Transkript
Erhöhte Triglyzeridwerte beachten und behandeln
Lipide und kardiovaskuläre Erkrankungen
FORTBILDUNG
Der Einfluss der Triglyzeride auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird historisch und aktuell kontrovers diskutiert. Heute wird für triglyzeridreiche Lipoproteine eine kausale Rolle bei der Entstehung von Entzündungsvorgängen in der Intima und damit der Atherombildung postuliert.
The Lancet
Vor gut 25 Jahren wurden leicht bis mässig erhöhte Triglyzeridkonzentrationen als kardiovaskulärer Risikofaktor betrachtet, ähnlich wie hohes Gesamt- und HDL-Cholesterin. Lipidspezialisten trachten daher danach, alle diese Lipidfraktionen mit dem Ziel der kardiovaskulären Prävention zu behandeln, bei sehr hohen Triglyzeridwerten galt die Prävention auch dem erhöhten Risiko für akute Pankreatitis. In der Folge führten neue wegweisende wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass sich der Forschungsfokus und das Behandlungsziel auf erhöhte LDL-Cholesterin-Werte verschob. Das stand in Zusammenhang mit der Indentifikation von LDL-Rezeptor-Mutationen als Ursache familiärer Hypercholesterinämien und auch mit der Entwicklung der Statine, die eine immer ausgeprägtere Reduktion des LDL-Cholesterins erlaubten. Die lange Reihe der Studien mit immer potenteren Statinen setzte auch neue Evidenzmassstäbe, indem gezeigt wurde, dass eine Therapie kardiovaskulärer Risikofaktoren zu einer Verminderung der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und der Gesamtmortalität führte.
MERKSÄTZE
O Die Evidenz für erhöhte Konzentrationen triglyzeridreicher Lipoproteine (Remnants) als zusätzlicher kausaler Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen nimmt zu, allerdings fehlen randomisierte Studien zur präventiven Triglyzeridreduktion bei erhöhten Spiegeln.
O Zur Reduktion des kardiovaskuklären Risikos werden bei leicht bis mässig erhöhten Triglyzeridwerten Lebensstilinterventionen (Gewichts-, Alkoholreduktion), ergänzt durch eine Statinbehandlung, empfohlen.
O Lassen sich die Triglyzeridwerte so nicht ausreichend reduzieren, kann eine Kombination mit einem Fibrat eingesetzt werden.
Demgegenüber erschien die Evidenz für den Nutzen einer triglyzeridsenkenden Therapie immer schwächer, nicht zuletzt, weil diese vor dem Hintergrund einer Statinbehandlung erbracht werden müsste. Zudem sind erhöhte Triglyzeridkonzentrationen sehr eng mit tiefen HDL-Cholesterin-Werten assoziiert, und etliche negative Studien zur Anhebung der HDL-Cholesterin-Konzentrationen haben Zweifel aufkommen lassen, ob tiefe HDL-Cholesterin-Werte überhaupt eine Ursache kardiovaskulärer Erkrankungen sein können, wie ursprünglich angenommen wurde.
Nicht ganz eindeutige Epidemiologie
Anders als Individuen mit stark erhöhten Cholesterinwerten entwickeln viele Menschen mit hohen Triglyzeridkonzentrationen und Chylomikronämie keine Atherosklerose und keine kardiovaskulären Erkrankungen. Das wurde damit erklärt, dass bei massiv erhöhten Triglyzeridwerten (> 50 mmol/l) die triglyzeridreichen Lipoproteine so gross sind, dass sie nicht in die Arterienwand einwandern und daher dort auch nicht für eine Atherosklerose verantwortlich sein können. Demgegenüber sind die Lipoproteine bei leicht bis mässig erhöhten Triglyzeridwerten (2–10 mmol/l) klein genug, um in die Arterienwand zu gelangen und sich dort anzureichern. Metaanalysen aus den Neunzigerjahren sowie aus drei grossen Studien zwischen 2007 und 2008 fanden – auch nach statistischer Korrektur für die HDL-Cholesterin-Konzentration – eine konsistente Korrelation zwischen steigenden Triglyzeridwerten und der Häufigkeit von Koronarerkrankung, Myokardinfarkt und Stroke sowie von Gesamtmortalität. Bei Frauen war diese Risikoassoziation ausgeprägter, was mit einem Confounding durch den höheren Alkoholkonsum bei Männern erklärt wird. 2009 erschien eine zusammenfassende Übersicht der Emerging Risk Factors Collaboration aus 68 prospektiven Langzeitstudien bei über 300 000 Patienten mit über 12 000 Koronarereignissen, die mit erhöhten Nüchternund Nicht-Nüchtern-Triglyzeridwerten ebenfalls ein erhöhtes Risiko für ischämische Herzerkrankungen ergab. Diese Assoziation schwächte sich nach Korrektur für das HDL-Cholesterin jedoch ab und verschwand bei zusätzlicher Berücksichtigung des Nicht-HDL-Cholesterins (LDL-Cholesterin und Remnants) gänzlich. Das passt zur Vorstellung, dass die Ursache ischämischer Herzerkrankungen im Cholesteringehalt der Remnants («Überbleibsel» nach der Aufspaltung von Chylomikronen) zu suchen ist und nicht in erhöhten Triglyzeridwerten. In einigen Studien mit Senkung des LDL-Cholesterins durch Statine waren erhöhte Triglyzeride mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert, in anderen hingegen nicht.
