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Rubriken — POLITFORUM: XUNDHEIT IN BÄRN
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Krebs und Fruchtbarkeit. Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung

POSTULAT vom 16.9.2014
Liliane Maury Pasquier Ständerätin SP Kanton Genf
Der Bundesrat wird beauftragt, einen Bericht vorzulegen, in dem untersucht wird, ob es angezeigt wäre, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) die Kosten für Behandlungen für den Erhalt der Fruchtbarkeit bei jungen Krebspatientinnen und -patienten übernimmt. In dem Bericht sollen Kriterien wie die Art der Behandlung zum Erhalt der Fruchtbarkeit und das Alter der erkrankten Person berücksichtigt werden.
Begründung Mit den neuen Methoden der medizinischen Behandlung erhöht sich bei bestimmten Krebsarten die Wahrscheinlichkeit, geheilt zu werden. Die Chemotherapien und die Bestrahlung können aber die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen

und zu Unfruchtbarkeit führen. Deshalb werden jungen – zum Teil sehr jungen – Krebspatientinnen und -patienten vor einer Krebstherapie Behandlungen zum Erhalt der Fruchtbarkeit vorgeschlagen. Diese Behandlungen leisten einen wichtigen Beitrag zur psychischen Gesundheit dieser körperlich schwer erkrankten jungen Menschen; indem sie ihnen eine Zukunftsperspektive bieten, unterstützt diese Möglichkeit die Heilung auf jeden Fall. So hat eine Untersuchung bei jungen Frauen, die an Brustkrebs erkrankt waren, gezeigt, dass 73 Prozent von ihnen Angst hatten, unfruchtbar zu werden, und dass 29 Prozent die Behandlung wegen deren Auswirkung auf die Fruchtbarkeit ablehnten. Während die Massnahmen zum Erhalt der Fruchtbarkeit bei Männern relativ einfach sind (Entnahme und Einfrieren von Sperma), so sind diejenigen, die für junge Patientinnen angeboten werden, viel komplizierter und daher auch teurer. Die am häufigsten gewählte – erwiesenermassen wirksame – Methode ist die ovarielle Stimulation mit anschliessendem Entnehmen und Einfrieren von (sofort oder später in vitro befruchteten) Eizellen im Hinblick auf eine Schwangerschaft nach der Genesung. Die Kosten für dieses Verfahren werden von der OKP nicht übernommen und liegen zwischen 6000 und

8000 Franken. Das ist viel Geld für Patientinnen, die aufgrund ihrer Krankheit sowieso schon in einer schwierigen Lage sind. Zudem muss der Entscheid für eine solche Behandlung sehr schnell gefällt werden, und die Kosten für diese Behandlung fallen zusätzlich zu den anderen medizinischen Behandlungen an. In anderen Ländern, darunter Frankreich, werden die Kosten für solche Behandlungen von der Grundversicherung übernommen. Ausserdem werden in der Schweiz die Kosten für andere Leistungen, die mit den Folgen von Krebsbehandlungen zusammenhängen, von der OKP übernommen, so die Brustrekonstruktion nach einer Erkrankung an Brustkrebs. Aufgrund dieser Ausführungen und gestützt auf Artikel 33 Absatz 3 KVG scheint es gerechtfertigt, Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit mindestens der Behandlungsmethode, die sich bewährt hat (ovarielle Stimulation und Entnahme von Eizellen), zu prüfen und dann zu entscheiden, ob die Kosten dafür von der OKP übernommen werden sollen. Aus Gründen der Gleichbehandlung sollte wohl auch die Übernahme der Kosten für den Erhalt der Fruchtbarkeit bei jungen Männern, die an Krebs erkrankt sind, geprüft werden.

