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Glukokortikoidinduzierte Osteoporose bleibt unterbehandelt
BERICHT
1. Symposium Osteoporose, Schmerz, Arthrose 20. März 2014, Seedamm Plaza, Pfäffikon/SZ
Unter den sekundären Osteoporosen ist die durch Steroide verursachte besonders problematisch, da das Frakturrisiko zwar deutlich erhöht, die Erfassung dieses Risikos aber erschwert ist, sagte Prof. Hans Jörg Häuselmann, Zentrum für Rheuma- und Knochenerkrankungen, Privatklinikgruppe Hirslanden, Zürich.
Bis zu 50 Prozent der Patienten unter chronischer Steroidtherapie erleiden osteoporotische Frakturen oder entwickeln eine Osteonekrose. Glukokortikosteroide sind damit der häufigste Grund für eine sekundäre Osteoporose. «Die glukokortikosteroidinduzierte Osteoporose ist eine iatrogene und in vielen Fällen vermeidbare Erkrankung», betonte Häuselmann. Dies impliziert auch, alles Nötige zur Vorbeugung und Behandlung dieser Knochenschädigung vorzukehren.
Kalzium, in 57 Prozent Vitamin D und in 21 Prozent Bisphosphonate. «Dieser Anteil an präventiven Therapien illustriert gut, dass die Situation verkannt und zu wenig aggressiv behandelt wird», kommentierte Häuselmann.
Frakturrisiko wird chronisch unterschätzt «Der Knochenverlust unter Steroiden kommt früh, nämlich schon nach 3 bis 6 Monaten – abzuwarten ist also keine gute Strategie», mahnte der Rheumato-
«Die glukokortikosteroidinduzierte Osteoporose ist eine iatrogene und in vielen Fällen vermeidbare Erkrankung.»
HALID BAS
Bei der sekundären Osteoporose stehen 4 kausale Gruppen im Vordergrund: O Entzündliche Erkrankungen (rheu-
matoide Arthritis, M. Crohn, Colitis ulcerosa, COPD) O Medikamente (Glukokortikoide, Aromatasehmmer, Protonenpumpenhemmer, Glitazone, Antidepressiva, Antiepileptika, Neuroleptika u.a.) O Endokrinopathien (Diabetes mellitus, Hyperparathyreoidismus, Hyperthyreose, Hypogonadismus) O Malabsoprtion, Osteomalazie, Malignome
In der Praxis sind von diesen die entzündlichen Erkrankungen und die Medikamente die beiden häufigsten osteoporoseauslösenden Begleitumstände, ganz besondere Bedeutung hat die Verabreichung von Glukokortikoiden.
Chronische Glukokortoidbehandlung verlangt nach präventiver Therapie Aus epidemiologischen Erhebungen ist bekannt, dass 0,2 bis 0,5 Prozent der Bevölkerung Steroide nehmen, bei den über 70-Jährigen sind es 2,5 Prozent (1).
Die Glukokortikoide stimulieren am Anfang die Osteoklasten und hemmen die Osteoblasten. Unter länger dauernder Steroidbehandlung wird somit der Knochenaufbau gehemmt. Die Bisphosphonate haben am Beginn einer Steroidtherapie eine gute Wirkung, sie hemmen aber neben den Osteoklasten auch die Osteoblasten und Osteozyten wie die Steroide und verlieren bei Patienten unter Steroiden nach einer gewissen Zeit – 1 bis 2 Jahren – ihre Wirkung. Bei einer jahrelangen gleichzeitigen Therapie mit Glukokortikoiden und Bisphosphonaten resultiert eine chronische osteoblastäre Hemmung, was nicht sinnvoll ist. «Noch sieht das BAG dies nicht so, da die Daten fehlen», bedauerte Häuselmann, «es ist aber zu hoffen, dass es zukünftig das osteonanabole Prinzip früher bezahlt.» In einer Untersuchung aus Kanada erhielten von Patienten mit früher Arthritis und chronischer Kortikosteroidzufuhr insgesamt 53 Prozent Kalzium und 47 Prozent Vitamin D sowie 25 Prozent Bisphosphonate (2). Patienten, bei denen die tägliche orale Prednisondosis über 7,5 mg lag, bekamen in 64 Prozent
loge. Der trabekuläre Knochen ist stärker betroffen als der kortikale, sowohl Wirbelfrakturen (in 30–50%) als auch Hüftfrakturen (ca. 50%) treten häufig auf. Das Ausmass des Knochenverlusts wird mit 2 bis 4 Prozent pro Jahr beziffert, dies im Vergleich zum physiologischen Verlust von 1 Prozent bei postmenopausalen Frauen. Zum vertebralen Frakturrisiko bei entzündlichen Erkrankungen gibt es nur etwas ältere Angaben aus geringen Patientenzahlen (3, 4). Sie belegen eine hohe Prävalenz von Wirbelfrakturen bei Sarkoidose (32%) und entzündlichen Darmerkrankungen (25%) schon prämenopausal sowie bei entzündlichen rheumatischen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis (33%), Polymyalgia rheumatica (51%), systemischem Lupus erythematodes (27%) und anderen Vaskulitiden (41%), aber auch bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (40%) postmenopausal. Beim Frakturrisiko unter chronischer Steroidbehandlung spielt einerseits die Dosis, andererseits die geringe Knochendichte eine Rolle, und das Risiko steigt bei Kombination der beiden ungünstigen Faktoren exponentiell an.
