Transkript
Auf den TSH-Wert kommt es an
Management der Hypothyreose in der Schwangerschaft
FORTBILDUNG
Schilddrüsenfunktionsstörungen während der Schwangerschaft haben für Mutter und Kind tiefgreifende Folgen. Eine Hypothyreose muss bei der Schwangeren zwingend behandelt werden. Ebenso wird eine Levothyroxinsubstitution bei erhöhtem TSH und positiven Schilddrüsenantikörpern empfohlen, bei subklinischer Hypothyreose ohne positiven Antikörpernachweis ist sie umstritten.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Die Schwangerschaft ist für die Schilddrüse ein Stresstest, denn sie muss 50 Prozent mehr Schilddrüsenhormon produzieren, um die Euthyreose der Mutter zu erhalten und den Hormonbedarf des sich entwickelnden Fetus zu decken (1). Im ersten Trimenon erreicht das humane Choriongonadotropin (hCG) seinen höchsten Spiegel. Das hCG kreuzreagiert mit dem Rezeptor für das thyreoidstimulierende Hormon (TSH), weshalb die Obergrenze für den TSH- Normalbereich während des ersten Schwangerschaftsdrittels bei 2,5 mE/l liegt.
Merksätze
O Die Obergrenze des Normalbereichs für das TSH liegt im ersten Trimenon bei 2,5 mE/l, im zweiten bei 3,0 mE/l und im dritten bei 3,5 mE/l.
O Eine Hypothyreose kommt bei 2 bis 3 Prozent der Schwangeren vor.
O Hauptursachen sind Jodmangel in den Entwicklungs- und Autoimmunthyreoiditis in den Industrieländern.
O Zwischen subklinischer Hypothyreose und multiplen mütterlichen sowie kindlichen Outcomes wurden Assoziationen beobachtet.
O Frauen, die vor der Schwangerschaft mit Levothyroxin behandelt wurden, bedürfen einer guten Überwachung, um die Euthyreose während der Schwangerschaft sicherzustellen.
O Die Datenlage zur Levothyroxintherapie der subklinischen Hypothyreose während der Schwangerschaft ist begrenzt und widersprüchlich, eine Substitution wird jedoch unter bestimmten Bedingungen empfohlen.
Wann liegt eine subklinische Hypothyreose vor? Die subklinische Hypothyreose ist definiert als Kombination einer erhöhten TSH-Konzentration mit normalen Serumspiegeln von Gesamtthyroxin (T4) oder freiem Thyroxin (fT4). Verschiedene Fachgesellschaften haben postuliert, dass ein TSH über 10,0 mE/l bei normalem fT4 bei einer schwangeren Frau einer manifesten Hypothyreose entspricht. Die subklinische Hypthyreose ist eine biochemische Diagnose und kann sich nicht auf eine allfällige Symptomatik abstützen. Die Symptome sind unspezifisch und imitieren oft diejenigen der Schwangerschaft.
Welches sind die Referenzbereiche für TSH und fT4 im Schwangerschaftsverlauf? Die TSH- und fT4-Spiegel müssen auf die Schwangerschaftsdrittel bezogen werden, da sie sich im Verlauf der Gravidität deutlich verändern. Zu den Faktoren, welche die Schilddrüsenfunktion während der Schwangerschaft beeinflussen, gehören die thyreotrope Wirkung von hCG, eine gesteigerte Jodclearance durch die Nieren, erhöhte Konzentrationen von thyroxinbindendem Globulin (TBG) und die Dejodierung des inneren Rings von T3 und T4 in der Plazenta. Die American Thyroid Association (ATA) und die Endocrine Society (ES) haben trimenonspezifische TSH-Normbereiche festgelegt: O 1. Trimenon: 0,1–2,5 mE/l O 2. Trimenon: 0,2–3,0 mE/l O 3. Trimenon: 0,3–3,5 mE/l.
Diese Werte stimmen weitgehend mit einer europäischen Guideline überein, die jedoch für das 3. Trimenon einen Normbereich von 0,3–3,0 mE/l aufführt (2). Hinsichtlich der oberen TSH-Normgrenzen bestehen beträchtliche geografische und ethnische Unterschiede.
