Transkript
Therapeutische Optionen bei neuropathischen Schmerzen
Neue Richtlinien der Canadian Pain Society
FORTBILDUNG
Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen wird ein abgestuftes Vorgehen empfohlen. Medikamente der ersten Wahl sind Gabapentinoide, trizyklische Antidepressiva und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Als Second-Line-Optionen gelten Tramadol und kontrolliert freisetzende Opioidanalgetika. Cannabinoide haben sich als Substanzen der dritten Wahl etabliert. Mit Analgetikakombinationen kann die Schmerzlinderung oft verbessert werden.
Beide Faktoren sind mit einer Zunahme postherpetischer Neuralgien und schmerzhafter diabetischer Neuropathien verbunden. Auch haben sich die Überlebensraten von Krebspatienten verbessert – und viele medikamentöse oder chirurgische Interventionen im Rahmen der Krebstherapie können neuropathische Schmerzen verursachen. Im Jahr 2007 hat die Canadian Pain Society (CPS) erstmals Richtlinien zum Management neuropathischer Schmerzen herausgegeben. Eine interdisziplinäre Expertengruppe hat nun unter Berücksichtigung aller relevanten Studienergebnisse bis September 2013 ein aktualisiertes evidenzbasiertes Konsensus-Statement erarbeitet.
Pain Research & Management
Neuropathische Schmerzen werden durch Läsionen oder Erkrankungen des peripheren oder zentralen Nervensystems verursacht. Spontane neuropathische Schmerzen werden meist als brennend, einschiessend oder stechend beschrieben. Zu stimulusevozierten Schmerzen gehören Allodynie und Hyperalgesie. Autonome Charakteristika wie Veränderungen der Hauttemperatur und der Hautfarbe oder trophische Veränderungen weisen auf ein komplexes regionales Schmerzsyndrom hin. Die Prävalenz neuropathischer Schmerzen nimmt aus verschiedenen Gründen zu. Zum einen altert die Bevölkerung, zum anderen entwickelt sich die Adipositas zur Pandemie.
MERKSÄTZE
O Medikamente der ersten Wahl sind Gabapentin, Pregabalin, trizyklische Antidepressiva und SNRI.
O Second-Line-Substanzen sind Tramadol und kontrolliert freisetzende Opioidanalgetika.
O Cannabinoide haben sich als Medikamente der dritten Wahl etabliert.
O Zu den Substanzen der vierten Wahl gehören Methadon, topisches Lidocain oder Capsaicin, Lamotrigin, Lacosamid, Tapentadol und Botulinumtoxin.
O Mit Analgetikakombinationen kann die Schmerzlinderung häufig verbessert werden.
Behandlungsgrundsätze
Zunächst weisen die Leitlinienexperten darauf hin, dass bei der Behandlung neuropathischer Schmerzen realistische Ziele angestrebt werden sollten. Das primäre Ziel kann meist nur darin bestehen, die Schmerzen erträglich zu gestalten – jedoch nicht in der vollständigen Beseitigung. Die Vermittlung dieser Zielsetzung im Arzt-Patienten-Gespräch ist im Hinblick auf die Behandlungszufriedenheit von grosser Bedeutung. Da es nur wenige Head-to-head-Untersuchungen gibt, wird zur Abschätzung der relativen Wirksamkeit von Analgetika oft die NNT (Number Needed To Treat) angewendet. Dabei handelt es sich um die Anzahl der Patienten, die mit einem Analgetikum behandelt werden müssen, damit bei einem eine 50-prozentige Schmerzlinderung im Vergleich zur Kontrollgruppe erzielt wird. Alternativ kann die Effektstärke bestimmt werden – definiert als durchschnittliche Differenz zwischen aktiver Substanz und Plazebo, dividiert durch die Standardabweichung. Die Effektstärke wird in klein (< 0,5), mittel (0,5– < 0,8) und gross (≥ 0,8) klassifiziert.