Stellungnahme des Bundesrates vom 27.8.2014

Bei medizinischen Leistungen geht man aufgrund des Vertrauensprinzips davon aus, dass Ärztinnen und Ärzte Leistungen erbringen, welche die Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllen. Es gibt somit in diesem Bereich keine abschliessende Aufzählung der Leistungen mit Vergütungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Eine Ausnahme bilden Präventivmassnahmen, zahnärztliche Behandlungen und Leistungen bei Mutterschaft. Die von Ärztinnen und Ärzten vorgenommenen Untersuchungen und Behandlungen werden grundsätzlich vergütet, sofern in Anhang 1 der Krankenpflege-Leistungsverordnung keine Sonderregelung steht. Wird die Vergütung einer Leistung in Frage gestellt, prüft eine Expertenkommission (Eidgenössische Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen, ELGK) die fragliche Leistung und empfiehlt deren Kostenübernahme oder nicht. Die definitiven Entscheide, die vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) getroffen werden, werden in Anhang 1 KLV übernommen. Die Leistungen werden auf Verlangen beurteilt.

Berufsverbände und interessierte Organisationen können jederzeit einen Antrag auf Kostenübernahme einer Behandlung zum Erhalt der Fruchtbarkeit bei jungen Krebspatientinnen und -patienten einreichen. Ein solcher Antrag muss Informationen enthalten, aufgrund deren ermittelt werden kann, ob die Leistung die WZWKriterien erfüllt. Die dazu erforderlichen Unterlagen müssen von den Antragstellern, die dafür die Verantwortung übernehmen, zusammengestellt werden. Das angewandte Beurteilungsverfahren wird auf der Website des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) ausführlich beschrieben, ebenso die für den Antrag erforderlichen Unterlagen. Die Beurteilung unterteilt sich in drei Phasen: erstens transparente, nachvollziehbare Beurteilung (Assessment), bestehend aus dem Antrag des Gesuchstellers und einer Zusammenfassung mit standardisierter Beurteilung des Antragsgegenstandes, verfasst von der Sektion Medizinische Leistungen des BAG zuhanden der ELGK; zweitens Einschätzung der ELGK unter Berücksichtigung der regionalen oder nationalen Rahmenbedingungen (Appraisal) im Hinblick

auf eine Empfehlung an das EDI; drittens eigentlicher Entscheid (Decision) des EDI, der zu einer Änderung der KLV führt. Das Verfahren sieht somit eine klare Trennung der drei Phasen Assessment, Appraisal und Decision vor. Die Beurteilung der Zweckmässigkeit einer Kostenübernahme von Behandlungen zum Erhalt der Fruchtbarkeit bei jungen Krebspatientinnen und -patienten vor einer Krebstherapie, die ihre Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen kann, ist folglich keine Aufgabe des Bundesrates und bildet keine Ausnahme von dieser Regel. Ein Bericht des Bundesrates zur Beurteilung der Zweckmässigkeit einer Kostenübernahme für solche Behandlungen würde dem geltenden Verfahren widersprechen. Es ist Sache der interessierten Kreise, einen Antrag im Rahmen dieses Verfahrens einzureichen.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulates.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt.

XUNDHEIT IN BÄRN

1098 ARS MEDICI 22 I 2014

XUNDHEIT IN BÄRN

POLITFORUM

Bildgebende Verfahren und Persönlichkeitsschutz

INTERPELLATION vom 20.6.2014
Daniel Vischer Nationalrat Grüne Kanton Zürich
In den letzten Jahren hat die Hirnforschung grosse Fortschritte gemacht. Durch funktionelle bildgebende Verfahren können Hirnstrukturen und Hirnfunktionen untersucht und das Gehirn bei seiner Arbeit beobachtet werden. Psychische Phänomene können einzelnen Hirnregionen zugeordnet werden. Dies ermöglicht in Zukunft, psychische Störungen differenzierter zu erkennen als bis anhin.

Auch eröffnen sich Aussichten, neue Erkenntnisse für deren Behandlung nutzbar zu machen. Der durch den Fortschritt der Technik ermöglichte Einblick in das Gehirn birgt aber andererseits die Gefahr, dass die Persönlichkeit von untersuchten Personen in einem deren Würde verletzendem Masse durchleuchtet wird. Die Apparaturen werden so zu einer Art von Lügendetektor, der die Integrität des Untersuchten verletzt. Das Eindringen in die Intimsphäre führt zu einer Erosion der Persönlichkeitsrechte. Es ist daher unerlässlich, Massnahmen zu treffen, die geeignet sind, Persönlichkeitsverletzungen zu verhindern respektive den Persönlichkeitsschutz zu garantieren. Ich erlaube mir deshalb nachfolgende Fragen: 1. Ist sich der Bundesrat der Problematik
der möglichen Persönlichkeitsverletzung durch bildgebende Verfahren bewusst?

