerdings besteht auch hier das Problem, dass es keine Studien gibt, in denen bewusst ältere Patienten eingeschlossen worden wären. Bekannt ist nur, dass die Radiotherapie das lokale Rezidiv auch bei über 70-Jährigen reduzieren kann und dass die Komplikationsrate nicht wesentlich mit dem Alter zu korrelieren scheint (2). Auf der anderen Seite gibt es eine Register-Studie aus Schweden (3), in der teils auch sehr alte Patienten mit Rektumkarzinomen erfasst wurden. Hier fiel zum Einen auf, dass die präoperative Radiotherapie im Vergleich zu den jüngeren Patienten nur bei der Hälfte der älteren Patienten eingesetzt wurde (34 vs. 67%). Man hat auch gesehen, dass die älteren Patienten, die eine Radiotherapie bekamen, keine verbesserte Lokalrezidivrate hatten – der Nutzen der begleitenden Radiotherapie scheint hier also mit zunehmendem Alter abzunehmen. Man müsse also gut abwägen, welcher Patient tatsächlich von der
präoperativen Radiotherapie profitieren könne, zumal die Radiotherapie zusätzliche Langzeit-Toxizitäten, wie sexuelle Dysfunktion und Stuhlinkontinenz, mit sich bringen. «Für mich war die Quintessenz: Man muss mit den Patienten zuerst das Therapieziel klären», betonte Kienle. Das könne man auch mit den älteren Patienten gut machen. Nach seiner Erfahrung haben die Patienten hierzu auch eine dezidierte Meinung und wissen genau, was sie wollen. Wenn dann die Kuration auch für den Patienten tatsächlich das oberste Ziel ist, sollte man sich sicher sein, dass der Patient die Therapie gut verträgt und unter Umständen ein gewisses Assessment des Patienten durchführen und prüfen, ob eine neoadjuvante Therapie wirklich erforderlich ist, um den Tumor kurativ zu resezieren. Für viele steht allerdings in einem Alter über 80 Jahre die Lebensqualität im Vordergrund. Diese Patienten können sich unter Umständen nicht damit anfreunden, mit einer Kolostomie zu leben. Hier gilt es, offen darüber zu reden und die palliativen Möglichkeiten auszuschöpfen. Denn nach allem, was man wisse, werde die Radiotherapie zu wenig eingesetzt, betonte Kienle: «Die Darmkarzinome sind sehr strahlensensibel, und wir können durch die palliative Radiotherapie des Enddarms eine sehr gute und auch längerfristige Krankheitskontrolle erreichen. Ich denke, das ist eine Möglichkeit, an die wir etwas mehr denken müssen in der Praxis.»
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Palliative Chemotherapie
Bei der Entscheidung, ob sich in einem fortgeschrittenen Alter eine Therapie überhaupt noch «lohnt», muss man beachten, dass im Alter eine Positivselektion der Patienten eintritt. So hat ein 80-jähriger Mann, der in die Sprechstunde kommt und bei dem keine wesentlichen Komorbiditäten vorliegen, noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von 7,4 Jahren, eine 80-jährige Frau bringt es sogar auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von 9,2 Jahren. Eine palliative Chemotherapie kann bei solchen Patienten die tumorassoziierten Beschwerden reduzieren, die Lebensqualität verbessern oder zumindest erhalten und letztlich auch das Überleben verlängern. Die Ansprechraten sind bei älteren Patienten ähnlich gut wie bei jüngeren, und auch die Toxizität ist vergleichbar. Die intensiveren Kombinationstherapieschemata kommen infrage bei Patienten, die sehr fit sind. Wenn man also einen sehr fitten 75-jährigen Patienten hat, dann kann man ihn wie einen jüngeren Patienten behandeln. Meistens aber weisen Patienten in diesem Alter bereits Komorbiditäten auf. In einer Studie (4), die speziell das Chemotherapiekombinationsschema FOLFIRI (5-FU/LV+Irinotecan) im Vergleich zu einer Monotherapie (5-FU/LV) bei älteren Patienten (≥ 75 Jahre) untersuchte, wurde deutlich: Unter der FOLFIRI-Kombination war die Ansprechrate höher und die Tumoren schrumpften deutlicher. Allerdings wurden das progressionsfreie Überleben (PFS) sowie das Gesamtüberleben (OS) nicht wesentlich verlängert. Bei der Suche nach den Faktoren, die massgeblich für Nebenwirkungen der Therapie waren, fiel auf, dass Patienten mit einem reduzierten Mini-MentalStatus, mit einer reduzierten Selbstständigkeit (ADL-Score: «activities of daily living») sowie Patienten unter Irinotecantherapie, dem zweiten Bestandteil von FOLFIRI, eine höhergradige Toxizität aufwiesen. «Hier sieht man: Bei den Patienten ab 75 schlägt das Pendel langsam aus in Richtung mehr Toxizität, sodass sich die Frage stellt, ob es nicht besser ist, ohne eine Kombinations-Chemotherapie auszukommen», so das Fazit von Kienle aus dieser Studie. Hier bietet es sich nach seiner Einschätzung an, die neuen Medika-
