Transkript
Was läuft schief bei der Endometriose?
Schmerzmanagement und Behandlungsoptionen
BERICHT
Die Endometriose ist vor allem deshalb problematisch, weil sie nach primär erfolgreicher Intervention durch eine hohe Rezidivrate gekennzeichnet ist. Zusätzlich wird bei bis zu 20 Prozent der Frauen mit Infertilität eine Endometriose diagnostiziert. An der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in Lugano gehörten die Endometriose und die damit verbundene Schmerzproblematik zu den Schwerpunktthemen.
RENATE WEBER
Bei der Endometriose handle es sich um die zweithäufigste gutartige Erkrankung der Frau im reproduktionsfähigen Alter, berichtete Dr. Markus Eberhard, Chefarzt, Kantonsspital Schaffhausen. 1 von 10 Frauen sei damit konfrontiert, so die Schätzung.
Merksätze
O Das Ausmass der Schmerzen korreliert nicht mit dem Ausmass der Endometriose.
O Die frühe Diagnosestellung ist wichtig. O Die Behandlungsstrategie muss somatische und
psychosomatische Aspekte berücksichtigen. O Bei Endometriose wird das Vorgehen im Ein-
zelfall wesentlich von der Frage bestimmt, ob ein Kinderwunsch besteht, die Familienplanung bereits abgeschlossen ist oder eine Schmerzsymptomatik im Vordergrund steht. O Darüber hinaus spielt die Lokalisation der Endometrioseherde eine wesentliche Rolle. O Im Hinblick auf die Schmerzreduktion haben sich chirurgische Massnahmen als ähnlich wirksam erwiesen wie die (endokrinen) medikamentösen Therapien.
Typisch ist das ausserhalb der Gebärmutter versprengte Gewebe, das unterschiedlich stark wuchern und Beschwerden auslösen kann. Als häufigste Lokalisationen erwähnte Eberhard die Ovarien, den Douglas-Raum, die uterosakralen Ligamente und das Colon sigmoideum. Zwischen dem Ausmass des Befalls und der Intensität der Schmerzen besteht allerdings keine gute Korrelation: Einerseits können Frauen mit ausgedehnter Endometriose asymptomatisch sein, während andererseits selbst kleine Läsionen mit quälenden Symptomen einhergehen können. Die Endometriose entsteht vermutlich aufgrund einer komplexen Dysregulation, bei der Entzündungsmediatoren einen wichtigen Stellenwert haben. Im Rahmen einer gesteigerten Immunantwort werden Makrophagen und neutrophile Granulozyten aktiviert, und es kommt zu Gewebeschädigungen und narbigen Verwachsungen. Oxidativer Stress, gesteigerte Angiogenese, Neurogenese und Steroidsynthese erleichtern die Adhäsion und die Implantationsfähigkeit der zirkulierenden Endometriumzellen, und eine abgeschwächte Immunantwort ermöglicht das «Anwachsen». Der Nervenwachstumsfaktor unterstützt die Innervierung der ektopen Endometrioseherde. Sensibilisierung, Hyperalgesie, Allodynie und Triggerung sensorischer Neuronen sowie eine erniedrigte Schmerzschwelle bilden den Hintergrund für die Schmerzwahrnehmung. Schmerzen aufgrund eingeklemmter Nerven und neuropathische Schmerzen können ebenfalls beteiligt sein.
