Transkript
FORTBILDUNG
Frakturprävention bei Osteoporose
Welchen Erfolg versprechen die verfügbaren Medikamente?
In einer Übersichtsarbeit wird der aktuelle Stand des Wissens zu Frakturprävention und Nebenwirkungen verschiedener Osteoporosemedikamente zusammengefasst. Bisphosphonate, Denosumab, Teriparatid und Raloxifen haben in Studien das Frakturrisiko bei Osteoporose im Vergleich mit Plazebo reduziert. Es wird diskutiert, ob dies auch für betagte Personen über 75 Jahre zutrifft.
ANNALS OF INTERNAL MEDICINE
Ein Wirksamkeitsvergleich zwischen den verschiedenen Osteoporosemedikamenten ist schwierig. Nach wie vor fehlen sogenannte «Head-to-head»-Studien, in denen zwei oder mehr Substanzen in einer einzigen Studie direkt miteinander und mit Plazebo verglichen werden. Die im Vergleich mit Plazebo in Einzelstudien ermittelten Wirksamkeiten lassen sich nicht eins zu eins miteinander vergleichen, weil beispielsweise Ein- und Aussschlusskriterien, die Definition der Osteoporose oder das Alter der Probanden in den verschiedenen Studien nicht gleich sind. In Metaanalysen zeigte sich, dass im Wesentlichen keine statistisch signifikanten Unterschiede bezüglich der Frakturprävention nachweisbar waren. Trotzdem erlaube die aktuelle Studienlage allgemeingültige Aussagen für alle Osteo-
porosemedikamente, schreiben die Autoren der Übersichtsarbeit (1): Wahrscheinlich bestehen nur geringe Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen Bisphosphonaten (Alendronat, Ibandronat, Risedronat und Zoledronat), Denosumab und Teriparatid. Bei postmenopausalen Frauen mit Osteoporose reduzieren sie im Vergleich mit Plazebo das relative Risiko für Wirbelfrakturen um 40 bis 60 Prozent und für nicht vertebrale Frakturen um 60 bis 80 Prozent. Dies bedeutet in der Praxis, dass man 60 bis 89 Frauen ein bis drei Jahre lang behandeln muss, um einen Wirbelbruch zu verhüten, und 50 bis 67 Frauen für eine Hüftfraktur weniger. Für Raloxifen wurde in Studien nur eine Risikoreduktion bezüglich Wirbelbrüchen im Vergleich mit Plazebo nachgewiesen; die Unterschiede bei nicht vertebralen und Hüftfrakturen waren statistisch nicht signifikant. Auf die Bedeutung von Vitamin D und Kalzium für die Prävention osteoporosebedingter Frakturen wird in dieser Übersichtsarbeit nicht eingegangen. Sie werden nur am Rande im Zusammenhang mit einer der Metaanalysen erwähnt, wonach sie wahrscheinlich weniger wirksam sind als die verschiedenen Osteoporosemedikamente. Vitamin D und Kalzium gehören jedoch in vielen der einschlägigen Studien zu Osteoporosemedikamenten zur Basistherapie. In den Tabellen 1 und 2 werden Nutzen und Nebenwirkungen der Osteoporosemedikamente mit der jeweiligen «number needed to treat» beziehungsweise der Nebenwirkungsrate oder der «number needed to harm» dargestellt.
Merksätze
O Es bestehen nur geringe Unterschiede zwischen Bisphosphonaten, Denosumab und Teriparatid in der Wirksamkeit bezüglich der Frakturprävention bei Osteoporose.
O Eine Fortsetzung der Behandlung mit Bisphosphonaten über mehr als fünf Jahre nützt wahrscheinlich nur bei T-Werten unter -2,5.
O Häufige Knochendichtemessungen sind in den meisten Fällen überflüssig.
O Es ist fraglich, ob betagte Personen über 80 Jahre gleichermassen von Osteoporosemedikamenten profitieren wie die im Durchschnitt etwas jüngeren Studienprobanden, da das Frakturrisiko mit steigendem Alter zunehmend von nicht skeletalen Faktoren wie dem Sturzrisiko beeinflusst wird.