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Merksätze
O Zum Frakturrisiko unter chronischer Steroidtherapie sind die Daten limitiert.
O Die Entwicklung einer Osteoporose hängt von Steroiddosis und -dauer, Alter, Geschlecht sowie Knochendichte ab und führt zu einem erhöhten Frakturrisiko sowohl an Wirbelkörpern als auch nonvertebral.
O Die Erfassung des individuellen Frakturrisikos bleibt auch mit Knochendichtemessung schwierig, denn Frakturen treten in bis zu 30 bis 40 Prozent auch bei normalem DXA auf.
O Die glukokortikoidinduzierte Osteoporose wird mit Sicherheit oft unterbehandelt.
O Bisphosphonate wirken bei glukokortikoidinduzierter Osteoporose zu Beginn gut, eine Langzeitbehandlung mit Osteoklastenhemmern ist aber wahrscheinlich unsicher.
O Teriparatid ist bei Steroidosteoporose eine wertvolle Therapiealternative.
«Deshalb müssen Sie sehr aufpassen, wenn Sie das Frakturrisiko mit FRAX® berechnen. Es wird chronisch unterschätzt. Bei Glukokortikoiden sollten Sie eigentlich FRAX nicht benützen», mahnte Häuselmann. Das TOP-Tool der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologen versucht, die zusätzlichen Risikofaktoren besser zu fassen und ein höheres Risiko anzuzeigen (5). «Aber auch hier müssen wir extrapolieren, und es ist schwierig, das genaue Frakturrisiko vorauszusagen. Es ist immer höher, als man denkt», insistierte Häuselmann. Aus Erhebungen an mehr als 250 000 Patientinnen und Patienten ist gut dokumentiert, dass das Frakturrisiko
schon ab einer Prednisondosis von mehr als 2,5 mg/Tag ansteigt und dass diese Zunahme ab 7,5 mg/Tag noch deutlich ausgeprägter ist (6). Der Anstieg ist vor allem bei vertebralen Frakturen schon früh, das heisst ab 3 Monaten, nachweisbar. Dies erfordert eine schon früh einsetzende präventive Therapie. Neben Steroiddosis und -dauer sowie Knochendichte ist auch der postmenopausale Zustand bei der Frau ein wichtiger Risikofaktor für Frakturen.
beziehungsweise unter -1,0 und gleichzeitig 2 von 3 Risikofaktoren (Alter > 50 J., postmenopausal, Prednisolondosis > 20 mg/Tag) soll als 1. Wahl ein Bisphosphonat verschrieben werden. Zweite Wahl ist das Knochenanabolikum Teriparatid (Forsteo®). «Dieses unterliegt zwar einer Limitatio, in aller Regel geben die Kassen bei adäquater Darlegung der Situation jedoch problemlos eine Kostengutsprache», sagte Häuselmann. Die Erfassung des individuellen Frakturrisikos bleibt auch mit
«Aber auch mit dem TOP-Tool müssen wir extrapolieren, und es ist schwierig, das genaue Frakturrisiko vorauszusagen – es ist immer höher, als man denkt.»
Praktisches Vorgehen Die Schweizerische Gesellschaft für Rheumatologie hat Empfehlungen zur Vorbeugung und Behandlung der Steroidosteoporose herausgegeben (7). Diese verlangen ein individuelles Risikoassessment unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Komorbiditäten sowie anderen Risikofaktoren und empfehlen eine Knochenmineraldichtemessung mittels DXA vor Beginn einer Therapie mit ≥ 5 mg/Tag Prednison, die voraussichtlich länger als 3 Monate dauern wird. Für alle Patienten wird eine Kalziumaufnahme von 1000 bis 1200 mg täglich, eine Substitution mit 800–1200 IE Vitamin D3 pro Tag sowie eine Reduktion der Osteoporoserisikofaktoren empfohlen. Ergibt die initiale DXA-Messung einen T-Score über -1,5, soll die Messung nach 1 bis 2 Jahren wiederholt werden (keine Pflichtleistung der Krankenkassen). Bei einem T-Score unter -1,5
Knochenmineraldichtemessung schwie-
rig, denn Knochenbrüche treten in bis
zu 30 bis 40 Prozent auch bei Patienten
mit normalem DXA auf.
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Halid Bas
Referenzen: 1. Compston J: Management of glucocorticoid-induced
osteoporosis. Nat Rev Rheumatol 2010; 6(2): 82–88. 2. McKeown E et al.: Quality assurance study of the use
of preventative therapies in glucocorticoid-induced osteoporosis in early inflammatory arthritis: results from the CATCH cohort. Rheumatology (Oxford) 2012; 51(9): 1662–1669. 3. Heijckmann AC et al.: High prevalence of morphometric vertebral deformities in patients with inflammatory bowel disease. Eur J Gastroenterol Hepatol 2008; 20(8): 740–747. 4. Heijckmann AC et al.: Progressive vertebral deformities despite unchanged bone mineral density in patients with sarcoidosis: a 4-year follow-up study. Osteoporos Int 2008; 19(6): 839–847. 5. TOP-Tool der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie: www.med-link.ch/osteoporose 6. van Staa TP et al.: The epidemiology of corticosteroidinduced osteoporosis: a meta-analysis. Osteoporos Int 2002; 13(10): 777–787. 7. www.rheuma-net.ch
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