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STUDIE REFERIERT
Akutbehandlung von Spannungskopfschmerzen
In einem Review untersuchte eine internationale Expertengruppe die Qualität und die Endpunkte klinischer Studien zur oralen Akutbehandlung häufiger episodischer Spannungskopfschmerzen. Ergänzend evaluierten die Forscher in einer Metaanalyse die Wirksamkeit der Studienmedikamente.
Pain
In der Studie Global Burden of Disease von 2010 war der Spannungskopfschmerz mit einer Prävalenz von 21 Prozent die zweithäufigste Erkrankung. Die Prävalenz der Migräne lag bei 15 Prozent. Entsprechend einer Klassifizierung der International Headache Society (IHS) von 2013 wird der Spannungskopfschmerz anhand der monatlichen Kopfschmerztage in eine episodische und eine chronische Form unterteilt. Um einen häufigen episodischen Spannungskopfschmerz handelt es sich bei mindestens 10 Kopfschmerzepisoden an 1 bis 14 Tagen pro Monat über mindestens 3 Monate (≥ 12 und < 180 Tage pro Jahr). Der nicht häufige episodische Spannungskopfschmerz ist durch weniger als 1 Kopfschmerztag im Monat gekennzeichnet. Bei der chronischen Form leiden die Betroffenen 15 oder mehr Tage im Monat unter Spannungskopfschmerzen. Aus älteren Untersuchungen geht hervor, dass sich Kopfschmerzpatienten MERKSÄTZE O Im Hinblick auf Schmerzfreiheit nach 2 Stunden erwiesen sich Paracetamol 1000 mg, Ibuprofen 400 mg und Ketoprofen 25 mg als wirksamer im Vergleich zu Plazebo. O Acetylsalicylsäure, Naproxen und Diclofenac sind mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls wirksamer als Plazebo. vor allem eine rasche, deutliche Schmerzlinderung wünschen. Die IHS empfiehlt deshalb in ihren Richtlinien für die Durchführung kontrollierter Studien zur Behandlung von Spannungskopfschmerzen den Endpunkt der Schmerzfreiheit nach 2 Stunden. In einem Review untersuchten Andrew Moore von der University of Oxford (Grossbritannien) und seine Arbeitsgruppe die Methoden, die Qualität und die Endpunkte randomisierter, doppelblinder Studien zur oralen Akutbehandlung mittlerer bis starker episodischer Spannungskopfschmerzen bei Erwachsenen und Kindern. Ergänzend evaluierten die Forscher in einer Metaanalyse die Wirksamkeit der Studienmedikamente. Ergebnisse Insgesamt schlossen die Forscher 40 Berichte zu 55 Studien mit 12 143 Patienten in ihre Untersuchung ein. Ein potenzielles Verzerrungsrisiko ergab sich aufgrund von unvollständigen Ergebnisberichten und kleinen Teilnehmerzahlen. In den 23 grössten Studien waren 82 Prozent der Patienten vertreten. Die am häufigsten untersuchten Medikamente waren: O Paracetamol (Panadol® und Gene- rika), 500–1000 mg O Acetylsalicylsäure (Aspirin® und Generika), 650–1000 mg O Ibuprofen (Brufen® und Generika), 200–400 mg O Ketoprofen (Dexketoprofen: Ketesse®), 25–50 mg O Naproxen (z.B. Apranax®, Proxen®, Generika), 275–550 mg. Ausserdem wurden 22 weitere Medikamente und Kombinationen untersucht, manche jedoch nur in Einzelstudien. In allen Studien wurde die Intensität der Schmerzen oder die Schmerzlinderung innerhalb einer bestimmten Zeit nach der Einnahme – meist 2 bis 6 Stunden – evaluiert. Der von der IHS empfohlene Endpunkt wurde jedoch nur in wenigen Studien untersucht. Bezüglich der «Schmerzfreiheit nach 2 Stunden» waren die Ansprechraten mit 10 bis 25 Prozent im Vergleich zu Plazebo am niedrigsten. Die höchsten Ansprechraten wurden mit 