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STUDIE REFERIERT
Kolonkarzinom – von Screening bis ASS
Aus einer Langzeitstudie geht hervor, dass die darmkrebsbedingte Sterblichkeit mit regelmässigen Tests auf okkultes Blut im Stuhl deutlich gesenkt werden kann. In einer anderen Untersuchung wurde nach der Darmkrebsdiagnose mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure ein verbessertes Überleben erzielt, wenn der Tumor eine intakte Expression des HLA-Klasse-1-Antigens aufwies.
NEJM/JAMA INTERN MED
In zwei Studienanalysen wurden Strategien zur Senkung der darmkrebsbedingten Mortalität evaluiert. Amerikanische Wissenschaftler untersuchten den Nutzen eines Screenings mit Tests auf fäkales Okkultblut über einen Zeitraum von 30 Jahren anhand von Daten der Minnesota Colon Cancer Control Study (MCCCS) (1). Mithilfe einer Tumoranalyse von Patienten aus dem Eindhoven Cancer Registry versuchten
Merksätze
O Mit regelmässigen Tests auf fäkales Okkultblut kann die darmkrebsbedingte Sterblichkeit gesenkt werden.
O Männer profitieren mehr vom Screening als Frauen und ältere Personen mehr als jüngere.
O Nach einer Darmkrebsdiagnose kann bei Tumoren mit intakter Expression des HLAKlasse-1-Antigens das Überleben mit niedrig dosierter ASS verbessert werden.
Marlies Reimers von der Universität Leiden (Niederlande) und ihre Arbeitsgruppe herauszufinden, welche Biomarker ein verbessertes Überleben bei der Einnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin®) nach der Darmkrebsdiagnose prädiktieren (2).
Screening senkt darmkrebsbedingte Sterblichkeit In der MCCCS wurden 46 551 Teilnehmer im Alter von 50 bis 80 Jahren randomisiert einem jährlichen oder zweijährlichen Test auf okkultes Blut im Stuhl oder einer Kontrollgruppe ohne Screening zugeordnet. Bei auffälligem Befund wurde den Patienten eine Koloskopie und – wenn erforderlich – eine Polypektomie angeboten (1). Im Verlauf des 30-jährigen Beobachtungszeitraums verstarben insgesamt 33 020 Teilnehmer (70,9%). Davon waren 732 Todesfälle auf ein Kolorektalkarzinom zurückzuführen: 200 in der Gruppe mit jährlichem Screening (1,8%), 237 bei zweijährlichen Stuhltests (2,2%) und 295 in der Kontrollgruppe (2,7%). Bei jährlichem Okkultbluttest wurde das darmkrebsbedingte Sterblichkeitsrisiko um 32 Prozent (relatives Risiko [RR]: 0,68) und bei zweijährlichem Screening um 22 Prozent (RR: 0,78) gesenkt. Die Gesamtsterblichkeit wurde durch das Screening nicht reduziert (1).
Männer profitieren mehr als Frauen In Subgruppenanalysen zeigte sich bei Männern ein ausgeprägterer Nutzen als bei Frauen. Bei jährlichem Screening wurde das Risiko der Männer für den Darmkrebstod um 39 Prozent (RR: 0,61), das der Frauen jedoch nur um 25 Prozent (RR: 0,75) vermindert. Bei zweijährlichem Screening lag das RR für Männer bei 0,63 und für Frauen bei 0,92 (1).
Zudem beobachteten die Wissenschaftler, dass ältere Personen mehr profitierten als jüngere. Bei Teilnehmern unter 60 Jahren reduzierte sich das Risiko für den Darmkrebstod bei jährlichem Screening um 18 Prozent (RR: 0,82). Bei Personen im Alter von 60 bis 69 Jahren wurde eine Verminderung des darmkrebsbedingten Sterberisikos um 42 Prozent (RR: 0,58) und in der Altersgruppe ab 70 eine Risikoreduzierung um 53 Prozent (RR: 0,47) erzielt (1). Bei Männern im Alter von 60 bis 69 Jahren zeigte sich der grösste Nutzen. Bei ihnen wurde das Risiko für den Darmkrebstod bei jährlichem Screening um 54 Prozent (RR: 0,46) und bei zweijährlichem um 58 Prozent (RR: 0,42) gesenkt (1). Bei Frauen unter 60 Jahren waren jährliche oder zweijährliche fäkale Okkultbluttests dagegen nicht mit einer Reduzierung der darmkrebsbedingten Mortalität verbunden (kombiniertes RR: 1,08). Bei Frauen im Alter von 60 bis 69 Jahren verminderte sich das Risiko für den Darmkrebstod dann bei jährlichem Screening oder zweijährlichem Screening um 21 Prozent (kombiniertes RR: 0,79) und bei Frauen über 70 Jahre um 46 Prozent (kombiniertes RR: 0,54). Der geringe Nutzen des Darmkrebsscreenings bei Frauen unter 60 Jahren könnte nach Ansicht der Autoren auch auf die signifikant geringere altersspezifische Inzidenz fortgeschrittener Neoplasien bei Frauen im Vergleich zu Männern zurückzuführen sein (1).
