Transkript
FORTBILDUNG
COPD: Diagnostische Instrumente rechtzeitig nutzen
Zu viele Patienten bleiben unentdeckt
Die Ursachen der COPD liegen in erster Linie im inhalativen
Nikotinkonsum. Bei der Früherkennung muss man die
COPD aber auch als eine klinische Konsequenz der Inter-
aktion zwischen Umweltfaktoren einerseits und noch
näher zu definierenden und nicht ausreichend bekannten
genetischen Prädispositionen andererseits betrachten.
Frank Feldmeyer
Die Prävalenz der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) zeigt einen altersabhängigen Anstieg mit einem 5-fach erhöhten Risiko für Personen über 65 Jahre im Vergleich zu unter 40-Jährigen (2). Darüber hinaus entwickelt etwa 1 Prozent der Patienten mit einer gesicherten COPD pro Jahr ein Bronchialkarzinom (vgl. Tabelle) (3). Trotz des grossen Bekanntheitsgrades der Erkrankung in der Allgemeinbevölkerung verbleibt ein grosser Anteil der COPD-Patienten unerkannt. Patienten in einem frühen Erkrankungsstadium können einerseits klinisch weitgehend asymptomatisch sein, andererseits aber bereits funktionelle Einschränkungen aufweisen. Mögliche Symptome werden als normaler Alterungsprozess fehlgedeutet, resultieren jedoch in einer Einschränkung der Alltagsaktivität. Hingegen können Patienten mit einer klinischen Symptomatik funktionell noch normale Werte aufweisen. Symptome sind häufig
MERKSÄTZE
O Trotz des grossen Bekanntheitsgrades der Erkrankung in der Allgemeinbevölkerung bleibt ein grosser Anteil der COPD-Patienten unerkannt. Nur etwa 60 Prozent der Patienten mit chronisch respiratorischen Symptomen konsultieren ihren Hausarzt, von diesen werden nur etwa 45 Prozent einer Spirometrie zugeführt.
O Klinische, spirometrische und radiologische sowie laborchemische Verfahren erweisen sich als brauchbare Instrumente zur Früherkennung einer COPD.
O Trotz effektiver diagnostischer Möglichkeiten zur Früherkennung der COPD bleibt die primäre Prävention der Erkrankung das wichtigste Anliegen für das Gesundheitssystem.
unspezifisch, wie produktiver Husten und erhöhte Infektneigung (5). Nur etwa 60 Prozent der Patienten mit chronisch respiratorischen Symptomen konsultieren ihren Hausarzt, von diesen werden nur etwa 45 Prozent einer Spirometrie zugeführt (6). Insbesondere Raucher neigen dazu, klinische Symptome zu bagatellisieren und eine Vorstellung beim Hausarzt zu meiden, da sie sich für die selbst zugeführte Schädigung schämen (7). So konnte eine Studie aus Spanien bei 95 Prozent der neu entdeckten Patienten ein frühes COPD-Stadium nachweisen (56,4% entsprechend der alten GOLD-Klassifikation im Stadium I und 38,3% im Stadium II) (8). Eine englische Untersuchung bei Patienten über 35 Jahre belegt, dass bei 80 Prozent der Patienten, die die GOLD-Kriterien erfüllten, keine respiratorische Erkrankung bekannt war. Selbst in der Gruppe der Patienten mit schwerer oder sehr schwerer Atemwegsobstruktion war die Diagnose nur bei der Hälfte der Erkrankten bekannt (9).
Möglichkeiten der Früherkennung
Die Bedeutung der Früherkennung ergibt sich insbesondere unter dem Aspekt der sekundären Prävention und des frühen Einsatzes nicht pharmakologischer und pharmakologischer Erhaltungstherapien. Eine effektive Pharmakotherapie des fortschreitenden Funktionsverlusts ist bisher nicht in Sicht. Die Früherkennung kann prinzipiell auf die Beschreibung früher Marker des Lungenfunktionsverlusts und entsprechender Surrogatmarker oder aber auf das Erkennen von Risikofaktoren fokussieren. Klinische, spirometrische und radiologische sowie laborchemische Verfahren erweisen sich als brauchbare Instrumente zur Früherkennung einer COPD.
Fragebogen Als klinisches Instrument zur Früherkennung einer chronisch obstruktiven Bronchitis ist der Respiratory Health Screening Questionnaire (RHSQ) beschrieben und validiert. Auf der Basis der Ergebnisse wurde im Verdachtsfall eine Spirometrie veranlasst. Dieses Vorgehen erwies sich als effektiv und kostengünstig, der Aufwand in der Hausarztpraxis wird als akzeptabel beschrieben (5, 10).