Welches sind die Ursachen einer Hypothyreose in der Schwangerschaft? In Entwicklungsländern ist ein schwerer Jodmangel die Hauptursache für eine Schilddrüsenunterfunktion, in den Industrieländern hingegen ist es die Autoimmunthyreoiditis. Schilddrüsenantikörper werden bei etwa der Hälfte der Schwangeren mit subklinischer Hypothyreose und bei mehr als 80 Prozent mit manifester Hypothyreose gefunden. Bei Vorliegen einer subklinischen Hypothyreose sollten daher die Thyreoperoxidase-Antikörper (anti-TPO) bestimmt werden. Daneben wird auch die Erfassung von Thyreoglobulin-Antikörpern (anti-TG) empfohlen, die bisweilen auch bei negativen
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FORTBILDUNG
Kasten:
Behandlung mit Levothyroxin in der Schwangerschaft
Frauen unter Levothyroxin vor der Schwangerschaft mit TSH vor der Konzeption > 1,2, aber < 2,5 mE/l Frauen unter Levothyroxin vor der Schwangerschaft Frauen ohne Levothyroxin vor der Schwangerschaft
TSH-Monitoring
sobald Schwangerschaft bestätigt: Levothyroxin um 2 Tabletten pro Woche erhöhen
sobald Schwangerschaft bestätigt: TSH überwachen
TSH im 1. Trimenon > 2,5 mE/l (besonders wenn anti-TPO-positiv): Levothyroxintherapie beginnen O TSH im 1. Trimenon 2,5–5,0 mE/l: 50 µg/Tag O TSH im 1. Trimenon 5,0–8,0 mE/l: 75 µg/Tag O TSH im 1. Trimenon > 8,0 mE/l: 100 µg/Tag
während der Schwangerschaft: alle 4 Wochen bis zur 16. bis 20. SSW; mindestens einmal zwischen 16. und 32. SSW nach Entbindung: absetzen oder Levothyroxin heruntertitrieren; TSH nach 4 bis 8 Wochen messen
anti-TPO: Thyreoperoxidase-Antikörper SSW: Schwangerschaftswoche
(n. Yu X et al., Endocrine 2013; 44: 710–715)
anti-TPO isoliert positiv sind. Zu beachten ist, dass das Immunsystem während der Schwangerschaft supprimiert ist, weshalb die Schilddrüsenantikörper in der zweiten Schwangerschaftshälfte um durchschnittlich 60 Prozent abnehmen. Bei gewissen Schwangeren kann so der Antikörpertest während der Gravidität negativ sein und erst post partum positiv werden.
Wie häufig ist die subklinische Hypothyreose während der Schwangerschaft? Hierzu variieren die Schätzungen. Das liegt an den unterschiedlichen Definitionen der schwangerschaftsspezifischen TSH-Normobergrenze. Die meisten Studien haben eine Prävalenz subklinischer Hypothyreosen bei Schwangeren von 2 bis 3 Prozent ergeben, in anderen lag sie deutlich höher. Selbst innerhalb eines Landes haben Studien grosse Variationen der Prävalenz gefunden, in Abhängigkeit von der täglichen Jodversorgung, von den Unterschieden bei der Häufigkeit von Autoimmunthyreoiditen, vom genetischen Hintergrund und von Umweltfaktoren. Während der Schwangerschaft steigt der Jodbedarf um rund 50 Prozent. Zwar ist der verheerende Effekt einer schweren Jodunterversorgung auf die fetale Entwicklung gut untersucht, über die Auswirkungen einer leichten bis mittleren Jodunterversorgung ist jedoch weniger bekannt. Langzeitstudien haben gezeigt, dass Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft zu wenig Jod aufnahmen, später häufiger einen tieferen Intelligenzquotienten und Leseschwierigkeiten aufwiesen. Dem konnte in einer Studie in Spanien eine Jodsupplementation während der Schwangerschaft erfolgreich entgegenwirken.
Welchen Einfluss hat eine subklinische Hypothyreose auf Schwangerschafts-Outcome und fetale Entwicklung? Eine manifeste Hypothyreose ist zweifelsfrei mit mütterlichen (Hypertonie, Präeklampsie) und kindlichen (Kretinis-
mus, tiefes Geburtsgewicht, fetaler Tod, Spontanabort, intrauterine Wachstumsverzögerung) Komplikationen verbunden. Bis anhin haben 16 Beobachtungsstudien die Assoziation zwischen subklinischer Hypothyreose und Schwangerschaftskomplikationen untersucht, von denen allerdings einige für statistisch aussagekräftige Resultate zu kleine Patientinnenzahlen aufwiesen. Frühgeburten, Fehlgeburten und Schwangerschaftshypertonie waren in zwei oder mehr Studien mit subklinischer Hypothyreose assoziiert. Nur eine randomisierte, plazebokontrollierte Studie hat den Einfluss einer Levothyroxinbehandlung auf ungünstige Schwangerschaftsverläufe und neonatale Ereignisse untersucht. Dazu wurden 4562 Frauen mit einer mittleren Schwangerschaftsdauer von 8,8 Wochen mittels TSH, fT4 und Schilddrüsenantikörpern gescreent. Bei der einen Hälfte wurden die Werte sofort gemessen, und bei Bedarf wurde eine Levothyroxinsubstitution begonnen, bei der anderen erfolgten die Laborbestimmungen erst aus dem gefrorenen Serum nach der Entbindung. Während der Schwangerschaft mit Levothyroxin behandelte Frauen wiesen eine signifikante Abnahme der geburtshilflichen und neonatalen Komplikationen (number needed to treat [NNT] 40, 95%-Konfidenzintervall 1,4–2,5) auf. Zur Auswirkung einer Schilddrüsenhormonbehandlung während der Schwangerschaft auf die neurologische und die intellektuelle Entwicklung des Kindes sind die Studiendaten widersprüchlich und schlecht vergleichbar. Eine plausible Erklärung könnte sein, dass eine subklinische Hypothyreose während der Schwangerschaft weniger den globalen kindlichen Intelligenzquotienten als spezifische Funktionen, etwa das Gedächtnis oder die visuell-räumliche Orientierung, beeinträchtigt. Insgesamt spricht die Evidenz aus den in den letzten 20 Jahren publizierten Studien für eine Assoziation zwischen subklinischer Hypothyreose und ungünstigen mütterlichen und kindlichen Outcomes.