Okkultbluttests gleichwertig zu anderen Screeningverfahren Der Rückgang der krebsbedingten Mortalität beim Screening mit Stuhltests war vergleichbar mit Ergebnissen zum Darmkrebsscreening mit flexibler Sigmoidoskopie. Das weist darauf hin, dass der Test auf okkultes Blut im Stuhl immer noch eine effektive Methode darstellt. Als weitere Option für ein Darmkrebsscreening steht die Koloskopie zur Verfügung. Aufgrund der unkomplizierten Durchführbarkeit und der hohen Akzeptanz bei den Patienten sind Stuhltests jedoch möglicherweise mit besseren Screeningraten verbunden – auch wenn sie häufiger durchgeführt werden müssen als die beiden anderen Verfahren (1).
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STUDIE REFERIERT
Die langfristige Reduzierung der Darmkrebssterblichkeit mithilfe des Screenings führen die Autoren auf die Polyektomie und die damit verbundene Verhinderung eines Übergangs von Adenomen zu Karzinomen zurück. Als Limitation ihrer Studie werten die Autoren, dass nichts über die Tumorlokalisierung im Darm bekannt war, sodass die Mortalität nicht im Zusammenhang mit proximalen oder distalen Karzinomen evaluiert werden konnte. Zum Stadium der Krebserkrankung bei der Diagnosestellung lagen ebenfalls keine Informationen vor (1).
ASS verbessert Überleben bei Darmkrebs In älteren Studien verbesserte niedrig dosierte ASS (75–325 mg/Tag) nach einer Krebsdiagnose sowohl das tumorspezifische als auch das Gesamtüberleben. Aus randomisierten Studien zum kardiovaskulären Nutzen von ASS geht zudem hervor, dass die Substanz bei einer Krebserkrankung das Risiko für Fernmetastasen senkt. Die grössten Effekte wurden dabei im Zusammenhang mit Darmkrebs beobachtet. Beim Rektalkarzinom wurde dagegen mit ASS kein verlängertes Überleben erreicht (2). Der genaue antikanzerogene Mechanismus von ASS wurde bis anhin nicht geklärt. Man weiss jedoch, dass das metastatische Potenzial von Tumorzellen in der Blutbahn durch Umgebungsvariablen wie die (von ASS beeinflussten) Plättchen modifiziert werden kann. Vermutungen zufolge schützen die Plättchen disseminierende Tumorzellen vor den natürlichen Killerzellen und somit vor der Vernichtung durch das Immunsystem. Da die Killerzellen vor allem Zellen mit niedriger oder fehlender Expression des HLA-(humanleukocyte-antigen-)Klasse-1-Antigens erkennen und eliminieren, gingen die Autoren davon aus, dass sich der Nutzen von ASS hauptsächlich bei Tumoren mit geringer oder fehlender Expression des HLA-Klasse-1-Antigens zeigen würde (2). Zur Überprüfung ihrer Hypothese analysierten die Autoren Tumorproben von Patienten aus dem Eindhoven Cancer Registry im Hinblick auf die Expression des HLA-Klasse-1-Antigens. Des Weiteren untersuchten sie die COX-(Cyclooxygenase-)2-Expression
und führten eine Analyse der Mutationen des Gens PIK3CA durch. Ältere Studien weisen darauf hin, dass auch diese beiden Faktoren mit einem besseren Überleben von Darmkrebspatienten unter ASS assoziiert sein könnten (2).
