Transkript
FORTBILDUNG
Malaria 2014
Neues zu Diagnostik, Therapie und Prophylaxe
Was hat sich in den letzten zwei Jahren auf dem Gebiet der Malaria getan? Welche neuen Erkenntnisse gibt es? Welche Medikamente sind neu, und für welche gibt es neue Empfehlungen? Auf diese Fragen ging Dr. med. Fritz Holst vom Tropen- und Reisemedizinischen Zentrum in Marburg auf dem DGIM-Kongress 2014 in Wiesbaden ein.
VERA SEIFERT
Malaria existiere eigentlich in zwei Welten, so Holst: zum einen in der lokalen Bevölkerung mit einer Morbidität von 200 Millionen pro Jahr und einer Mortalität von 700 000 pro Jahr. Zum anderen gibt es Malaria als reisemedizinische Importerkrankung mit einer Morbidität von 25 000 pro Jahr in den Industrieländern und einer Mortalität von 250 pro Jahr. In Deutschland erkranken etwa 550 Menschen pro Jahr an Malaria, 3 pro Jahr versterben daran. Daran hat sich in den letzten Jahren wenig geändert.
Epidemiologie Die Malariahäufigkeit nimmt insgesamt ab. Aber es gibt noch einige Gebiete, wo sie zunimmt, zum Beispiel in höherliegenden Arealen von Afrika, wo die Temperaturen im
Merksätze
O Diagnostischer Goldstandard sind nach wie vor der «Dicke Tropfen» und der Ausstrich.
O Die Fixkombination Dihydroartemisinin/Piperaquin (Eurartesim®) ist ein neues Medikament, das sich durch eine gute und schnelle Parasitenreduktion auszeichnet.
O Im Reiseland verordnete Medikamente haben oft deutliche Nebenwirkungen; ausserdem muss man mit gefälschten Präparaten rechnen.
O Patienten mit schwerer Malaria müssen intensivmedizinisch behandelt werden.
O Die Empfehlung zur Prophylaxe beziehungsweise zur Stand-byTherapie richtet sich nach den Malariainzidenzen ohne Prophylaxe im entsprechenden Land.
O Der grosse Durchbruch in puncto Malariavakzine ist noch nicht gelungen.
Schnitt angestiegen sind, und in Städten, wo die Anophelesmücke in Brackwasser und dreckigen Gewässern gute Brutmöglichkeiten findet. Ausser den bekannten Plasmodienarten (Plasmodium falciparum, P. vivax, P. ovale, P. malariae) kennt man inzwischen einen weiteren Malariaerreger: P. knowlesi. Er kommt in Südostasien (meistens Borneo) vor und zirkuliert hauptsächlich zwischen Makakenaffen und Anopheles leucosphyrus. Aber auch Menschen können, etwa bei Dschungeltrecks, gestochen werden. Bisher sind erst drei nach Deutschland eingeschleppte Fälle bekannt, alle drei Personen haben überlebt. Das Problem ist die Diagnose wegen der besonderen Morphologie der Erreger. Der Schnelltest auf P. falciparum ist fast immer negativ. Eine weitere Besonderheit ist die rasch progrediente Parasitämie. Behandelt wird am besten mit einem Artemisinin-Kombipräparat.
Verbreitung der Malaria Was hat sich hierbei geändert im Vergleich zum Vorjahr? Die Malariazone in Mittelamerika ist deutlich schmaler geworden. Personen, die in diese Länder reisen, brauchen keine Prophylaxe oder Stand-by-Medikation. Bei Fieber ist Denguefieber oder Typhus erheblich wahrscheinlicher als Malaria. Die Resistenzen in der Dominikanischen Republik und in Haiti sind doch nicht so häufig wie zuerst angenommen, sodass dort Chloroquin als Stand-by genügt. Die Malariazone in Zentralafrika hat sich nach Norden etwas verbreitert, hier empfiehlt sich eine Mitnahme von Atovaquon/Proguanil oder Artemether/Lumefantrin. Für bestimmte Gebiete Südafrikas gibt es saisonspezifische Empfehlungen: Zur Trockenzeit reicht ein Stand-by-Präparat, zur Regenzeit ist eine Prophylaxe zu empfehlen. Hochrisikogebiete, in denen eine Prophylaxe empfohlen wird, sind ansonsten Afrika, das östliche Indonesien und bestimmte, eher selten von Touristen bereiste Gebiete in Südamerika.
