Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Infektiologie
Fondue Chinoise als Risikofaktor
In der Schweiz erkranken jährlich 7000 und 8000 Menschen an einer Campylobacterinfektion. Sie ist damit die häufigste durch Lebensmittel übertragene bakteriell bedingte Krankheit. In der Schweiz ist jeweils um Weihnachten und Neujahr ein ungewöhnlicher Anstieg der Krankheitsfälle
© Mara Zemgaliete – Fotolia.com
feststellbar. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hatte deshalb in Absprache mit dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) mit einer Fall-Kontroll-Studie beauftragt, um diese Zunahme über die Festtage zu untersuchen. Die Forscher befragten Betroffene, die zwischen Dezember 2012 und Februar 2013 an einer Campylobacterinfektion erkrankten. Das Resultat: Fleischfondue mit Poulet gehört im Winter zu den Hauptrisikofaktoren einer Campylobacterinfektion in der Schweiz. Etwa die Hälfte der Krankheitsfälle während der Festtage lässt sich auf diese Infektionsquelle zurückführen. Der Konsum eines Fondue Chinoise erhöht das Infektionsrisiko um das Vierfache. Die Studie zeigte auch, dass sich das Infektionsrisiko durch Hygienemassnahmen vermindern lässt. Wurden unterteilte oder getrennte Teller für rohes und gekochtes Fleisch verwendet, war das Risiko einer Infektion bis zu fünfmal geringer. Ebenso sank das Risiko einer Infektion bei Konsum von zuvor gefrorenem Fleisch.
Die Campylobacterinfektionen wurden
von den Betroffenen als schwere Erkran-
kungen empfunden. Auf einer Skala von 1
«harmlos» bis 10 «sehr schwer» bewertete
die Hälfte der Patienten die subjektiv erleb-
ten Beschwerden mit 8 oder mehr Punkten.
Erkrankte Personen klagten primär über
Durchfall (98%), Bauchschmerzen (81%),
Fieber (66%), Übelkeit (44%) und Erbre-
chen (34%). Die Patienten gaben eine mitt-
lere Erkrankungsdauer von sieben Tagen
an; rund 15 Prozent von ihnen mussten sich
ins Spital begeben.
Die Studienautoren fanden einen weiteren
Risikofaktor für eine Campylobacterinfek-
tion anlässlich der Festtage, nämlich Aus-
landsreisen über Weihnachten und Neu-
jahr. Allerdings werden Reiserückkehrer
mit Durchfall häufiger auf Infekte getestet,
was diesen erhöhten Befund ebenfalls er-
klären könnte, heisst es in einer Presse-
mitteilung des Swiss TPH.
RBOO
Bless PJ: A tradition and an epidemic: determinants of the campylobacteriosis winter peak in Switzerland. Eur J Epidemiol 2014; 29(7): 527–537.