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FORTBILDUNG
Soll eine subklinische Hypothyreose behandelt werden? Die Frage, ob eine subklinische Hypothyreose in der Schwangerschaft behandelt werden soll, kann zurzeit nur kontrovers beantwortet werden. Die ATA-Guideline empfiehlt eine Levothyroxintherapie bei TSH > 2,5 mE/l, normalem fT4 und positiven anti-TPO sowie bei allen Frauen mit TSH > 10,0 mE/l, unabhängig vom fT4. Dem schliesst sich auch die europäische Guideline (2) an. Beide Guidelines halten fest, dass die Daten für Frauen mit TSH > 2,5 mE/l, aber negativen anti-TPO eine konkrete Empfehlung nicht erlauben. Die ES-Guideline empfiehlt eine Levothyroxintherapie für alle Schwangeren mit TSH > 2,5 mE/l und normalem fT4 im ersten Trimenon, unabhängig vom Antikörperstatus. Unter Therapie soll der TSH-Spiegel zunächst alle vier Wochen, gegen Schwangerschaftsende alle sechs Wochen kontrolliert werden. Gemäss dem vorgeschlagenen Behandlungsalgorithmus (Kasten) soll sich die Levothyroxindosierung nach dem TSH-
Wert im ersten Trimenon richten. Bei subklinischer Hypo-
thyreose kann Levothyroxin unter TSH-Kontrolle nach
vier bis acht Wochen abgesetzt werden, sofern kein weiterer
Kinderwunsch besteht. Für Frauen, die sich in den nächsten
Jahren weitere Kinder wünschen, empfehlen die Autoren
dieser Übersicht die Fortführung einer Levothyroxin-
substitution, um eine Euthyreose zum Konzeptionszeitpunkt
sicherzustellen.
O
Halid Bas
Quellen: 1. Negro R, Stagnaro-Green A: Diagnosis and management of subclinical hypothyroidism
in pregnancy. BMJ 2014; 349:g4929. 2. Zimmermann A, Weber MM: Schilddrüsenerkrankungen in der Schwangerschaft.
J Gynakol Endokrinol 2012; 15(1): 7–13.
Interessenkonflikte: keine deklariert.
BEKANNTMACHUNG
www.vorhofflimmern-zaehlt.org
Informationen für Patienten mit Vorhofflimmern
Unter der Leitung der European Heart Rhythm Association (EHRA) und der European Society of Cardiology (ESC) wurde die neue Website www.afibmatters.org entwickelt, um Patienten mit Vorhofflimmern sowie deren Familien und Pflegepersonen klare und verlässliche Informationen zu liefern und praktische Ratschläge an die Hand zu geben. Unter der Adresse www.vorhofflimmern-zaehlt.org gelangt man direkt zur deutschsprachigen Version der neuen Website, die auf Englisch, Deutsch und Französisch verfügbar ist.
Die Website erläutert, was Vorhofflimmern ist, wie die typischen Symptome aussehen, welche Untersuchungen gemacht werden müssen und welche therapeutischen Optionen zur Verfügung stehen und was beim Gebrauch neuer und alter Antikoagulanzien zu beachten ist. Konkrete Fragen und Antworten zum Leben im Alltag mit Vorhofflimmern ergänzen die detaillierten medizinischen Informationen. Bei den «Nützlichen Links» fehlen leider die relevanten Adressen in der Schweiz, ansonsten ist dies eine durchweg empfehlenswerte Website für Patienten mit Vorhofflimmern.
Alle Inhalte auf der Website nehmen auf die Leitlinien der ESC Bezug. Sponsoren des Projekts sind die Unternehmen Bayer, Biosense
Webster, Boehringer Ingelheim, Daiichi-Sankyo und Ercules.
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