Transkript
BERICHT
Therapie der Depression in der hausärztlichen Praxis
Melatonerges Antidepressivum als Alternative zu SSRI/SNRI?
In der First-line-Therapie von Episoden einer Major Depression kommen überwiegend SSRI/SNRI zum Einsatz. Eine für den Grundversorger attraktive Alternative könnte in dem neuartigen Antidepressivum Agomelatin liegen.
ANKA STEGMEIER-PETROIANU
Agomelatin (Valdoxan®) wirkt einerseits als Agonist auf melatonerge MT1-/ MT2-Rezeptoren und andererseits als selektiver Antagonist an serotonergen 5HT2c-Rezeptoren. Diese synergistische Wirkung führe zu kombinierten antidepressiven, anxiolytischen und chronobiologischen Effekten, berichtete Prof. Dr. med. Guido Bondolfi, Genf. Bereits nach zwei Wochen ist eine Verbesserung der depressiven Symptomatik messbar; zudem weisen diejenigen Patienten, die frühzeitig auf die Behandlung ansprechen und als «early improvers» gelten, im späteren Verlauf erhöhte Response- und Remissionsraten auf. Mit anderen Worten, man
Merksätze
O SSRI/SNRI sind nicht automatisch die erste Wahl bei der medikamentösen antidepressiven Therapie, Agomelatin ist eine Alternative.
O Agomelatin reguliert den zirkadianen Rhythmus, die antidepressive Wirkung stellt sich bereits nach zwei Wochen ein.
O Bei der Substanzwahl sind Nebenwirkungen zu beachten und Patientenpräferenzen zu berücksichtigen.
O Agomelatin ist gewichtsneutral, ohne Störungen der sexuellen Funktion. Die Transaminasen sollten regelmässig kontrolliert werden.
kann relativ schnell evaluieren, ob der Patient auf die Behandlung anspricht – eine in der Therapie der Depression seltene Ausnahme. Die antagonistische Wirkung an serotonergen 5HT2c-Rezeptoren führt zu einer indirekten Erhöhung der Konzentrationen von Noradrenalin und Dopamin, mit daraus resultierenden stimmungsaufhellenden Effekten. Daraus ergibt sich auch, dass der Serotoninspiegel nicht erhöht wird, was Nebenwirkungen der SSRI vermeidet. Insbesondere verhält sich die Substanz gewichtsneutral und beeinflusst die Sexualfunktion nicht. Neben der antidepressiven Wirkung reguliert sie an melatonergen Rezeptoren den zirkadianen Rhythmus, was zu einer besseren Architektur des Schlafes beitragen soll. Die Kombination beider Wirkmechanismen führt zu positiven Effekten auf Stimmung und Schlafarchitektur.
Wirksame Option für Psychiater und Grundversorger In einer Beobachtungsstudie im Praxisalltag von Schweizer Psychiatern (VALID-SWISS) wurde die Wirksamkeit und die Verträglichkeit des Agomelatins (25 mg 1-mal täglich) bei überwiegend schwer depressiven Patienten untersucht (1). Es erwies sich bei allen Schweregraden der Depression sowie in der Rückfallprophylaxe als wirksam und war gut verträglich. In einer kürzlich veröffentlichen Metaanalyse von 20 Studien mit insgesamt 7460 Patienten wurde Agomelatin eine ähnliche Wirksamkeit wie anderen Antidepressiva bescheinigt (2). Die Vergleichssubstanzen waren Escitalopram, Fluoxetin, Venlafaxin, Sertralin und Paroxetin.
Emotionale Schwingungsfähigkeit erhalten Die übliche Vorgehensweise, die antidepressive Therapie mit einem selekti-
ven Serotoninwiederaufnahmehemmer
zu beginnen, stellte Dr. med. Gregoire
Rubovszky, Groupe Medical d’Onex,
infrage. Zum einen sei die Zeit bis zum
Einsetzen der antidepressiven Wirkung
bei klassischen (trizyklischen) Anti-
depressiva oder SSRI/SNRI länger als
unter Agomelatin. Das führe oft zur
Verschreibung problematischer Begleit-
medikationen, etwa Benzodiazepinen
mit daraus resultierender Gefahr der
Abhängigkeit. Auch Schlaftabletten
seien Teil der Polypragmasie bei Patien-
ten mit Depressionen. Agomelatin eigne
sich als erste Wahl in der antidepres-
siven Therapie, sofern die Vermeidung
der häufigen Nebenwirkungen etablier-
ter antidepressiver Medikamente im
Vordergrund steht. Zu solchen Neben-
wirkungen, die für den Patienten mit
einer verminderten Lebensqualität ein-
hergehen könnten, gehörten sexuelle
Funktionsstörungen wie Anorgasmie,
Schlafstörungen, Übelkeit sowie un-
erwünschte Gewichtszunahme. Auch
die emotionale Abstumpfung, die unter
SSRI/SNRI beobachtet werde, stelle für
viele Patienten ein Problem dar. Schliess-
lich liessen sich mithilfe der selektiven
Serotoninwiederaufnahmehemmer ne-
gative Gedanken abschwächen, diese
Substanzklasse sei jedoch weniger wirk-
sam, wenn eine Anhedonie im Vorder-
grund stehe.
O
Anka Stegmeier-Petroianu
1. Holsboer-Trachsler E und Bondolfi G: Die Schweizer Praxiserfahrung VALID-SWISS: Wirksamkeit und Verträglichkeitsprofil von Agomelatin bei Patienten mit depressiven Störungen. Ars Medici 2014; 6: 340–346.
2. Taylor D et al.: Antidepressant efficacy of agomelatine: meta-analysis of published and unpublished studies. BMJ 2014; 348: g1888.
Quelle: «Treating depression in private practice: Experiences in Switzerland», Satellitensymposium der Firma Servier im Rahmen der European and Swiss Conference of Internal Medicine, ESCIM, Genf, 14. bis 16. Mai 2014.
ARS MEDICI 20 I 2014 1011