Hypertonie
Blutdruck sinkt nach Zahnfleischsanierung
Die Parodontitis ist mit einem höheren Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall assoziiert. Bis jetzt war nicht bekannt, ob dies ein Zufall oder möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass sich Personen mit schlechter Zahnhygiene auch sonst nicht gut um ihre Gesundheit kümmern. Anscheinend besteht jedoch tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Zahnfleischgesundheit und den eingangs genannten Risiken. Eine im Sommer 2014 publizierte Studie (1) ergab, dass Personen mit schwerer Parodontitis einen erhöhten zentralen Blutdruck aufweisen und ihre Blutgefässe weniger flexibel sind als bei Gesunden. Das gleiche Team konnte nun in einer prospektiven Studie zeigen, dass nach einer Parodontitisbehandlung der Blutdruck sank (2). Wie das genau funktioniert, ist noch unklar:
«Sehr wahrscheinlich sind jedoch dieselben Bakterien, die die Parodontitis auslösen, auch die Ursache für den erhöhten Blutdruck und die vermehrten Herzinfarkte sowie Schlaganfälle», erläutert Johannes Baulmann, Leiter der Abteilung für Angiologie der Kardiologischen Klinik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck. Die Erreger verteilen sich im ganzen Körper und damit auch in den Blutgefässen: «Dort regen sie entzündliche Prozesse an, die Gefässwände werden fest und irgendwann sogar brüchig.» In der aktuellen Studie verfolgten Baulmann und sein Team die Behandlungsfortschritte bei 100 Patienten mit Parodontitis. Nach zwölf Monaten stellten die Forscher fest, dass Patienten mit erfolgreich bekämpfter Zahnfleischentzündung auch elastischere Blutgefässe hatten. Der zentrale Blutdruck
dieser Patienten war ebenfalls gesunken. Diese Studie liefere erste Hinweise darauf, dass mit der Parodontitisbehandlung HerzKreislauf-Erkrankungen und mögliche Folgen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall reduziert werden könnten, so Baulmann. RBOO
1. Jockel-Schneider Y et al.: Arterial stiffness and pulse wave reflection are increased in patients suffering from severe periodontitis. PLoS ONE 2014; 9(8): e103449. doi:10.1371/ journal.pone.0103449.
2. Pressemitteilung der Deutschen Hochdruckliga vom 4. Dezember 2014.
1214
ARS MEDICI 24 I 2014
Pädiatrie
Mehr ADHS-Diagnosen, aber weniger Medikamente?
Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland steigt die Anzahl der ADHS-Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen (1, 2), die Trends bei der Verordnung einschlägiger Medikamente sind aber anscheinend recht unterschiedlich. Zum einen ist der Anteil der ADHS-Kinder mit Methylphenidat in Deutschland offenbar höher als in der Schweiz, zum anderen zeichnet sich im Nachbarland erstmals ein rückläufiger Trend bei den Medikamenten ab. Grundlage der deutschen Studie zur Medikation bei ADHS im Kindesalter zwischen 2008 und 2011 sind die Abrechnungsdaten der kassenärztlichen Vereinigungen (diese übernehmen in Deutschland die Abrechnung der Ärzte mit den Krankenkassen). Einbezogen wurden alle Kinder und Jugendliche im Alter von 5 bis 14 Jahren, bei denen innerhalb eines Jahres mindestens zweimal in zwei verschiedenen Quartalen die Diagnose AHDS gemäss ICD10 angegeben wurde. Der Untersuchungszeitraum reichte von 2008 bis 2011. Demnach stieg der Anteil der 5- bis 14-Jährigen mit der Diagnose ADHS von 3,7 Prozent in 2008 auf 4,4 Prozent in 2011, wobei Knaben gut dreimal häufiger betroffen waren als Mädchen. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Methylphenidat (egal ob mit oder ohne ADHS-Diagnose gemäss den oben genannten Kriterien) stieg von 2008 bis 2010 von 2,9 auf 3,3 Prozent und fiel 2011 auf 3,2 Prozent. Betrachtet man nur die Kinder und Jugendlichen mit der Diagnose ADHS, wird der Trend deutlicher: Während 2008 noch 77 Prozent der Kinder mit ADHSDiagnose Methylphenidat erhielten, waren es noch 73 Prozent in 2011. Daten ab 2012 sind noch nicht verfügbar. Die Zurückhaltung der deutschen Ärzte im Jahr 2011 bezüglich der einschlägigen Medikamente beruhte vermutlich weniger auf medizinischen Überlegungen als vielmehr den strikteren Vorgaben für deren Verschreibung in Deutschland seit 2010. Damals verschärfte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland, die Verordnungsrichtlinien für Methylphenidat und ähnliche Medikamente. Auffällig an der deutschen Studie sind regionale Unterschiede bezüglich der Häufigkeit der ADHS-