Interaktion zwischen Psyche und Soma Während der Unterbauchschmerz bei Endometriose auf Schwellungen und mechanische Reize, Einblutungen in umliegendes Gewebe, Vernarbungen und Elastizitätsverlust sowie Entzündungsprozesse zurückzuführen ist, sind auf der psychischen Seite der Schmerz-
empfindung Aspekte wie kognitive Fehlinterpretationen, Einstellung und Erwartungshaltung im Hinblick auf Schmerzen, Stress, Angst, Depression, Schuldgefühle und sozialer Rückzug zu berücksichtigen, so PD Dr. Brigitte Leeners, Zürich. Da sich die Schmerzattacken über Jahre hinweg wiederholen, entwickelt sich ein Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins. Das Vertrauen in den eigenen Körper geht zunehmend verloren. Die psychische Befindlichkeit gerät in eine Negativspirale, bei der sich Schmerzwahrnehmung, -bewertung und -erwartung abwechseln; typisch sind sozialer Rückzug und zunehmend limitierte Freizeitaktivitäten. Beides unterstützt die (unerwünschte) Fokussierung auf den Schmerz. Diese Erkenntnisse unterstreichen den hohen Stellenwert der Körperpsychotherapie bei diesen Patientinnen: Die Frauen können lernen, dem Schmerz gegenzusteuern, individuelle Ressourcen zu mobilisieren und dysfunktionale Verhaltensweisen zu ändern. Die späte Diagnosestellung (nach 7 bis 10 Jahren) stellt einen weiteren Belastungsfaktor dar. Viele Frauen fühlen sich nicht ernst genommen, weil die Beschwerden bagatellisiert werden oder weil der Arzt die somatische Komponente verneint und ausschliesslich psychische Probleme verantwortlich macht.
Chirurgische Interventionen Bei der Endometriose werden grundsätzlich sehr unterschiedliche therapeutische Strategien propagiert, angefangen bei der «normalen» Schmerztherapie mit NSAR über verschiedene endokrine Therapien bis hin zu unterschiedlich invasiven chirurgischen Eingriffen. In einem interdisziplinären Schweizer Konsensus wird für Frauen ohne aktuellen Kinderwunsch ein Abklärungs- und Therapieschema empfohlen (Abbildung). Als Beispiel für den Nutzen der laparoskopischen Chirurgie schilderte Markus
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positiver Endotest/ Anamnese
und Symptomatik
klinische Untersuchung Sonografie
Verdacht
Befund und/oder Schmerzen (Knoten im Septum rectovaginale,
Endometriom …)
versuchsweise NSAR, OC, Gestagen
(IUD und Dienogest)
Laparoskopie
keine ausreichende Kontrolle
(Persistieren der Schmerzen > 6 Monate)
komplette Resektion nicht möglich:
Überweisung ins spezialisierte Zentrum
Erfolg: Nachkontrolle alle 6–12 Monate (Sonografie der Nieren)
komplette Resektion: Rückfallprophlaxe: COC, Gestagen, IUD
Abbildung: Abklärungs- und Therapieschema bei Endometriose; NSAR: nichtsteroidale Antirheumatika; OC: orale Kontrazeption; IUD = Spirale; COC = kombinierte Pille (aus: Müller M, Eberhard M, De Geyter C et al.: Diagnostik und Therapie der Endometriose. Empfehlungen eines interdisziplinären Schweizer Panels zu Behandlung und Diagnostik der Endometriose. Frauenheilkunde Aktuell 2012; 2: 28–34).
Eberhard die Resultate einer randomisierten, kontrollierten Studie. Man verglich zwei Gruppen von Frauen. Bei der einen erfolgte eine Exzision, bei der anderen eine diagnostische Laparoskopie. Die Exzision führte bei 80 Prozent der Frauen versus 32 Prozent der Kontrollgruppe zu einer Besserung der Symptomatik. Sechs Monate später war es in der Kontrollgruppe bei 45 Prozent zu einer Progression und bei 22 Prozent zu einer Rückbildung gekommen, während bei einem Drittel keine Veränderungen stattfanden. Ein Cochrane-Review bestätigte die Wirksamkeit der laparoskopischen Chirurgie bei Beckenschmerzen aufgrund einer Endometriose. Dysmenorrhö, Beckenschmerzen, Rektalschmerz und Dyspareunie wurden signifikant gebessert, so Eberhard. Bei peritonealer Endometriose haben sich bei kleinen Herden thermische Verfahren bewährt. Sind grössere Herde vorhanden, kommen Exzision und Lasertechnologie zum Einsatz, und bei einer tief infiltrierenden Endometriose ist die Resektion indiziert. Beim chirurgischen Management ist ein nervenschonendes Vorgehen zu fordern; insbesondere bei der tief infiltrierenden Endometriose müssen Schädigungen des Plexus hypogastricus vermieden werden, die schwere Miktionsprobleme nach sich ziehen können, so Eberhard.
