Transkript
FORTBILDUNG
Topisches Hämoglobin bei chronischen Wunden
In allen Phasen der Wundheilung ist eine ausreichende Versorgung der Wunde mit Sauerstoff essenziell. Ein Hämoglobinspray erleichtert den Zutritt des Luftsauerstoffs zum Wundgewebe und begünstigt die Wundheilung.
ALFRED LIENHARD
Die Grundkrankheit bewirkt bei vielen chronischen Wunden durch Minderperfusion eine anhaltende Unterversorgung der Gewebe mit Sauerstoff (chronische Hypoxie bei chronischvenöser Insuffizienz und bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit). Die chronische lokale Hypoxie beeinträchtigt die Wundheilung, für die aufgrund des gesteigerten Energiestoffwechsels erheblich mehr Sauerstoff benötigt würde. Ausreichend Sauerstoff ist zur Keimabwehr durch Sauerstoffradikale (reaktive Sauerstoffspezies) unabdingbar (1). Ausreichend Sauerstoff ist zudem für die Chemotaxis von neutrophilen Granulozyten und Makrophagen wichtig und spielt eine zentrale Rolle für den Aufbau von neuem Gewebe durch Fibroblasten, Endothelzellen und Keratinozyten (Granulation, Angiogenese, Epithelisierung). Auch für die Synthese und die Reifung von funktionstüchtigem Kollagen ist es entscheidend, dass ausreichend Sauerstoff zur Verfügung steht (1).
Aufgespraytes Hämoglobin transportiert Sauerstoff in die Wunde Zusätzlich zur ursächlichen Behandlung der Grunderkrankung (Kompressionstherapie bei venösem Ulcus cruris zur Reduktion der schädlichen Auswirkungen der venösen Druckerhöhung, Rekanalisation verschlossener Gefässe bei
Merksätze
O Ein Hämoglobinspray kann bei chronischen und verzögert heilenden Wunden die Heilung beschleunigen.
O Das Hämoglobinspray steigert die Löslichkeit des Sauerstoffs aus der Umgebungsluft. Der vom Hämoglobin gebundene Sauerstoff wird zum Wundgrund transportiert und kann dort leichter ins Gewebe diffundieren.
peripherer arterieller Verschlusskrankheit zur Behebung der arteriellen Minderperfusion) und zur phasengerechten lokalen Wundbehandlung kann ein Hämoglobinspray (Granulox®) bei chronischen und verzögert heilenden Wunden die Heilung beschleunigen. Weil das Wundexsudat den Zutritt von Luftsauerstoff aufgrund der geringen Löslichkeit von Sauerstoff in Flüssigkeiten praktisch verhindert, wurde nach Möglichkeiten gesucht, die Sauerstoffdiffusion zu erleichtern. Im Jahr 2005 publizierten Barnikol, Teslenko und Pötzschke in der «Zeitschrift für Wundheilung» ein neuartiges topisches Behandlungsverfahren chronischer Wunden, das Hämoglobin in wässriger Lösung als Sauerstofftransportsystem einsetzt. Das Hämoglobinspray enthält den roten Blutfarbstoff in wässriger Lösung (10% carbonyliertes Hämoglobin). Topisch aufgesprayt verteilt sich das Hämoglobin gleichmässig im Flüssigkeitsfilm über der Wunde und steigert die Löslichkeit des Sauerstoffs aus der Umgebungsluft. Der vom Hämoglobin gebundene Sauerstoff wird zum Wundgrund transportiert und kann dort leichter ins Gewebe diffundieren. Ohne dass Hämoglobin «verbraucht» wird, wiederholt sich der Transport mit erleichterter Sauerstoffdiffusion während mindestens 48 Stunden. Das Hämoglobinspray wirkt rein physikalisch, nicht pharmakologisch. Die Luftzufuhr muss durch atmungsaktive Wundauflagen und Verbandsmaterialien sichergestellt werden. Das Aufsprayen der roten Lösung kann im üblichen Verbandswechselrhythmus (alle 1 bis 3 Tage) erfolgen.
Klinische Studie weist Verbesserung der Wundheilungstendenz nach In einer an der dermatologischen Klinik der Karls-Universität, Prag, durchgeführten prospektiven, randomisierten, einfach verblindeten, klinischen Studie wurde nachgewiesen, dass die Heilungstendenz chronischer Wunden (seit 3 Monaten bis 6 Jahren bestehende venöse Ulcera cruris) durch das Hämoglobinspray ohne unerwünschte Wirkungen begünstigt wird (2). Im Behandlungszeitraum von 13 Wochen nahm die Wundfläche in der mit Spray behandelten Gruppe (36 Patienten) um durchschnittlich 53 Prozent von 18,6 cm2 auf 10,2 cm2 ab. Bei 32 Patienten wurde eine positive Heilungstendenz und zusätzlich in einem Fall sogar der vollständige Wundverschluss nach 12 Wochen erreicht. In der Vergleichsgruppe ohne Hämoglobinspray (36 Patienten) resultierte eine leichte Zunahme der durchschnittlichen Wundfläche (von 17,5 cm2 auf 20,2 cm2). Nicht nur die Wundgrösse nahm bei Verwendung des Hämoglobinsprays deutlich ab, sondern
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auch nekrotisches Gewebe beziehungsweise Fibrinbeläge
wurden reduziert (um 48 bzw. 42%), und Granulationsge-
webe beziehungsweise Epithelisierung nahmen um 75 Pro-
zent beziehungsweise 78 Prozent zu. Der Wundschmerz ver-
ringerte sich um 68 Prozent (auf der visuellen Analogskala
von durchschnittlich 5,8 auf 2,1). In der Vergleichsgruppe
nahm die Schmerzintensität lediglich um 7 Prozent (von VAS
5,1 auf 4,8) ab. Eine Beeinflussung der Studienresultate
durch die Kompressionstherapie wurde dadurch minimiert,
dass die Kompressionstherapie (tagsüber) bei allen Patienten
beider Gruppen bereits 2 Wochen vor Studienbeginn ein-
setzte und während der gesamten Behandlungsdauer beibe-
halten und kontrolliert wurde (2).
O
Alfred Lienhard
Literatur: 1. Kröger K et al.: Chronische Wunden: Die Hypoxie verhindert die Heilung! Wund-
management 2012; 5: 212–217. 2. Arenbergerova M et al.: Einfluss von topischem Hämoglobin auf die Heilung von
Patienten mit Ulcus cruris venosum. Hautarzt 2013; 64: 180–186.
Erstpublikation in SZD 2/2014.