Diagnose und der Verordnung einschlägiger Medikamente, die nach Ansicht der Studienautoren weiterer Klärung bedürfen (2): «So könnte zum Beispiel untersucht werden, inwieweit die Verfügbarkeit von Kinder- und Jugendpsychiatern, sozioökonomische Faktoren oder auch vorhandene ADHS-Verträge zwischen KV-Bereichen und Krankenkassen die Diagnostik und Medikation von ADHS beeinflussen.» In der Schweiz ist der Anteil der ADHS-Kinder mit Methylphenidat anscheinend geringer als in Deutschland. Dies ergab der Bericht zuhanden des BAG, der Mitte November 2014 vorgestellt wurde (1). Gemäss der verfügbaren Daten erhalten in der Schweiz nur ein Viertel der Kinder und Jugendlichen mit ADHS methylphenidathaltige Medikamente. Die ADHS-Prävalenz bei Kindern und Jugendlichen wird in der Schweiz auf eine ähnliche Grössenordnung geschätzt, wie sie in der deutschen Studie ermittelt wurden, nämlich auf 3 bis 5 Prozent. In den letzten Jahren werde die Diagnose ADHS auch in der Schweiz immer häufiger gestellt, und die Wirkstoffmengen pro Patient nehmen zu, heisst es in dem Bericht. So ergab die Auswertung der Daten von drei Schweizer Krankenversicherungen, dass der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Methylphenidat zischen 2005 und 2008 um fast 40 Prozent gestiegen sei. Für 2012 wird der Anteil der mit Methylphenidat behandelten Kinder und Jugendlichen auf 1 bis 2 Prozent geschätzt (1). RBOO
1. Leistungssteigernde Medikamente. Bedeutung, Anwendung und Auswirkungen. Expertenbericht zuhanden des BAG. www.bag.admin.ch/themen/drogen/00042/00643/15108/ index.html?lang=de.
2. Hering R et al.: Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen in der ambulanten Versorgung in Deutschland. Teil 1 – Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland, www.versorgungsatlas.de.
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Zu viel des Guten
Hoch dosierte Vitamin-E-Präparate sind nicht sinnvoll, sie können sogar schädlich sein. Zu diesem Ergebnis kommen Edgar R. Miller und sein Team am John Hopkins Medical Center in Baltimore. Sie hatten 19 Studien mit insgesamt rund 130 000 Patienten ausgewertet, die mindestens ein Jahr lang Vitamin-E-Präparate eingenommen hatten. Bei hoher Dosierung (Ն 400 IU pro Tag) war die Mortalität erhöht, niedrigere Dosen schienen keinen negativen Effekt zu haben, falls nicht gleichzeitig noch andere Antioxidanzien wie Vitamin C eingenommen wurden. Damit wurde nach dem Vitamin A für ein weiteres Antioxidans klar: Zu viel des Guten schadet.
Vor 50 Jahren
Check-up
Vorsorgeuntersuchungen und der jährliche «Check-up» kommen in Mode. Ein Forscherteam um Kendall A. Elsom in Philadelphia überprüft anhand von 350 Todesfällen, ob man diese zuvor anlässlich eines Check-up vorausgeahnt hatte oder nicht. Nur in jedem zweiten Fall lag man mit der Prognose richtig. Für die Forscher ist das kein Grund, am Sinn eines jährlichen Checkup zu zweifeln sondern Ansporn, die Untersuchungen künftig besser zu machen.
Vor 100 Jahren
Rettungswagen
Henry S. Wellcome, britischer Pharmaunternehmer und Stifter der Wellcome Foun-
dation, setzt ein Preisgeld von 2000 britischen Pfund für den besten Entwurf eines motorisierten Rettungswagens aus. Die Ausschreibung erfolgt international. Trotz des 1. Weltkriegs wird ausdrücklich erwähnt, dass Vorschläge «sogar aus Deutschland und Österreich» eingereicht werden dürften. Über die Preisvergabe soll eine «Ambulance Construction Commission» in Grossbritannien entscheiden (Foto: Wellcome Trust).
RBOO