Transkript
STUDIE REFERIERT
Womit soll man eine antidiabetische Therapie beginnen?
Einsatz von Metformin als First-line-Medikament bestätigt
Neuere orale Antidiabetika zur initialen Behandlung haben gegenüber Metformin den Nachteil, rascher ein weiteres Medikament erforderlich zu machen. Zu diesem Ergebnis kam eine retrospektive Kohortenstudie in den USA.
JAMA Internal Medicine
Diabetes mellitus gehört zu den weltweit am stärksten zunehmenden Erkrankungen. Nach Schätzungen der International Diabetes Foundation litten 2011 weltweit 366 Millionen Menschen an Diabetes. Diese Zahl wird 2030 auf 522 Millionen ansteigen. Angesichts dieser Entwicklung ist eine zuverlässige antihyperglykämische Therapie unabdingbar. Mehrere Leitlinien empfehlen, Metformin zur medikamentösen Ersttherapie eines Typ-2-Diabetes einzusetzen (2). Die Evidenz dieser Empfehlung ist jedoch gering, insbesondere im Hinblick auf neuere orale Antidiabetika, die ebenfalls als initiale Therapie eingesetzt
MERKSÄTZE
O Aktuelle Leitlinien empfehlen Metformin als First-line-Therapeutikum des Diabetes mellitus Typ 2. Diese Empfehlung konnte durch eine aktuelle Studie bestätigt werden.
O Im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen, DPP-4-Inhibitoren und Thiazolidindionen dauerte es unter Metformin signifikant länger, bis eine Therapieintensivierung mit einem zweiten Antidiabetikum notwendig war.
O Sulfonylharnstoffe, DPP-4-Inhibitoren und Thiazolidindione zeigten gegenüber Metformin keinen Vorteil im Hinblick auf schwere Hypoglykämien, andere diabetogen bedingte Notfallereignisse oder kardiovaskuläre Zwischenfälle.
werden können. Ziel der Studie war es, Wirksamkeit und Verträglichkeit verschiedener oraler Antidiabetika – Metformin, Sulfonylharnstoffderivate, Dipeptidylpeptidase-(DPP-)4-Inhibitoren und Thiazolidindione – in der Ersttherapie eines Diabetes mellitus zu vergleichen.
Methodik
In der Studie wurden Daten von 15 516 Patienten ausgewertet, welche zwischen Juli 2009 und Juni 2013 erstmals ein orales Antidiabetikum in Monotherapie verordnet bekommen hatten. Nur bei 57,8 Prozent der Patienten war das Metformin; 23,0 Prozent hatten einen Sulfonylharnstoff, 6,1 Prozent ein Thiazolidindion und 13,1 Prozent einen DPP-4-Hemmer erhalten. Primärer Endpunkt der Studie war der Zeitraum, nach welchem ein zweites Antidiabetikum erforderlich war. Sekundäre Endpunkte umfassten die Dauer bis zum Auftreten einer schweren Hypoglykämie oder eines anderen Notfallereignisses, das auf den Diabetes mellitus zurückzuführen war. Ein weiterer sekundärer Endpunkt war die Zeit, nach welcher ein kardiovaskuläres Ereignis auftrat, beispielsweise Herzinsuffizienz, instabile Angina pectoris oder Schlaganfall.