Spirometrie und Bodyplethysmografie Fletcher und Peto beschrieben bereits 1977 einen Abfall der FEV1 (forcierte Exspiration in 1 Sekunde) ab dem 25. Lebensjahr mit einem stärkeren Funktionsverlust im höheren Lebensalter (11). Neuere Studien wie UPLIFT und TORCH belegen hingegen den schnellsten FEV1-Verlust schon in den
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Geschätzte Häufigkeit der COPD nach unterschiedlichen diagnostischen Kriterien
Kriterium
Anzahl Studien
COPD Spirometrie nach Patientenangaben nach ärztlicher Diagnose klinische/radiologische Untersuchung
Chronische Bronchitis produktiver Husten nach Patientenangaben
Emphysem produktiver Husten nach Patientenangaben
37 26 7 4 1 38 29 15 38 29 15
Gepoolte Prävalenz in % (95%-KI) 7,6 (6–9,5) 9,2 (7,7–11) 4,9 (2,8–8,3) 5,2 (3,3–7,9) 13,7 (12,9–14,5) 6,4 (5,3–7,7) 6,7 (5,4–8,2) 5,3 (3,9–7,1) 6,4 (5,3–7,7) 6,7 (5,4–8,2) 5,3 (3,9–7,1)
(modifiziert nach [2])
und irreversiblem Asthma bronchiale normal bleibt, wenn keine begleitenden Bronchiektasen vorliegen. Bei Vorliegen eines Lungenemphysems sind sowohl der Diffusionskoeffizient (KCO) als auch der DLCO erniedrigt. Der KCO korreliert allerdings besser mit dem HR-CT-Scoring eines Lungenemphysems. Der DLCO kann bei frühen COPD-Formen noch normal sein. Eine Verminderung des DLCO ist spezifisch für das Vorliegen einer COPD, eine erhöhte Sensitivität ergibt sich aber nur bei fortgeschrittenen Verlaufsformen (14, 16).
Radiologische Verfahren Bei der mit Rauchen assoziierten COPD soll laut Leitlinie bei Erstdiagnose der Röntgenthorax in zwei Ebenen als orientierende Diagnostik durchgeführt werden (17). Vorteile des Verfahrens sind die hohe Verfügbarkeit sowie die relativ geringe Strahlenbelastung (0,1 mSv) (18). Die Sensitivität und die Spezifität sind jedoch gering. Einziges direktes Zeichen eines Emphysems in der konventionellen Röntgenthoraxaufnahme ist das Vorliegen von Bullae. Als indirekte Zeichen sind das fokale Fehlen der pulmonalen Gefässe beziehungsweise die Reduktion des Gefässquerschnitts besonders zur Lungenperipherie zu werten. Als Zeichen der Hyperinflation sind besonders die Abflachung der Zwerchfellkuppen im seitlichen Strahlengang sowie die vermehrte retrosternale Strahlentransparenz beschrieben. Aufgrund der niedrigen Sensitivität und Spezifität dieser Veränderung kann eine verlässliche Aussage erst in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien getroffen werden. Zur Frühdiagnostik ist das konventionelle Röntgenbild der Lunge (Abbildung 2) somit wenig geeignet (19).
Abbildung 1: Leichtes Durchhängen des exspiratorischen Schenkels der Fluss-Volumen-Kurve im Sinne einer beginnenden peripheren Obstruktion
frühen Erkrankungsstadien (12, 10). Die GOLD-Guidelines definieren die COPD anhand der spirometrischen Daten mit einem Tiffeneau-Index (FEV1/forcierte Vitalkapazität [FVC]). Ein Wert kleiner als 0,7 gilt als diagnostisch, wenn eine Exposition zu Nikotin oder anderen inhalativen Toxinen bekannt ist (13). Die Festlegung des Grenzwertes erfolgte ausschliesslich unter dem Aspekt der vereinfachten Diagnostik. In den letzten Jahren wird diskutiert, ob ein fixierter Wert der Diagnostik gerecht wird. Modelle mit einem dynamischen «cut-off» unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und weiteren Faktoren sollten Berücksichtigung finden. Da die FEV1 keinen linearen Verlauf mit dem Alter aufweist, kann der fixe Wert von 0,7 zu einer Unterdiagnose bei jüngeren und zu einer Überdiagnose bei älteren Patienten führen (14, 15).