Erste Wahl: Antikonvulsiva und Antidepressiva
Gabapentin und Pregabalin binden an präsynaptische spannungsabhängige Kalziumkanäle im Hinterhorn und reduzieren die Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter wie Glutamat oder Substanz P. Beide Antikonvulsiva wurden vorwiegend im Management der schmerzhaften diabetischen Neuropathie und der postherpetischen Neuralgie untersucht. In Studien zu Gabapentin betrugen die kombinierten NNT für diese Schmerzformen 6,4 und 4,3. Pregabalin ist ein Analogon zu Gabapentin mit dem gleichen Wirkmechanismus, weist jedoch eine lineare Pharmakokinetik und eine höhere Affinität zum präsynaptischen Kalziumkanal auf. In Studien betrugen die kombinierten NNT für
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FORTBILDUNG
Tabelle:
Dosierungsempfehlungen für ausgewählte Substanzen zur Behandlung neuropathischer Schmerzen
(nach Moulin et al.)
Startdosis und Titration
Erhaltungsdosis Nebenwirkungen
Anmerkungen
Trizyklische Antidepressiva
Amitriptylin (Saroten®) Nortriptylin (Nortrilen®) Desipramin (in der Schweiz ausser Handel)
10–25 mg/Tag; wöchentlich um 10 mg/Tag erhöhen
10–100 mg/Tag
Benommenheit, Verwirrung, orthostatische Hypotonie, Mundtrockenheit, Obstipation, Harnretention, Gewichtszunahme, Arrhythmie
Bei Amitriptylin sind Benommenheit und anticholinerge Nebenwirkungen wahrscheinlicher; kontraindiziert bei Glaukom, symptomatischer Prostatavergrösserung und signifikanter kardiovaskulärer Erkrankung
Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
Venlafaxin (Efexor® und Generika)
37,5 mg/Tag; wöchentlich 150–225 mg/Tag um 37,5 mg/Tag erhöhen
Duloxetin (Cymbalta®)
30 mg/Tag; wöchentlich 60–120 mg/Tag um 30 mg/Tag erhöhen
Übelkeit, Schwindel, Benommenheit, Hyperhidrose, Hypertonie
Sedierung, Übelkeit, Obstipation, Ataxie, Mundtrockenheit
Bei Niereninsuffizienz Dosisanpassung erforderlich Bei Glaukom kontraindiziert
Antikonvulsiva Gabapentin (Neurontin®)
Pregabalin (Lyrica®)
Carbamazepin (Tegretol® und Generika)
100–300 mg/Tag; wöchentlich um 100–300 mg/Tag erhöhen
25–150 mg/Tag; wöchentlich um 25–150 mg/Tag erhöhen
100 mg 1-mal täglich; wöchentlich um 100–200 mg/Tag erhöhen
300–1200 mg 3-mal täglich
150–300 mg 2-mal täglich
200–400 mg 3-mal täglich
Benommenheit, Schwindel, periphere Ödeme, Sehstörungen
Bei Niereninsuffizienz und älteren Patienten Dosisanpassung erforlich
Benommenheit, Schwindel, periphere Ödeme, Sehstörungen
Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz
Benommenheit, Schwindel, Sehstörungen, Ataxie, Kopfschmerzen, Übelkeit, Hautausschläge
Erste Wahl bei Trigeminusneuralgie Enzyminduzierer: Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten wie Warfarin Überwachung von Blut- und Leberwerten erforderlich
Kontrolliert freisetzende Opioide
Morphin (z.B. Kapanol®) 15 mg alle 12 Stunden 30–120 mg alle 12 Stunden
Oxycodon
10 mg alle 12 Stunden
(z.B. Oxycontin®, Oxynorm®)
20–60 mg alle 12 Stunden
Fentanyl (Durogesic®)
12–25 µ/Stunde, Pflaster 25–100 µ/Stunde, Pflaster
Hydromorphon (Palladon®, Jurnista®)
3 mg alle 12 Stunden 6–24 mg alle 12 Stunden
Übelkeit, Erbrechen, Sedierung, Schwindel, Harnretention, Obstipation Bei Obstipation Verdauungsregulierung erforderlich Monitoring im Hinblick auf Abhängigkeit erforderlich
Weitere Substanzen Tramadol (Tramal® und Generika)
Lidocain (Neurodol®)
50 mg/Tag; wöchentlich um 50 mg/Tag erhöhen
Tetrahydrocannabinol/ Cannabidiol (Sativex®)
1–2 Sprühstösse alle 4 Stunden, an Tag 1 maximal 4, langsam titrieren
50–100 mg 4-mal täglich oder 100–400 mg täglich (kontrollierte Freisetzung)