Ergebnisse
Innerhalb des ersten Jahres wurde bei einer Initialtherapie mit Metformin signifikant seltener ein zweites Antidiabetikum hinzugefügt als bei einer Anfangsbehandlung mit einem Sulfonylharnstoff, einem Thiazolidindion oder
einem DPP-4-Hemmer (p < 0,001). Im Vergleich zu Metformin zeigten die anderen Antidiabetika zudem keinen Vorteil im Hinblick auf schwere Hypoglykämien, andere diabetogen bedingte Notfallereignisse oder kardiovaskuläre Zwischenfälle. Während der Nachbeobachtungsperiode von durchschnittlich 12 bis 14 Monaten mussten 24,5 Prozent der Metforminpatienten ein weiteres Medikament erhalten. In den anderen Gruppen war das bei 37,1 Prozent (Sulfonylharnstoff), 39,6 Prozent (Thiazolidindion) und 36,2 Prozent der Patienten (DPP-4Hemmer) der Fall. Metforminpatienten waren im Mittel jünger und seltener nierenkrank als die anderen. Auch wenn diese und andere individuelle Unterschiede wie Geschlecht, chronische Herz- oder Lungenerkrankung bei der Analyse Berücksichtigung fanden, ergab sich, dass bei den nicht mit Metformin behandelten Patienten häufiger eine Zusatztherapie erforderlich war. Die Wahrscheinlichkeit für eine Behandlung mit einem weiteren oralen Antidiabetikum oder Insulin war signifikant höher, und zwar um 68 Prozent (Sulfonylharnstoff), 61 Prozent (Thiazolidindion) beziehungsweise 62 Prozent (DPP-4-Hemmer). Ob das therapeutische Vorgehen mit der Qualität der glykämischen Kontrolle in Zusammenhang stand, war nicht feststellbar, da die HbA1c-Werte der Patienten nicht zugänglich waren. Kardiovaskuläre Ereignisse wie eine Herzinsuffizienz waren unter Sulfonylharnstoff häufiger zu beobachten als unter Metformin. Auch die Rate schwerer Hypoglykämien war bei einer Therapie mit Sulfonylharnstoff höher. Ansonsten konnten keine Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt werden. Die höchste Therapietreue zeigte sich bei Metformin und Sulfonylharnstoff. Fazit Die Studie bringe wichtige Informationen zur Wahl des ersten Antidiabetikums, so die Autoren. Die Daten bestätigen die Leitlinienempfehlung, mit Metformin die medikamentöse Therapie des Diabetes zu beginnen. Kann der Zeitraum bis zu einer notwendigen Intensivierung der Therapie verlängert werden, ist das sowohl für den Patienten als auch für das Gesundheitssystem 58 ARS MEDICI 1 I 2015 STUDIE REFERIERT von Nutzen. Zudem sind unter Metformintherapie Endorganschäden geringer ausgeprägt, sodass diabetische Folgeschäden seltener auftreten. Kommentar Auch andere Untersuchungen bestätigen den Einsatz von Metformin als First-line-Therapeutikum, da Metformin in gleicher oder stärkerer Weise den HbA1c-Spiegel senkt. Diese starke Wirksamkeit ist mit einer geringeren Gewichtszunahme und einem geringeren Hypoglykämierisiko verbunden (2). Segal et al. (2) geben jedoch zu bedenken, dass in der Studie SGLT-(sodiumglucose co-transporter-)2-Hemmer nicht berücksichtigt wurden, da diese Medikamentengruppe in den USA erst im März 2013 zugelassen wurde. Weniger nachvollziehbar sei der Ausschluss von GLP-(glucagon-like peptide-)1-Mimetika, welche bereits seit 2005 auf dem Markt seien. Auch werde nicht untersucht, welche Anschlusstherapie die beste sei. Es sei nicht zu verstehen, warum die Studienautoren als einziges Mass für eine Therapieintensivierung die Gabe eines weiteren Antidiabeti- kums und nicht eine Dosiserhöhung gewählt hätten. O Claudia Borchard-Tuch Interessenlage: Es liegen keine Interessenkonflikte vor. Quellen: 1. Berkowitz SA et al.: Initial choice of oral glucose- lowering medication for diabetes mellitus: a patientcentered comparative effectiveness study. JAMA Intern Med 2014; 174(12): 1955–1962. 2. Segal JB, Maruthur NM: Initial therapy for diabetes mellitus. (Invited commentary). JAMA Intern Med 2014; 174(12): 1962–1963. ARS MEDICI 1 I 2015 59