Neuere Studien zu Zoledronat und Denosumab Die Autoren der Übersichtsarbeit schildern einige neuere Studien zu Zoledronat und Denosumab im Detail, die seit ihrem letzten Review aus dem Jahr 2008 hinzugekommen sind. Für Zoledronat berücksichtigten sie neu sechs plazebokontrollierte Studien mit unterschiedlichen Dosierungen bei postmenopausalen Frauen. Die beiden grössten dieser Studien umfassten 7230 beziehungsweise 2127 Frauen. Beide Studien ergaben einen statistisch signifikanten Nutzen bezüglich aller Frakturen mit einer Verminderung relativer Frakturrisiken um 23 bis 73 Prozent nach 24 bis 36 Monaten Behandlung. In absoluten Zahlen bedeutete dies beispielsweise in der Zoledronatstudie mit 7230 Frauen Folgendes: Nach drei Jahren waren bei 3,3 Prozent der Frauen mit Zoledronat und 10,9 Prozent der Frauen mit Plazebo Wirbelfrakturen radiologisch nachweisbar. Bei 1,4 Prozent der Frauen mit Zoledronat und 2,5 Prozent der Frauen mit Plazebo kam es zu Hüftfrakturen.
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FORTBILDUNG
Tabelle 1:
Wirksamkeit von Osteoporosemedikamenten: «number needed to treat» (NNT) (1)
Substanzen
Frakturen
Alendronat (Fosamax® und Generika) Denosumab (Prolia®, Xgeva®) Ibandronat (Bonviva®) Raloxifen (Evista®) Risedronat (Actonel® und Generika) Teriparatid (Forsteo®) Zoledronat (Aclasta®, Zometa® und Generika)
Wirbelfrakturen bei Frauen mit Osteoporose
Alendronat Denosumab Risedronat Teriparatid Zoledronat
nichtvertebrale Frakturen bei Frauen mit Osteoporose
Zoledronat
Wirbelfrakturen bei Männern mit Osteoporose
Wirksamkeit (NNT) 60 bis 89 Frauen mit Osteoporose müssen behandelt werden, um 1 Wirbelfraktur in 1 bis 3 Behandlungsjahren zu verhindern
50 bis 60 Frauen mit Osteoporose müssen behandelt werden, um 1 nicht vertebrale Fraktur in 1 bis 3 Behandlungsjahren zu verhindern.
30 Männer mit Osteoporose müssen behandelt werden, um 1 Wirbelfraktur in 2 Behandlungsjahren zu verhindern.
Evidenzlevel hoch
hoch
mittel (nur 1 Studie)
Für den Antikörper Denosumab, der die Aktivität der Osteoklasten hemmt, gingen zwei plazebokontrollierte Studien in die neue Übersichtsarbeit ein, eine kleine mit 332 und eine grosse mit 7521 Frauen. In der grossen Studie fand sich eine Reduktion der Hazard Ratio um 31 bis 80 Prozent. In den drei Studienjahren wurden bei 2,3 Prozent der Frauen mit Denosumab und bei 7,2 Prozent der Frauen mit Plazebo Wirbelfrakturen radiologisch nachgewiesen; Hüftfrakturen kamen bei 0,7 versus 1,2 Prozent der Frauen vor, zählte man alle Frakturen, so waren 6,5 Prozent mit Denusomab und 8 Prozent mit Plazebo davon betroffen.
Osteoporose bei Männern Kontrollierte Studien zur Frakturprävention bei Männern mit Osteoporose sind noch Mangelware. In der aktuellen Übersichtsarbeit wird darum nur eine randomisierte, plazebokontrollierte Studie berücksichtigt. 1199 Männer mit Osteoporose wurden in zwei Gruppen randomisiert. Sie erhielten entweder Plazebo oder eine Zoledronatinfusion zu Beginn und nach einem Jahr. Nach insgesamt zwei Jahren wurde verglichen: Neue radiologisch nachweise Wirbelbrüche fanden sich bei 1,6 Prozent der Männer mit Zoledronat und bei 4,9 Prozent derjenigen mit Plazebo.