Diagnostik der Malaria Goldstandard sind nach wie vor der «Dicke Tropfen» und der Ausstrich. Das sei aber ein Problem, so Holst, weil die meisten Hausärzte beziehungsweise MfA damit wenig Erfahrung haben dürften. Deshalb gibt es inzwischen weitere ergänzende Diagnostikverfahren wie die PCR, die insbesondere bei niedriger Parasitämie gute Dienste leistet, zum Beispiel bei der Malaria tertiana oder quartana und vor allem bei Doppelinfektion. Allerdings dauert es schon einen halben bis ganzen Tag, bis valide Ergebnisse vorliegen. Deshalb erfreuen sich die Schnelltests zunehmender Beliebtheit, die in 20 bis 30 Minuten ein Ergebnis liefern. Holst hat gute Erfahrungen mit dem Test BINAX Malaria NOW® gemacht, der eine hohe Zuverlässigkeit bei P. falciparum (M. tropica) und eine
1258 ARS MEDICI 24 I 2014
FORTBILDUNG
Tabelle 1:
Malaria: diagnostische Entscheidungen
Schnelltest negativ: § keine M. tropica (mit über 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit aus-
geschlossen), sofern sich der Patient nicht in einem Endemiegebiet für Plasmodium knowlesi befand und keine schwere Erkrankung vorliegt § zunächst ambulant behandeln § Ausstrich und «Dicker Tropfen» in 6 bis 8 Stunden § positiv § stationär einweisen § negativ § Wiedervorstellung am nächsten Tag
Schnelltest positiv auf P. falciparum: § stationär einweisen § Ausstrich und «Dicker Tropfen» in der Klinik
Schnelltest positiv auf P. vivax: § ambulante Therapie § Ausstrich und «Dicker Tropfen» in 6 bis 8 Stunden
immerhin 80-prozentige Zuverlässigkeit bei P. vivax besitzt. Weniger gut ist er geeignet für P. ovale. Welche Konsequenzen aus den Streifentestergebnissen zu ziehen sind, wird in Tabelle 1 dargestellt.
Therapie der Malaria Für die Therapie der Malaria tropica (P. falciparum) sind in der Schweiz neben den Aminochinolinen (Chloroquin [Nivaquin®] und Hydroxychloroquin [Plaquenil® und Generika]) folgende Medikamente zugelassen: O Biguanide: Atovaquon/Proguanil (Malarone® und Gene-
rika) O Diaminopyrimidine: Artemether/Lumefantrin (Riamet®),
Dihydroartemisinin/Piperaquin (Eurartesim®) O Methanolchinolone: Chinin (Chininsulfat Hänseler®),
Mefloquin (Lariam®, seit 2014 ausser Handel) O Antibiotika: Doxycyclin (Supracyclin®, Doxysol®, Vibra-
mycin® u.a.).
Dihydroartemisinin/Piperaquin (Eurartesim®) ist ein neues Medikament, das in der Schweiz seit zwei Jahren auf dem Markt ist und sich durch eine gute und schnelle Parasitenreduktion auszeichnet. Die Dosierung beträgt jeweils drei Tabletten über drei Tage. Vorteil des Medikaments: Die Piperaquinkomponente hat eine sehr lange Halbwertszeit, sodass man noch drei bis vier Wochen über die Therapie hinaus einen prophylaktischen Effekt hat. Als Nebenwirkung kann eine Verlängerung der QT-Zeit auftreten. Deshalb ist drei Tage nach Einnahme eine EKG-Kontrolle vorgeschrieben. Für die Therapie der Malaria tertiana (P. vivax und ovale) stehen ebenfalls Atovaquon/Proguanil und Artemether/Lumefantrin zur Verfügung. Hierbei muss man jedoch nach dieser Therapie beziehungsweise im Abstand von zwei Tagen noch Primaquin gegen die Hypnozoiten (Schlafstadien) geben, weil es ansonsten zu Rezidiven kommt. P. malariae (Malaria quartana) ist nach wie vor sehr sensitiv auf Chloroquin. Patienten mit schwerer Malaria, das heisst mit Erkrankun-
gen, die mit Gehirnbeteiligung, Nierenversagen oder interstitiellem Lungenödem einhergehen oder bei denen Laborparameter auf einen schweren Verlauf hinweisen (Anämie, Gerinnungsstörungen, metabolische Azidose, Thrombopenie, Hypoglykämie, Hyperparasitämie > 2%), müssen intensivmedizinisch behandelt werden. Therapeutikum der Wahl ist heute Artesunat i.v., was jedoch nur bei bestimmten Tropeninstituten bezogen werden kann. Alternativ kommt Chinin i.v. infrage. Anschliessend erfolgt eine orale Therapie wie bei der unkomplizierten Malaria zur Verhinderung der Rezidive.