HLA-1-Expression ist entscheidend In die Studie wurden 999 Patienten eingeschlossen. Bei mehr als 80 Prozent der Teilnehmer wurde das Kolorektalkarzinom höchstens im Stadium III diagnostiziert. Der Beobachtungszeitraum begann 30 Tage nach der Darmkrebsdiagnose und reichte bis Januar 2012 oder bis zum Tod des Patienten. Von den 999 Patienten nahmen 182 nach der Darmkrebsdiagnose niedrig dosierte ASS ein. Insgesamt kam es während des Studienzeitraums zu 465 Todesfällen. Von den 817 Patienten, die keine ASS einnahmen, verstarben 369 (48,5%) und von den 182 ASS-Anwendern starben 69 (37,9%). Bei den Patienten, die ASS erhielten, war das Risiko, während des Beobachtungszeitraums zu sterben, gegenüber der Vergleichsgruppe um 36 Prozent verringert (RR: 0,64). Bei einer Expression des HLA-Klasse1-Antigens auf den Tumorzellen war ASS nach einem Abgleich für Störgrössen wie Alter, Tumorstadium, adjuvante Chemotherapie oder Diagnosejahr mit einem um 47 Prozent (adjustiertes RR: 0,53) verminderten Sterberisiko verbunden. Bei fehlender Expression des HLA-Klasse-1-Antigens war ASS dagegen nicht mit einem Überlebensvorteil assoziiert (RR: 1,03). Bei Tumoren mit starker COX-2-Expression und schwacher COX-2-Expression war ASS mit einem vergleichbaren Überlebensvorteil assoziiert (RR: 0,68 vs. 0,59). «Im Gegensatz zu älteren Studienergebnissen wurde hier bei starker COX-2-Expression also kein Überlebensvorteil beobachtet», betonen die Wissenschaftler (2). PIK3CA-Mutationen wurden bei 15,1 Prozent der untersuchten Proben identifiziert (100 von 663). Beim PIK3CA-Wildtyp-Tumor war die Einnahme von ASS nach der Darmkrebsdiagnose mit einem besseren Gesamtüberleben verbunden (adjustiertes RR: 0,55). Bei Tumoren mit PIK3CA-Mutationen wurde dagegen kein Zusammenhang mit der Einnahme von ASS beobachtet (adjustiertes RR: 0,73).
Auch dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu älteren Untersuchungen (2).
ASS und metastatisches Potenzial
Entgegen der ursprünglichen Hypo-
these war ASS bei einer Expression des
HLA-Klasse-1-Antigens mit einem ver-
besserten Überleben verbunden, wäh-
rend eine erhöhte COX-2-Expression
oder Mutationen des Gens PIK3CA
nicht auf einen Nutzen von ASS hin-
wiesen. Somit könnte der Nachweis des
HLA-Klasse-1-Antigens als prädiktiver
Biomarker für eine adjuvante ASS-The-
rapie bei Darmkrebs dienen (2).
Die Ergebnisse der Tumoranalyse
widersprechen der Hypothese, dass die
Verminderung der Metastasenbildung
aus einer verstärkten Aktivität der na-
türlichen Killerzellen resultiert. Nach
Meinung der Autoren sind ihre Resul-
tate eher mit der Annahme vereinbar,
dass ASS von der intakten HLA-1-Ex-
pression abhängige Signalwege zwi-
schen den Plättchen und frei zirkulie-
renden Tumorzellen inhibiert und da-
rüber das metastatische Potenzial
vermindert.
Randomisierte Studien zur Anwen-
dung von ASS im adjuvanten Setting
könnten Schlüsselinformationen zu den
Interaktionen zwischen den Plättchen
und dem Tumor sowie zu den beteilig-
ten Signalwegen liefern (2).
O
Petra Stölting
Quellen: 1. Shaukat A et al.: Long-term mortality after screening
for colorectal cancer. N Engl J Med 2013; 369: 1106–1114. 2. Reimers M et al.: Expression of HLA class I antigen, aspirin use, and survival after a diagnosis of colon cancer. JAMA Intern Med 2014; 174 (5): 732–739.
Interessenkonflikte: Zu 1.: Die Studie wurde vom Veterans Affairs Merit Review Award Program, von den National Institutes of Health und vom National Cancer Institute finanziert. Zu 2.: Die Studie wurde nicht von Pharmaunternehmen finanziert. Einer der Autoren hat Gelder von der Aspirin Foundation erhalten und arbeitet als Berater für Bayer.
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