Suppression der ovarialen Östrogensekretion Der Wirkmechanismus der Gestagene bei der Endometriose ist noch nicht vollständig geklärt. Man geht jedoch davon aus, dass die Gestagendominanz ein Milieu schafft, das mit demjenigen während einer Schwangerschaft vergleichbar ist. Ausserdem werden das Entzündungsgeschehen günstig beeinflusst, die Ausschüttung von Wachstumsfaktoren gebremst und die lokale Immunantwort moduliert. Die Therapiemöglichkeiten mit Gestagenpräparaten sind in der Tabelle zusammengefasst. Kombinierte orale Kontrazeptiva kommen sowohl für die Schmerzreduktion als auch für die Rezidivprophylaxe infrage. Eine Gestagenmonotherapie kann verordnet werden, wenn der Östrogeneffekt unerwünscht ist. Bei der Wahl des Gestagens sollte man sich von den spezifischen Präparateeigenschaften und dem individuellen Therapieziel leiten lassen. Im Zusammenhang mit den medikamentösen Therapien verwies der Referent auf das hohe Rezidivrisiko: Dieses wird mit 5 bis 15 Prozent im ersten Jahr und mit 40 bis 50 Prozent nach fünf Jahren angegeben. Es besteht ausserdem eine Korrelation mit dem Ausmass der Endometriose. Ein leichter Befall führt bei etwa einem Drittel zum Rezidiv; diese Rate erhöht sich bei schwerer, ausgedehnter Endometriose auf beachtliche 75 Prozent.
Tabelle:
Gestagenpräparate für die Endometriosetherapie
Oral: O Nortethisteronacetat (NA): kontinuierliche Gabe, 1-mal täglich 2,5 mg O Medroxyprogesteronacetat (MPA): kontinuierliche Gabe, 1-mal täglich 15–30 mg O Dienogest (DNG): kontinuierliche Gabe, 1-mal täglich 2 mg O Cyproteronacetat (CA): Dieses Antiandrogen mit schwach gestagenem Effekt wird in
einer Dosierung von täglich 10 mg eingesetzt.
Depotinjektionen: O Depot-MPA: 150 mg i.m. oder 104 mg s.c. alle 3 Monate
Subkutane Implantate: O Etonogestrelimplantat: 68 mg mit einem über 3 Jahre anhaltenden Effekt
Intrauterine Systeme: O Levonorgestrel (LNG) für die intrauterine Anwendung; über 5 Jahre werden täglich
0,02 mg freigesetzt. O Die LNG-freisetzende Spirale hat einen günstigen Effekt auf rektovaginale Schmerzen,
Schmerzen bei einer Adenomyosis und Blutungsunregelmässigkeiten.
Postoperative medikamentöse
Therapie
Frauen, die wegen Endometriose ope-
riert wurden, können postoperativ mit
einer levonorgestrelfreisetzenden Spirale
versorgt werden. Durch diese Sekun-
därprävention lässt sich die endometrio-
seassoziierte Dysmenorrhö verhindern.
Bei nicht menstruellen Beckenschmer-
zen oder einer Dyspareunie hingegen
bringt das keinen Nutzen. Als Alterna-
tive kommt eine Therapie mit kombi-
nierten oralen Kontrazeptiva über min-
destens 18 bis 24 Monate infrage, vor
allem nach der Zystektomie eines ova-
riellen Endometrioms.
O
Renate Weber
Der Bericht basiert auf den Vorträgen von PD Dr. Brigitte Leeners, Zürich, und Dr. Markus Eberhard, Schaffhausen, an der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe vom 27. bis zum 29. Juni 2013 in Lugano.
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