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SERIE HERZKLAPPENERSATZ
Aortenstenose: Grosser Vergleich kathetergestützter Eingriffe mit konventioneller Chirurgie
Breite Datenbasis im German Aortic Valve Registry (GARY)
Für Patienten mit Aortenstenose haben sich die therapeutischen Optionen seit der Einführung der minimalinvasiven, interventionellen kathetergestützten Klappenimplantationen im letzten Jahrzehnt stark erweitert. In Deutschland sammelt das German Aortic Valve Registry (GARY) seit 2010 Daten über konventionelle und kathetergestützte Eingriffe, um Nutzen und Risiken auch ausserhalb von Studien besser beurteilen zu können. Neue Analysen bestätigen nun, dass die kathetergestützte Klappenimplantation für Hochrisiko- und ältere Patienten eine gute Alternative zum konventionellen chirurgischen Vorgehen ist.
LYDIA UNGER-HUNT
Ziel des GARY-Datenregisters sei die Verbesserung der Patientensicherheit, erklären die Initiatoren, die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefässchirurgie (DGTHG) und die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DKG). Denn mit der Einführung der kathetergestützten Aortenklappenimplantation (TAVI) haben sich neue Behandlungsoptionen eröffnet, deren sorgfältige wissenschaftliche Analyse erforderlich sei, um die Behandlungsergebnisse mit dem derzeitigen Goldstandard – dem konventionellen chirurgischen Aortenklappenersatz – vergleichen zu können. «Die Daten des Registers eröffnen die Möglichkeit, den Nutzen und die Risiken der zur Verfügung stehenden Verfahren abzuwägen und klare Kriterien für den Einsatz der unterschiedlichen Behandlungsverfahren zu erarbeiten», so die Autoren.
Häufige Krankheit, mangelnde Daten, schlechte Prognose Die Aortenstenose ist die häufigste Form der Klappenerkrankung in der westlichen Welt, und sie hat bereits bei Auftreten der ersten Symptome eine schlechte Prognose. Der chirurgische Klappenersatz lindert die Symptomatik und verbessert das Überleben, kommt aber nicht für alle Patienten infrage. Hier hat sich TAVI als wertvolle neue Option entwickelt und in kleineren, randomisierten Studien vor allem bei Hochrisiko- und inoperablen Patienten zu akzeptablen klinischen Ergebnissen geführt. Es mangelte allerdings noch an grösseren Serienstudien, die die konventionelle Chirurgie mit den neuen Techniken verglichen. Die erste GARY-Studie berichtet über die Ergebnisse während der Zeit des Spitalaufenthaltes von 13 860 konsekutiven Patienten aus 78 Zentren, die sich 2011 einem konventionellen Aortenklappenersatz (AVR) ohne (n = 6523) oder mit (n = 3464) gleichzeitiger koronarer Bypass-Op (CABG) unterzogen, sowie aller Patienten mit transvaskulärer (TV; Zugang über Aorta, A. femoralis oder subclavia; n = 2695) oder antegrader transapikaler (TA) TAVI (n = 1181). Gründe für den kathetergestützten Eingriff waren vor allem höheres Patientenalter, Gebrechlichkeit, hohes chirurgisches Risiko (definiert als EuroScore > 20% oder STS-Score > 10%), Porzellanaorta oder Begleiterkrankungen mit Einschränkung der Lebenserwartung, meistens basierend auf Einschätzung des Herzteams. Die zunehmende Zahl der TAVI-Eingriffe ging nicht mit einer Abnahme der chirurgischen Eingriffe einher.