mente einzusetzen, die zwar sehr teuer, aber mit relativ wenigen Nebenwirkungen behaftet sind. Als eine mögliche Option nannte er die monoklonalen Antikörper Bevacizumab und Cetuximab. Für den gegen VEGF (vascular endothelial growth factor) gerichteten Antikörper Bevacizumab liegt zudem bereits mit AVEX eine Studie vor, die den Einsatz dieser neuen Option bei älteren Patienten (≥70 Jahre, Median 76 Jahre) mit metastasiertem Kolorektalkarzinom untersucht hat (5). Der neue Antikörper wurde hier zusammen mit Capecitabin eingesetzt, die Kontrollgruppe erhielt nur Capecitabin ohne Bevacizumab. In der Bevacizumabgruppe betrug das progressionsfreie Überleben 9,1 Monate, dagegen nur 5,1 Monate in der Kontrollgruppe. Höhergradige Toxizitäten waren nach den Worten von Kienle mit 14 Prozent in der Bevacizumab- und 8 Prozent in der Kontrollgruppe sehr selten. Die häufigste Nebenwirkung jeglichen Schweregrades waren Hämorrhagien (25 vs. 7 %), die jedoch nicht bedrohlich waren. Insgesamt erwies sich Bevacizumab in Kombination mit Capecitabin als eine effektive und gut verträgliche Therapie für ältere Patienten mit einem metastasierten Kolorektalkarzinom. Für Cetuximab, einen monoklonalen Antikörper gegen EGFR (epidermal growth factor receptor), gibt es bislang noch keine randomisierten Studien bei älteren Patienten. Die entsprechenden Untersuchungen laufen aber derzeit. «Wir hoffen, dass wir dann in wenigen Jahren wissen, ob das eine zusätzliche Therapieoption für ältere Patienten darstellt», so Kienle weiter.
Fazit
Zur palliativen Therapie existieren wenig altersspezifische Studien. Bei Kombinations-Chemotherapien müssen Nutzen und Risiken sehr gut abgewogen werden, denn speziell bei Patienten über 75 Jahre agiert man in einem Graubereich. Für gut selektierte ältere Patienten sind aber auch Kombinationstherapien noch eine sinnvolle Option. Die Kombination aus Capecitabin und Bevacizumab ist gut verträglich und zeigt auch bei älteren Patienten noch eine sehr gute Wirksamkeit – man kann sie daher nach Einschätzung von Kienle als möglichen Standard ansehen.
Eine offene Frage ist, wie man bei vul-
nerablen Patienten beziehungsweise
bei Patienten mit Komorbiditäten ver-
fahren soll.
Ein wichtiger Punkt ist, dass der Patient
die Möglichkeit zur eigenen Entschei-
dung bekommt, indem man ihn qua-
lifiziert über die Vor- und Nachteile
der verschiedenen Therapieoptionen
aufklärt. In aller Regel sei der Patient
in der Lage, diese Entscheidung zu
fällen, betonte Kienle: «Unsere Auf-
gabe ist es dann, die Patienten zu selek-
tieren, die von der Therapie wirklich
profitieren.»
O
Adela Žatecky
Interdisziplinäre Fortbildungsplattform «onko.geriatrie» Zürich-Oerlikon, 22. November 2014
Quellen: 1. Sargent DJ et al.: A pooled analysis of adjuvant chemo-
therapy for resected colon cancer in elderly patients. N Engl J Med 2001; 345(15): 1091–1097. 2. Martijn H, Vulto JC: Should radiotherapy be avoided or delivered differently in elderly patients with rectal cancer? Eur J Cancer 2007; 43(15): 2301–2306. 3. Jung B et al.: Rectal cancer treatment and outcome in the elderly: an audit based on the Swedish Rectal Cancer Registry 1995-2004. BMC Cancer 2009; 9:68. doi: 10.1186/1471-2407-9-68. 4. Mitry E et al.: Randomised phase III in elderly patients comparing LV5FU2 with or without irinotecan for 1st line treatment of metastatic colorectal cancer (FFCD 2001–02). 37th ESMO Congress Abstract book 2012; Ann Oncol 23(Suppl. 9): 529PD. 5. Cunningham D et al.: Bevacizumab plus capecitabine versus capecitabine alone in elderly patients with previously untreated metastatic colorectal cancer (AVEX): an open-label, randomised phase 3 trial. Lancet Oncol 2013; 14(11): 1077–1085.
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