Ataxie, Sedierung, Obstipation, Krämpfe, orthostatische Hypotonie
5%-Pflaster- oder Gel wird für 12 Stunden innerhalb von 24 Stunden auf die schmerzende Stelle appliziert
2 Sprühstösse 4-mal täglich Schwindel, Fatigue, Übelkeit, Euphorie
Nabilon (nicht im AK der Schweiz)
0,25–0,5 mg abends; wöchentlich um 0,5 mg/Tag erhöhen
3 mg 2-mal täglich
Schwindel, Benommenheit, Mundtrockenheit
Kann Krampfschwelle herabsetzen; bei Epilepsiepatienten vorsichtig anwenden
Am wirksamsten bei postherpetischer Neuralgie Nahezu keine systemischen Nebenwirkungen
In Kanada für neuropathische Schmerzen im Zusammenhang mit multipler Sklerose zugelassen (in der Schweiz als Mittel der zweiten Wahl zur Symptomverbesserung bei Spastik aufgrund von multipler Sklerose) Urintest auf Cannabinoide fällt positiv aus Mundschleimhaut regelmässig kontrollieren In Kanada zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang mit Chemotherapie zugelassen Urintest auf Cannabinoide fällt nicht positiv aus
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FORTBILDUNG
Pregabalin bei diabetischer Neuropathie 4,5 und bei postherpetischer Neuralgie 4,2. Pregabalin ist zudem bei chronischen zentralen neuropathischen Schmerzen nach Verletzungen des Rückenmarks mit einer signifikanten Schmerzlinderung assoziiert. Carbamazepin bleibt das Medikament der ersten Wahl bei der idiopathischen Trigeminusneuralgie. Ansonsten wird diese Substanz nicht für das Management neuropathischer Schmerzen empfohlen. In Einzelfällen wurde über eine Schmerzlinderung mit Carbamazepin bei Glossopharyngeusneuralgie berichtet. Mit trizyklischen Antidepressiva wurde in zahlreichen Studien bei verschiedenen neuropathischen Schmerzformen eine signifikante Schmerzlinderung erzielt. Als kombinierte NNT wurden für die schmerzhafte diabetische Neuropathie 2,1 und für die postherpetische Neuralgie 2,8 ermittelt. Die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Duloxetin und Venlafaxin wurden vorwiegend im Management der schmerzhaften diabetischen Neuropathie untersucht. In drei Studien zu Duloxetin ergab sich für diesen Anwendungsbereich eine kombinierte NNT von 5,0. Duloxetin hat sich zudem bei chemotherapieinduzierter peripherer schmerzhafter Neuropathie mit einer mittleren Effektstärke von 0,51 als wirksam erwiesen. Venlafaxin zeigte bei schmerzhafter diabetischer Neuropathie und gemischter schmerzhafter Polyneuropathie Wirksamkeit.
Zweite Wahl: Tramadol und retardierte Opioide
Der schwache Opioidagonist Tramadol hemmt – wie trizyklische Antidepressiva – die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Serotonin. Tramadol war in Studien zur diabetischen Neuropathie und zu gemischten neuropathischen Schmerzsyndromen mit einem signifikanten Nutzen und einer NNT von 4,9 verbunden. Im Vergleich zu anderen schwachen Opioiden wie Codein verursacht Tramadol weniger Obstipation und Übelkeit. In Kombination mit selektiven Serotoninwiederaufnahme-Hemmern (SSRI) sollte Tramadol aufgrund eines erhöhten Risikos für Verwirrungszustände und Serotoninsyndrome vorsichtig angewendet werden. Dies gilt vor allem bei der Behandlung älterer Patienten. In einer Metaanalyse zu 16 Studien waren Opioidanalgetika bei diabetischer Neuropathie, postherpetischer Neuralgie, Schmerzen nach Amputationen sowie bei Ischialgie und Verletzungen des Rückenmarks mit einer mittleren Effektstärke von 0,56 wirksamer als Plazebo. Die kombinierten NNT für Opioide betrugen bei schmerzhafter Polyneuropathie und postherpetischer Neuralgie 2,6.