Länger als fünf Jahre behandeln? Es gibt zwei grosse randomisierte Studien, in denen es um den Einfluss der Behandlungsdauer auf die Frakturrate ging, eine mit Alendronat und eine mit Zoledronat. In der Alendronatstudie wurde die Behandlung für fünf oder zehn Jahre verglichen. Alle Frauen erhielten fünf Jahre lang Alendronat, danach wurde für die nächsten fünf Jahre eine Gruppe auf Plazebo umgestellt, während die andere Gruppe weiterhin Alendronat einnahm. Nach zehn Jahren zeigte sich kein Unterschied bezüglich nicht vertebraler Frakturen (nicht vertebrale Frakturen in beiden Gruppen 19%). Bei den
Frauen, die zehn Jahre lang Alendronat genommen hatten, zeigte sich ein statistisch signifikant niedrigeres Risiko für klinisch relevante Wirbelfrakturen (2,4% vs. 5,3%), aber kein Unterschied bei den radiologisch nachweisbaren Wirbelfrakturen. Eine weitere Auswertung der Studiendaten ergab, dass ein positiver Effekt bei längerer Behandlungsdauer vom individuellen Frakturrisiko abhängt. Frauen, die nach fünf Jahren Alendronat einen T-Wert von -2,0 (Oberschenkelhals) oder höher aufwiesen, profitierten nicht von einer Fortsetzung der Alendronatbehandlung. Anders sah es bei den Frauen mit einem höheren Frakturrisiko aus (T-Wert -2,5 oder weniger nach 5 Jahren Alendronat); bei ihnen war die Rate neuer Wirbelbrüche nach zehn Jahren niedriger, wenn sie die ganze Zeit Alendronat eingenommen hatten (5,3% vs. 11,1%). In der Zoledronatstudie wurden Frauen zunächst für drei Jahre mit Zoledronat behandelt und dann für weitere drei Jahre mit Zoledronat oder Plazebo. Die Inzidenz radiologisch nachweisbarer Wirbelfrakturen war mit der längeren Zoledronattherapie niedriger (3% vs. 6,2%), aber es zeigte sich kein Unterschied hinsichtlich klinisch relevanter Wirbelfrakturen, Hüftfrakturen, nicht vertebraler Frakturen oder aller klinisch relevanten Frakturen. Die FDA stellte 2012 die Sinnhaftigkeit einer Behandlung mit Bisphosphonaten für länger als fünf Jahre infrage, nachdem man zeigen konnte, dass Patienten, die länger als sechs Jahre Bisphosphonate genommen hatten, eine höhere Frakturrate aufwiesen als diejenigen, die nach sechs Jahren zu Plazebo gewechselt waren (nicht vertebrale Frakturen 9,3% vs. 8%; Wirbelbrüche 10,6% vs. 8,8%). Kritiker wandten damals ein, dass sich die FDA-Analyse im Wesentlichen nur auf zwei grosse Studien mit Alendronat und Zoledronat stützte, darum nicht auf andere Bisphosphonate übertragen werden dürfte und Patientinnen mit einem T-Wert unter -2,5 doch von einer längeren Behandlung profitieren würden.