40 bis 55 Prozent beim Endpunkt «leichte oder keine Schmerzen nach 2 Stunden» beobachtet. Bei Berücksichtigung der «globalen Beurteilung durch den Patienten» (Wirksamkeit sehr gut/gut) lagen die Ansprechraten mit 20 bis 50 Prozent dazwischen. Für Paracetamol 1000 mg, Ibuprofen 400 mg, Ketoprofen 25 mg und Acetylsalicylsäure 1000 mg konnten die Studiendaten zur Auswertung gepoolt werden. Die Forscher beobachteten nur geringfügige Unterschiede zwischen den Medikamenten. Die NNT (Number Needed To Treat) waren hoch und lagen bei Werten um 9 für den von der IHS empfohlenen Endpunkt der «Schmerzfreiheit nach 2 Stunden». Bei Berücksichtigung der Endpunkte «leichte oder keine Schmerzen nach 2 Stunden» oder «globale Beurteilung durch den Patienten» waren die NNT niedriger (siehe Tabelle). In den Studien zu allen anderen Medikamenten waren keine auswertbaren Ergebnisse zu diesen drei Endpunkten vorhanden. Der Unterschied der Schmerzintensität (Pain Intensity Difference, PID) nach einer bestimmten Zeit war der am häufigsten untersuchte Endpunkt. Aufgrund unterschiedlicher Skalen (z.B. 4 oder 5 Punkte) und Zeiträume (2, 3, 4 oder 6 Stunden) konnten die Wissenschaftler jedoch keine Berechnungen zur Medikamentenwirksamkeit vornehmen. Diskussion Die Autoren halten es für sehr wahrscheinlich, dass Acetylsalicylsäure, Naproxen und Diclofenac (Voltaren® und Generika) in den üblichen Dosierungen ebenfalls wirksamer sind als Plazebo. Allerdings kann die Effektgrösse dieser Medikamente anhand der verfügbaren ARS MEDICI 3 I 2015 161 STUDIE REFERIERT Tabelle: NNT für Medikamente im Vergleich zu Plazebo (modifiziert nach Moore et al.) Medikament und Dosierung NNT (95%-KI) Schmerzfrei nach 2 Stunden Paracetamol 1000 mg Ibuprofen 400 mg Ketoprofen 15 mg 8,7 (6,2–15) 8,9 (5,9–18) 9,8 (5,1–146) Leichte oder keine Schmerzen nach 2 Stunden Paracetamol 1000 mg 7,5 (5,3–13) Ketoprofen 125 mg 3,8 (2,7–6,6) Globale Beurteilung durch den Patienten (sehr gut/gut) Paracetamol 1000 mg 8,4 (5,7–16) Ibuprofen 400 mg 6,1 (4,3–10) Ketoprofen 25 mg 6,9 (4,5–15) Acetylsalicylsäure 1000 mg 5,2 (3,5–10) Daten nicht abgeschätzt werden. Zu- dem liegt keine schlüssige Evidenz zur relativen Wirksamkeit dieser Substan- zen vor. Die Ergebnisse dieses Reviews mit Metaanalyse stimmen im Wesentlichen mit der Richtlinie der European Fede- ration of Neurological Societies über- ein. Hier werden Ibuprofen (erste Wahl unter den NSAID), Paracetamol oder Acetylsalicylsäure zur Akutbehand- lung von Spannungskopfschmerzen empfohlen. In den deutschen evidenzbasierten Empfehlungen zur Selbstmedikation wird zur Behandlung des Spannungs- kopfschmerzes eine Fixkombination aus Paracetamol, Acetylsalicylsäure und Koffein (in der Schweiz ausser Handel), eine Fixkombination aus Pa- racetamol und Koffein (Sanalgin® und Generika) oder eine Monotherapie mit Ibuprofen, Acetylsalicylsäure oder Diclofenac empfohlen. O Moore A et al: Evidence for efficacy of acute treatment of episodic tension-type headache: methodological critique of randomised trials for oral treatments. Pain 2015; 155: 2220–2228. Interessenkonflikte: Die Studie wurde vom Oxford Pain Relief Trust und von Reckitt Benckiser finanziert. Die Sponsoren hatten keinen Einfluss auf Konzeption, Design, Durchführung, Datenanalyse und Niederschrift oder auf Entscheidungen bezüglich der Publikation. Petra Stölting 162 ARS MEDICI 3 I 2015