Dritte Wahl: Cannabinoide
Derzeit nimmt die Evidenz für die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei zentralen neuropathischen Schmerzsyndromen stetig zu. Für diesen Anwendungsbereich wurde eine kombinierte NNT von 3,4 ermittelt. Mit einem tetrahydrocannabinol- und cannabidiolhaltigen Mundspray wurde bei zentralen Schmerzen im Zusammenhang mit multipler Sklerose ein signifikanter Nutzen erzielt. Dronabinol (Magistralrezeptur) war in diesem Anwendungsbereich mit einer mittleren Schmerzlinderung verbunden. In einem Review wurden sieben qualitativ hochwertige kontrollierte randomisierte Studien zu verschiedenen Cannabi-
noiden und Applikationsformen analysiert. In vier davon war gerauchter Cannabis bei HIV-bedingter Neuropathie, posttraumatischen oder postchirurgischen neuropathischen Schmerzen sowie bei gemischten zentralen und peripheren neuropathischen Schmerzen wirksam. In zwei weiteren Studien wurde mit dem Cannabis-Mundspray bei verschiedenen peripheren neuropathischen Schmerzen mit Allodynie und bei schmerzvoller diabetischer Neuropathie eine Schmerzlinderung erzielt. In einer Studie erwies sich das synthetische Cannabinoid Nabilon bei peripheren neuropathischen Schmerzen als weniger wirksam im Vergleich zu Dihydrocodein.
Vierte Wahl: weitere Optionen
SSRI weisen bei neuropathischen Schmerzen nur eine geringe analgetische Wirksamkeit auf. Citalopram (Seropram® und Generika), Paroxetin (Deroxat® und Generika) und Escitalopram (Cipralex® und Generika) haben sich bei diabetischer Neuropathie und schmerzhafter Polyneuropathie als wirksam erwiesen, Fluoxetin dagegen nicht. Die kombinierte NNT für alle vier Studien betrug 6,8. SSRI können die Metabolisierung trizyklischer Antidepressiva beeinträchtigen und das Risiko für ein Serotoninsyndrom erhöhen. Die Antikonvulsiva Lamotrigin (Lamictal® und Generika), Topiramat (Topamax® und Generika) und Valproinsäure (Depakine® und Generika) waren in Studien bei verschiedenen peripheren und zentralen neuropathischen Schmerzformen mit widersprüchlichen Ergebnissen verbunden. Lacosamid (Vimpat®) wies bei schmerzhafter diabetischer Neuropathie eine mässige Wirksamkeit mit einer NNT von 10 bis 12 auf. Das synthetische Opioid Methadon wurde bis anhin noch nicht in qualitativ hochwertigen Studien zu neuropathischen Schmerzen untersucht, wird aber in Richtlinien zur Behandlung anderer chronischer Schmerzen empfohlen. Topisches Lidocain eignet sich vor allem für Patienten mit lokalisierten peripheren Schmerzen, wie bei der postherpetischen Neuralgie, und wird für diese Erkrankung als Medikament der zweiten Wahl empfohlen. Zu weiteren Optionen der vierten Wahl gehören Tapentadol (Palexia®), topisches Capsaicin (Pflaster: Qutenza® 8%, Creme: Magistralrezeptur) und Botulinumtoxin (z.B. Botox®, Xeomin®).
Kombinationstherapie
Mit einer Kombination aus zwei oder mehr Analgetika kann die Schmerzlinderung häufig verbessert werden. Bei synergistischen schmerzlindernden Effekten sind zudem eine geringere Dosierung und deshalb manchmal auch ein günstigeres Nebenwirkungsprofil möglich. In einem neuen CochraneReview wurden 21 Studien zur Kombinationsbehandlung neuropathischer Schmerzen ausgewertet. In den meisten wurde die Kombination aus einem Opioid und Gabapentin, Pregabalin oder einem trizyklischen Antidepressivum untersucht. Die Kombination aus Gabapentin und Nortriptylin sowie verschiedene topische Optionen wurden ebenfalls häufig evaluiert. Die derzeitige Datenlage ermöglicht keine Empfehlungen für bestimmte Kombinationen, belegt aber den prinzipiellen Nutzen dieser Option.