Therapie in den Tropen Welche Probleme können auftreten bei einer Malariaerkrankung in den Tropen? Zum einen sind die Symptome unspezifisch und vielgestaltig (Fieber, Muskelschmerzen, Husten, Bauchschmerzen, Durchfall), sodass allein aufgrund der Klinik auch ein erfahrener Arzt eine Malaria nicht sicher ausschliessen kann. Reisende warten meist zu lange, bis sie einen Arzt aufsuchen, und die Schnelltests sind in der Laienanwendung unzuverlässig. Von lokalen Ärzten wird die Malaria zu häufig diagnostiziert. Die im Reiseland verordneten Medikamente (meist Chinin, Mefloquin, Halofantrin) haben oft deutliche Nebenwirkungen. Ausserdem muss man mit gefälschten Präparaten rechnen.
Prophylaxe Für die Vektorprophylaxe gilt nach wie vor: O mückendichte und mit Permethrin imprägnierte Kleidung O imprägnierte Moskitonetze (Maschenweite: 1,2–1,5 mm) O Insektizide in der Raumluft O Repellenzien (DEET > 20%, Icaridin, Lemon Eucalyptus
Extr. 30%).
Zum Mefloquin (Lariam®) gab es in Deutschland einen RoteHand-Brief im September 2013. Danach muss bei der Anwendung ein Patientenpass ausgestellt werden mit Telefonnummer des behandelnden Arztes, Checkliste und Unterschrift des Patienten, dass er aufgeklärt wurde. Grund sind die beschriebenen Nebenwirkungen (Übelkeit, Gleichgewichtsstörungen, psychotrope Effekte). Diese seien aber gar nicht so häufig, wie man aufgrund der Presseberichte vielleicht meinen könnte, so Holst. Als Stand-by-Medikation wird Mefloquin schon seit einigen Jahren nicht mehr empfohlen, weil rund 30 Prozent der Patienten, die darauf mit Übelkeit reagieren, auch erbrechen, was die Wirksamkeit beeinträchtigen kann. Der Patient kann dann eigenmächtig oft nicht entscheiden, ob er noch eine zusätzliche Dosis einnehmen soll. Die Einnahme erfolgt einmal pro Woche, beginnend drei Wochen vor Exposition. Der Sinn dieser Frist besteht darin, dass man früh genug herausfinden will, ob der Patient es verträgt und ob man bei Nebenwirkungen auf ein anderes Präparat umsteigen kann. Ansonsten würde auch eine Woche vorher ausreichen. Resistenzen sind vorwiegend im südostasiatischen Raum bekannt, deshalb wird es dort auch nicht mehr angewendet, sondern nur in Afrika und in einzelnen Gebieten Südamerikas. Doxycyclin ist anders als in der Schweiz in Deutschland nur zur Prophylaxe, nicht zur Therapie zugelassen. Die Dosierung beträgt 100 mg/Tag, zwei Tage vor bis vier Wochen
ARS MEDICI 24 I 2014 1259
FORTBILDUNG
Tabelle 2:
Prophylaxe und Stand-by-Medikation (nach Dr. Holst)
Präparat
Dosierung
Nebenwirkungen
Vorteile
Nachteile
Resistenzen
Atovaquon/Proguanil 1 Tbl./Tag, 1 Tag vor
(Prophylaxe und
bis 1 Woche nach der
Stand-by)
der Reise
Arthemeter/ Lumefantrin (nur Stand-by)
4 Tbl. initial und nach 8, 24, 36, 48 und 60 h
Doxycyclin (nur Prophylaxe)
100 mg/Tag, 2 Tage vor bis 4 Wochen nach der Reise
Mefloquin (nur Prophylaxe)
1-mal/Woche, beginnend 3 Wochen vor der Reise
Bauchschmerzen, Übelkeit, Transaminasenanstieg
sehr gut verträglich, gut geeignet für Kurzreisen
Kopfschmerzen Schwindel, QT-ZeitVerlängerung
schnelle Parasitenreduktion
Fototoxizität, Vaginalmykose, leichte Bauchschmerzen
preiswert, wirkt auch gegen andere Tropenkrankheiten (Leptospirose, Filariose)
Übelkeit, Gleichgewichtsstörungen, psychotrope Effekte
Einnahme nur 1-mal/Woche erforderlich
teuer
nicht geeignet für herzkranke Patienten
im Vergleich zu den anderen Medikamenten häufiger Nebenwirkungen vergleichsweise schlechte Verträglichkeit mit gravierenden Nebenwirkungen
vereinzelt in Westafrika Kambodscha
nur vereinzelt
in Südostasien