2. Welche Vorkehrungen fasst er ins Auge, um die Entwicklung der Hirnforschung zu beobachten und geeignete Massnahmen zu treffen gegen Verletzungen der Persönlichkeitsrechte?
3. Erachtet er es als notwendig, auf Verfassungsebene oder auf Gesetzesebene den Persönlichkeitsschutz im Lichte der neueren Entwicklung der Hirnforschung zu verbessern respektive Anpassungen vorzunehmen und Ergänzungen anzubringen?
4. Sind dem Bundesrat verfassungsrechtliche und gesetzgeberische Entwicklungen in andern Ländern in Bezug auf die Thematik Hirnforschung und Persönlichkeitsrecht bekannt? Falls ja, wie beurteilt er diese?

Dies die Antwort des Bundesrates vom 27.8.2014 (leicht gekürzt)

1. Der Bundesrat hat im speziellen Kontext der Humanforschung den Umgang mit personenbezogenen Gesundheitsdaten im Humanforschungsgesetz geregelt. Dazu gehören namentlich die Daten aus bildgebenden Verfahren, die bereits 2006 Gegenstand einer Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung der Akademien der Wissenschaften Schweiz waren. Die Erkenntnis, dass bildgebende Verfahren die psychischen Eigenschaften von Personen festhalten und beeinflussen können, war somit einer der Grundsteine für die Ausarbeitung des HFG. Ausserhalb des Forschungskontextes gibt es zurzeit in der Schweiz kaum Anzeichen für konkrete Bedrohungen durch bildgebende Verfahren.
2. Der rechtliche Rahmen des HFG ist für die Hirnforschung und deren bildgebende Verfahren massgebend. So ist nicht nur die Verwendung solcher Daten, solange sie nicht anonymisiert sind, sondern auch schon deren Erhebung durch eine kantonale Ethikkommission zu bewilligen. Zudem muss die betroffene Person über die Erhebung und den Zweck der Weiterverwendung in der Forschung informiert werden und dazu ihre Einwilligung erteilen. Gemäss der TA-SWISS-Studie von 2006 sind

die bildgebenden Verfahren «eine bedeutsame Entwicklung, die es sorgfältig zu beobachten gilt». Darin geht der Bundesrat auch 2014 mit dem Interpellanten einig. Futuristisch anmutende Entwicklungen, zum Beispiel die Verbesserung der Stressbewältigung von Militärpersonal oder die Beschleunigung von Lernprozessen, wurden zum Beispiel von der Royal Society bereits eingehend beleuchtet. Zurzeit werden einhellig die Gefahren für den Persönlichkeitsschutz als sehr begrenzt eingestuft. 3. Aus Sicht des Bundesrats besteht vorerst kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Das HFG garantiert den Schutz der Würde, der Persönlichkeit und Gesundheit des Menschen in der Forschung. Das HFG enthält auch strafrechtliche Bestimmungen, die der Durchsetzung der Vorschriften betreffend die Forschung am Menschen dienen (und damit dem Schutz der Persönlichkeit der betroffenen Personen). Zudem evaluiert das Bundesamt für Gesundheit die Wirksamkeit des HFG und überwacht das sich ändernde Umfeld. Ausserhalb der Forschung sind Verletzungen der Persönlichkeitsrechte am ehesten im Zusammenhang mit klinischer Diagnostik denkbar.

4. Im internationalen Umfeld, ganz besonders in angelsächsischen Ländern, liegt der aktuelle Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen und gesetzgeberischen Entwicklungen im Zusammenhang mit Hirnforschung vorwiegend im Bereiche des Strafrechts. Es geht dabei insbesondere um Fragen, wie beispielsweise die moralische und juristische Beweiskraft von solchen bildgebenden Verfahren zu werten ist. Diese und viele weitere Fragen werden sowohl vom Bundesrat, den direkt interessierten beruflichen Kreisen als auch vom breiten Publikum mit grossem Interesse verfolgt.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt

ARS MEDICI 22 I 2014 1099