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Pharmakologisches Stufenmanagement
Als Medikamente der ersten Wahl gelten derzeit trizyklische Antidepressiva, Gabapentin, Pregabalin und SNRI. Duloxetin wurde seit der letzten Fassung der kanadischen Richtlinien von einem Medikament der zweiten zu einem Medikament der ersten Wahl hochgestuft. Trizyklische Antidepressiva müssen nur einmal täglich appliziert werden, können jedoch mit Benommenheit und anticholinergen Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Obstipation und Harnretention verbunden sein. Sie werden vor allem von Senioren oft nicht gut vertragen. Bei Patienten mit Arrhythmien sind trizyklische Antidepressiva aufgrund ihrer Kardiotoxizität relativ kontraindiziert. Sekundäre Amine wie Nortriptylin und Desipramin sind besser verträglich als tertiäre Amine wie Amitriptylin und Imipramin. Gabapentin und Pregabalin ähneln sich in Wirkung und Nebenwirkungen und können schneller hochtitriert werden als Antidepressiva. Bei den Gabapentinoiden kommt es nur zu wenigen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Bei unzureichender Nierenfunktion muss die Dosierung angepasst werden. Sind trizyklische Antidepressiva nicht ausreichend wirksam oder unverträglich, empfehlen die Experten einen Wechsel zu einem Gabapentinoid oder einem SNRI wie Duloxetin. Können die Schmerzen mit einem Medikament nicht ausreichend gelindert werden, sollte eine Substanz einer anderen Gruppe zur Verbesserung der Wirksamkeit hinzugefügt werden. Nach einem Fehlschlag mit Medikamenten der ersten Wahl kann Tramadol oder ein konventionelles Opioidanalgetikum als Second-Line-Medikament wirksam sein. Für Durchbruchschmerzen während der Titrationsphase mit einer First-Line-Substanz sind kurz wirksame Opioide wie Codein
oder Oxycodon eine geeignete Option. Kontrolliert freiset-
zende Opioide sind bei neuropathischen Schmerzen auf-
grund ihres Nebenwirkungsprofils und des Missbrauchs-
risikos nur Medikamente der zweiten Wahl. Als häufigste
Nebenwirkungen der Opioide wurden in einer Metaanalyse
zu 62 Studien Übelkeit (28%), Obstipation (25%), Benom-
menheit (24%), Schwindel (18%) und Erbrechen (15%) be-
obachtet. Zu den langfristigen Nebenwirkungen der Opioide
gehören Hyperalgesie und opioidinduzierte Endokrino-
pathien wie Hypogonadismus oder ein erhöhtes Osteopenie-
risiko. Bei etwa 10 bis 15 Prozent der Patienten wird im
Rahmen der Langzeitbehandlung ein Opioidmissbrauch
beobachtet. Unter Opioiden ist meist ein zusätzliches Medi-
kament zur Darmregulierung erforderlich.
Cannabinoide haben sich mittlerweile als dritte Option im
Management chronischer neuropathischer Schmerzen etab-
liert, da sie bei vielen Schmerzformen wie HIV-bedingter
Neuropathie, bei posttraumatischen und postchirurgischen
neuropathischen Schmerzen, diabetischer Neuropathie so-
wie bei Verletzungen des Rückenmarks wirksam sind. Die
Applikation von Cannabinoiden muss ebenfalls sorgfältig
überwacht werden. Zu den Optionen der vierten Wahl gehö-
ren Methadon, Tapentadol, topisches Lidocain oder Capsai-
cin sowie Lacosamid, Lamotrigin und Topiramat.
O
Petra Stölting
Moulin DE et al.: Pharmacological management of chronic neuropathic pain: revised consensus statement from the Canadian Pain Society. Pain Res Manag 2014; 19(6): 328–335.
Interessenkonflikte: 15 der 18 Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
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