nach der Reise. Es hat den Vorteil, dass es auch gegen andere Tropenerkrankungen wirkt wie Leptospirose und Filariose, möglicherweise auch gegen Reisediarrhö. Allerdings hat es Nebenwirkungen, nämlich Fototoxizität, Vaginalmykose und leichte Bauchschmerzen, die aber nicht so häufig sind. Das Monohydrat ist besser verträglich als das Cyclat. Ein weiterer Vorteil von Doxycyclin besteht in den geringen Kosten. Resistenzen sind nur vereinzelt bekannt. Atovaquon/Proguanil (Malarone® und Generika) wird zur Prophylaxe in Afrika und im östlichen Indonesien eingesetzt, in einer Dosierung von 1 Tablette/Tag, ein Tag vorher bis eine Woche nach der Reise. Es ist das ideale Prophylaktikum für Kurzreisen, kann aber auch länger genommen werden, wobei die hohen Kosten hier der limitierende Faktor sind. Mögliche Nebenwirkungen sind Bauchschmerzen, Übelkeit und ein Transaminasenanstieg. Diese treten jedoch selten auf. Atovaquon/Proguanil ist das am besten verträgliche Prophylaktikum. Als Stand-by-Medikament darf es weltweit als Notfalltherapie angewendet werden (jeweils vier Tabletten über drei Tage). Resistenzen gibt es vereinzelt in Westafrika. Artemether/Lumefantrin (Riamet®) darf ebenfalls als Standby-Medikament weltweit eingesetzt werden (4 Tabletten initial und nach 8, 24, 36, 48 und 60 Stunden). Als Prophylaktikum darf es dagegen nicht verwendet werden, weil man dieses Präparat für die Therapie aufheben und möglichst wenig Resistenzbildungen riskieren möchte. An Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Schwindel und QT-Zeit-Verlängerungen bekannt. Patienten mit kardialer Vorschädigung sollten dieses Medikament also nicht nehmen. Resistenzen gibt es in Kambodscha. Tabelle 2 fasst die Besonderheiten der einzelnen Substanzen zur Prophylaxe und Stand-by-Therapie der Malaria zusammen.
Prophylaxe oder Stand-by-Therapie? Die Empfehlung zur Prophylaxe beziehungsweise zur Standby-Therapie richtet sich nach den Malariainzidenzen ohne Prophylaxe im entsprechenden Land. Bei Inzidenzen unter
1 Prozent (z.B. Indien, Mittel- und Südamerika) wird eine Stand-by-Therapie empfohlen, bei Inzidenzen über 1 Prozent (z.B. Solomon-Inseln, Westafrika) eine Prophylaxe. Das ist aber nur eine grobe Faustregel. Letztlich müssten Sie als behandelnder Arzt individuell entscheiden, was bei Ihrem Patienten die bessere Alternative sei, so Holst. Fest steht, dass die Inzidenz schwerer Nebenwirkungen durch die Prophylaxe mit 1:1000 relativ niedrig ist. Was genau heisst Stand-by-Therapie? Der Patient sollte bei Verdacht auf Malaria (Fieber) im Reiseland einen Arzt aufsuchen, was mitunter ein Problem sein dürfte. Sollte innerhalb von 24 Stunden kein Arzt erreichbar sein, sollte die Selbstbehandlung beginnen. Wie Studien gezeigt haben, halten sich allerdings viele Betroffene nicht daran, sondern warten noch länger ab. Man muss zudem wissen, dass die Mortalität bei Malaria bei älteren Menschen massiv ansteigt und bei über 30 Prozent liegt. Bei dieser Altersgruppe ist daher grundsätzlich eher eine Prophylaxe statt eine Stand-byTherapie zu erwägen.
Malariavakzine
Der grosse Durchbruch ist in puncto Malariavakzine noch
nicht gelungen. Gemäss einer Studie an Säuglingen in Afrika,
die jährlich ein Update erfährt, hat die Verabreichung von
drei Dosen einer Vakzine bei 99,7 Prozent zu Sporozoiten-
antikörpern geführt. Nach zwölf Monaten sank die Malaria-
inzidenz auf 30 Prozent im Vergleich zu 40 Prozent bei
Ungeimpften. Möglicherweise müssen mehr Dosen verab-
reicht werden, um zumindest schwere Malariaverläufe zu
verhindern.
O
Dr. med. Vera Seifert
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 12/2014. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin. Anpassungen an Schweizer Verhältnisse erfolgten durch die Redaktion von ARS MEDICI.
1260 ARS MEDICI 24 I 2014