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FORTBILDUNG
Hinweise zur Diagnostik
Ein Lipidprofil umfasst die Messung der Gesamtmenge der beiden wichtigsten Lipide im Plasmakompartiment, also von Cholesterin und Triglyzeriden. Wie alle anderen Fettstoffe sind diese in der Wasserphase des Plasmas nicht löslich und werden daher in Lipidpartikeln zusammen mit Proteinen, den Lipoproteinen, transportiert. Die Lipoproteine umfassen die kleinsten Partikel (HDL), solche mittlerer Grösse (LDL) sowie als grösste die triglyzeridreichen Lipoproteine (Remnants). Aus klinischen Gründen wird der Cholesteringehalt dieser Lipoproteinklassen angegeben, wobei das Remnantcholesterin alle triglyzeridreichen Lipoproteine, also Chylomikronenremnants sowie Lipoproteine sehr niedriger (VLDL) und intermediärer Dichte (iDL), umfasst. Chylomikronen lassen sich bei den meisten Individuen nicht nachweisen, da sie im Plasma sehr rasch durch die Triglyzeridhydrolyse der Lipoproteinlipase abgebaut werden. Seinerzeit wurden Lipidprofile aus Nüchternblut erstellt. Inzwischen ist dieses Paradigma revidiert worden. Die Lipidbestimmung aus Blut von Patienten, die nicht nüchtern sind, dürfte gegenüber den Nüchternwerten nur geringe Abweichungen zeigen, die klinisch unwichtig sind. Die Triglyzeridkonzentrationen steigen zwei bis sechs Stunden nach einer Mahlzeit nur um 0,2 bis 0,4 mmol/l an; diese Zunahme ist nicht relevant. Ein Vorteil der Bestimmung aus nicht nüchtern abgenommenem Blut könnte auch sein, dass die so erfassten Werte eher den durchschnittlichen Lipidkonzentrationen entsprechen als denjenigen in der Ausnahmesituation am frühen Morgen, da die meisten Menschen über den Tag verteilt mehrfach essen. Die direkte Bestimmung des Remnantcholesterins ist nicht ganz zuverlässig, weshalb es eher als Differenz nach Abzug von HDL- und LDL-Cholesterin vom Gesamtcholesterin im Nicht-Nüchternblut errechnet wird.