TAVI-Patienten: älter und risikoreicher Die meisten TAVI-Patienten waren älter als 75 Jahre, bei AVR war dies nur
eine Minderheit (33–45%). Der mittlere EuroScore (European System for Cardiac Operative Risk Evaluation) war in den TAVI-Gruppen signifikant höher; übereinstimmend damit hatten die Patienten der TV- und TA-TAVIGruppen auch signifikant höhere Raten von pulmonaler Hypertonie, Niereninsuffizienz, PAVK und Karotiserkrankungen. Diese unterschiedlichen präoperativen Risikoprofile schlugen sich wenig überraschend auch in den nicht angepassten postoperativen Ergebnissen nieder: Im Spital verstarben 2,1 Prozent in der AVR-Gruppe und 4,5 Prozent in der AVR + CABG-Gruppe, 5,1 Prozent in der TV-TAVI- und 7,7 Prozent in der TA-TAVI-Gruppe. Der EuroScore überschätzte die tatsächliche Sterblichkeit (mit 8,8, 11,0, 25,9 bzw. 24,5%). Der kürzlich veröffentlichte deutsche AVScore, der den Fokus spezifisch auf die Aortenklappe legt, soll Verhältnisse aus der Praxis besser widerspiegeln und basiert auf 15 Variablen, unter anderem Alter, Geschlecht, BMI, NYHA, linksventrikulärer Ejektionsfraktion und Niereninsuffizienz. Er zeigte eine verlässliche Risikodiskriminierung für Patienten mit niedrigem bis intermediärem Risiko aller Gruppen; allerdings war die beobachtete Sterblichkeit für Hochrisikopatienten signifikant niedriger, als nach deutschem AV-Score zu erwarten gewesen wäre. Die Insultrate während der Hospitalisierung war übrigens in allen Gruppen niedrig (1,3–2,3%). Gute Nachrichten gab es bezüglich der residuellen Aorteninsuffizienz, die mit der kathetergestützten Klappenimplantation assoziiert sein kann und als unabhängiger Risikofaktor der Sterblichkeit gilt. Doch das GARY-Register fand vielversprechende Ergebnisse in beiden TAVI-Gruppen, am häufigsten waren keine (TV 37,2%; TA 57,3%) oder eine Grad-I-Regurgitation (TV
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Daten aus dem Schweizer TAVI-Register
Sicherheit und klinische Resultate der TAVI in der Schweiz werden seit Beginn 2011 im Schweizer TAVI-Register verfolgt; bis April 2014 waren 1437 Patienten eingeschlossen, seit 2013 kommen im Schnitt 52 Eingriffe pro Monat dazu (3). In einer Auswertung von knapp 700 Patienten zeigte sich eine 30-Tage-Sterblichkeit von insgesamt 4,8 Prozent, zerebrovaskuläre Ereignisse bei 3,3 Prozent sowie ein Myokardinfarkt bei 0,4 Prozent. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse waren bedingt durch Komplikationen der Gefässe im Rahmen des Zugangs (11,8 Prozent). Ein permanenter Schrittmacher musste bei 20,5 Prozent implantiert werden, und Blutungskomplikationen traten bei 16,6 Prozent auf. Eine Operation am offenen Herzen wurde jedoch nur bei knapp 1 Prozent erforderlich. Zu einer mittelschweren Aorteninsuffizienz kam es bei knapp 9 Prozent der Patienten. Das Ausgangsrisiko der notfallmässig versorgten Patienten war deutlich höher, demzufolge waren auch deren Ergebnisse schlechter und die Sterblichkeit höher, es kam häufiger zu lebensbedrohlichen Blutungen oder Komplikationen. Der stationäre Aufenthalt betrug durchschnittlich 11 Tage, 43,5 Prozent der Patienten gingen in die Rehabilitation, 29 Prozent wurden nach Hause entlassen und 24 Prozent kamen in die zuweisende Klinik zurück.Die Nachbeobachtung nach 30 Tagen zeigte eine deutliche Verbesserung der Dyspnoe und Angina bei allen behandelten TAVI-Patienten.
55,5%, TA 38,6%); eine Grad-IIRegurgitation trat bei jeweils 7,0 und 3,4 Prozent auf. Fazit: Die Daten dieses Registers bestätigen damit, dass die konventionelle Chirurgie bei allen Risikogruppen zu exzellenten Ergebnissen führt und dass der kathetergestützte Klappenersatz für ältere und Hochrisikopatienten eine Alternative darstellt, wie die Autoren zusammenfassen. Sie weisen allerdings darauf hin, dass trotz dieser vielversprechenden Ergebnisse ein langfristiger Follow-up zur Bestätigung dieses Fazits hinsichtlich Mortalität und Lebensqualität erforderlich sei.
1-Jahres-Analyse bestätigt Daten In einer zweiten Studie wurde daher kürzlich über die 1-Jahres-Ergebnisse von rund 98 Prozent dieser Patienten berichtet (2): O Die 30-Tage-Sterblichkeit war in den
konventionellen Gruppen niedriger (AVR 2,4%, AVR + CABG 4,5%) als bei den TAVI-Patienten (TV 5,6%, TA 9,0%). O Auch die 1-Jahres-Sterblichkeit war in den konventionellen Gruppen niedriger (AVR 6,7%, AVR + CABG 11,0%, TV 20,7%, TA 28,0%). O Bei Hochrisikopatienten jedoch mit einem vorausgesagten Sterblichkeitsrisiko von über 20 Prozent gemäss EuroScore oder einem Resultat über 6 im deutschen AV-Score gab es keine signifikanten Unterschiede mehr im Überleben zwischen AVR und TV-TAVI. O Patienten mit schwerer Aorteninsuffizienz post-TAVI hatten im Vergleich zu Patienten mit lediglich Spu-
ren einer Insuffizienz oder ohne Insuffizienz eine deutlich schlechtere langfristige Überlebensrate. O Patienten mit leichter Aorteninsuffizienz hatten tendenziell eine schlechtere Überlebensrate im Vergleich zu Patienten ohne oder mit lediglich Spuren einer Insuffizienz.