CO-Diffusionsmessung Zahlreiche Studien belegen, dass im Rahmen der CO-Diffusionsmessung der Diffusionsfaktor (DLCO) bei schwerem
Computertomografie Als deutlich sensitiveres und spezifischeres Verfahren erweist sich die Computertomografie. Die höhere Strahlenbelastung konnte dank technischer Innovationen auf 1–5 mSv in der Routinediagnostik deutlich reduziert werden (20). Erheblich niedrigere Strahlenexpositionen sind für den Einsatz der sogenannten Low-dose-CT beispielsweise im Screening auf ein Bronchialkarzinom bei einer Hochrisikopopulation möglich (0,2–1,0 mSv). Als Marker für das Vorliegen einer COPD werden in der CT das Air-Trapping, die Verbreiterung der Bronchialwand sowie das Ausmass eines Emphysems beschrieben. Unter Berücksichtigung aller drei Parameter zur Differenzierung kann eine Sensitivität von 73,2 Prozent bei einer Spezifität von 88,8 Prozent erreicht werden. Das Air-Trapping ist allerdings nur durch einen zusätzlichen Scan in Exspiration – und damit unter zusätzlicher Strahlenbelastung – zu quantifizieren. Die Erfassung auch früher Erkrankungsstadien in der CT ist heute mit vertretbarem Strahleneinsatz möglich (21).
MRT Ob auch die funktionelle MRT für COPD-Patienten klinisch relevante, funktionelle Informationen liefern kann, wird aktuell in einer deutschlandweiten Multicenterstudie (COSYCONET) untersucht (20).
Biomarker Das National Cancer Institute definiert Biomarker als «ein im Blut oder anderen Körperflüssigkeiten nachweisbares biologisches Molekül, welches ein Zeichen für einen normalen oder abnormalen Prozess oder eine Erkrankung darstellt».
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Abbildung 2: Röntgenthorax p.a. und lateraler Strahlengang: Abflachung der Zwerchfellkuppen, vermehrte Strahlentransparenz retrosternal und retrokardial sowie Vergrösserung der Interkostalräume als Hinweis auf eine Lungenüberblähung
Derzeit ist ein solches Molekül für die Routinediagnostik der COPD noch nicht identifiziert (22). Adiponectin könnte ein solcher Biomarker sein. Hohe Plasma-Adiponectin-Spiegel sind in der COPD-Gene-Studie unabhängige Prädiktoren für das Vorliegen eines unterlappenbetonten Emphysems in der CTDiagnostik sowie für einen schnelleren Lungenfunktionsverlust (23).
Exhalierte Biomarker Die Analyse exhalierter Biomarker ist ein faszinierender Ansatz für die frühe Erfassung von Atemwegserkrankungen. Während das exhalierte NO in der Asthmadiagnostik bereits einen etablierten Stellenwert besitzt, sind die Daten für dessen Bedeutung bei der Diagnostik der COPD weniger robust (24, 25). Ein zuverlässiger Biomarker zur Früherkennung einer COPD ist derzeit noch nicht verfügbar (26).
Genetische Marker Die derzeit besten verfügbaren Marker für eine Früherkennung der COPD sind die genetischen Variationen des Alpha-1-Antitrypsins. Sie bedingen einen lebenslang reduzierten Alpha-1-Antitrypsin-Spiegel im Plasma und ein erhöhtes Lebensrisiko, an einer COPD zu erkranken. In einer Metaanalyse konnte für verschiedene Allele eine unterschiedliche Vorhersagewahrscheinlichkeit für das Auftreten einer COPD beschrieben werden (27).
Prävention steht an erster Stelle
Trotz der effektiven diagnostischen Möglichkeiten zur Früh-
erkennung der COPD bleibt die primäre Prävention der
Erkrankung das wichtigste Anliegen für unser Gesundheits-
system. Im Vergleich zu den immensen volkswirtschaftlichen
Kosten, die durch die COPD verursacht werden, ist der Ein-
satz der genannten Instrumente zur frühen Diagnostik und
Therapie der Erkrankung insbesondere wegen des relativ
raschen Funktionsverlusts bereits in frühen Erkrankungs-
stadien gerechtfertigt.
O
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Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 18/2014. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Dr. Frank Feldmeyer Facharztzentrum Hagen, Buscheystrasse 15a, D-58089 Hagen
Interessenkonflikte: keine deklariert
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