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FORTBILDUNG
Tabelle 2:
Nebenwirkungsraten von Osteoporosedikamenten (1)
Substanzen Bisphosphonate Denosumab Raloxifen Teriparatid Bisphosphonate
Denosumab Raloxifen Teriparatid
Zoledronat
Nebenwirkungen milde Symptome im oberen Gastrointestinaltrakt
atypische Subtrochanterfrakturen Unterkieferosteonekrose Infektionen Hitzewallungen, Thromboembolien Kopfschmerzen Hyperkalzämie Hypokalzämie grippeähnliche Symptome
Nebenwirkungsrate in Studien 72–956 von 1000 Personen
2 bis 100 von 100000 Personen 3 bis 430 von 10000 Personen 1 von 118 Personen 24–35 von 1000 Personen 511–679 von 1000 Personen 537–820 von 1000 Personen 5 bis 119 von 1000 Personen 728 bis 896 von 1000 Personen
Evidenzlevel hoch
niedrig niedrig mittel hoch hoch hoch hoch hoch
Häufiges Monitoring der Knochendichte ist überflüssig Personen mit einem T-Wert über -1,5 entwickeln in den folgenden 15 Jahren nur äusserst selten eine Osteoporose. Sofern es sich also nicht um Frauen mit fortgeschrittener Osteopenie handelt (T-Wert -2,0 bis -2,49), sind häufige Knochendichtemessungen überflüssig. Wenn wegen Osteoporose behandelt wird, profitieren Patienten, deren Knochendichte sich nicht verbessert, trotzdem hinsichtlich des Frakturrisikos. Insofern ist die Knochendichte ein ungeeigneter Parameter, um den Effekt von Osteoporosemedikamenten zu verfolgen, und ein regelmässiges Monitoring unter Osteoporosetherapie ist unnötig.
Therapeutischer Erfolg bei älteren Patienten fraglich In einem Kommentar in der gleichen Ausgabe der «Annals of Internal Medicine» (2) weisen Heike A. Bischoff-Ferrari und Otto Meyer von der Klinik für Geriatrie am Universitätsspital Zürich darauf hin, dass in der Übersichtsarbeit von Carolyn J. Crandall und ihren Co-Autoren altersspezifische Aspekte und die Bedeutung des Sturzrisikos nicht berücksichtigt werden. Personen über 80 Jahre sind in Studien zu Osteoporosemedikamenten unterrepräsentiert. Mit steigendem Alter wird das Frakturrisiko zunehmend von nicht skeletalen Faktoren bestimmt, die das Sturzrisiko steigern (z.B. Gangstörungen, Augenprobleme). Diese Faktoren werden von den genannten Osteoporosemedikamenten jedoch nicht beeinflusst. BischoffFerrari und Meyer bezweifeln, dass der geschilderte Nutzen von Bisphosphonaten, Denusomab und Teriparatid auch für Personen über 75 oder gar 80 Jahre zu erwarten ist. Sie begründen ihre Zweifel unter anderem mit einer Studie, in der zwei Gruppen von Patientinnen mit Risedronat behandelt wurden: Frauen im Alter von 70 bis 79 Jahren mit Osteoporose gemäss Knochendichtemessung und Frauen über 80 Jahre mit vorwiegend nicht skeletalen Frakturrisiken. Insgesamt kam es zwar zu einer statistisch signifikanten Reduktion der Hüftfrakturen, aber die Risikoverminderung
war nur bei den jüngeren Patientinnen statistisch signifikant;
betrachtete man die Gruppe der älteren Frauen mit vorwie-
gend nicht skeletalen Frakturrisiken, fand sich kein statis-
tisch signifikanter Vorteil.
Als weiteren Punkt geben die Kommentatoren aus der
Schweiz zu bedenken, dass auch die Einschätzung der Neben-
wirkungen bei Personen über 75 Jahre vermutlich anders zu
gewichten sei, als man dies anhand der Studien mit vorwie-
gend jüngeren Probanden schliessen kann.
O
Renate Bonifer
1. Crandall CJ et al.: Comparative effectiveness of pharmacological treatments to prevent fractures. An updated systematic review. Ann Intern Med 2014, online first Sept 9th 2014.
2. Bischoff-Ferrari HA, Meyer O: Comparative effectiveness of pharmacological treatments to prevent fractures: is this all we need to know? Ann Intern Med 2014, online first Sept 9th 2014.
Interessenkonflikte: Die Autoren der Übersichtsarbeit (1) wurden von der Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) finanziell unterstützt. Die Erstautorin des Editorials (2) erhielt in der Vergangenheit Referentenhonorare verschiedener Firmen im Bereich Osteoporose.
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