Wichtige unerwünschte Ereignisse Im Jahr der Nachbeobachtung traten neue Schlaganfälle bei 3,0 Prozent der AVR-Patienten , 4,5 der AVR + CABGPatienten, 4,8 der TV- und 3,6 der TA-TAVI-Patienten auf; die höheren Schlaganfallraten bei den TAVI-Patienten könnten dem höheren Risikoprofil zuzuschreiben sein. Etwa die Hälfte der neurologischen Ereignisse waren grosse Schlaganfälle, mit nachfolgend wesentlicher Einschränkung der Lebensqualität der Patienten. Die TV- und TA-TAVI-Gruppen hatten die höchste Rate neuer Schrittmacherimplantationen (26,2 resp. 14,1%); die Raten bei den konventionell operierten Patienten lagen bei jeweils 7,7 und 7,3 Prozent (AVR- bzw. AVR + CABG-Patienten). Die Raten für Myokardinfarkt und Bedarf für koronare Bypassoperationen im ersten Jahr nach der Intervention lagen bei unter 1 Prozent. Eine perkutane Koronarintervention wurde bei jeweils 1,9, 1,5, 1,1 und 0,5 Prozent der TV-TAVI-, TA-TAVI-, AVR + CABG- beziehungsweise AVR-Patienten durchgeführt. Die Rate der wiederholten stationären Aufnahme innerhalb des ersten Jahres lag bei rund 30 Prozent in der AVR-Gruppe und war mit 45,5 Prozent in der TA-TAVIGruppe am höchsten.
Bessere Lebensqualität Ein Jahr nach der Intervention geben mehr als 80 Prozent aller Patienten zumindest denselben oder einen besseren allgemeinen Gesundheitszustand an als vor der Intervention; dieses Ergebnis war unabhängig vom Typ der ursprünglichen Behandlung. Ein hoher Prozentsatz aller Patienten gab eine hohe Zufriedenheit mit der Prozedur an.
Einzigartige Datensammlung
Die GARY-Studie ist einzigartig, da sie
alle interventionellen und chirurgischen
Behandlungsoptionen für Aortenklap-
penerkrankung umfasst, die derzeit in
Deutschland verfügbar sind, wie die
Autoren in ihrem Kommentar betonen.
Das Ziel ist eine unabhängige Daten-
basis, die eine langfristige Beobachtung
dieser Patienten erlauben wird. Die
Autoren schränken zwar ein, dass auf-
grund der Patientenauswahl der direkte
Vergleich zwischen den Behandlungs-
gruppen mit Vorsicht zu interpretieren
sei, doch die grosse Anzahl der einge-
schlossenen Patienten sowie der unab-
hängige Follow-up sollten zumindest
wichtige Erkenntnisse bezüglich der
besten Behandlungsoptionen bei ausge-
wählten Patientengruppen erlauben.
Insgesamt unterstützen die Ergebnisse
die Ansicht, dass ein konventioneller
AVR der Goldstandard für Aortenste-
nosepatienten mit niedrigem und inter-
mediärem Risiko darstellt und TAVI
eine gute Alternative für Hochrisiko-
patienten ist, fassen die Autoren zu-
sammen. Die Fortführung des GARY-
Registers sowie ein langfristiger Fol-
low-up sollen die Erstellung robuster
zukünftiger Risikomodelle unterstützen,
um Ergebnisse für jede Behandlungs-
option bei Patienten mit Aortenstenose
voraussagen zu können.
O
Lydia Unger-Hunt
Literatur online unter www.rosenfluh.ch
1. Hamm CW et al, The German Aortic Valve Registry (GARY): in-hospital outcome, European Heart Journal 2014; 35: 1588–1598.
2. Mohr FW et al, The German Aortic Valve Registry: 1-year results from 13 680 patients with aortic valve disease, Eur J Cardiothorac Surg. 2014; 46: 808–816.
3. Wenaweser P et al. Short-term clinical outcomes among patients undergoing transcatheter aortic valve implantation in Switzerland: the Swiss TAVI registry. EuroIntervention 2014.
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