Genetik spricht für triglyzeridreiche Lipoproteine als Ursache An leicht bis mässig erhöhten Trigylzeridkonzentrationen sind typischerweise viele Gene – zusammen mit Lebensstilfaktoren (Übergewicht, Fettsucht) – beteiligt. Zwar gibt es seltene autosomal-rezessive, monogene Störungen mit massiv erhöhten Triglyzeridwerten, häufigste Ursache deutlich erhöhter Triglyzeridwerte ist jedoch hoher Alkoholkonsum, Adipositas und nicht kontrollierter Diabetes mellitus. Zur pathogenetischen Rolle der Triglyzeride in der Atheromentstehung wird als einfachste Vorstellung Folgendes propagiert: Die im Plasma gemessenen erhöhten Triglyzeridkonzentrationen sind ein Marker für erhöhte cholesterinreiche Remnants, die nach Übertritt in die Intima dort zu einer chronischen Entzündung geringer Intensität mit Schaumzellbildung und zu einer Entstehung von atheromatösen Plaques und schliesslich zu kardivaskulären Erkrankungen und erhöhter Mortalität führen. Verschiedene genetische Studien (Mendelian Randomisation sowie genomweite Assoziationsstudien) neueren Datums stützen heute die Theorie, dass hohe Konzentrationen von triglyzeridreichen Lipoproteinen oder Remnantcholesterin kausale Risikofaktoren für kardiovaskuläre Morbidität und Gesamtmortalität sind – und dass ein tiefer HDL-Cholesterin-Wert dabei wahrscheinlich nur die Rolle eines un-
schuldigen Zuschauers spielt. Tiefe HDL-Cholesterin-Werte wären somit nur ein Langzeitmarker für erhöhte Triglyzerid- und Remnantcholesterinwerte. Dies stünde in Analogie zur HbA1c-Konzentration als Marker langfristig erhöhter Glukosekonzentrationen.
Therapie erhöhter Triglyzeride
Bei leicht bis mässig erhöhten Triglyzeridwerten müssen zunächst sekundäre Ursachen ausgeschlossen oder behandelt werden. In einem nächsten Schritt sollte der Lebensstil verändert werden, was häufig eine Gewichtsabnahme durch kalorienreduzierte Ernährung bedeutet. Dann sollte eine Behandlung mit einem Statin oder eine intensivierte Statintherapie mit einem potenten Statin, das sowohl den LDLCholesterin- als auch den Trigylzeridwert senkt, begonnen werden. Die Senkung des Trigylzeridwerts durch ein Statin hängt von dessen (dosisabhängiger) Fähigkeit zur Senkung des LDL-Cholesterin-Werts und von den Ausgangswerten der Triglyzeride ab. Ist unter Statintherapie keine ausreichende Senkung des Triglyzeridwerts zu erzielen, kann ein Fibrat hinzugefügt werden. Auch Fischöl und Nikotinsäure vermögen den Triglyzeridwert zu senken. Ob dies auch das kardiovaskuläre Risiko reduziert, ist jedoch unbekannt. Bei Typ-2-Diabetikern hat auch die Glykämiekontrolle einen Einfluss auf die Trigylzeridspiegel. Patienten mit Hypertriglyzeridämie und hohem Alkoholkonsum ist zu einer Verminderung des Alkoholkonsums zu raten. Ob eine Behandlung zur Reduktion erhöhter Trigylzeridwerte das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermindert, ist bisher in grossen randomisierten Studien nicht direkt untersucht worden. Im Gegenteil haben die meisten Studien, auch diejenigen mit Statinen, Personen mit Triglyzeridkonzetrationen > 4,5 mmol/l ausgeschlossen. Eine Metaregressionsanalyse des Effekts der Triglyzeridsenkung in Fibratstudien ergab pro Reduktion um 0,1 mmol/l eine Reduktion der Koronarereignisse um 5 Prozent. Das Ausmass des Effekts auf die vaskulären Ereignisse durch Triglyzeridsenkung übertrifft dasjenige der LDL-Cholesterin-Senkung in Statinstudien, aber insgesamt ist die wissenschaftliche Evidenz für die Triglyzeridreduktion weniger aussagekräftig als diejenige für die LDL-Cholesterin-Senkung.
Zukünftige therapeutische Angriffspunkte
Verschiedene neue Wirkstoffe, mit der Fähigkeit leicht bis
mässig oder sogar sehr stark erhöhte Triglyzeridkonzen-
trationen zu senken, sind in Entwicklung oder wurden schon
in klinischen Studien getestet. Dazu gehören n-3-Fettsäuren
(in Fischölen) und Apolipoprotein-C3-Hemmer. Auch die
zur weitergehenden LDL-Cholesterin-Senkung entwickelten
Antikörper gegen Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ
9 (PCSK9) könnten zukünftig für die Trigylzeridsenkung eine
Rolle spielen.
O
Halid Bas
Interessenkonflikte: Børge G. Nordestgaard deklariert vielfältige finanzielle Verbindungen zu Pharmafirmen.
Nordestgaard BG et al.: Triglycerides and cardiovascular disease. Lancet 2014; 384: 626–635.
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